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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 23.03.1995
Aktenzeichen: C-365/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Richtlinie 89/48/EWG vom 21.12.1988


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 169
Richtlinie 89/48/EWG vom 21.12.1988 Art. 12 Abs.1
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Obwohl die Umsetzung einer Richtlinie nicht notwendig in jedem Mitgliedstaat ein Tätigwerden des Gesetzgebers verlangt, ist es unerläßlich, daß das fragliche nationale Recht tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie durch die nationalen Behörden gewährleistet, daß die sich aus diesem Recht ergebende Rechtslage hinreichend bestimmt und klar ist und daß die Begünstigten in die Lage versetzt werden, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen; die letzte Voraussetzung ist besonders wichtig, wenn die Richtlinie wie im vorliegenden Fall darauf abzielt, den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten Ansprüche zu verleihen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 23. MAERZ 1995. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN REPUBLIK GRIECHENLAND. - VERTRAGSVERLETZUNG - RICHTLINIE 89/48/EWG - ANERKENNUNG DER HOCHSCHULDIPLOME, DIE EINE MINDESTENS DREIJAEHRIGE BERUFSAUSBILDUNG ABSCHLIESSEN. - RECHTSSACHE C-365/93.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 27. Juli 1993 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Griechische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, indem sie es unterlassen hat, innerhalb der vorgeschriebenen Frist die Rechts- und Verwaltungsvorschriften, die erforderlich sind, um der Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen (ABl. 1989, L 19, S. 16, im folgenden: Richtlinie), vollständig nachzukommen, zu erlassen und der Kommission mitzuteilen.

2 Gegenstand der Richtlinie ist insbesondere die Einführung einer allgemeinen Regelung zur Anerkennung der Diplome in allen Mitgliedstaaten. Nach Artikel 12 Absatz 1 haben die Mitgliedstaaten die erforderlichen Maßnahmen zu treffen, um der Richtlinie binnen zwei Jahren nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen, und die Kommission unverzueglich davon in Kenntnis zu setzen. Diese Frist ist am 4. Januar 1991 abgelaufen.

3 Da die Kommission keine Mitteilung über die Maßnahmen zur Umsetzung der Richtlinie erhalten hatte und über keine anderen Informationen verfügte, denen sie hätte entnehmen können, daß die Griechische Republik die in der Richtlinie festgelegten Verpflichtungen erfuellt hatte, war sie der Auffassung, daß diese gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 12 Absatz 1 der Richtlinie verstossen hatte. Deshalb übersandte sie ihr ein Aufforderungsschreiben und sodann eine mit Gründen versehene Stellungnahme gemäß Artikel 169 des Vertrages. Nachdem die Griechische Republik dieser mit Gründen versehenen Stellungnahme nicht nachgekommen war, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.

4 Die Kommission räumt ein, daß die Griechische Republik ihr am 1. Februar 1993, d. h. nach Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme festgesetzten Frist, eine Verordnung übermittelt hat, die der Wirtschaftsminister und der Minister für Gesundheit, Vorsorge und soziale Sicherheit am 24. Juli 1992 gemeinsam erlassen hatten und die die Richtlinie teilweise umsetzt, jedoch nur für die Berufe im Gesundheitswesen und im Bereich der Vorsorge. Die Kommission ist deshalb der Ansicht, daß die Umsetzung der Richtlinie nur teilweise erfolgt sei und nicht ausreiche, um die beanstandete Vertragsverletzung zu beseitigen.

5 Die griechische Regierung entgegnet auf die Klage zunächst, dem Präsidenten der Republik sei der Entwurf eines Präsidialdekrets zur Unterschrift vorgelegt worden, das die vollständige Umsetzung der Richtlinie in die interne Rechtsordnung bezwecke. Des weiteren sei die Richtlinie für die Berufe im Gesundheitswesen, für die Rechtsanwälte und für die Unternehmensrevisoren bereits durch drei verschiedene Präsidialdekrete umgesetzt worden. Schließlich seien auch schon andere Maßnahmen erlassen worden, die eine ausreichende Anwendung der Vorschriften der Richtlinie sicherstellten. Der Koordinator und sein Stellvertreter im Sinne des Artikels 9 Absatz 2 der Richtlinie seien vom Minister für nationale Erziehung und Kultusfragen benannt worden. Dieser Minister habe im übrigen die Stellen benannt, die gemäß Artikel 9 Absatz 3 der Richtlinie die erforderlichen Auskünfte über die Anerkennung der Diplome zur Verfügung zu stellen hätten. Obwohl die in Artikel 9 Absatz 1 der Richtlinie genannten zuständigen Behörden noch nicht bezeichnet worden seien, ermöglichten die bestehenden Verfahren und Dienststellen gegebenenfalls die wirksame Behandlung aller Anträge von Angehörigen der anderen Mitgliedstaaten.

6 Zunächst ist festzustellen, daß die griechische Regierung bei Ablauf der in der mit Gründen versehenen Stellungnahme festgesetzten Frist nicht alle zur vollständigen Umsetzung der Richtlinie erforderlichen Maßnahmen erlassen hat.

7 Die Kommission bestreitet nicht, daß die aufgrund der Richtlinie für bestimmte Berufszweige erlassenen Präsidialdekrete eine teilweise Umsetzung der Richtlinie darstellen und daß den Verfahrenserfordernissen durch die Benennung eines Koordinators im Sinne des Artikels 9 Absatz 2 und einer Informationsstelle im Sinne des Artikels 9 Absatz 3 der Richtlinie Genüge getan ist. Die Richtlinie ist jedoch immer noch nicht für alle von ihr erfassten Berufszweige umgesetzt worden.

8 Dem Vorbringen, die bestehenden Verfahren und Stellen seien geeignet, die Anforderungen des Artikels 9 Absatz 1 der Richtlinie zu erfuellen, kann nicht gefolgt werden.

9 Nach der Rechtsprechung (vgl. Urteil vom 23. Mai 1985 in der Rechtssache 29/84, Kommission/Deutschland, Slg. 1985, 1661, Randnr. 23) verlangt die Umsetzung einer Richtlinie zwar nicht notwendig in jedem Mitgliedstaat ein Tätigwerden des Gesetzgebers, doch ist es unerläßlich, daß das fragliche nationale Recht tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie durch die nationalen Behörden gewährleistet, daß die sich aus diesem Recht ergebende Rechtslage hinreichend bestimmt und klar ist und daß die Begünstigten in die Lage versetzt werden, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen. Die letzte Voraussetzung ist besonders wichtig, wenn die Richtlinie wie im vorliegenden Fall darauf abzielt, den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten Ansprüche zu verleihen.

10 Im vorliegenden Fall hat die griechische Regierung jedoch nicht den Nachweis erbracht, daß das griechische Recht nach seinem jetzigen Stand diese Voraussetzungen erfuellt. Insbesondere hat sie nicht erklärt, ob und auf welcher Grundlage die bestehenden Stellen rechtlich beauftragt worden sind, die sich aus der Richtlinie ergebenden neuen Zuständigkeiten wahrzunehmen. Im übrigen erkennt sie durch ihr Vorbringen, daß die zuständigen Stellen im Sinne des Artikels 9 Absatz 1 "noch" nicht benannt worden seien, stillschweigend, aber zwangsläufig an, daß die Richtlinie in diesem Bereich nicht vollständig umgesetzt ist.

11 Da die Richtlinie nicht innerhalb der in Artikel 12 der Richtlinie festgesetzten Frist vollständig umgesetzt worden ist, ist die insoweit von der Kommission gerügte Vertragsverletzung festzustellen.

12 Dagegen hat der Gerichtshof entgegen dem Antrag der Kommission nicht zu berücksichtigen, daß keine Mitteilung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften erfolgt ist, die hätten erlassen werden müssen, um der Richtlinie nachzukommen, da die Griechische Republik gerade nicht alle diese Vorschriften innerhalb der festgesetzten Frist erlassen hat (vgl. Urteil vom 18. Mai 1994 in der Rechtssache C-303/93, Kommission/Italien, Slg. 1994, I-1901, Randnr. 6).

13 Deshalb ist festzustellen, daß die Griechische Republik gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, indem sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um der Richtlinie 89/48 vollständig nachzukommen. Im übrigen ist die Klage abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

14 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung hat die unterliegende Partei die Kosten zu tragen. Da die Beklagte mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, ist sie zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Griechische Republik hat gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen, indem sie nicht innerhalb der vorgeschriebenen Frist die erforderlichen Rechts- und Verwaltungsvorschriften erlassen hat, um der Richtlinie 89/48/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 über eine allgemeine Regelung zur Anerkennung der Hochschuldiplome, die eine mindestens dreijährige Berufsausbildung abschließen, vollständig nachzukommen.

2) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3) Die Griechische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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