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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 22.04.1997
Aktenzeichen: C-310/95
Rechtsgebiete: EG-Vertrag, EWG-Vertrag, Beschluss 91/482/EWG vom 25. Juli 1991


Vorschriften:

EG-Vertrag Artikel 177
EWG-Vertrag Artikel 227
EWG-Vertrag Artikel 131 Absatz 1
Beschluss 91/482/EWG vom 25. Juli 1991 Artikel 101
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

4 Artikel 133 Absatz 1 des Vertrages ist dahin auszulegen, daß er sich nicht auf Einfuhren von Waren bezieht, die sich in den überseeischen Ländern und Gebieten (ÜLG) im zollrechtlich freien Verkehr befinden, jedoch dort nicht ihren Ursprung haben. Eine Auslegung dahin, daß er sich auf die Einfuhren solcher Waren beziehe, würde dazu führen, daß auf die ÜLG ein ähnliches System angewandt würde, wie es die Mitgliedstaaten aufgrund des Vertrages untereinander anwenden, und daß sie in das gemeinsame Zollgebiet einbezogen würden; dies würde weit über das hinausgehen, was im Vertrag vorgesehen ist.

5 Artikel 136 Absatz 2 des Vertrages ist nicht dahin auszulegen, daß er lediglich einen einzigen, sich an den ersten in Artikel 136 Absatz 1 vorgesehenen Zeitabschnitt von fünf Jahren anschließenden "neuen Zeitabschnitt" vorsähe, für den der Rat die zur Erreichung der Ziele der Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete erforderlichen Bestimmungen erlassen dürfte, sondern dahin, daß ein System geschaffen werden soll, bei dem je nach den erzielten Ergebnissen verschiedenene Zeitabschnitte aufeinander folgen können, für die der Rat jeweils besondere Bestimmungen erlässt. Der Umstand, daß von einem "neuen Zeitabschnitt" die Rede ist, ohne daß seine Dauer festgelegt wäre, deutet selbst schon darauf hin, daß der Rat über ein Ermessen verfügt, um die in Artikel 132 des Vertrages genannten Ziele schrittweise zu erreichen.

6 Seit dem 1. März 1991 durften gemäß Artikel 101 Absatz 2 des Beschlusses 91/482 über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete (ÜLG), der vom Rat im Rahmen des ihm nach Artikel 136 Absatz 2 des Vertrages zustehenden Ermessens erlassen wurde, bei der Einfuhr von Waren mit Ursprung in Drittländern, die sich jedoch in einem ÜLG im zollrechtlich freien Verkehr befanden, in die Gemeinschaft Zölle erhoben werden, sofern die in diesem ÜLG erhobenen Zölle niedriger waren als die Zölle, die bei der Einfuhr in die Gemeinschaft erhoben worden wären.

Diese Bestimmung macht die Zollbefreiung, die dort für einige Waren mit Ursprung in Drittländern, die sich jedoch in einem ÜLG im zollrechtlich freien Verkehr befinden, vorgesehen ist, davon abhängig, daß die in diesem ÜLG erhobenen und später nicht erstatteten Zölle oder Abgaben gleicher Wirkung den Zöllen entsprechen oder sie übersteigen, die bei der Einfuhr derselben Erzeugnisse in die Gemeinschaft anwendbar wären.

Diese rückwirkende Geltung eines am 20. September 1991 in Kraft getretenen Beschlusses ist zulässig, sofern für die Betroffenen damit eine günstigere Regelung gilt als diejenige, die früher in Kraft war, und sofern ihr berechtigtes Vertrauen gebührend beachtet ist.


Urteil des Gerichtshofes vom 22. April 1997. - Road Air BV gegen Inspecteur der Invoerrechten en Accijnzen. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Tariefcommissie - Niederlande. - Assoziierung der überseeischen Länder und Gebiete - Einfuhr von Waren mit Ursprung in einem Drittland, die sich jedoch in einem überseeischen Land oder Gebiet im zollrechtlich freien Verkehr befinden, in die Gemeinschaft - Artikel 227 Absatz 3 EG-Vertrag - Vierter Teil des EG-Vertrags (Artikel 131 bis 136a) - Beschlüsse 86/283/EWG, 91/110/EWG und 91/482/EWG des Rates. - Rechtssache C-310/95.

Entscheidungsgründe:

1 Die Tariefcommissie hat mit Beschluß vom 21. September 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 29. September 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Vorschriften des Vierten Teils des EWG-Vertrags, nunmehr EG-Vertrag, über die Assoziierung der überseeischen Länder und Hoheitsgebiete (im folgenden: ÜLG) mit der Gemeinschaft sowie über die Gültigkeit und Auslegung der Beschlüsse 86/283/EWG des Rates vom 30. Juni 1986 über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. L 175, S. 1; im folgenden: Fünfter Beschluß) und 91/110/EWG des Rates vom 27. Februar 1991 zur Verlängerung des Beschlusses 86/283/EWG (ABl. L 58, S. 27) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich im Zusammenhang mit einer Klage der Firma Road Air gegen den Bescheid des Inspecteur der Invörrechten en Accijnzen Hoofddorp, mit dem sie zur Zahlung eines Zolles von 54,40 HFL auf die Einfuhr von 7 kg Kaffee in Pulverform mit Ursprung in Kolumbien aus den Niederländischen Antillen verpflichtet worden war.

3 Artikel 227 EWG-Vertrag definiert den räumlichen Geltungsbereich dieses Vertrages. Absatz 3 dehnt den räumlichen Geltungsbereich auf die im Anhang IV aufgeführten ÜLG aus und sieht vor, daß für diese Länder und Hoheitsgebiete "das besondere Assoziierungssystem [gilt], das im Vierten Teil [des] Vertrages festgelegt ist".

4 Der Vierte Teil des Vertrages trägt die Überschrift "Die Assoziierung der überseeischen Länder und Hoheitsgebiete".

5 Gemäß Artikel 131 Absatz 1 EWG-Vertrag "[kommen] die Mitgliedstaaten... überein, die aussereuropäischen Länder und Hoheitsgebiete, die mit Belgien, Dänemark, Frankreich, Italien, den Niederlanden und dem Vereinigten Königreich besondere Beziehungen unterhalten, der Gemeinschaft zu assoziieren". Nach derselben Bestimmung sind diese Länder und Hoheitsgebiete in Anhang IV des Vertrages aufgeführt.

6 Ursprünglich waren die Niederländischen Antillen dort nicht aufgeführt; sie wurden gemäß Artikel 227 Absatz 3 des Vertrages durch das am 1. Oktober 1964 in Kraft getretene Abkommen 64/533/EWG vom 13. November 1962 über die Änderung des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft mit dem Ziel, daß die in Teil IV dieses Vertrages festgelegte besondere Assoziationsregelung auf die Niederländischen Antillen Anwendung findet (ABl. 1964, 150, S. 2414), aufgenommen.

7 Artikel 132 des Vertrages bestimmt:

"Mit der Assoziierung werden folgende Zwecke verfolgt:

(1) Die Mitgliedstaaten wenden auf ihren Handelsverkehr mit den Ländern und Hoheitsgebieten das System an, das sie aufgrund dieses Vertrags untereinander anwenden.

..."

8 In Artikel 133 heisst es ferner:

"(1) Die Zölle bei der Einfuhr von Waren aus den Ländern und Hoheitsgebieten in die Mitgliedstaaten werden vollständig abgeschafft; dies geschieht nach Maßgabe der in diesem Vertrag vorgesehenen schrittweisen Abschaffung der Zölle zwischen den Mitgliedstaaten.

(2) In jedem Land und Hoheitsgebiet werden die Zölle bei der Einfuhr von Waren aus den Mitgliedstaaten und den anderen Ländern und Hoheitsgebieten nach Maßgabe der Artikel 12, 13, 14, 15 und 17 schrittweise abgeschafft."

9 Artikel 134 des Vertrages lautet:

"Ist die Höhe der Zollsätze, die bei der Einfuhr in ein Land oder Hoheitsgebiet für Waren aus einem dritten Land gelten, bei Anwendung des Artikels 133 Absatz 1 geeignet, Verkehrsverlagerungen zum Nachteil eines Mitgliedstaats hervorzurufen, so kann dieser die Kommission ersuchen, den anderen Mitgliedstaaten die erforderlichen Abhilfemaßnahmen vorzuschlagen."

10 Schließlich bestimmt Artikel 136 des Vertrages:

"Für einen ersten Zeitabschnitt von fünf Jahren nach Inkrafttreten dieses Vertrags werden in einem dem Vertrag beigefügten Durchführungsabkommen die Einzelheiten und das Verfahren für die Assoziierung der Länder und Hoheitsgebiete an die Gemeinschaft festgelegt.

Vor Ablauf der Geltungsdauer des in Absatz 1 genannten Abkommens legt der Rat aufgrund der erzielten Ergebnisse und der Grundsätze dieses Vertrags die Bestimmungen für einen neuen Zeitabschnitt einstimmig fest."

11 Aufgrund von Artikel 136 Absatz 2 des Vertrages erließ der Rat am 25. Februar 1964 den Beschluß 64/349/EWG über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. 1964, 93, S. 1472). Dieser Beschluß sollte ab 1. Juni 1964, an dem das am 20. Juli 1963 in Jaunde unterzeichnete Interne Abkommen über die Finanzierung und Verwaltung der Hilfe der Gemeinschaft in Kraft trat, das dem Vertrag beigefügte und für die Dauer von fünf Jahren geschlossene Durchführungsabkommen über die Assoziierung der überseeischen Länder und Hoheitsgebiete mit der Gemeinschaft ersetzen.

12 Später erließ der Rat die Beschlüsse 70/549/EWG vom 29. September 1970 (ABl. L 282, S. 83), 76/568/EWG vom 29. Juni 1976 (ABl. L 176, S. 8) und 80/1186/EWG vom 16. Dezember 1980 (ABl. L 361, S. 1) über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft.

13 Schließlich erließ der Rat am 30. Juni 1986 den Fünften Beschluß, der gemäß Artikel 183 bis zum 28. Februar 1990 anwendbar war. Er wurde jedoch durch Artikel 1 des Beschlusses 91/110 bis zum 30. Juni 1991 verlängert.

14 Artikel 70 Absatz 1 des Fünften Beschlusses lautet wie folgt:

"Waren mit Ursprung in den Ländern und Gebieten sind frei von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung zur Einfuhr in die Gemeinschaft zugelassen."

15 "Ursprungswaren der Länder und Gebiete" werden in Artikel 1 Absatz 1 Buchstabe b des Anhangs II des Fünften Beschlusses definiert als

"1. Waren, die vollständig in einem oder mehreren Ländern oder Gebieten hergestellt worden sind;

2. Waren, die in einem oder mehreren Ländern oder Gebieten unter Verwendung anderer als der vollständig in den Ländern und Gebieten hergestellten Waren hergestellt worden sind, sofern diese Waren im Sinne des Artikels 3 in ausreichendem Masse be- oder verarbeitet worden sind".

16 Am 25. Juli 1991 erließ der Rat den Beschluß 91/482/EWG über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete mit der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft (ABl. L 263, S. 1; im folgenden: Sechster Beschluß), der am 20. September 1991 in Kraft getreten ist. Gemäß Artikel 240 Absatz 1 gilt er für einen Zeitraum von zehn Jahren, der am 1. März 1990 beginnt.

17 Artikel 101 dieses Beschlusses bestimmt:

"(1) Waren mit Ursprung in den ÜLG sind frei von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung zur Einfuhr in die Gemeinschaft zugelassen.

(2) Waren, die keine Ursprungswaren der ÜLG sind, sich aber im zollrechtlich freien Verkehr in einem ÜLG befinden und in unverändertem Zustand in die Gemeinschaft wiederausgeführt werden, sind bei der Einfuhr in die Gemeinschaft von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung befreit, sofern

- für sie in dem betreffenden ÜLG Zölle oder Abgaben gleicher Wirkung entrichtet worden sind, die den Zöllen entsprechen oder sie übersteigen, die bei der Einfuhr derselben Erzeugnisse mit Ursprung in Drittländern, für die die Meistbegünstigungsklausel gilt, in der Gemeinschaft anwendbar wären,

- sie nicht Gegenstand einer vollständigen oder teilweisen Befreiung oder Erstattung der Zölle oder Abgaben gleicher Wirkung waren,

- sie von einer Ausfuhrbescheinigung begleitet werden."

18 Am 24. Juni 1991 meldete die Road Air bei den niederländischen Zollbehörden die Einfuhr von 7 kg Kaffee-Extrakt in Pulverform mit Ursprung in Kolumbien an, der in den Niederländischen Antillen in den zollrechtlich freien Verkehr überführt worden war.

19 Am 25. Juni 1991 wurde die Ware der Tarifstelle 2101 10 11 des Gemeinsamen Zolltarifs zugeordnet, für die ein Zollsatz von 18 % des Zollwerts galt. Der Zoll belief sich daher auf 54,40 HFL.

20 Die Road Air legte gegen die Erhebung dieses Zolles Einspruch ein mit der Begründung, daß die Mitgliedstaaten gemäß Artikel 132 Absatz 1 des Vertrages auf Waren, deren Ursprungsland zwar ein Drittland sei, die aber in den ÜLG ordnungsgemäß in den zollrechtlich freien Verkehr überführt worden seien, keine Zölle erheben dürften.

21 Der Inspecteur der Invörrechten en Accijnzen Hoofddorp wies diesen Einspruch zurück und vertrat die Ansicht, daß die Abschaffung der Zölle allein den Waren zugute komme, die den Ursprungserfordernissen genügten.

22 Da die Tariefcommissie im Hinblick auf die Entscheidung des Rechtsstreits eine Auslegung des Vierten Teils des Vertrages für erforderlich hält, hat sie das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Ist der Vierte Teil des EWG-Vertrags, insbesondere die Artikel 132 Absatz 1, 133 Absatz 1 und 134, dahin auszulegen, daß auf Waren, die sich in einem Land, das zu den überseeischen Ländern und Gebieten gehört, im zollrechtlich freien Verkehr befanden, bei der Einfuhr in die Gemeinschaft am 25. Juni 1991 - unabhängig davon, ob ihr Ursprungsland ein Land der überseeischen Länder und Gebiete oder ein Drittland ist, und damit abweichend von den Beschlüssen 86/283/EWG und 91/110/EWG des Rates - kein Zoll erhoben werden durfte?

23 Um die Frage des vorlegenden Gerichts angemessen zu beantworten, ist zunächst zu prüfen, ob die Verordnung (EWG) Nr. 3835/90 des Rates vom 20. Dezember 1990 zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 3831/90, (EWG) Nr. 3832/90 und (EWG) Nr. 3833/90 hinsichtlich des Systems allgemeiner Zollpräferenzen für bestimmte Erzeugnisse mit Ursprung in Bolivien, Ecuador, Kolumbien und Peru (ABl. L 370, S. 126) auf Kaffee-Extrakt mit Ursprung in Kolumbien anwendbar ist; zweitens ist Artikel 133 Absatz 1 des Vertrages, drittens Artikel 136 des Vertrages und zuletzt die Anwendbarkeit des Fünften und des Sechsten Beschlusses des Rates zu prüfen.

Zur Anwendbarkeit der Verordnung Nr. 3835/90

24 Die französische Regierung macht in ihren schriftlichen Erklärungen geltend, daß die Verordnung Nr. 3835/90 im Ausgangsverfahren einschlägig sei.

25 Artikel 3 Absatz 1 dieser Verordnung sieht vor, daß die Zollsätze des Gemeinsamen Zolltarifs vom 1. Januar bis 31. Dezember 1991 für die im Anhang dieser Verordnung genannten Erzeugnisse mit Ursprung in den betreffenden vier Staaten vollständig ausgesetzt werden.

26 In diesem Anhang finden sich die dem früheren Kapitel 21 des KN-Codes zugewiesenen verschiedenen Lebensmittelzubereitungen, ausgenommen Zuckersirupe der KN-Codes 2106 90 30, 2106 90 51, 2106 90 55 und 2106 90 59.

27 Daraus folgt, daß nach dieser Verordnung am 25. Juni 1991 kein Zoll auf die Einfuhr von Kaffee in Pulverform mit Ursprung in Kolumbien in die Niederlande erhoben werden durfte.

28 Es ist Sache des vorlegenden Gerichts, im Rahmen der nationalen Verfahrensvorschriften zu prüfen, ob der Ausgangsrechtsstreit durch Anwendung der Verordnung Nr. 3835/90 beigelegt werden kann.

Zur Auslegung des Artikels 133 Absatz 1 des Vertrages

29 Nach Ansicht der Road Air bezieht sich Artikel 133 Absatz 1 des Vertrages nicht nur auf Waren mit Ursprung in den ÜLG, sondern auch auf Waren aus Drittländern, die dort in den zollrechtlich freien Verkehr überführt wurden.

30 Die Road Air beruft sich zunächst auf Artikel 132 Absatz 1 des Vertrages, der die Mitgliedstaaten verpflichte, auf ihren Handelsverkehr mit den ÜLG das System anzuwenden, das sie aufgrund des Vertrages untereinander anwendeten. Sie verweist weiter auf die deutsche Fassung des Artikels 133 Absatz 1 des Vertrages, in der die Formulierung "Waren aus den Ländern und Hoheitsgebieten" verwendet werde, und beruft sich auf den Sinn und Zweck des Artikels 134, der seine Bedeutung verlieren würde, wenn nur Waren mit Ursprung in den ÜLG die Präferenzbehandlung in den Mitgliedstaaten zugute kommen könnte.

31 Hierzu ist festzustellen, daß in der niederländischen, englischen, dänischen, irischen, griechischen, spanischen, finnischen und schwedischen Fassung Begriffe verwendet werden, die sich ausdrücklich auf "Erzeugnisse" oder "Waren" beziehen: "göderen van oorsprong uit...", "goods originating in...", "varer med oprindelse i...", "earraí de thionscnamh na...", "ôùí êáôáãïìÝíùí aaìðïñaaõìÜôùí áðü...", "mercancías originarias de...", "peräisin... tavaroiden...", "varor med ursprung i...". Diesen Fassungen zufolge ist Artikel 133 Absatz 1 also nur auf Erzeugnisse anwendbar, die ihren Ursprung in einem ÜLG haben.

32 Andere Sprachfassungen (die französische, italienische und portugiesische Fassung) sind weniger genau formuliert: "importations originaires des...", "importazioni originarie dei...", "importações originárias dos..." Diese Fassungen können offenkundig so ausgelegt werden, daß sie mit der oben dargestellten Auslegung übereinstimmen. Schließlich entspricht die deutsche Fassung "Waren aus..." insoweit, als sie den Begriff "Waren" verwendet, den in Randnummer 31 genannten Sprachfassungen, enthält jedoch keinen Begriff, der unmittelbar den Gedanken des Ursprungs zum Ausdruck brächte. Doch selbst wenn sie in dieser Hinsicht nicht eindeutig sein sollte, muß sie so ausgelegt werden, daß sie mit den anderen Sprachfassungen übereinstimmt.

33 Im übrigen hat der Rat gerade aufgrund dieser Auslegung in den sechs Beschlüssen, die er gemäß Artikel 136 des Vertrages erlassen hat, nur Waren mit Ursprung in den ÜLG von Zöllen und Abgaben gleicher Wirkung befreit. So wurde auch dem Abkommen 64/533, durch das die für die ÜLG geltende besondere Assoziationsregelung auf die Niederländischen Antillen Anwendung findet, das Protokoll 64/534/EWG über die Einfuhr von in den Niederländischen Antillen raffinierten Erdölerzeugnissen in die Gemeinschaft (ABl. 1964, 150, S. 2416) beigefügt, wonach sich die für diese Erzeugnisse vorgesehene Sonderregelung immer noch von der Regelung unterscheidet, die für die gleichen Erzeugnisse mit Ursprung in Drittländern gilt.

34 Schließlich müsste bei Zugrundelegung der von der Road Air befürworteten Auslegung auf die ÜLG ein ähnliches System angewandt werden, wie es die Mitgliedstaaten aufgrund des Vertrages schrittweise untereinander anwenden, und zwar nicht nur für die Einfuhren von Waren mit Ursprung in den ÜLG, sondern auch für Waren, die in diese eingeführt werden, so daß die ÜLG in das gemeinsame Zollgebiet einbezogen würden; dies würde weit über das hinausgehen, was im Vertrag vorgesehen ist.

35 Daraus folgt, daß sich Artikel 133 Absatz 1 nicht auf Einfuhren von Waren bezieht, die ihren Ursprung nicht in den ÜLG haben, sondern sich dort im zollrechtlich freien Verkehr befinden, und daß der Vierte Teil des Vertrages ausserdem für solche Waren keine Sonderregelung vorsieht.

36 Entgegen der Auffassung der Road Air führt diese Auslegung nicht zu einer Aushöhlung des Artikels 134 des Vertrages. Nach Inkrafttreten des Vertrages und bis zur Herstellung des gemeinsamen Zollgebiets konnten auf bestimmte Waren mit Ursprung in Drittländern in einem ÜLG und später in dem Mitgliedstaat, mit dem dieses besondere Beziehungen unterhielt, ermässigte Zölle erhoben werden, oder sie konnten vom Zoll befreit werden. Dies konnte Verkehrsverlagerungen zum Nachteil eines Mitgliedstaats hervorrufen, der dann gemäß Artikel 134 die Kommission hätte anrufen können.

Zur Auslegung von Artikel 136 des Vertrages

37 Artikel 136 sieht in Absatz 1 "einen ersten Zeitabschnitt von fünf Jahren" vor, für den in einem dem Vertrag beigefügten Durchführungsabkommen die Einzelheiten und das Verfahren für die Assoziierung der ÜLG festgelegt werden, und in Absatz 2 "einen neuen Zeitabschnitt", für den der Rat aufgrund der erzielten Ergebnisse und der Grundsätze des Vertrages neue Bestimmungen festlegt.

38 Die Road Air ist der Ansicht, daß der Rat gemäß Artikel 136 Absatz 2 nach dem genannten, dem Vertrag beigefügten Durchführungsabkommen nur einen einzigen Beschluß über die Assoziierung der ÜLG habe erlassen dürfen. Die Praxis des Rates, im Anschluß an den nach Ablauf der Geltungsdauer dieses Durchführungsabkommens erlassenen Beschluß noch weitere Beschlüsse zu erlassen, sei daher vertragswidrig.

39 Zwar ist die Dauer des neuen Zeitabschnitts, für den der Rat die zur Erreichung der Ziele der Assoziation erforderlichen Bestimmungen erlassen kann, in Artikel 136 Absatz 2 nicht genau angegeben, doch räumt diese Vorschrift dem Rat in dieser Hinsicht ein weites Ermessen ein.

40 Die Assoziierung der ÜLG soll in einem dynamischen und allmählichen Prozeß erfolgen, so daß der Erlaß mehrerer Vorschriften erforderlich werden kann, um unter Berücksichtigung der aufgrund der früheren Beschlüsse des Rates erzielten Ergebnisse alle in Artikel 132 des Vertrages genannten Ziele zu erreichen.

41 In Anbetracht dieser Ziele ist Artikel 136 Absatz 2 dahin auszulegen, daß nicht nur ein einziger "neuer Zeitabschnitt" vorgesehen ist, für den der Rat die zur Erreichung der Ziele der Assoziation erforderlichen Bestimmungen erlassen darf, sondern daß ein System geschaffen werden soll, das es dem Rat ermöglicht, nacheinander verschiedene Beschlüsse zu erlassen, die jeweils Bestimmungen "für einen neuen Zeitabschnitt" enthalten.

42 Da die verschiedenen Beschlüsse, die der Rat gemäß dieser Vorschrift erlassen hat, somit gültig waren, ist nunmehr zu bestimmen, welcher Beschluß zum maßgeblichen Zeitpunkt, also am 25. Juni 1991, galt und welche Regelung für Waren mit Ursprung in Drittländern vorgesehen war, die sich in den ÜLG im zollrechtlich freien Verkehr befanden.

Zur Anwendbarkeit des Fünften und des Sechsten Beschlusses

43 Für den zwischen dem 1. März 1990 und dem 30. Juni 1991 liegenden Zeitraum von 16 Monaten galten ab 20. September 1991 sowohl der Fünfte Beschluß als auch der Sechste Beschluß, die jeweils eine unterschiedliche Regelung für Waren mit Ursprung in Drittländern vorsahen, die sich in einem ÜLG im zollrechtlich freien Verkehr befanden.

44 Der Fünfte Beschluß, der durch Artikel 1 des Beschlusses 91/110 bis zum 30. Juni 1991 verlängert worden war, sah nämlich eine Befreiung von Zöllen und Abgaben bei der Einfuhr in die Gemeinschaft nur für Waren mit Ursprung in den ÜLG vor (Artikel 70), die in Anhang II dieses Beschlusses definiert wurden als Waren, die dort vollständig hergestellt oder in ausreichendem Masse verarbeitet worden sind; Waren mit Ursprung in Drittländern waren demnach von der Befreiung ausgeschlossen.

45 Der Sechste Beschluß, der am 20. September 1991 in Kraft getreten ist, gilt gemäß Artikel 240 für einen Zeitraum von zehn Jahren, der am 1. März 1990 beginnt. Er enthält für Waren mit Ursprung in Drittländern, die sich in einem ÜLG im zollrechtlich freien Verkehr befinden, eine günstigere Regelung als der Fünfte Beschluß. Artikel 101 Absatz 2 sieht nämlich für bestimmte Waren eine Zollbefreiung namentlich unter der Voraussetzung vor, daß für sie in dem betreffenden ÜLG Zölle oder Abgaben gleicher Wirkung entrichtet worden sind, die den Zöllen entsprechen oder sie übersteigen, die bei der Einfuhr derselben Erzeugnisse mit Ursprung in Drittländern in der Gemeinschaft anwendbar wären, und daß sie nicht Gegenstand einer vollständigen oder teilweisen Befreiung oder Erstattung waren.

46 Daraus folgt, daß die am 25. Juni 1991 getätigten Einfuhren ab 20. September 1991 dem Sechsten Beschluß unterlagen, der rückwirkend für die seit dem 1. März 1990 getätigten Transaktionen galt.

47 Wie der Generalanwalt in den Nummern 24 bis 43 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist eine solche rückwirkende Geltung zulässig, sofern sie die Rechtsstellung des Betroffenen verbessern kann und sofern sein berechtigtes Vertrauen gebührend beachtet ist.

48 Dabei müssen die Mitgliedstaaten die Zölle oder Abgaben gleicher Wirkung, die bereits in den ÜLG entrichtet wurden, auf die in der Gemeinschaft zu entrichtenden Zölle anrechnen.

49 Auf die Frage des vorlegenden Gerichts ist daher zu antworten, daß die Bestimmungen des Vierten Teils des Vertrages, insbesondere die Artikel 132 Absatz 1, 133 Absatz 1 und 134, dahin auszulegen sind, daß am 25. Juni 1991 bei der Einfuhr von Waren mit Ursprung in Drittländern, die sich in einem ÜLG im zollrechtlich freien Verkehr befanden, in die Gemeinschaft Zölle erhoben werden durften, sofern die in dem betreffenden ÜLG entrichteten Zölle im Sinne von Artikel 101 des Sechsten Beschlusses niedriger waren als die in der Gemeinschaft anwendbaren Zölle.

Kostenentscheidung:

Kosten

50 Die Auslagen der niederländischen und der französischen Regierung sowie des Rates der Europäischen Union und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm von der Tariefcommissie mit Beschluß vom 21. September 1995 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Die Bestimmungen des Vierten Teils des EG-Vertrags, insbesondere die Artikel 132 Absatz 1, 133 Absatz 1 und 134, sind dahin auszulegen, daß am 25. Juni 1991 bei der Einfuhr von Waren mit Ursprung in Drittländern, die sich in einem zu den überseeischen Ländern und Hoheitsgebieten gehörenden Land im zollrechtlich freien Verkehr befanden, in die Gemeinschaft Zölle erhoben werden durften, sofern die in dem betreffenden überseeischen Land oder Hoheitsgebiet entrichteten Zölle im Sinne von Artikel 101 des Beschlusses 91/482/EWG des Rates vom 25. Juli 1991 über die Assoziation der überseeischen Länder und Gebiete mit der EWG niedriger waren als die in der Gemeinschaft anwendbaren Zölle.

Ende der Entscheidung

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