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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 12.05.2005
Aktenzeichen: C-112/03
Rechtsgebiete: Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen


Vorschriften:

Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Art. 7
Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Art. 8
Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Art. 9
Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Art. 10
Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Art. 11
Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Art. 12 Nr. 3
Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen Art. 17
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 12. Mai 2005. - Société financière et industrielle du Peloux gegen Axa Belgium und andere. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Cour d'appel de Grenoble - Frankreich. - Brüsseler Übereinkommen - Zuständigkeit für Klagen aus Versicherungsverträgen - Zuständigkeitsvereinbarung zwischen einem Versicherungsnehmer und einem Versicherer mit Sitz in demselben Vertragsstaat - Wirkung der Gerichtsstandsklausel gegenüber dem Versicherten, der dieser Klausel nicht zugestimmt hat - Versicherter mit Sitz in einem anderen Vertragsstaat. - Rechtssache C-112/03.

Parteien:

In der Rechtssache C112/03

wegen eines Vorabentscheidungsersuchens nach dem Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof, eingereicht von der Cour d'appel Grenoble (Frankreich) mit Entscheidung vom 20. Februar 2003, beim Gerichtshof eingegangen am 13. März 2003, in dem Verfahren

Société financière et industrielle du Peloux

gegen

Axa Belgium u. a.,

Gerling Konzern Belgique SA,

Établissements Bernard Laiterie du Chatelard,

Calland Réalisations SARL,

Joseph Calland,

Maurice Picard,

Abeille Assurances Cie,

Mutuelles du Mans SA,

SMABTP,

Axa Corporate Solutions Assurance SA,

Zurich International France SA

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. W. A. Timmermans, der Richterin R. Silva de Lapuerta sowie der Richter J. Makarczyk, P. Kris und J. Kluka (Berichterstatter),

Generalanwalt: A. Tizzano,

Kanzler: K. Sztranc, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 27. Oktober 2004,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- der Axa Belgium u. a., vertreten durch J.P. Caston und I. Scheidecker, avocats,

- der Gerling Konzern Belgique SA, vertreten durch SCP HPMBC Rostain, société d'avocats,

- der Mutuelles du Mans SA, vertreten durch C. Michel, avocat,

- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und A. Bodard-Hermant als Bevollmächtigte,

- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch R. Caudwell als Bevollmächtigte im Beistand von J. Stratford, Barrister,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A.-M. Rouchaud-Joët als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 16. Dezember 2004

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Artikel 12 Nummer 3 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der durch das Übereinkommen vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1 und - geänderte Fassung - S. 77), das Übereinkommen vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Hellenischen Republik (ABl. L 388, S. 1), das Übereinkommen vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik (ABl. L 285, S. 1) und das Übereinkommen vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden (ABl. 1997, C 15, S. 1) geänderten Fassung (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen).

2. Dieses Ersuchen ergeht in einem bei der Cour d'appel Grenoble anhängigen Zuständigkeitsstreit, in dem die Gesellschaft französischen Rechts Société financière et industrielle du Peloux, vormals Plast'Europ SA (im Folgenden: SFIP), und die Versicherungsgesellschaften Axa Belgium, vormals AXA Royale Belge SA (im Folgenden: Axa Belgium), Zurich Assurances SA (im Folgenden: Zurich Assurances), AIG Europe SA (im Folgenden: AIG Europe), Fortis Corporate Insurance SA (im Folgenden: Fortis), Gerling Konzern Belgique SA (im Folgenden: Gerling), Axa Corporate Solutions Assurance SA (im Folgenden: Axa Corporate) und Zurich International France SA (im Folgenden: Zurich International France) über die Frage streiten, ob eine Gerichtsstandsklausel im Rahmen einer Haftungsklage der SFIP gegen das Konsortium ihrer Versicherer aus einem Konzernversicherungsvertrag geltend gemacht werden kann.

Rechtlicher Rahmen

3. In Artikel 7 des Brüsseler Übereinkommens, der im 3. Abschnitt (Zuständigkeit für Versicherungssachen) des Titels II steht, heißt es:

Für Klagen in Versicherungssachen bestimmt sich die Zuständigkeit... nach diesem Abschnitt.

4. Artikel 8 des Brüsseler Übereinkommens bestimmt:

Der Versicherer, der seinen Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, kann verklagt werden:

1. vor den Gerichten des Staates, in dem er seinen Wohnsitz hat,

2. in einem anderen Vertragsstaat vor dem Gericht des Bezirks, in dem der Versicherungsnehmer seinen Wohnsitz hat, oder

3. falls es sich um einen Mitversicherer handelt, vor dem Gericht eines Vertragsstaats, bei dem der federführende Versicherer verklagt wird.

...

5. Artikel 9 des Brüsseler Übereinkommens sieht vor:

Bei der Haftpflichtversicherung... kann der Versicherer außerdem vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, verklagt werden....

6. Artikel 10 des Brüsseler Übereinkommens bestimmt:

Bei der Haftpflichtversicherung kann der Versicherer auch vor das Gericht, bei dem die Klage des Geschädigten gegen den Versicherten anhängig ist, geladen werden, sofern dies nach dem Recht des angerufenen Gerichts zulässig ist.

...

7. In Artikel 11 des Brüsseler Übereinkommens heißt es:

Vorbehaltlich der Bestimmungen des Artikels 10 Absatz 3 kann der Versicherer nur vor den Gerichten des Vertragsstaats klagen, in dessen Hoheitsgebiet der Beklagte seinen Wohnsitz hat, ohne Rücksicht darauf, ob dieser Versicherungsnehmer, Versicherter oder Begünstigter ist.

...

8. Artikel 12 des Brüsseler Übereinkommens sieht vor:

Von den Vorschriften dieses Abschnitts kann im Wege der Vereinbarung nur abgewichen werden:

...

2. wenn sie dem Versicherungsnehmer, Versicherten oder Begünstigten die Befugnis einräumt, andere als die in diesem Abschnitt angeführten Gerichte anzurufen,

3. wenn sie zwischen einem Versicherungsnehmer und einem Versicherer, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Vertragsstaat haben, getroffen ist, um die Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates auch für den Fall zu begründen, dass das schädigende Ereignis im Ausland eingetreten ist, es sei denn, dass eine solche Vereinbarung nach dem Recht dieses Staates nicht zulässig ist,

...

9. In Artikel 17 des Brüsseler Übereinkommens, der im 6. Abschnitt (Vereinbarungen über die Zuständigkeit) des Titels II steht, heißt es:

Haben die Parteien, von denen mindestens eine ihren Wohnsitz in dem Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, vereinbart, dass ein Gericht oder die Gerichte eines Vertragsstaats über eine bereits entstandene Rechtsstreitigkeit oder über eine künftige aus einem bestimmten Rechtsverhältnis entspringende Rechtsstreitigkeit entscheiden sollen, so sind dieses Gericht oder die Gerichte dieses Staates ausschließlich zuständig. Eine solche Gerichts[stands]vereinbarung muss geschlossen werden

a) schriftlich oder mündlich mit schriftlicher Bestätigung,

[oder]

b) in einer Form, welche den Gepflogenheiten entspricht, die zwischen den Parteien entstanden sind,...

...

...

Gerichtsstandsvereinbarungen... haben keine rechtliche Wirkung, wenn sie den Vorschriften de[s] Artikel[s] 12... zuwiderlaufen...

...

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

10. Die bei der Abeille Assurances Cie (im Folgenden: Abeille), einer Versicherungsgesellschaft französischen Rechts, versicherte Calland Réalisations SARL (im Folgenden: Calland) errichtete im Jahr 1990 für die Établissements Bernard Laiterie du Chatelard (im Folgenden: Laiterie du Chatelard), eine Gesellschaft französischen Rechts, eine Käseproduktionseinheit und führte dabei sämtliche Bauarbeiten mit von der SFIP hergestellten Platten aus.

11. Ein von der Laiterie du Chatelard in Auftrag gegebenes Sachverständigengutachten ergab, dass diese Platten Konzeptions- und Herstellungsfehler aufwiesen und diese Mängel die Räumlichkeiten für ihren bestimmungsgemäßen Zweck untauglich machten. Die Kosten der Wiederherstellungsarbeiten wurden auf etwa 610 000 Euro geschätzt.

12. Die SFIP war zum Zeitpunkt dieser Arbeiten bei mehreren vor- oder nachrangigen französischen Versicherern versichert. Als Tochtergesellschaft der Recticel SA (im Folgenden: Recticel), einer Gesellschaft belgischen Rechts, war sie auch bei mehreren nachrangigen belgischen Versicherern im Rahmen eines von der Recticel abgeschlossenen Konzernversicherungsvertrags versichert, der mit Nachtrag vom 8. Juli 1988 rückwirkend zum 7. Juni 1988, dem Zeitpunkt ihres Eintritts in den Recticel-Konzern, auf sie erstreckt worden war. Artikel K in Kapitel VII dieses Vertrages bestimmt: Für Streitigkeiten aus dem vorliegenden Vertrag unterwirft sich die Gesellschaft der Gerichtsbarkeit am Sitz des Versicherungsnehmers. Das vorlegende Gericht weist darauf hin, dass diese Klausel offenkundig nicht vom Versicherer durchgesetzt wurde.

13. Die Laiterie du Chatelard hat mit Schriftsätzen vom 1. und 12. März 2001 folgende Unternehmen beim Tribunal de grande instance Bourgoin-Jallieu (Frankreich) auf Schadensersatz verklagt:

- die Calland, die im außergerichtlichen Verfahren aufgelöst und anschließend in Person ihrer beiden Verwalter J. Calland und M. Picard erneut verklagt wurde,

- die Abeille, Versicherer der Calland,

- die SFIP,

- die SMABTP, Herstellerhaftpflichtversicherer der SFIP,

- die AXA Global Risks SA (im Folgenden: AXA Global Risks), Schadensversicherer der SFIP,

- die Zurich International, Schadensversicherer der SFIP.

14. Am 5. Juni 2001 erhob diese gegen ihre nachrangigen französischen Versicherer, nämlich die Zurich International France und die Axa Corporate, Rechtsnachfolgerin der AXA Global Risks, Klage auf Gewährleistung.

15. Am 21. Juni 2001 erhob die SFIP auf der Grundlage des Artikels 10 Absatz 1 des Brüsseler Übereinkommens gegen ihre nachrangigen belgischen Versicherer, die Mitversicherer im Rahmen des Konzernversicherungsvertrags sind, nämlich die Axa Belgium, die Zurich Assurances, die AIG, die Fortis und die Gerling (im Folgenden: belgische Mitversicherer), Klage auf Gewährleistung.

16. Die belgischen Mitversicherer erhoben die Einrede der örtlichen Unzuständigkeit des Tribunal de grande instance Bourgoin-Jallieu und beriefen sich dabei auf die Gerichtsstandsklausel des Konzernversicherungsvertrags.

17. Mit Urteil vom 13. September 2002 verwies das Tribunal de grande istance Bourgoin-Jallieu die SFIP in Anwendung von Artikel K in Kapitel VII des Konzernversicherungsvertrags für die Entscheidung über ihre Ansprüche gegenüber den belgischen Mitversicherern an das Tribunal de première instance Brüssel (Belgien), am Ort des Sitzes der Recticel, der Unterzeichnerin dieses Vertrages.

18. Am 27. September 2002 legte die SFIP beim vorlegenden Gericht ein Rechtsmittel wegen der Zuständigkeit ein.

19. Sie machte geltend, ein Versicherer könne eine auf Artikel 12 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens gestützte Gerichtsstandsklausel einem Begünstigten, der dem Versicherungsvertrag, der diese Klausel enthalte, nicht ausdrücklich zugestimmt habe, nicht entgegenhalten. Die Laiterie du Chatelard und die SMABTP schlossen sich dem Vorbringen der SFIP an.

20. Unter diesen Umständen hat das vorlegende Gericht beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist ein Versicherter, der Begünstigter eines Versicherungsvertrags ist, der zu seinen Gunsten zwischen einem Versicherungsnehmer (Unterzeichner) und einem Versicherer abgeschlossen wurde, die beide ihren Sitz in demselben Mitgliedstaat haben, an eine Klausel gebunden, mit der die Gerichte dieses Staates für zuständig erklärt werden, wenn er dieser Klausel nicht persönlich zugestimmt hat, der Schaden in einem anderen Mitgliedstaat eingetreten ist und er vor den Gerichten dieses anderen Mitgliedstaats auch Klage gegen dort ansässige Versicherer erhoben hat?

Zur Vorlagefrage

21. Mit der Vorlagefrage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob eine Gerichtsstandsklausel nach Artikel 12 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens in einem Versicherungsvertrag zwischen einem Versicherungsnehmer und einem Versicherer einem aus diesem Vertrag begünstigten Versicherten entgegengehalten werden kann, der der Klausel nicht ausdrücklich zugestimmt hat und seinen Sitz in einem anderen Vertragsstaat als der Versicherungsnehmer und der Versicherer hat.

Beim Gerichtshof abgegebene Erklärungen

22. Die belgischen Mitversicherer und die Regierung des Vereinigten Königreichs verweisen auf das Urteil vom 14. Juli 1983 in der Rechtssache 201/82 (Gerling u. a., Slg. 1983, 2503), in dem der Gerichtshof entschieden hat, dass sich im Fall eines Versicherungsvertrags zwischen einem Versicherer und einem Versicherungsnehmer, der von Letzterem sowohl für sich selbst als auch zugunsten an dem Vertrag nicht beteiligter Dritter geschlossen worden ist und eine Gerichtsstandsklausel für von diesen Dritten geführte Rechtsstreitigkeiten enthält, diese Dritten selbst dann auf diese Gerichtsstandsklausel berufen können, wenn sie ihr zwar nicht ausdrücklich durch ihre Unterschrift zugestimmt haben, aber das Schriftformerfordernis des Artikels 17 des Brüsseler Übereinkommens im Verhältnis zwischen dem Versicherer und dem Versicherungsnehmer eingehalten worden und die Zustimmung des Versicherers zu der genannten Klausel klar zum Ausdruck gekommen ist. In Randnummer 18 dieses Urteils hat der Gerichtshof entschieden, dass dieses Übereinkommen ausdrücklich die Möglichkeit vorsieht, Gerichtsstandsvereinbarungen nicht nur zugunsten des Versicherungsnehmers, der Vertragspartei ist, sondern auch zugunsten des Versicherten und des Begünstigten zu treffen, die dann nicht Vertragsparteien sind, wenn sie nicht mit dem Versicherungsnehmer identisch sind, und die sogar bei Vertragsabschluss unbekannt sein können. Die belgischen Mitversicherer entnehmen diesem Urteil, dass der Gerichtshof bereits entschieden habe, dass eine Gerichtsstandsklausel dem begünstigten Versicherten entgegengehalten werden könne, ohne dass in dessen Person die Voraussetzungen des Artikels 17 des Brüsseler Übereinkommens erfüllt sein müssten.

23. Die Kommission ist dagegen der Ansicht, der begünstigte Versicherte werde allein schon wegen des automatischen und zwingend gebotenen Schutzes der schwächeren Partei vom Versicherungsvertrag erfasst, ohne an die Gerichtsstandsklausel gebunden zu sein. Aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes ergebe sich, dass sich der Begünstigte, der den für Rechnung Dritter abgeschlossenen Vertrag nicht unterzeichnet habe, auf die Gerichtsstandsklausel berufen könne, ohne dass ihm diese umgekehrt entgegengehalten werden könne. Außerdem erwähne der im Urteil Gerling u. a. angesprochene Artikel 12 Nummer 2 des Brüsseler Übereinkommens ausdrücklich den Fall des begünstigten Versicherten, und die von dieser Bestimmung erfassten Gerichtsstandsklauseln seien fakultativ, und zwar ausschließlich zum Vorteil der schwächeren Partei. Artikel 12 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens dagegen gestatte es, ohne Erwähnung des begünstigten Dritten, einen Gerichtsstand zu vereinbaren, an dessen Ausschließlichkeit kaum Zweifel bestünden und der dem Dritten deshalb nicht entgegengehalten werden könne.

24. Die belgischen Mitversicherer und die Regierung des Vereinigten Königreichs machen geltend, die Gerichtsstandsklausel nach Artikel 12 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens sei auf Vorschlag des Versicherungsnehmers vereinbart worden, so dass man nicht mit dem Grundsatz des Schutzes des Versicherten als der schwächeren Vertragspartei argumentieren könne. Sämtliche Mitversicherer sind der Ansicht, dass die im Vertrag angelegten Einreden, die der Versicherer dem Versicherungsnehmer entgegenhalten könne, auch dem begünstigten Versicherten entgegengehalten werden könnten, dem es stets freistehe, eine zu seinen Gunsten abgeschlossene Klausel abzulehnen, wenn ihm die damit verbundenen Zwänge nicht zusagten. Im Fall des Ausgangsrechtsstreits berufe sich der begünstigte Versicherte gegenüber den Versicherern auf Rechte aus einem Vertragswerk, zu dem auch die streitige Gerichtsstandsklausel gehöre, und er könne nicht den Umstand vorschieben, dass er ein völlig selbständiger französischer Versicherter sei, denn im Rahmen des Konzernversicherungsvertrags sei er im Hinblick auf die Versicherungsverträge und auf Schäden vollständig und unmittelbar von der Recticel abhängig.

25. Auf der gleichen Linie verweisen die belgischen Mitversicherer auf das Urteil vom 19. Februar 2002 in der Rechtssache C256/00 (Besix, Slg. 2002, I1699) und machen geltend, das Brüsseler Übereinkommen solle den Parteien Vorhersehbarkeit und Sicherheit in ihren Rechtsbeziehungen gewährleisten und möglichst eine Häufung der Gerichtsstände für ein und denselben Vertrag verhindern, um der Gefahr einander widersprechender Entscheidungen zu begegnen und die Anerkennung und Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen außerhalb des Urteilsstaats zu erleichtern.

26. Die französische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs unterstützen dieses Vorbringen und fügen hinzu, dass dem frei ausgedrückten Parteiwillen und der Rechtssicherheit im Versicherungsbereich Bedeutung beigemessen werden müsse. Bei dieser Art Versicherungsvertrag, der verschiedene Gesellschaften ein und desselben Konzerns in mehreren Staaten erfasse, sei es nämlich sachgerecht, vorzusehen, dass die verschiedenen Rechtsstreitigkeiten, die bei der Anwendung eines solchen Vertrages entstehen könnten, der Zuständigkeit ein und desselben Gerichts unterstellt würden. Eine solche Auslegung des Brüsseler Übereinkommens erlaube es somit, die Einheitlichkeit der Auslegung des Versicherungsvertrags sicherzustellen und das etwaige Nebeneinander widersprüchlicher Entscheidungen sowie die Häufung von Rechtsstreitigkeiten zu verhindern. Damit trage diese Auslegung zur Verwirklichung eines europäischen Versicherungsmarktes bei.

27. Die Kommission macht ebenfalls geltend, wenn Gerichtsstandsklauseln dem Versicherten nicht entgegengehalten werden könnten, führe dies zu einem Mangel an Vorhersehbarkeit für die Versicherungsgesellschaften, die somit vor einem Gericht verklagt werden könnten, das sie nicht hätten vorhersehen können. Allerdings sei einzuräumen, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber es vorgezogen habe, das Ziel des Schutzes der Versicherten in den Vordergrund zu stellen.

Antwort des Gerichtshofes

28. Vorab ist daran zu erinnern, dass bei der Auslegung des Brüsseler Übereinkommens sowohl seinem Regelungsgehalt und seinen Zielsetzungen als auch seinem Zusammenhang mit dem EG-Vertrag Rechnung getragen werden muss (vgl. Urteil vom 6. Oktober 1976 in der Rechtssache 12/76, Tessili, Slg. 1976, 1473, Randnr. 9).

29. Das Brüsseler Übereinkommen errichtet im 3. Abschnitt seines Titels II ein eigenständiges System der Verteilung gerichtlicher Zuständigkeit in Versicherungssachen. Die Artikel 8 bis 10 dieses Übereinkommens sehen u. a. vor, dass der Versicherer, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Vertragsstaats hat, vor den Gerichten des Vertragsstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat, vor den Gerichten am Wohnsitz des Versicherungsnehmers und bei der Haftpflichtversicherung vor dem Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, sowie vor dem Gericht, bei dem die Klage des Geschädigten gegen den Versicherten anhängig ist, sofern dies nach dem Recht dieses Gerichts zulässig ist, verklagt werden kann.

30. Nach ständiger Rechtsprechung liegt den Bestimmungen dieses Abschnitts, die dem Versicherten eine größere Auswahl an Gerichtsständen als dem Versicherer zur Verfügung stellen und die jede Möglichkeit einer Gerichtsstandsvereinbarung zugunsten des Versicherers ausschließen, das auch aus den Materialien erkennbare Bestreben zugrunde, den Versicherten zu schützen, der meist mit einem vorformulierten, in seinen Einzelheiten nicht mehr verhandelbaren Vertrag konfrontiert wird und in aller Regel der wirtschaftlich Schwächere ist (vgl. Urteile Gerling u. a., Randnr. 17, und vom 13. Juli 2000 in der Rechtssache C412/98, Group Josi, Slg. 2000, I5925, Randnr. 64).

31. In Versicherungssachen wird auch durch die Beschränkung der Parteiautonomie hinsichtlich der Zuständigkeitsvereinbarung gewährleistet, dass das Ziel des Schutzes des wirtschaftlich Schwächeren erreicht wird. So zählt Artikel 12 des Brüsseler Übereinkommens abschließend die Fälle auf, in denen die Parteien von den im 3. Abschnitt des Titels II dieses Übereinkommens aufgestellten Regeln abweichen können. Außerdem haben nach Artikel 17 Absatz 4 dieses Übereinkommens Gerichtsstandsvereinbarungen keine rechtliche Wirkung, wenn sie den Vorschriften des Artikels 12 zuwiderlaufen. Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, dass das genannte Übereinkommen ein System errichtet, in dem Abweichungen von den Zuständigkeitsregeln in Versicherungssachen eng ausgelegt werden müssen.

32. Insbesondere erlaubt Artikel 12 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens einem Versicherungsnehmer und einem Versicherer, die zum Zeitpunkt des Vertragsabschlusses ihren Wohnsitz oder gewöhnlichen Aufenthalt in demselben Vertragsstaat haben, die Zuständigkeit der Gerichte dieses Staates auch für den Fall zu begründen, dass das schädigende Ereignis im Ausland eingetreten ist, es sei denn, dass eine solche Vereinbarung nach dem Recht dieses Staates nicht zulässig ist. Eine solche Klausel ist nach dem Brüsseler Übereinkommen zulässig, weil sie nicht geeignet ist, dem Versicherungsnehmer als der schwächeren Partei einen angemessenen Schutz vorzuenthalten. Wie nämlich der Generalanwalt in Nummer 61 seiner Schlussanträge ausführt, verliert der Versicherungsnehmer zwar in diesem Fall die Möglichkeit, das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, anzurufen, er kann aber weiterhin bei den Gerichten an seinem Wohnsitz Klage erheben.

33. Somit erlaubt es der Grundsatz der Parteiautonomie dem Versicherungsnehmer als der schwächeren Vertragspartei, auf eine der beiden vom Brüsseler Übereinkommen gewährten Schutzformen zu verzichten. Aufgrund der Verbindlichkeit des Zieles, den wirtschaftlich Schwächeren zu schützen, geht diese Autonomie jedoch nicht so weit, dass der Versicherungsnehmer auf die Zuständigkeit der Gerichte an seinem Wohnsitz verzichten kann. Denn als schwächerer Partei darf ihm der Entschluss zur gerichtlichen Wahrnehmung seiner Rechte nicht dadurch erschwert werden, dass er vor den Gerichten des Staates klagen muss, in dessen Hoheitsgebiet sein Vertragspartner seine Niederlassung hat (vgl. entsprechend für einen Verbraucher Urteil vom 20. Januar 2005 in der Rechtssache C464/01, Gruber, Slg. 2005, I0000, Randnr. 34).

34. Im Licht dieser Erwägungen ist zu prüfen, ob eine nach Artikel 12 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens zwischen einem Versicherungsnehmer und einem Versicherer vereinbarte Gerichtsstandsklausel einem begünstigten Versicherten entgegengehalten werden kann, der seinen Wohnsitz in einem anderen Vertragsstaat als der Versicherungsnehmer und der Versicherer hat.

35. Das Brüsseler Übereinkommen und insbesondere sein Artikel 12 Nummer 3 geben keine nähere Auskunft über die Wirkungen einer solchen Gerichtsstandsklausel für den Versicherten oder den Begünstigten eines Versicherungsvertrags. Es kann somit nicht im Wege einer wörtlichen Auslegung der Bestimmungen des Übereinkommens festgestellt werden, ob und gegebenenfalls unter welchen Voraussetzungen der Versicherer diese Klausel einem begünstigten Versicherten entgegenhalten kann, wenn dieser seinen Wohnsitz in einem anderen Vertragsstaat als der Versicherungsnehmer und der Versicherer hat.

36. Unter diesen Umständen hat der Gerichtshof bei der Auslegung der Bestimmungen des Brüsseler Übereinkommens, wie in Randnummer 28 des vorliegenden Urteils ausgeführt, dem Regelungsgehalt und den allgemeinen Zielsetzungen des Übereinkommens Rechnung zu tragen.

37. Insoweit ist darauf hinzuweisen, dass der begünstigte Versicherte wie der Versicherungsnehmer als wirtschaftlich Schwächerer im Sinne des Urteils Gerling u. a. vom Brüsseler Übereinkommen geschützt wird.

38. Folglich kann eine auf Artikel 12 Nummer 3 dieses Übereinkommens gestützte Gerichtsstandsklausel einem begünstigten Versicherten jedenfalls nur dann entgegengehalten werden, wenn sie das Ziel, den wirtschaftlich Schwächeren zu schützen, nicht beeinträchtigt.

39. Wie aber der Generalanwalt in den Nummern 62 und 67 seiner Schlussanträge ausführt, hätte es für einen begünstigten Versicherten, der einer solchen Klausel nicht zugestimmt und seinen Wohnsitz in einem anderen Vertragsstaat hat, schwerwiegende Folgen, wenn ihm diese Klausel entgegengehalten werden könnte. Damit würde ihm nämlich zum einen die Möglichkeit genommen, das Gericht des Ortes, an dem das schädigende Ereignis eingetreten ist, oder die Gerichte an seinem eigenen Wohnsitz anzurufen, indem er verpflichtet würde, seine Ansprüche gegen den Versicherer vor den Gerichten in dessen Wohnsitzstaat geltend zu machen. Zum anderen könnte der Versicherer die Gerichte seines eigenen Wohnsitzstaats anrufen, um den begünstigten Versicherten zu verklagen.

40. Mit einer solchen Auslegung würde eine Zuständigkeitsvereinbarung zugunsten des Versicherers anerkannt und das Ziel missachtet, den wirtschaftlich Schwächeren, hier den begünstigten Versicherten, zu schützen, der die Möglichkeit haben muss, vor den Gerichten an seinem eigenen Wohnsitz Klage zu erheben und sich zu verteidigen.

41. Um diesen bereits in Randnummer 17 des Urteils Gerling u. a. als geboten bezeichneten Schutz des begünstigten Versicherten als des wirtschaftlich Schwächeren zu verstärken, ist im Übrigen Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe b der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1) so gefasst worden, dass es dem Versicherten und dem Begünstigten eines Versicherungsvertrags ausdrücklich gestattet ist, den Versicherer vor den Gerichten an ihrem eigenen Wohnsitz zu verklagen, während Artikel 8 Absatz 1 Nummer 2 des Brüsseler Übereinkommens nur die Zuständigkeit der Gerichte am Wohnsitz des Versicherungsnehmers vorsieht, ohne zu bestimmen, ob der Versicherer vor den Gerichten am Wohnsitz des Versicherten oder des Begünstigten verklagt werden kann.

42. Außerdem lässt sich das Urteil Gerling u. a. entgegen dem Vorbringen der belgischen Mitversicherer und der Regierung des Vereinigten Königreichs nicht für die Auffassung anführen, dass die Gerichtsstandsklausel dem fraglichen Versicherten entgegengehalten werden könne, weil in diesem Urteil zum einen eine Gerichtsstandsklausel nach Artikel 12 Nummer 2 des Brüsseler Übereinkommens in Rede stand, der es den Vertragsparteien ausdrücklich gestattet, einen nicht ausschließlichen, sondern fakultativen Gerichtsstand zugunsten allein des Versicherungsnehmers, des Versicherten oder des Begünstigten zu vereinbaren, und weil sich der Gerichtshof in diesem Urteil zum anderen nur zu der Frage geäußert hat, ob eine solche Klausel dem Versicherer von einem Dritten, dem begünstigten Versicherten, entgegengehalten werden kann, und nicht zu der Frage, ob sie diesem Dritten vom Versicherer entgegengehalten werden kann. Wie der Generalanwalt in Nummer 52 seiner Schlussanträge ausführt, kann die Möglichkeit für den aus dem Versicherungsvertrag begünstigten Versicherten, dem Versicherer diese Klausel entgegenzuhalten, ihm nicht zum Nachteil gereichen, sondern soll vielmehr den Schutz des wirtschaftlich Schwächeren verstärken, indem zu den vom Brüsseler Übereinkommen in Versicherungssachen vorgesehenen Gerichtsständen ein zusätzlicher Gerichtsstand hinzukommt.

43. Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass eine nach Artikel 12 Nummer 3 des Brüsseler Übereinkommens vereinbarte Gerichtsstandsklausel dem aus dem Versicherungsvertrag begünstigten Versicherten, der dieser Klausel nicht ausdrücklich zugestimmt hat und seinen Sitz in einem anderen Vertragsstaat als der Versicherungsnehmer und der Versicherer hat, nicht entgegengehalten werden kann.

Kosten

44. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Zweite Kammer) für Recht erkannt:

Eine Gerichtsstandsklausel, die nach Artikel 12 Nummer 3 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen in der durch das Übereinkommen vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland, das Übereinkommen vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Hellenischen Republik, das Übereinkommen vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik und das Übereinkommen vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden geänderten Fassung vereinbart worden ist, kann dem aus dem Versicherungsvertrag begünstigten Versicherten, der dieser Klausel nicht ausdrücklich zugestimmt hat und seinen Sitz in einem anderen Vertragsstaat als der Versicherungsnehmer und der Versicherer hat, nicht entgegengehalten werden.

Ende der Entscheidung

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