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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 12.02.2004
Aktenzeichen: C-337/01
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften Art. 4
Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften Art. 37
Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften Art. 91 Abs. 1
Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften Art. 101
Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften Art. 110
Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften Art. 183
Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften Art. 203 Abs. 1
Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften Art. 204 Abs. 1
Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der GemeinschaftenArt. 239 Abs. 1
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes (Zweite Kammer) vom 12. Februar 2004. - Hamann International GmbH Spedition + Logistik gegen Hauptzollamt Hamburg-Stadt. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundesfinanzhof - Deutschland. - Zollkodex der Gemeinschaften - Einfuhrzollschuld - Entziehen von Waren aus der zollamtlichen Überwachung. - Rechtssache C-337/01.

Parteien:

In der Rechtssache C-337/01

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 234 EG vom Bundesfinanzhof (Deutschland) in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Hamann International GmbH Spedition + Logistik

gegen

Hauptzollamt Hamburg-Stadt

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 203 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1)

erlässt

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten V. Skouris in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Zweiten Kammer sowie des Richters R. Schintgen (Berichterstatter) und der Richterin N. Colneric,

Generalanwalt: A. Tizzano,

Kanzler: M.-F. Contet, Hauptverwaltungsrätin,

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der Hamann International GmbH Spedition + Logistik, vertreten durch Steuerberaterin M. Zitzmann,

- des Hauptzollamts Hamburg-Stadt, vertreten durch M. Nagel als Bevollmächtigten,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch J.-C. Schieferer als Bevollmächtigten,

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Hamann International GmbH Spedition + Logistik, vertreten durch M. Zitzmann, des Hauptzollamts Hamburg-Stadt, vertreten durch T. Cirener als Bevollmächtigten, sowie der Kommission, vertreten durch J.-C. Schieferer, in der Sitzung vom 5. Februar 2003,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom

12. Juni 2003,

Urteil

Entscheidungsgründe:

1. Der Bundesfinanzhof hat mit Beschluss vom 17. Juli 2001, beim Gerichtshof eingegangen am 10. September 2001, gemäß Artikel 234 EG eine Frage nach der Auslegung von Artikel 203 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 302, S. 1, im Folgenden: Zollkodex) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2. Diese Frage stellt sich im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen der Hamann International GmbH Spedition + Logistik (im Folgenden: Hamann) und dem Hauptzollamt Hamburg-Stadt (im Folgenden: Hauptzollamt) wegen der Erstattung von Einfuhrzöllen und anderen Einfuhrabgaben.

Gemeinschaftsrechtlicher Rahmen

3. Artikel 4 des Zollkodex sieht vor:

Im Sinne dieses Zollkodex ist oder sind

...

13. zollamtliche Überwachung: allgemeine Maßnahmen der Zollbehörden, um die Einhaltung des Zollrechts und gegebenenfalls der sonstigen für Waren unter zollamtlicher Überwachung geltenden Vorschriften zu gewährleisten;

14. zollamtliche Prüfung: besondere Amtshandlungen zur Gewährleistung der Einhaltung des Zollrechts und gegebenenfalls der sonstigen für Waren unter zollamtlicher Überwachung geltenden Vorschriften, wie Beschau der Waren, Überprüfung des Vorhandenseins und der Echtheit von Unterlagen, Prüfung der Unternehmensbuchführung oder sonstiger Schriftstücke, Kontrolle der Beförderungsmittel, Kontrolle des Gepäcks und sonstiger Waren, die von oder an Personen mitgeführt werden, Durchführung von behördlichen Nachforschungen und dergleichen;

15. zollrechtliche Bestimmung einer Ware:

...

c) Wiederausfuhr aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft;

...

16. Zollverfahren:

...

b) Versandverfahren;

c) Zolllagerverfahren;

...

h) Ausfuhrverfahren;

...

4. Artikel 37 des Zollkodex bestimmt:

(1) Waren, die in das Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht werden, unterliegen vom Zeitpunkt des Verbringens an der zollamtlichen Überwachung. Sie können nach dem geltenden Recht zollamtlich geprüft werden.

(2) Sie bleiben so lange unter zollamtlicher Überwachung, wie es für die Ermittlung ihres zollrechtlichen Status erforderlich ist, und, im Fall von Nichtgemeinschaftswaren unbeschadet des Artikels 82 Absatz 1, bis sie ihren zollrechtlichen Status wechseln, in eine Freizone oder ein Freilager verbracht, wiederausgeführt oder nach Artikel 182 vernichtet oder zerstört werden.

5. Nach Artikel 89 Absatz 1 des Zollkodex endet ein Nichterhebungsverfahren mit wirtschaftlicher Bedeutung, wenn die in dieses Verfahren übergeführten Waren oder gegebenenfalls die im Rahmen dieses Verfahrens gewonnenen Veredelungs- oder Umwandlungserzeugnisse eine zulässige neue zollrechtliche Bestimmung erhalten.

6. Artikel 91 Absatz 1 des Zollkodex lautet:

Im externen Versandverfahren können folgende Waren zwischen zwei innerhalb des Zollgebiets der Gemeinschaft gelegenen Orten befördert werden:

a) Nichtgemeinschaftswaren, ohne dass diese Waren Einfuhrabgaben, anderen Abgaben oder handelspolitischen Maßnahmen unterliegen;

...

7. Artikel 101 des Zollkodex sieht vor:

Der Lagerhalter ist dafür verantwortlich, dass

a) die Waren während ihres Verbleibs im Zolllager nicht der zollamtlichen Überwachung entzogen werden,

...

8. Artikel 110 des Zollkodex bestimmt:

Wenn es die Umstände rechtfertigen, können die in das Zolllagerverfahren übergeführten Waren vorübergehend aus dem Zolllager entfernt werden. Das Entfernen bedarf der vorherigen Bewilligung durch die Zollbehörden, die die Einzelheiten dieses Entfernens festlegen.

Außerhalb des Zolllagers können die Waren den in Artikel 109 genannten Behandlungen unter den gleichen Voraussetzungen unterzogen werden.

9. Artikel 183 des Zollkodex lautet:

Waren, die aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft verbracht werden, unterliegen der zollamtlichen Überwachung. Sie können von den Zollbehörden den geltenden Bestimmungen entsprechend kontrolliert werden. Sie müssen das genannte Gebiet gegebenenfalls über den von den Zollbehörden bestimmten Weg nach den von diesen Behörden festgelegten Modalitäten verlassen.

10. Artikel 203 Absätze 1 und 2 des Zollkodex sieht vor:

(1) Eine Einfuhrzollschuld entsteht,

- wenn eine einfuhrabgabenpflichtige Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird.

(2) Die Zollschuld entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird.

11. Artikel 204 Absatz 1 des Zollkodex bestimmt:

Eine Einfuhrzollschuld entsteht, wenn in anderen als den in Artikel 203 genannten Fällen

a) eine der Pflichten nicht erfuellt wird, die sich bei einer einfuhrabgabenpflichtigen Ware aus deren vorübergehender Verwahrung oder aus der Inanspruchnahme des Zollverfahrens, in das sie übergeführt worden ist, ergeben,

oder

b) eine der Voraussetzungen für die Überführung einer Ware in das betreffende Verfahren oder für die Gewährung eines ermäßigten Einfuhrabgabensatzes oder einer Einfuhrabgabenfreiheit aufgrund der Verwendung der Ware zu besonderen Zwecken nicht erfuellt wird,

es sei denn, dass sich diese Verfehlungen nachweislich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben.

12. Artikel 239 Absatz 1 des Zollkodex lautet:

Einfuhr- oder Ausfuhrabgaben können in anderen als den in den Artikeln 236, 237 und 238 genannten Fällen erstattet oder erlassen werden; diese Fälle

- werden nach dem Ausschussverfahren festgelegt;

- ergeben sich aus Umständen, die nicht auf betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten zurückzuführen sind. Nach dem Ausschussverfahren wird festgelegt, in welchen Fällen diese Bestimmung angewandt werden kann und welche Verfahrensvorschriften dabei zu beachten sind. Die Erstattung oder der Erlass kann von besonderen Voraussetzungen abhängig gemacht werden.

13. Artikel 859 der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 der Kommission vom 2. Juli 1993 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften (ABl. L 253, S. 1, im Folgenden: Durchführungsverordnung) sieht vor:

Folgende Verfehlungen gelten im Sinne des Artikels 204 Absatz 1 des Zollkodex als Verfehlungen, die sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung der vorübergehenden Verwahrung oder des betreffenden Zollverfahrens nicht wirklich ausgewirkt haben, sofern

- es sich nicht um den Versuch handelt, die Waren der zollamtlichen Überwachung zu entziehen;

- keine grobe Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt;

- alle notwendigen Förmlichkeiten erfuellt werden, um die Situation der Waren zu bereinigen:

...

5) im Falle einer Ware in vorübergehender Verwahrung oder in einem Zollverfahren deren nicht bewilligter Ortswechsel, sofern die Ware den Zollbehörden auf Verlangen vorgeführt werden kann;

...

14. Artikel 860 der Durchführungsverordnung bestimmt:

Die Zollbehörden betrachten eine Zollschuld als im Sinne des Artikels 204 Absatz 1 des Zollkodex entstanden, es sei denn, der vermutliche Zollschuldner weist nach, dass die Voraussetzungen des Artikels 859 erfuellt sind.

15. Die in Artikel 239 Absatz 1 des Zollkodex erwähnten Fälle sind in Teil IV Titel IV der Durchführungsverordnung in Kapitel 3 Besondere Vorschriften zur Durchführung des Artikels 239 des Zollkodex näher geregelt, das die Artikel 899 bis 909 der Verordnung umfasst.

16. Artikel 899 dieser Verordnung lautet:

Wenn die Entscheidungszollbehörde, bei der ein Antrag nach Artikel 239 Absatz 2 des Zollkodex gestellt worden ist, unbeschadet anderer Umstände, die im Rahmen des in Artikel 905 bis 909 vorgesehenen Verfahrens von Fall zu Fall zu beurteilen sind, feststellt,

- dass die für diesen Antrag vorgebrachten Gründe einen der in Artikel 900 bis 903 beschriebenen Tatbestände erfuellen und keine betrügerische Absicht oder offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, so erstattet oder erlässt sie die betreffenden Einfuhrabgaben.

Als Beteiligter gilt die Person im Sinne von Artikel 878 Absatz 1 sowie gegebenenfalls jede andere Person, die bei der Erledigung der Zollförmlichkeiten für die betreffenden Waren tätig geworden ist oder die die für die Erledigung dieser Förmlichkeiten erforderlichen Anweisungen gegeben hat;

- dass die für diesen Antrag vorgebrachten Gründe einen der in Artikel 904 beschriebenen Tatbestände erfuellen, so lehnt sie die Erstattung oder den Erlass der Einfuhrabgaben ab.

17. Artikel 900 Absatz 1 Buchstabe a der Durchführungsverordnung sieht vor:

Die Einfuhrabgaben werden erstattet oder erlassen, wenn

a) Nichtgemeinschaftswaren, die sich in einem Zollverfahren mit vollständiger oder teilweiser Befreiung von den Einfuhrabgaben befinden, sowie Waren, die aufgrund ihrer Verwendung zu besonderen Zwecken im Rahmen einer Abgabenbegünstigung in den zollrechtlich freien Verkehr übergeführt worden sind, gestohlen worden sind, sofern diese Waren kurzfristig wieder gefunden und in dem Zustand, in dem sie sich zum Zeitpunkt des Diebstahls befanden, wieder ihren ursprünglichen zollrechtlichen Status erhalten.

18. Artikel 905 dieser Verordnung regelt, wie die Zollbehörde den Fall des Beteiligten, der keinem der in den Artikeln 900 bis 904 der Verordnung genannten Fälle entspricht, zu beurteilen hat. Absatz 1 dieses Artikels lautet:

Ist die Entscheidungszollbehörde, bei der ein Antrag auf Erstattung oder Erlass nach Artikel 239 Absatz 2 des Zollkodex gestellt worden ist, nicht in der Lage, nach Artikel 899 zu entscheiden, und lässt die Begründung des Antrags auf einen besonderen Fall schließen, der sich aus Umständen ergibt, bei denen weder eine betrügerische Absicht noch eine offensichtliche Fahrlässigkeit des Beteiligten vorliegt, so legt der Mitgliedstaat, zu dem diese Behörde gehört, den Fall der Kommission zur Behandlung nach dem Verfahren der Artikel 906 bis 909 vor.

Der Begriff Beteiligte ist in gleicher Weise wie in Artikel 899 auszulegen.

In allen anderen Fällen lehnt die Entscheidungszollbehörde den Antrag ab.

19. Artikel 512 der Durchführungsverordnung in der Fassung der Verordnung (EG) Nr. 993/2001 der Kommission vom 4. Mai 2001 (ABl. L 141, S. 1), der auf den Ausgangsrechtsstreit nicht anwendbar ist, sieht vor:

(1) Die Beförderung zwischen zwei in derselben Bewilligung bezeichneten Orten kann ohne Zollförmlichkeiten durchgeführt werden.

(2) Die Beförderung von der Zollstelle für die Überführung in das Verfahren zum Betrieb des Inhabers oder Wirtschaftsbeteiligten oder zum Ort ihrer Verwendung kann mit der Zollanmeldung zur Überführung in das Verfahren durchgeführt werden.

(3) Die Beförderung zur Ausgangszollstelle im Hinblick auf die Wiederausfuhr ist im Rahmen des Verfahrens möglich. In diesem Fall ist das Verfahren erst beendet, nachdem die zur Wiederausfuhr angemeldeten Waren das Zollgebiet der Gemeinschaft tatsächlich verlassen haben.

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

20. Mit Steuerbescheid vom 5. März 1996 setzte das Hauptzollamt gegen das Unternehmen, dessen Rechtsnachfolgerin Hamann ist, Zoll in Höhe von 6 283,30 DEM und andere Einfuhrabgaben in Höhe von 4 488,08 DEM mit der Begründung fest, dass die Entnahme von aus Kanada eingeführten und in das Zolllagerverfahren übergeführten Waren aus dem Zolllager den Zollbehörden nicht mitgeteilt worden sei.

21. Am 7. März 1997 beantragte Hamann die Erstattung dieser Beträge und fügte ihrem Antrag beglaubigte Fotokopien der Belege über die Zahlung dieser Zölle bei. Am 23. April 1997 reichte sie weitere Unterlagen zu den betreffenden Waren ein und wies das Hauptzollamt darauf hin, dass eine Reihe dieser Waren bei ihrer Ausfuhr aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft von einer Lagerabmeldung begleitet gewesen seien.

22. Mit Bescheid vom 30. April 1997 lehnte das Hauptzollamt den Erstattungsantrag mit der Begründung ab, dass die betreffenden Waren der zollamtlichen Überwachung wenigstens vorübergehend entzogen worden seien, weil sie nicht zum externen Versandverfahren abgefertigt worden seien, das für die Beförderung der Waren zwischen der Ausfuhr- und der Ausgangszollstelle zwingend vorgeschrieben sei.

23. Nach erfolglosem Einspruch hiergegen erhob Hamann Klage vor dem Finanzgericht Hamburg (Deutschland). Vor diesem Gericht trug sie u. a. vor: Die Zolllagerabmeldung für die erste Warenpartie sei am 26. bzw. 30. Oktober 1995 erstellt worden, die zweite Partie sei am 27. November 1995 ausgelagert worden, die entsprechenden Ausfuhranmeldungen seien vorgelegt worden, und das externe Versandverfahren sei für die erste Warenpartie in Padborg (Dänemark) und für die zweite Partie an der deutsch-polnischen Grenze eröffnet worden.

24. Am 14. September 2000 wies das Finanzgericht die Klage mit der Begründung ab, die Zollschuld sei gemäß Artikel 203 Absatz 1 des Zollkodex durch Entziehung der Waren aus der zollamtlichen Überwachung entstanden, weil die Waren aus dem Zolllager entfernt worden seien, ohne dass für die fortlaufende Überwachung durch Eröffnung eines externen Versandverfahrens Sorge getragen worden sei. Im Übrigen habe Artikel 203 des Zollkodex Vorrang gegenüber Artikel 204 dieses Kodex, so dass Letzterer nicht anwendbar sei.

25. Hamann legte hiergegen Revision zum Bundesfinanzhof ein und machte geltend, das Finanzgericht habe die Zollschuld zu Unrecht aus Artikel 203 des Zollkodex statt aus Artikel 204 dieses Kodex hergeleitet. Ein weiterer Fehler bestehe darin, dass es eine Vorrangstellung des Artikels 203 des Zollkodex gegenüber dessen Artikel 204 angenommen habe. Aus Artikel 204 des Zollkodex in Verbindung mit Artikel 859 Nummer 5 der Durchführungsverordnung ergebe sich, dass in einem Fall wie dem streitigen eine Zollschuld nicht entstanden sei. Die Ausfuhr der Waren ohne Eröffnung eines externen Versandverfahrens sei kein Entziehen aus der zollamtlichen Überwachung und auch nicht der Versuch einer solchen Entziehung, sondern lediglich ein Arbeitsfehler, der sich auf die ordnungsgemäße Abwicklung des Zolllagerverfahrens nicht wirklich ausgewirkt habe.

26. Da der Bundesfinanzhof die Auslegung der Gemeinschaftsregelung für entscheidungserheblich hält, hat er beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen:

Ist ein Entziehen der aus dem Zolllager wieder ausgeführten Drittlandswaren mit der Folge der Entstehung einer Zollschuld nach Artikel 203 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 allein darin zu sehen, dass die zur Wiederausfuhr aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft bestimmten Waren nicht im unmittelbaren Anschluss an ihre Entfernung aus dem Zolllager zum externen Versandverfahren abgefertigt worden sind?

Zur Vorlagefrage

27. Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Wesentlichen wissen, ob Artikel 203 Absatz 1 des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass in das Zolllager übergeführte und zur Wiederausfuhr aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft bestimmte Nichtgemeinschaftswaren der zollamtlichen Überwachung im Sinne dieser Bestimmung entzogen worden sind, wenn sie vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 993/2001 ohne vorherige Abfertigung zum externen Versandverfahren aus dem Zolllager entfernt und von dort zur Ausgangszollstelle befördert worden sind.

28. Zur Beantwortung der auch auf diese Weise umformulierten Frage ist zunächst der Hinweis angebracht, dass die Artikel 203 und 204 des Zollkodex einen unterschiedlichen Anwendungsbereich haben. Während der erstgenannte Artikel die Handlungen betrifft, die dazu führen, dass die Ware der zollamtlichen Überwachung entzogen wird, bezieht sich der Zweitgenannte auf Pflichtverletzungen und die Nichterfuellung von Voraussetzungen im Zusammenhang mit den verschiedenen Zollverfahren, die sich auf die zollamtliche Überwachung nicht ausgewirkt haben.

29. Artikel 204 des Zollkodex findet nach seinem Wortlaut nur in den Fällen Anwendung, die nicht unter Artikel 203 dieses Kodex fallen.

30. Um entscheiden zu können, welcher dieser beiden Artikel die Grundlage für die Entstehung einer Einfuhrzollschuld ist, ist daher in erster Linie zu prüfen, ob die betreffenden Handlungen eine Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung im Sinne von Artikel 203 Absatz 1 des Zollkodex darstellen. Nur wenn dies zu verneinen ist, kann eine Anwendung von Artikel 204 des Zollkodex in Betracht kommen.

31. Im Einzelnen ist zu dem Begriff der Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung in Artikel 203 Absatz 1 des Zollkodex zu bemerken, dass dieser Begriff nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes so zu verstehen ist, dass er jede Handlung oder Unterlassung umfasst, die dazu führt, dass die zuständige Zollbehörde auch nur zeitweise am Zugang zu einer unter zollamtlicher Überwachung stehenden Ware und der Durchführung der in Artikel 37 Absatz 1 des Zollkodex vorgesehenen Prüfungen gehindert wird (Urteile vom 1. Februar 2001 in der Rechtssache C-66/99, D. Wandel, Slg. 2001, I-873, Randnr. 47, und vom 11. Juli 2002 in der Rechtssache C-371/99, Liberexim, Slg. 2002, I-6277, Randnr. 55).

32. Aufgrund dieser Auslegung ist daher festzustellen, dass in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens, in dem die Zollbehörden, wie der Bundesfinanzhof in seinem Vorlagebeschluss ausgeführt hat, nicht in der Lage sind, die zollamtliche Überwachung zwischen dem Zeitpunkt der Entnahme der Waren aus dem Zolllager und dem Zeitpunkt ihrer Gestellung bei der Ausgangszollstelle sicherzustellen, der Tatbestand der Entziehung aus der zollamtlichen Überwachung im Sinne von Artikel 203 Absatz 1 des Zollkodex erfuellt ist.

33. Hinzuzufügen ist zum einen, dass diese Feststellung auch nicht dadurch entkräftet wird, dass Artikel 512 der Durchführungsverordnung in der Fassung der Verordnung Nr. 993/2001 nicht mehr die Verpflichtung enthält, Waren wie die des Ausgangsverfahrens bei ihrer Beförderung zur Ausgangszollstelle zum externen Versandverfahren abzufertigen, denn diese Bestimmung, die nicht rückwirkend gilt, ist erst nach den Handlungen in Kraft getreten, die dem Ausgangsrechtsstreit zugrunde liegen.

34. Zum anderen ist zu bemerken, dass auch der wirtschaftliche Charakter der Einfuhrabgaben nicht dagegen spricht, dass eine Zollschuld in einem Fall wie dem des Ausgangsverfahrens auf der Grundlage von Artikel 203 Absatz 1 des Zollkodex entsteht. Artikel 239 dieses Kodex sieht nämlich, wie die Kommission ausgeführt hat, unter bestimmten Voraussetzungen die Erstattung oder den Erlass der gesetzlich geschuldeten Abgaben vor.

35. Im Ausgangsverfahren hat das vorlegende Gericht zu prüfen, ob die Voraussetzungen einer Erstattung der streitigen Abgaben gemäß Artikel 239 des Zollkodex erfuellt sind.

36. Nach alledem ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, dass Artikel 203 Absatz 1 des Zollkodex dahin auszulegen ist, dass in das Zolllagerverfahren übergeführte und zur Wiederausfuhr aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft bestimmte Nichtgemeinschaftswaren der zollamtlichen Überwachung im Sinne der genannten Bestimmung entzogen worden sind, wenn sie vor dem Inkrafttreten der Verordnung Nr. 993/2001 ohne vorherige Abfertigung zum externen Versandverfahren aus dem Zolllager entfernt und von dort zur Ausgangszollstelle befördert worden sind und die Zollbehörden, sei es auch nur zeitweise, nicht in der Lage gewesen sind, die zollamtliche Überwachung dieser Waren sicherzustellen.

Kostenentscheidung:

Kosten

37. Die Auslagen der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

hat

DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)

auf die ihm vom Bundesfinanzhof mit Beschluss vom 17. Juli 2001 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 203 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2913/92 des Rates vom 12. Oktober 1992 zur Festlegung des Zollkodex der Gemeinschaften ist dahin auszulegen, dass in das Zolllager übergeführte und zur Wiederausfuhr aus dem Zollgebiet der Gemeinschaft bestimmte Nichtgemeinschaftswaren der zollamtlichen Überwachung im Sinne der genannten Bestimmung entzogen worden sind, wenn sie vor dem Inkrafttreten der Verordnung (EG) Nr. 993/2001 der Kommission vom 4. Mai 2001 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 2454/93 mit Durchführungsvorschriften zu der Verordnung Nr. 2913/92 ohne vorherige Abfertigung zum externen Versandverfahren aus dem Zolllager entfernt und von dort zur Ausgangszollstelle befördert worden sind und die Zollbehörden, sei es auch nur zeitweise, nicht imstande gewesen sind, die zollamtliche Überwachung dieser Waren sicherzustellen.

Ende der Entscheidung

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