Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 11.12.2003
Aktenzeichen: C-127/00
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel, Verordnung (EG) Nr. 1610/96 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel Art. 15
Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel Art. 19
Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel Art. 2
Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel Art. 3
Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel Art. 8 Abs. 1
Verordnung (EG) Nr. 1610/96 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel Art. 17
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 11. Dezember 2003. - Hässle AB gegen Ratiopharm GmbH. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesgerichtshof - Deutschland. - Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 - Arzneimittel - Ergänzendes Schutzzertifikat - Artikel 15 und 19 - Gültigkeit des Artikels 19 - Begriff.erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft - Rechtsfolgen bei Nichteinhaltung des in Artikel 19 genannten Stichtags. - Rechtssache C-127/00.

Parteien:

In der Rechtssache C-127/00

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Bundesgerichtshof (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Hässle AB

gegen

ratiopharm GmbH

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 15 und 19 der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel (ABl. L 182, S. 1)

erlässt

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Sechsten Kammer, der Richter C. Gulmann, J. N. Cunha Rodrigues und R. Schintgen sowie der Richterin F. Macken (Berichterstatterin),

Generalanwältin: C. Stix-Hackl,

Kanzler: D. Louterman-Hubeau, Abteilungsleiterin,

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der Hässle AB, vertreten durch Rechtsanwalt O. Brändel,

- der ratiopharm GmbH, vertreten durch Rechtsanwalt T. Bopp,

- der dänischen Regierung, vertreten durch J. Molde als Bevollmächtigten,

- der spanischen Regierung, vertreten durch S. Ortiz Vaamonde als Bevollmächtigten,

- der französischen Regierung, vertreten durch K. Rispal-Bellanger und R. Loosli-Surrans als Bevollmächtigte,

- der niederländischen Regierung, vertreten durch M. Fierstra als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch K. Banks und M. Niejahr als Bevollmächtigte,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Hässle AB, der ratiopharm GmbH, der dänischen Regierung und der Kommission in der Sitzung vom 8. November 2001,

nach Anhörung der Schlussanträge der Generalanwältin in der Sitzung vom 26. Februar 2002

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Mit Beschluss vom 1. Februar 2000, beim Gerichtshof eingegangen am 3. April 2000, hat der Bundesgerichtshof gemäß Artikel 234 EG vier Fragen nach der Auslegung der Artikel 15 und 19 der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel (ABl. L 182, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Hässle AB (im Folgenden: Hässle) und der ratiopharm GmbH (im Folgenden: ratiopharm) über die Gültigkeit eines Hässle vom Deutschen Patentamt erteilten zusätzlichen Schutzzertifikats für Omeprazol, einen in verschiedenen Arzneimitteln enthaltenen Wirkstoff.

Die Gemeinschaftsregelung

3 Artikel 3 der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten (ABl. 1965, Nr. 22, S. 369) stellt den Grundsatz auf, dass "[e]ine Arzneispezialität... in einem Mitgliedstaat erst dann in den Verkehr gebracht werden [darf], wenn die zuständige Behörde dieses Mitgliedstaats die Genehmigung dafür erteilt hat".

4 Die zweite, dritte und vierte Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1768/92 lauten wie folgt:

"Arzneimittel, vor allem solche, die das Ergebnis einer langen und kostspieligen Forschungstätigkeit sind, werden in der Gemeinschaft und in Europa nur weiterentwickelt, wenn für sie eine günstige Regelung geschaffen wird, die einen ausreichenden Schutz zur Förderung einer solchen Forschung vorsieht.

Derzeit wird durch den Zeitraum zwischen der Einreichung einer Patentanmeldung für ein neues Arzneimittel und der Genehmigung für das Inverkehrbringen desselben Arzneimittels der tatsächliche Patentschutz auf eine Laufzeit verringert, die für die Amortisierung der in der Forschung vorgenommenen Investitionen unzureichend ist.

Diese Tatsache führt zu einem unzureichenden Schutz, der nachteilige Auswirkungen auf die pharmazeutische Forschung hat."

5 Nach der sechsten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1768/92 muss auf Gemeinschaftsebene eine einheitliche Lösung gefunden werden, um auf diese Weise einer heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften vorzubeugen, die neue Unterschiede zur Folge hätte, welche geeignet wären, den freien Verkehr von Arzneimitteln innerhalb der Gemeinschaft zu behindern und dadurch die Schaffung und das Funktionieren des Binnenmarktes unmittelbar zu beeinträchtigen. Laut der siebten Begründungserwägung dieser Verordnung ist es deshalb notwendig, ein ergänzendes Schutzzertifikat (im Folgenden: Zertifikat) für Arzneimittel, deren Vermarktung genehmigt ist, einzuführen, das der Inhaber eines nationalen oder europäischen Patents unter denselben Voraussetzungen in jedem Mitgliedstaat erhalten kann.

6 In der zehnten Begründungserwägung der Verordnung Nr. 1768/92 heißt es: "Auch die Festlegung der Übergangsregelung muss in ausgewogener Weise erfolgen. Diese Übergangsregelung muss es der Pharmaindustrie in der Gemeinschaft ermöglichen, den Rückstand gegenüber ihren Hauptkonkurrenten, die seit mehreren Jahren über Rechtsvorschriften verfügen, die ihnen einen angemesseneren Schutz einräumen, zum Teil auszugleichen. Dabei muss gleichzeitig darauf geachtet werden, dass mit der Übergangsregelung die Verwirklichung anderer rechtmäßiger Ziele in Verbindung mit den sowohl auf nationaler als auch auf Gemeinschaftsebene verfolgten Gesundheitspolitiken nicht gefährdet wird."

7 Wie sich aus Artikel 1 der Verordnung Nr. 1768/92 ergibt, ist im Sinne dieser Verordnung "Erzeugnis" der Wirkstoff oder die Wirkstoffzusammensetzung eines Arzneimittels und "Grundpatent" ein Patent, das ein Erzeugnis als solches, ein Verfahren zur Herstellung eines Erzeugnisses oder eine Verwendung eines Erzeugnisses schützt und das von seinem Inhaber für das Verfahren zur Erteilung eines Zertifikats bestimmt ist.

8 Artikel 2 der Verordnung Nr. 1768/92 sieht vor:

"Für jedes im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats durch ein Patent geschützte Erzeugnis, das vor seinem Inverkehrbringen als Arzneimittel Gegenstand eines verwaltungsrechtlichen Genehmigungsverfahrens gemäß der Richtlinie 65/65/EWG... oder der Richtlinie 81/851/EWG... ist, kann nach den in dieser Verordnung festgelegten Bedingungen und Modalitäten ein Zertifikat erteilt werden."

9 Artikel 3 der Verordnung Nr. 1768/92 bestimmt:

"Das Zertifikat wird erteilt, wenn in dem Mitgliedstaat, in dem die Anmeldung nach Artikel 7 eingereicht wird, zum Zeitpunkt dieser Anmeldung

a) das Erzeugnis durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist;

b) für das Erzeugnis als Arzneimittel eine gültige Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 65/65/EWG bzw. der Richtlinie 81/851/EWG erteilt wurde;

c) für das Erzeugnis nicht bereits ein Zertifikat erteilt wurde;

d) die unter Buchstabe b) erwähnte Genehmigung die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses als Arzneimittel ist."

10 Nach Artikel 7 der Verordnung Nr. 1768/92 muss die Anmeldung des Zertifikats innerhalb einer Frist von sechs Monaten, gerechnet ab dem Zeitpunkt, zu dem die Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses als Arzneimittel nach Artikel 3 Buchstabe b dieser Verordnung erteilt wurde, oder, wenn die Genehmigung für das Inverkehrbringen vor der Erteilung des Grundpatents erfolgt ist, innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt der Erteilung des Patents eingereicht werden.

11 Artikel 8 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 sieht vor:

"Die Zertifikatsanmeldung muss enthalten:

a) einen Antrag auf Erteilung eines Zertifikats, wobei insbesondere anzugeben sind:

...

iv) Nummer und Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses gemäß Artikel 3 Buchstabe b) sowie, falls diese nicht die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft ist, auch Nummer und Zeitpunkt der letztgenannten Genehmigung;

b) eine Kopie der Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß Artikel 3 Buchstabe b), aus der die Identität des Erzeugnisses ersichtlich ist und die insbesondere Nummer und Zeitpunkt der Genehmigung sowie die Zusammenfassung der Merkmale des Erzeugnisses gemäß Artikel 4a der Richtlinie 65/65/EWG bzw. Artikel 5a der Richtlinie 81/851/EWG enthält;

c) falls die Genehmigung nach Buchstabe b) nicht die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses als Arzneimittel in der Gemeinschaft ist, die Angabe der Identität des so genehmigten Erzeugnisses und der Rechtsvorschrift, auf deren Grundlage dieses Genehmigungsverfahren durchgeführt wurde, sowie eine Kopie der betreffenden Stelle des amtlichen Mitteilungsblatts, in dem die Genehmigung veröffentlicht wurde."

12 Nach Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 gilt "[d]as Zertifikat ab Ablauf der gesetzlichen Laufzeit des Grundpatents für eine Dauer, die dem Zeitraum zwischen der Einreichung der Anmeldung für das Grundpatent und dem Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft entspricht, abzüglich eines Zeitraums von fünf Jahren".

13 Artikel 15 der Verordnung Nr. 1768/92 bestimmt:

"(1) Das Zertifikat ist nichtig,

a) wenn es entgegen den Vorschriften des Artikels 3 erteilt wurde;

b) wenn das Grundpatent vor Ablauf seiner gesetzlichen Laufzeit erloschen ist;

c) wenn das Grundpatent für nichtig erklärt oder derartig beschränkt wird, dass das Erzeugnis, für welches das Zertifikat erteilt worden ist, nicht mehr von den Ansprüchen des Grundpatents erfasst wird, oder wenn nach Erlöschen des Grundpatents Nichtigkeitsgründe vorliegen, die die Nichtigerklärung oder Beschränkung gerechtfertigt hätten.

(2) Jedermann kann bei der nach den einzelstaatlichen Rechtsvorschriften für die Nichtigerklärung des entsprechenden Grundpatents zuständigen Stelle einen Antrag auf Nichtigerklärung des Zertifikats stellen oder Klage auf Nichtigkeit des Zertifikats erheben."

14 Der zur Übergangsregelung gehörende Artikel 19 der Verordnung Nr. 1768/92 sieht vor:

"(1) Für jedes Erzeugnis, das zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung durch ein in Kraft befindliches Grundpatent geschützt ist und für das als Arzneimittel eine erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft nach dem 1. Januar 1985 erteilt wurde, kann ein Zertifikat erteilt werden.

Bezüglich der in Dänemark und in Deutschland zu erteilenden Zertifikate tritt an die Stelle des 1. Januars 1985 der 1. Januar 1988.

Bezüglich der in Belgien und in Italien zu erteilenden Zertifikate tritt an die Stelle des 1. Januars 1985 der 1. Januar 1982.

(2) Der Antrag auf Erteilung eines Zertifikats nach Absatz 1 ist innerhalb von sechs Monaten nach Inkrafttreten dieser Verordnung zu stellen."

15 Die Verordnung Nr. 1768/92 trat am 2. Januar 1993 in Kraft.

16 In der siebzehnten Begründungserwägung der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel (ABl. L 198, S. 30) heißt es: "Die in... Artikel 17 Absatz 2 dieser Verordnung vorgesehenen Modalitäten gelten sinngemäß auch für die Auslegung insbesondere des Erwägungsgrunds 9 und der Artikel 3 und 4, des Artikels 8 Absatz 1 Buchstabe c) und des Artikels 17 der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates."

17 Artikel 17 der Verordnung (EG) Nr. 1610/96, "Rechtsmittel", bestimmt in Absatz 2:

"Gegen die Entscheidung der Erteilung des Zertifikats kann ein Rechtsmittel eingelegt werden, das darauf abzielt, die Laufzeit des Zertifikats zu berichtigen, falls der gemäß Artikel 8 in der Zertifikatsanmeldung enthaltene Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft unrichtig ist."

Ausgangsrechtsstreit und Vorlagefragen

18 Hässle war Inhaberin eines europäischen Patents für die chemische Verbindung "2-[2-(3,5-Dimethyl-4-methoxypyridyl-)methylsulfinyl-]5-methoxybenzimidazol", deren von der Weltgesundheitsorganisation empfohlene internationale Bezeichnung "Omeprazol" lautet. Dieses Patent, das u. a. in Deutschland galt, wurde Hässle mit Wirkung vom 3. April 1979 erteilt, so dass es am 2. April 1999 erlosch.

19 In Deutschland wurden Hässle mit zwei Bescheiden des Bundesgesundheitsamtes vom 6. Oktober 1989 für mehrere Arzneimittel mit dem einzigen Wirkstoff Omeprazol Genehmigungen für das Inverkehrbringen im Sinne der Richtlinie 65/65 erteilt. In Frankreich und Luxemburg waren der Firma Laboratoires Astra France bzw. der Firma Astra-Nobelpharma SA, die beide zum Hässle-Konzern gehören, bereits am 15. April 1987 bzw. am 11. November 1987 entsprechende Genehmigungen nach dieser Richtlinie für Arzneimittel mit demselben Wirkstoff erteilt worden.

20 In Luxemburg bedarf es für den Vertrieb von Arzneimittelspezialitäten - neben der in der Richtlinie 65/65 vorgesehenen Genehmigung - einer preisrechtlichen Genehmigung, wenn der Preis mehr als 400 LUF beträgt. Mit Schreiben vom 8. Dezember 1987 teilte die Astra-Nobelpharma SA daher dem zuständigen luxemburgischen Ministerium ihre Absicht mit, ein den Wirkstoff Omeprazol enthaltendes Arzneimittel zu einem Preis von 2 456 LUF je Packung mit 28 Kapseln auf den Markt zu bringen. Mit Bescheid vom 17. Dezember 1987, der am 31. Dezember 1987 zuging, genehmigte das Ministerium den vorgeschlagenen Preis abzüglich eines Abschlags von 1,56 %. Am 21. März 1988 wurde das Arzneimittel in das Verzeichnis der in Luxemburg zum Verkauf zugelassenen Arzneimittelspezialitäten aufgenommen.

21 In Frankreich wurde das Arzneimittel am 22. November 1989 in das Verzeichnis der für die Sozialversicherten erstattungsfähigen Medikamente aufgenommen.

22 Am 9. Juni 1993 beantragte Hässle beim Deutschen Patentamt für den Wirkstoff Omeprazol als Arzneimittel die Erteilung eines Schutzzertifikats; als Zeit und Ort der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen dieses Erzeugnisses als Arzneimittel in der Gemeinschaft gab sie "März 1988 Luxemburg" an und fügte das Verzeichnis der im Großherzogtum Luxemburg zum Verkauf zugelassenen Arzneimittelspezialitäten vom 21. März 1988 bei.

23 Das Deutsche Patentamt erteilte ihr mit Beschluss vom 10. November 1993 das beantragte Schutzzertifikat und setzte hierfür eine Laufzeit bis zum 21. März 2003 fest.

24 ratiopharm erhob beim Bundespatentgericht Klage auf Nichtigerklärung dieses Zertifikats mit der Begründung, dass es nicht hätte erteilt werden dürfen, da eine erste Genehmigung für das Inverkehrbringen von Arzneimitteln mit dem Wirkstoff Omeprazol in der Gemeinschaft bereits vor dem nach Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 für Deutschland maßgeblichen Stichtag des 1. Januar 1988 erteilt worden sei. Das Bundespatentgericht gab der Klage statt und erklärte das Zertifikat für nichtig.

25 Auf Berufung Hässles hat der Bundesgerichtshof das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. a) Kommt es für die Anwendung der in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 vorgesehenen Übergangsregelung, soweit darin an "eine erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft" vor einem bestimmten Stichtag angeknüpft wird, ausschließlich auf eine Genehmigung im Sinne der Richtlinien 65/65/EWG bzw. 81/851/EWG an oder kann insoweit auch eine später (nach dem Stichtag) erteilte andere, insbesondere die Preisgestaltung des Arzneimittels betreffende Genehmigung maßgeblich sein, wenn

aa) ohne eine solche weitere, z. B. preisrechtliche Genehmigung ein Inverkehrbringen des Arzneimittels nach dem Recht des betreffenden Mitgliedstaats nicht zulässig ist oder

bb) ohne eine solche weitere Genehmigung das Arzneimittel in dem betreffenden Mitgliedstaat zwar grundsätzlich vertrieben werden darf, eine effektive Vermarktung aber gleichwohl insbesondere deswegen nicht möglich ist, weil die Krankenkassen die Kosten für das Arzneimittel nur dann erstatten, wenn die weitere, insbesondere preisrechtliche Genehmigung erteilt worden bzw. eine Festsetzung des erstattungsfähigen Preises vorgenommen worden ist?

b) Kommt es hier auf eine erste Genehmigung in einem beliebigen Mitgliedstaat der Gemeinschaft (wie bei Artikel 8 und 13 der Verordnung) oder auf die erste Genehmigung in dem Mitgliedstaat an, für den die Erteilung des ergänzenden Schutzzertifikats beantragt worden ist?

2. Bestehen gegen die Gültigkeit der in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung vorgesehenen Übergangsregelung insoweit Bedenken, als darin für verschiedene Mitgliedstaaten unterschiedliche Stichtage vorgesehen sind?

3. Ist der Katalog der Nichtigkeitsgründe in Artikel 15 Absatz 1 der Verordnung abschließend?

Wenn nein:

a) Stellt es einen Nichtigkeitsgrund dar, wenn ein Zertifikat nach der Übergangsvorschrift des Artikels 19 Absatz 1 der Verordnung erteilt wurde, obwohl für das Erzeugnis eine erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft bereits vor dem Stichtag erteilt wurde, der für den Mitgliedstaat, in dem das Zertifikat beantragt und erteilt wurde, maßgeblich ist?

b) Ist in diesem Fall das Zertifikat vollständig nichtig oder ist lediglich seine Laufzeit entsprechend zu korrigieren?

4. Für den Fall, dass ein Verstoß gegen die Übergangsbestimmung des Artikels 19 Absatz 1 der Verordnung keinen Nichtigkeitsgrund darstellt:

Kann und muss das nationale Recht entsprechend Artikel 17 Absatz 2 der Verordnung (EG) Nr. 1610/96 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Juli 1996 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Pflanzenschutzmittel ein Rechtsmittel vorsehen, das darauf abzielt, die Laufzeit des Arzneimittel-Schutzzertifikats bei einem Verstoß gegen die Übergangsbestimmung des Artikels 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 zu berichtigen?

Vorbemerkungen

26 Nach Artikel 7 der Verordnung Nr. 1768/92 in Verbindung mit Artikel 3 Buchstaben b und d dieser Verordnung muss die Anmeldung des Zertifikats innerhalb einer Frist von sechs Monaten, gerechnet ab dem Zeitpunkt, zu dem die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses als Arzneimittel im Anmeldemitgliedstaat erteilt wurde, oder, wenn die Genehmigung für das Inverkehrbringen vor der Erteilung des Patents erfolgt ist, innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach dem Zeitpunkt der Erteilung des Patents eingereicht werden.

27 Ist die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen im Anmeldemitgliedstaat oder - wenn die Genehmigung für das Inverkehrbringen vor der Erteilung des Patents erfolgt ist - das Patent nach dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1768/92 erteilt worden, steht dem Patentinhaber die in Artikel 7 dieser Verordnung vorgesehene Frist von sechs Monaten für die Anmeldung des Zertifikats zur Verfügung.

28 Dies ist dagegen nicht der Fall, wenn die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen im Anmeldemitgliedstaat oder - wenn die Genehmigung für das Inverkehrbringen vor der Erteilung des Patents erfolgt ist - das Patent vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1768/92 erteilt worden ist. Ist diese Genehmigung oder dieses Patent nämlich mehr als sechs Monate vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1768/92 erteilt worden, kann der Patentinhaber keine Zertifikatsanmeldung nach Artikel 7 dieser Verordnung einreichen, da die in diesem Artikel vorgesehene Frist von sechs Monaten bereits vor Inkrafttreten der Verordnung abgelaufen war. Ist diese Genehmigung oder dieses Patent dagegen innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1768/92 erteilt worden, steht dem Patentinhaber nur ein verkürzter Zeitraum zur Verfügung, um die Zertifikatsanmeldungen aufgrund von Artikel 7 dieser Verordnung einzureichen, da die in diesem Artikel vorgesehene Frist bereits vor Inkrafttreten der Verordnung in Gang gesetzt wurde.

29 Um diese Auswirkungen zu begrenzen und es zu ermöglichen, dass Erzeugnisse, für die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 1768/92 bereits eine Genehmigung für das Inverkehrbringen als Arzneimittel vorlag, in den Genuss der durch diese Verordnung eingeführten Regelung kommen, hat der Gesetzgeber in diese den zur Übergangsregelung gehörenden Artikel 19 eingefügt. Absatz 2 dieser Vorschrift weicht unter den Voraussetzungen ihres Absatzes 1 von Artikel 7 der Verordnung ab (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 12. Juni 1997 in der Rechtssache C-110/95, Yamanouchi Pharmaceutical, Slg. 1997, I-3251, Randnr. 19).

30 In Anbetracht seines Zweckes soll Artikel 19 der Verordnung Nr. 1768/92 also nur auf Erzeugnisse Anwendung finden, für die vor dem Inkrafttreten dieser Verordnung eine erste Genehmigung für das Inverkehrbringen als Arzneimittel im Anmeldemitgliedstaat erteilt wurde.

Zur zweiten Frage

31 Die zweite Frage des vorlegenden Gerichts, die als Erstes zu prüfen ist, geht dahin, ob Artikel 19 der Verordnung Nr. 1768/92 ungültig ist, weil darin je nach Mitgliedstaat unterschiedliche Stichtage vorgesehen sind.

32 Hässle trägt vor, wegen der durch diesen Artikel festgesetzten unterschiedlichen Stichtage könnten die Erzeugnisse, die durch in Belgien und in Italien erteilte Patente geschützt seien, bereits sechs Jahre früher als entsprechende Arzneimittelpatente in Dänemark und Deutschland in den Genuss einer Schutzrechtsverlängerung durch ein Schutzzertifikat gelangen; dies stehe der im Binnenmarkt angestrebten Harmonisierung entgegen.

33 Artikel 19 der Verordnung Nr. 1768/92 sei daher ungültig, und zwar erstens wegen unzureichender Begründung, da in dieser Verordnung nicht die rechtlichen und tatsächlichen Erwägungen dargelegt würden, auf denen die verschiedenen Stichtage beruhten. Zweitens nehme diese Vorschrift eine rechtswidrige Diskriminierung durch Ungleichbehandlung vor, die ebenfalls zu ihrer Ungültigkeit führe.

34 ratiopharm, die dänische, die französische und die niederländische Regierung sowie die Kommission halten Artikel 19 der Verordnung Nr. 1768/92 demgegenüber für gültig.

Antwort des Gerichtshofes

35 Was zunächst den behaupteten Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz angeht, wonach insbesondere vergleichbare Sachverhalte nicht unterschiedlich behandelt werden dürfen, sofern die unterschiedliche Behandlung nicht objektiv gerechtfertigt ist, ist darauf hinzuweisen, dass die Verordnung Nr. 1768/92 auf der Grundlage von Artikel 100a EWG-Vertrag (nach Änderung Artikel 100a EG-Vertrag, nach weiterer Änderung jetzt Artikel 95 EG) erlassen wurde, der die Möglichkeit eröffnet, bestimmte Aspekte der nationalen Rechtsordnungen, einschließlich des Rechts des gewerblichen Eigentums, auf Gemeinschaftsebene zu harmonisieren.

36 Ferner ist daran zu erinnern, dass Artikel 100a EG-Vertrag als Rechtsgrundlage herangezogen werden kann, um der Entstehung neuer Hindernisse für den Handel infolge einer heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften vorzubeugen, wenn das Entstehen solcher Hindernisse wahrscheinlich ist und die fragliche Maßnahme ihre Vermeidung bezweckt (vgl. u. a. Urteile vom 5. Oktober 2000 in der Rechtssache C-376/98, Deutschland/Parlament und Rat, Slg. 2000, I-8419, Randnr. 86, und vom 9. Oktober 2001 in der Rechtssache C-377/98, Niederlande/Parlament und Rat, Slg. 2001, I-7079, Randnr. 15).

37 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, dass es, wie der Gerichtshof in den Randnummern 34 und 35 des Urteils vom 13. Juli 1995 in der Rechtssache C-350/92 (Spanien/Rat Slg. 1995, I-1985) festgestellt hat, zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung Nr. 1768/92 in zwei Mitgliedstaaten Bestimmungen über die Einführung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel gab und dass sie sich in einem weiteren Mitgliedstaat im Entwurfsstadium befanden. Durch diese Verordnung wurde nun gerade insofern eine einheitliche Lösung auf Gemeinschaftsebene geschaffen, als durch sie ein Zertifikat eingeführt wurde, das Inhaber eines nationalen oder eines europäischen Patents unter denselben Voraussetzungen in jedem Mitgliedstaat erhalten können, und als sie insbesondere eine einheitliche Schutzdauer vorsieht. Sie soll auf diese Weise einer heterogenen Entwicklung der nationalen Rechtsvorschriften vorbeugen, die neue Unterschiede zur Folge hätte, welche geeignet wären, den freien Verkehr von Arzneimitteln innerhalb der Gemeinschaft zu behindern und dadurch die Schaffung und das Funktionieren des Binnenmarktes unmittelbar zu beeinträchtigen.

38 Zwar waren zum Zeitpunkt des Erlasses der Verordnung Nr. 1768/92 alle Mitgliedstaaten bestrebt, die innovative pharmazeutische Industrie dadurch zu schützen, dass den Patentinhabern durch Erteilung eines Zertifikats ein wirksamer Schutz gewährt und ihnen damit die Amortisierung der in der Forschung vorgenommenen Investitionen ermöglicht wurde (vgl. hierzu dritte Begründungserwägung dieser Verordnung), doch wollten einige von ihnen auf längere Sicht die Verwirklichung anderer rechtmäßiger Ziele in Verbindung mit ihren Gesundheitspolitiken gewährleisten (vgl. hierzu zehnte Begründungserwägung dieser Verordnung), insbesondere die finanzielle Stabilität ihres Gesundheitssystems durch eine Unterstützung des Wirtschaftszweigs der Hersteller von Arzneimittelgenerika sicherstellen.

39 Um diesen unterschiedlichen Einschätzungen Rechnung zu tragen, setzte Artikel 19 der Verordnung Nr. 1768/92 im Rahmen einer Übergangsregelung unterschiedliche Stichtage fest.

40 Die Festsetzung unterschiedlicher Stichtage je nach Mitgliedstaat ist daher gerechtfertigt, weil jeder dieser Zeitpunkte Ausdruck der Einschätzung des einzelnen Mitgliedstaats u. a. entsprechend seinem Gesundheitssystem ist, dessen Organisation und Finanzierung sich von einem Mitgliedstaat zum anderen ändern.

41 Im Übrigen soll Artikel 19 der Verordnung Nr. 1768/92, wie bereits in Randnummer 30 dieses Urteils festgestellt, nur auf Erzeugnisse Anwendung finden, für die zum Zeitpunkt des Inkrafttretens dieser Verordnung bereits eine erste Genehmigung für das Inverkehrbringen als Arzneimittel im Mitgliedstaat der Anmeldung des Zertifikats erteilt worden war. Der Harmonisierungsmangel ist somit auf diejenigen Erzeugnisse beschränkt, für die eine erste Genehmigung für das Inverkehrbringen als Arzneimittel in der Gemeinschaft zwischen dem 1. Januar 1982 und dem 1. Januar 1988 erteilt wurde.

42 Nach alledem verstößt diese Regelung nicht gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung.

43 Was zweitens die Begründungspflicht angeht, ist festzustellen, dass die nach Artikel 190 EWG-Vertrag (nach Änderung Artikel 190 EG-Vertrag, nach weiterer Änderung jetzt Artikel 253 EG) vorgeschriebene Begründung zwar die Überlegungen der Gemeinschaftsbehörde, die den beanstandeten Rechtsakt erlassen hat, so klar und eindeutig erkennen lassen muss, dass die Betroffenen ihr die Gründe für die ergriffene Maßnahme entnehmen können und der Gerichtshof seine Kontrolle ausüben kann; sie braucht jedoch nicht sämtliche tatsächlich oder rechtlich erheblichen Gesichtspunkte aufzuführen. Die Frage, ob die Begründung eines Rechtsakts diesen Erfordernissen genügt, ist nämlich nicht nur im Hinblick auf seinen Wortlaut zu beurteilen, sondern auch anhand seines Kontextes sowie sämtlicher Rechtsvorschriften, die das betreffende Gebiet regeln (vgl. insbesondere Urteile vom 9. November 1995 in der Rechtssache C-466/93, Atlanta Fruchthandelsgesellschaft u. a. [II], Slg. 1995, I-3799, Randnr. 16; vom 29. Februar 1996 in der Rechtssache C-122/94, Kommission/Rat, Slg. 1996, I-881, Randnr. 29, und vom 17. Juli 1997 in der Rechtssache C-183/95, Affish, Slg. 1997, I-4315, Randnr. 63).

44 Insoweit hat der Gerichtshof bereits entschieden (vgl. u. a. Urteil vom 7. November 2000 in der Rechtssache C-168/98, Luxemburg/Parlament und Rat, Slg. 2000, I-9131, Randnr. 62), dass sich die Begründung bei einem Rechtsakt mit allgemeiner Geltung darauf beschränken kann, die Gesamtlage anzugeben, die zu seinem Erlass geführt hat, und die allgemeinen Ziele zu bezeichnen, die mit ihm erreicht werden sollen.

45 Diese Voraussetzungen sind im Falle der Verordnung Nr. 1768/92 erfuellt, die insbesondere in ihrer zehnten Begründungserwägung darauf verweist, dass auch die Festlegung der Übergangsregelung in ausgewogener Weise erfolgen muss, dass diese Übergangsregelung es der Pharmaindustrie in der Gemeinschaft ermöglichen muss, den Rückstand gegenüber ihren Hauptkonkurrenten, die seit mehreren Jahren über Rechtsvorschriften verfügen, die ihnen einen angemesseneren Schutz einräumen, zum Teil auszugleichen, und dass dabei gleichzeitig darauf geachtet werden muss, dass mit der Übergangsregelung die Verwirklichung anderer rechtmäßiger Ziele in Verbindung mit den sowohl auf nationaler als auch auf Gemeinschaftsebene verfolgten Gesundheitspolitiken nicht gefährdet wird.

46 Zu diesen rechtmäßigen Zielen in Verbindung mit den verfolgten Gesundheitspolitiken gehört auch die finanzielle Stabilität der Gesundheitssysteme der Mitgliedstaaten.

47 Nach alledem hat die Prüfung der zweiten Vorlagefrage nichts ergeben, was die Gültigkeit von Artikel 19 der Verordnung Nr. 1768/92 beeinträchtigen könnte.

Zur ersten Frage

Zum ersten Teil der ersten Frage

48 Der erste Teil der ersten Frage des vorlegenden Gerichts geht dahin, ob der in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 enthaltene Begriff "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen" ausschließlich auf eine Genehmigung im Sinne der Richtlinien 65/65 bzw. 81/851/EWG des Rates vom 28. September 1981 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über Tierarzneimittel (ABl. L 317, S. 1) verweist oder ob er auch nach den nationalen Regelungen über die Arzneimittelpreise erforderliche Genehmigungen erfassen kann, wenn das tatsächliche Inverkehrbringen der Arzneimittel erst erfolgen kann, nachdem die für die Preisfestsetzung oder die Erstattung für Arzneimittel zuständigen nationalen Behörden zugestimmt haben.

49 Nach Ansicht von Hässle liegt eine erste Genehmigung für das Inverkehrbringen im Sinne von Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 nur vor, wenn das betreffende Arzneimittel tatsächlich in den Verkehr gebracht werden kann. Der Begriff "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen" in dieser Vorschrift meine somit, mangels ausdrücklicher Bezugnahme auf die Richtlinie 65/65, die nach den nationalen Preisvorschriften erforderlichen Genehmigungen oder die von den nationalen Sozialversicherungsträgern erteilten Genehmigungen, mit denen Arzneispezialitäten als erstattungsfähig anerkannt würden.

50 Diese Auslegung werde durch Wortlaut und Zweck der Verordnung Nr. 1768/92 bestätigt. Was das Wortlautargument angehe, lege Artikel 19 Absatz 1 - abweichend von anderen Vorschriften dieser Verordnung - nicht fest, dass die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen nach der Richtlinie 65/65 erteilt werden müsse. Was das teleologische Argument angehe, sei mit der Einführung des Zertifikats eine Verlängerung der Patentschutzdauer im Ausgleich für die mit den verschiedenen Genehmigungsverfahren verstrichenen Zeiten beabsichtigt gewesen. Ein solcher Schutz wäre jedoch illusorisch, wenn die gegebenenfalls zwischen der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen nach dieser Richtlinie und der effektiven Verwertung eines Patents verstrichene Zeit nicht ausgeglichen würde.

51 Demgegenüber sind ratiopharm, die dänische, die französische, die niederländische und die spanische Regierung sowie die Kommission der Ansicht, mit der in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 genannten Genehmigung sei die nach der Richtlinie 65/65 erteilte erste Genehmigung für das Inverkehrbringen gemeint, ohne dass es hierbei auf die spätere Erteilung einer anderen Genehmigung, insbesondere der Genehmigung oder Festsetzung des Arzneimittelpreises in den Staaten, in denen dieser behördlich festgesetzt werde, ankomme.

Antwort des Gerichtshofes

52 Bei dem Genehmigungsverfahren, das dem Ausgangsverfahren zugrunde liegt, geht es um ein Humanarzneimittel und nicht um ein Tierarzneimittel, so dass die erste Frage ausschließlich im Hinblick auf die Richtlinie 65/65 zu prüfen ist.

53 Mithin ist zu prüfen, ob der in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 enthaltene Begriff "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen" ausschließlich auf eine Genehmigung für das Inverkehrbringen im Sinne der Richtlinie 65/65 verweist oder ob er auch eine nach einer nationalen Regelung betreffend die Preisfestsetzung oder Erstattung für Arzneimittel erforderliche Genehmigung wie die Hässle im Ausgangsverfahren am 17. Dezember 1987 von den luxemburgischen Behörden erteilte Genehmigung erfassen kann.

54 Der Wortlaut von Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 besagt nicht eindeutig, dass die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen nach der Richtlinie 65/65 erteilt werden muss, da er nicht ausdrücklich auf diese verweist, schließt diese Auslegung jedoch auch nicht aus.

55 Dieser Begriff ist daher in seinem Kontext zu betrachten und nach Sinn und Zweck der Bestimmung auszulegen.

56 Erstens nehmen weder Artikel 19 der Verordnung Nr. 1768/92 noch irgendeine andere Vorschrift dieser Verordnung, noch deren Begründungserwägungen explizit oder auch nur implizit Bezug auf eine andere als die arzneimittelrechtliche Genehmigung im Sinne der Richtlinie 65/65, insbesondere nicht auf eine Genehmigung der für die Preisfestsetzung oder Erstattung für Arzneimittel zuständigen nationalen Behörden. So erstreckt sich der Anwendungsbereich der Verordnung Nr. 1768/92 gemäß der in ihrem Artikel 2 enthaltenen Definition auf die durch ein Patent geschützten Erzeugnisse, die vor ihrem Inverkehrbringen als Arzneimittel Gegenstand eines verwaltungsrechtlichen Genehmigungsverfahrens gemäß der Richtlinie 65/65 sind.

57 Nichts rechtfertigt es daher, den Begriff "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen" je nach der Vorschrift der Verordnung Nr. 1768/92, in der er sich findet, unterschiedlich auszulegen. Insbesondere darf diesem Begriff keine unterschiedliche Bedeutung beigelegt werden, je nachdem, ob er in Artikel 3 oder in Artikel 19 steht, dies umso mehr, als sich aus Artikel 8 Absatz 1 Buchstabe a Ziffer iv und Buchstabe c ergibt, dass die in Artikel 3 Buchstabe b erwähnte erste Genehmigung für das Inverkehrbringen auch die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft sein kann.

58 Folglich muss die - u. a. in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 erwähnte - "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft" ebenso wie die "Genehmigung für das Inverkehrbringen" im Sinne von Artikel 3 der Verordnung eine gemäß der Richtlinie 65/65 erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen sein.

59 Zweitens ist - entgegen dem Vorbringen von Hässle - der durch das Zertifikat gewährte Schutz, der den Schutz durch das Patent verlängert, nicht illusorisch, auch wenn dieses Zertifikat lediglich den Zeitraum ausgleicht, der zwischen der Patentanmeldung und der Erteilung einer ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 65/65 verstreicht. Überdies ergibt sich aus der achten Begründungserwägung und aus Artikel 13 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92, dass die Laufzeit des Zertifikats jedenfalls fünf Jahre geringer ist als der Zeitraum zwischen der Patentanmeldung und der Erteilung einer Genehmigung für das Inverkehrbringen, was belegt, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber keineswegs die Absicht hatte, die - durch die Fristen für das Inverkehrbringen des geschützten Erzeugnisses bewirkte - Verringerung des tatsächlich durch ein Patent gewährten Schutzes vollständig auszugleichen.

60 Drittens ist diese Auslegung die einzige, die dem Erfordernis der Rechtssicherheit genügen kann. Abweichend von dem Verfahren der Genehmigung für das Inverkehrbringen gemäß der Richtlinie 65/65 sind die anderen von Hässle angeführten Genehmigungsverfahren betreffend die Preisfestsetzung oder Erstattung für Arzneimittel nämlich rein nationale Verfahren in dem Sinne, dass sie nicht Gegenstand einer gemeinschaftlichen Harmonisierung waren. Wenn also Artikel 19 der Verordnung Nr. 1768/92 dahin auszulegen wäre, dass er auf solche Genehmigungen Bezug nimmt, hätten die von dieser Verordnung betroffenen Personen keine Kenntnis vom Vorliegen und vom Charakter anderer Hindernisse für das Inverkehrbringen in den verschiedenen Mitgliedstaaten; dies würde eine Rechtsunsicherheit schaffen, der diese Verordnung gerade abhelfen soll.

61 Daraus folgt, dass die in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 erwähnte "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft" nur die arzneimittelrechtliche Genehmigung im Sinne der Richtlinie 65/65 erfasst.

Zum zweiten Teil der ersten Frage

62 Der zweite Teil der ersten Frage des vorlegenden Gerichts geht im Wesentlichen dahin, ob der in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 enthaltene Begriff "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft" auf die erste Genehmigung im Anmeldemitgliedstaat oder auf die erste Genehmigung in einem beliebigen Mitgliedstaat Bezug nimmt.

63 Hässle macht geltend, ein Zertifikat könne aufgrund von Artikel 19 der Verordnung Nr. 1768/92 nur erteilt werden, wenn die "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft" nach dem in diesem Artikel festgelegten Stichtag erteilt worden sei, so dass diese eine Erteilungsvoraussetzung für das Zertifikat darstelle. Gestützt auf das zitierte Urteil Yamanouchi Pharmaceutical trägt sie vor, nur die in Artikel 3 Buchstaben b und d der Verordnung Nr. 1768/92 geregelte Genehmigung für das Inverkehrbringen, d. h. die erste im Mitgliedstaat der Anmeldung des Zertifikats erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen, sei eine Voraussetzung für die Erteilung eines Zertifikats nach Artikel 19 dieser Verordnung. Eine andere, vorher in einem anderen Mitgliedstaat erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen diene dagegen lediglich der Festlegung der Laufzeit des erteilten Zertifikats. Die "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft" im Sinne von Artikel 19 der Verordnung Nr. 1768/92 sei daher die erste im Mitgliedstaat der Anmeldung des Zertifikats erteilte Genehmigung.

64 Diese Auslegung werde durch die Verwendung des unbestimmten Artikels "eine" in der deutschen, der französischen, der italienischen und der niederländischen Fassung des Artikels 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 bestätigt, die belege, dass es mehrere erste Genehmigungen für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft geben könne, und zwar eine je Mitgliedstaat.

65 Diese Auslegung sei als einzige mit Sinn und Zweck der Verordnung Nr. 1768/92 vereinbar, die dazu dienen solle, den Schutz des Patentinhabers möglichst schnell zu verbessern.

66 ratiopharm, die französische und die spanische Regierung sowie die Kommission sind dagegen der Ansicht, dass es für die Anwendung von Artikel 19 der Verordnung Nr. 1768/92 auf die erste in einem beliebigen Mitgliedstaat erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen ankomme.

67 Unter Hinweis auf die Artikel 18 und 13 der Verordnung Nr. 1768/92 tragen die französische und die spanische Regierung vor, es bestehe völlige Übereinstimmung zwischen den Artikeln 13 und 19 dieser Verordnung, die sich beide auf den Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft bezögen.

68 Die dänische Regierung macht lediglich geltend, Voraussetzung für die Anwendung von Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 sei, dass eine gültige Genehmigung vorliege, die im Mitgliedstaat der Anmeldung des Zertifikats erteilt worden sei.

Antwort des Gerichtshofes

69 Dem von Hässle vorgebrachten Wortlautargument, dem zufolge die Verwendung des unbestimmten Artikels "eine" in der deutschen, der französischen, der italienischen und der niederländischen Fassung des Artikels 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 belegt, dass es mehrere erste Genehmigungen für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft geben kann, kann nicht gefolgt werden, da andere Sprachfassungen dieser Vorschrift, u. a. die englische Fassung, den bestimmten Artikel verwenden.

70 Nach ständiger Rechtsprechung müssen die verschiedenen Sprachfassungen einer Gemeinschaftsvorschrift einheitlich ausgelegt werden; falls die Fassungen voneinander abweichen, muss die Vorschrift anhand von Sinn und Zweck der Regelung ausgelegt werden, zu der sie gehört (vgl. Urteil vom 9. Januar 2003 in der Rechtssache C-257/00, Givane u. a., Slg. 2003, I-345, Randnr. 37, und die dort zitierte Rechtsprechung).

71 Da eine grammatikalische Auslegung der Worte "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft" in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 es nicht erlaubt, die Vorlagefrage eindeutig zu beantworten, ist diese Wendung daher in ihrem Kontext zu betrachten und nach Sinn und Zweck der Bestimmung auszulegen.

72 Wie bereits in Randnummer 57 dieses Urteils ausgeführt, darf der Begriff "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen" nicht je nach der Vorschrift der Verordnung Nr. 1768/92, in der er sich findet, unterschiedlich ausgelegt werden. Dies gilt erst recht für den Begriff "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft" (vgl. in diesem Sinne Urteil Yamanouchi Pharmaceutical, Randnrn. 23 f.).

73 Nun hat der Gerichtshof in Randnummer 24 des Urteils Yamanouchi Pharmaceutical festgestellt, dass sich aus Artikel 8 Absatz 1 Buchstaben a Ziffer iv und b, Artikel 9 Absatz 2 Buchstabe d und Artikel 11 Absatz 1 Buchstabe d der Verordnung Nr. 1768/92 ergibt, dass die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft nicht die Genehmigung für das Inverkehrbringen nach Artikel 3 Buchstabe b dieser Verordnung, d. h. die Genehmigung des Mitgliedstaats, in dem die Anmeldung eingereicht wird, ersetzen soll, sondern eine zusätzliche Voraussetzung für den Fall darstellt, dass die letztgenannte Genehmigung nicht die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen des Erzeugnisses als Arzneimittel in der Gemeinschaft ist.

74 Würde die Verordnung Nr. 1768/92 dahin ausgelegt, dass die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft die erste im Anmeldemitgliedstaat erteilte Genehmigung für das Inverkehrbringen ist, würde sie systematisch mit der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen nach Artikel 3 Buchstaben b und d dieser Verordnung zusammenfallen und stellte daher keine zusätzliche Voraussetzung mehr dar. Den Artikeln 8 Absatz 1 Buchstaben a Ziffer iv und c, 9 Absatz 2 Buchstabe e und 11 Absatz 1 Buchstabe e der Verordnung wäre damit jede praktische Wirkung genommen.

75 Die von Hässle vertretene Auslegung des Artikels 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 wird also, anders als von ihr vorgetragen, durch das Urteil Yamanouchi Pharmaceutical widerlegt.

76 Im Übrigen wird die Auslegung, der zufolge der in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 enthaltene Begriff "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft" auf die erste in einem beliebigen Mitgliedstaat erteilte Genehmigung Bezug nimmt, durch den in der sechsten Begründungserwägung der Verordnung erläuterten Zweck dieser Verordnung - auf Gemeinschaftsebene eine einheitliche Lösung zu finden - bestätigt.

77 Nur diese Auslegung kann nämlich, wie die Generalanwältin in Nummer 85 ihrer Schlussanträge ausgeführt hat, mit Rücksicht auf die Art und Weise der Berechnung der Laufzeit des Zertifikats gemäß Artikel 13 der Verordnung Nr. 1768/92 gewährleisten, dass die Ausweitung des durch das Patent gewährten Schutzes im Zusammenhang mit dem unter das Zertifikat fallenden Erzeugnis in allen Mitgliedstaaten, in denen das Zertifikat erteilt wurde, zum selben Zeitpunkt endet.

78 Folglich nimmt der in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 enthaltene Begriff "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft" auf die erste in einem beliebigen Mitgliedstaat erteilte Genehmigung Bezug.

79 Auf die erste Frage ist zu antworten, dass der in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 enthaltene Begriff "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft" im Zusammenhang mit Humanarzneimitteln ausschließlich auf die erste nach Arzneimittelrecht erforderliche Genehmigung im Sinne der Richtlinie 65/65 Bezug nimmt, die in einem beliebigen Mitgliedstaat erteilt wurde, und somit nicht die Genehmigungen erfasst, die nach den Regelungen betreffend die Preisfestsetzung und die Erstattung für Arzneimittel erforderlich sind.

Zur dritten Frage

80 Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts geht im Wesentlichen dahin, ob ein Zertifikat, das unter Verstoß gegen Artikel 19 der Verordnung Nr. 1768/92 erteilt wurde, obwohl eine erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft bereits vor dem in dieser Vorschrift festgesetzten Stichtag erteilt wurde, nach Artikel 15 dieser Verordnung nichtig ist oder ob lediglich seine Laufzeit zu korrigieren ist.

81 Hässle sowie die dänische und die niederländische Regierung vertreten die Auffassung, der Katalog der Nichtigkeitsgründe in Artikel 15 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 sei abschließend, so dass der Verstoß gegen Artikel 19 Absatz 1 dieser Verordnung nicht zur Nichtigkeit des Zertifikats führe. Sie begründen dies u. a. mit dem abschließenden Charakter der in Artikel 15 Absatz 1 aufgeführten Nichtigkeitsgründe. Hässle und der dänischen Regierung zufolge kommt als Sanktion für die Nichteinhaltung des Stichtags nur eine Korrektur der Laufzeit des Zertifikats in Betracht. Die niederländische Regierung macht geltend, die Sanktion unterliege dem nationalen Recht.

82 ratiopharm, die französische Regierung und die Kommission sind dagegen der Ansicht, die Artikel 15 Absatz 1 Buchstabe a und 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 seien dahin auszulegen, dass das unter Verstoß gegen die Stichtagsregelung des Artikels 19 Absatz 1 erteilte Zertifikat für nichtig erklärt werden müsse.

83 Nach Auffassung der Kommission müssen die Nichtigkeitsgründe des Artikels 15 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 analog auf die Nichteinhaltung des in Artikel 19 Absatz 1 dieser Verordnung genannten Stichtags angewandt werden. Der Verstoß gegen die letztgenannte Vorschrift sei nämlich vergleichbar mit der Erteilung des Zertifikats unter Verstoß gegen Artikel 3 der Verordnung.

Antwort des Gerichtshofes

84 Wie sich aus den Randnummern 26 bis 30 dieses Urteils ergibt, soll Artikel 19 der Verordnung Nr. 1768/92 unter bestimmten Voraussetzungen die Möglichkeit eröffnen, innerhalb eines Zeitraums von sechs Monaten nach dem Inkrafttreten dieser Verordnung ein Zertifikat für Erzeugnisse zu erhalten, für die vor diesem Zeitpunkt eine erste Genehmigung für das Inverkehrbringen als Arzneimittel im Anmeldemitgliedstaat erteilt wurde.

85 Artikel 19 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1768/92 weicht somit unter den Voraussetzungen des Artikels 19 Absatz 1 von Artikel 7 dieser Verordnung ab, wonach die Anmeldung des Zertifikats innerhalb einer Frist von sechs Monaten nach der Genehmigung für das Inverkehrbringen oder gegebenenfalls der Erteilung des Grundpatents eingereicht werden muss.

86 Zu den Voraussetzungen für die Anwendung dieser Übergangsausnahmeregelung gehört das Erfordernis, dass die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft nach dem für den Anmeldemitgliedstaat in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 festgelegten Stichtag erteilt wurde. Dieses Erfordernis ist eine materiellrechtliche Zusatzvoraussetzung zu den in Artikel 3 dieser Verordnung aufgestellten Voraussetzungen (vgl. Urteil Yamanouchi Pharmaceutical, Randnr. 28) für die Erlangung eines Zertifikats im Rahmen dieser Regelung. Sie stellt daher eine Voraussetzung dar, die den sachlichen Anwendungsbereich des Artikels 19 der Verordnung Nr. 1768/92 festlegt.

87 Bei der Beurteilung der Gültigkeit eines Zertifikats kann die Nichteinhaltung dieses Erfordernisses nicht unberücksichtigt bleiben. Jede gegenteilige Auslegung würde die praktische Wirkung von Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 beeinträchtigen, die darin besteht, zu verhindern, dass ein Zertifikat noch erteilt wird, wenn die erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft vor zu langer Zeit erlangt wurde.

88 Ist somit der Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft falsch festgestellt worden, liegt jedoch nach dem in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 festgelegten Stichtag, so dass nicht gegen diesen Artikel verstoßen wurde, muss lediglich das Ende der Laufzeit des Zertifikats berichtigt werden (vgl. hierzu 17. Begründungserwägung und Artikel 17 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1610/96).

89 Ist dagegen der Zeitpunkt der ersten Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft falsch festgestellt worden, und stellt sich heraus, dass er vor dem in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 festgelegten Stichtag liegt, so dass gegen diesen Artikel verstoßen wurde, muss das Zertifikat nach Artikel 15 dieser Verordnung für nichtig erklärt werden.

90 Artikel 19 der Verordnung Nr. 1768/92 darf nämlich nicht autonom, sondern nur in Verbindung mit Artikel 3 dieser Verordnung ausgelegt werden. Wie jedoch die Kommission zutreffend ausgeführt hat, ist der Verstoß gegen Artikel 19 vergleichbar mit der Erteilung des Zertifikats unter Verstoß gegen Artikel 3.

91 Eine solche Folge der Nichtbeachtung des in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 festgelegten Stichtags ist auch dann geboten, wenn dem Wortlaut oder der Entstehungsgeschichte des Artikels 15 dieser Verordnung nicht entnommen werden kann, dass der Katalog der darin genannten Gründe für die Nichtigkeit des Zertifikats nicht abschließend ist.

92 Auf die dritte Frage ist daher zu antworten, dass ein Zertifikat, das unter Verstoß gegen Artikel 19 der Verordnung Nr. 1768/92 erteilt wurde, obwohl eine erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft bereits vor dem in dieser Vorschrift festgesetzten Stichtag erteilt wurde, nach Artikel 15 dieser Verordnung nichtig ist.

Zur vierten Frage

93 Angesichts der Antwort auf die dritte Frage braucht die vierte Frage nicht beantwortet zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

94 Die Auslagen der dänischen, der spanischen, der französischen und der niederländischen Regierung sowie der Kommission, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm vom Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 1. Februar 2000 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Die Prüfung der zweiten Vorlagefrage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit von Artikel 19 der Verordnung (EWG) Nr. 1768/92 des Rates vom 18. Juni 1992 über die Schaffung eines ergänzenden Schutzzertifikats für Arzneimittel beeinträchtigen könnte.

2. Im Zusammenhang mit Humanarzneimitteln nimmt der in Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1768/92 enthaltene Begriff "erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft" ausschließlich auf die erste nach Arzneimittelrecht erforderliche Genehmigung im Sinne der Richtlinie 65/65/EWG des Rates vom 26. Januar 1965 zur Angleichung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften über Arzneispezialitäten Bezug, die in einem beliebigen Mitgliedstaat erteilt wurde, und erfasst somit nicht die Genehmigungen, die nach den Regelungen betreffend die Preisfestsetzung und die Erstattung für Arzneimittel erforderlich sind.

3. Ein ergänzendes Schutzzertifikat, das unter Verstoß gegen Artikel 19 der Verordnung Nr. 1768/92 erteilt wurde, obwohl eine erste Genehmigung für das Inverkehrbringen in der Gemeinschaft bereits vor dem in dieser Vorschrift festgesetzten Stichtag erteilt wurde, ist nach Artikel 15 dieser Verordnung nichtig.

Ende der Entscheidung

Zurück