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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 24.10.2002
Aktenzeichen: C-455/00
Rechtsgebiete: Richtlinie 90/270/EWG, Richtlinie 89/391/EWG, DPR Nr. 547/55


Vorschriften:

Richtlinie 90/270/EWG Art. 9 Abs. 3
Richtlinie 89/391/EWG Art. 16 Abs. 1
DPR Nr. 547/55 Art. 377
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 24. Oktober 2002. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Artikel 9 Absatz 3 der Richtlinie 90/270/EWG - Schutz der Augen und des Sehvermögens der Arbeitnehmer - Spezielle Sehhilfen für die betreffende Arbeit - Unvollständige Umsetzung. - Rechtssache C-455/00.

Parteien:

In der Rechtssache C-455/00

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A. Aresu als Bevollmächtigten, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

Klägerin,

gegen

Italienische Republik, vertreten durch U. Leanza als Bevollmächtigten im Beistand von D. Del Gaizo, avvocato dello Stato, Zustellungsanschrift in Luxemburg,

eklagte,

wegen Feststellung, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 9 Absätze 1 bis 3 der Richtlinie 90/270/EWG des Rates vom 29. Mai 1990 über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (Fünfte Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. L 156, S. 14) verstoßen hat, dass sie

- keine regelmäßigen Untersuchungen der Augen und des Sehvermögens aller Arbeitnehmer, die Bildschirmgeräte im Sinne des Artikels 2 Buchstabe c dieser Richtlinie benutzen, gewährleistet,

- keine zusätzliche augenärztliche Untersuchung in all den Fällen sicherstellt, in denen sich eine solche aufgrund der Ergebnisse der regelmäßigen Untersuchungen der Augen und des Sehvermögens als erforderlich erweist,

- nicht die Voraussetzungen festgelegt hat, unter denen den betroffenen Arbeitnehmern spezielle Sehhilfen nach Maßgabe der ausgeübten Arbeit zur Verfügung zu stellen sind.

erlässt

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten R. Schintgen in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Sechsten Kammer, des Richters V. Skouris, der Richterinnen F. Macken und N. Colneric (Berichterstatterin) sowie des Richters J. N. Cunha Rodrigues,

Generalanwalt: D. Ruíz-Jarabo Colomer

Kanzler: R. Grass

aufgrund des Berichts der Berichterstatterin,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 21. März 2002,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 13. Dezember 2000 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 226 Absatz 2 EG Klage erhoben auf Feststellung, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 9 Absätze 1 bis 3 der Richtlinie 90/270/EWG des Rates vom 29. Mai 1990 über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (Fünfte Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) (ABl. L 156, S. 14) verstoßen hat, dass sie

- keine regelmäßigen Untersuchungen der Augen und des Sehvermögens aller Arbeitnehmer, die Bildschirmgeräte im Sinne des Artikels 2 Buchstabe c dieser Richtlinie benutzen, gewährleistet,

- keine zusätzliche augenärztliche Untersuchung in all den Fällen sicherstellt, in denen sich eine solche aufgrund der Ergebnisse der regelmäßigen Untersuchungen der Augen und des Sehvermögens als erforderlich erweist,

- nicht die Voraussetzungen festgelegt hat, unter denen den betroffenen Arbeitnehmern spezielle Sehhilfen nach Maßgabe der ausgeübten Arbeit zur Verfügung zu stellen sind.

Rechtlicher Rahmen

Gemeinschaftsrecht

2 Nach Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG des Rates vom 12. Juni 1989 über die Durchführung von Maßnahmen zur Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer bei der Arbeit (ABl. L 183, S. 1) erlässt der Rat auf der Grundlage eines auf Artikel 118a des Vertrages beruhenden Vorschlags der Kommission Einzelrichtlinien, unter anderem für die im Anhang aufgeführten Bereiche". Der Anhang der Richtlinie 89/391 erfasst u. a. Arbeiten mit Bildschirmgeräten".

3 Artikel 9 Absätze 1 bis 4 der Richtlinie 90/270, der die Überschrift Schutz der Augen und des Sehvermögens der Arbeitnehmer" trägt, sieht vor:

(1) Die Arbeitnehmer haben das Recht auf eine angemessene Untersuchung der Augen und des Sehvermögens durch eine Person mit entsprechender Qualifikation, und zwar:

- vor Aufnahme der Bildschirmarbeit,

- anschließend regelmäßig und

- bei Auftreten von Sehbeschwerden, die auf die Bildschirmarbeit zurückgeführt werden können.

(2) Die Arbeitnehmer haben das Recht auf eine augenärztliche Untersuchung, wenn sich dies aufgrund der Ergebnisse der Untersuchung gemäß Absatz 1 als erforderlich erweist.

(3) Den Arbeitnehmern sind spezielle Sehhilfen für die betreffende Arbeit zur Verfügung zu stellen, wenn die Ergebnisse der Untersuchung gemäß Absatz 1 oder der Untersuchung gemäß Absatz 2 ergeben, dass sie notwendig sind und normale Sehhilfen nicht verwendet werden können.

(4) Die gemäß diesem Artikel getroffenen Maßnahmen dürfen in keinem Fall zu einer finanziellen Mehrbelastung der Arbeitnehmer führen."

Italienisches Recht

4 Artikel 377 des Dekrets Nr. 547 des Präsidenten der Republik vom 27. April 1955 (Supplemento ordinario zu GURI Nr. 158 vom 12. Juli 1955, nachfolgend: DPR Nr. 547/55) lautet:

Der Arbeitgeber ist verpflichtet, dem Arbeitnehmer geeignete persönliche Vorrichtungen zum Schutz vor den Gefahren zur Verfügung zu stellen, die mit den ausgeübten Tätigkeiten verbunden sind."

5 Gemäß Artikel 16 Absatz 2 des Decreto legislativo Nr. 626 vom 19. September 1994 zur Umsetzung der Richtlinien 89/391/EWG, 89/654/EWG, 89/655/EWG, 89/656/EWG, 90/269/EWG, 90/270/EWG, 90/394/EWG und 90/679/EWG betreffend die Verbesserung der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes der Arbeitnehmer am Arbeitsplatz (Supplemento ordinario Nr. 141 zu GURI Nr. 265 vom 12. November 1994) in der durch das Decreto legislativo Nr. 242 vom 19. März 1996 (Supplemento ordinario Nr. 75 zu GURI Nr. 104 vom 6. Mai 1996) geänderten Fassung (nachfolgend: Decreto legislativo Nr. 626/94) erfolgt die Gesundheitsüberwachung durch den zuständigen Arzt und umfasst:

a) vorbeugende Untersuchungen zur Feststellung des Fehlens von Gegenanzeigen in Bezug auf die für die Arbeitnehmer vorgesehene Verwendung, damit ihre Eignung für die spezifische Aufgabe beurteilt werden kann;

b) regelmäßige Überprüfungen zur Kontrolle des Gesundheitszustands der Arbeitnehmer und zur Beurteilung ihrer Eignung für die spezifische Aufgabe."

6 Nach Artikel 41 des Decreto legislativo Nr. 626/94, der sich im Abschnitt IV, Verwendung der persönlichen Schutzausrüstungen", befindet, sind die persönlichen Schutzausrüstungen (nachfolgend: PSA) zu verwenden, wenn die Gefahren nicht durch technische Sicherheitsvorkehrungen, kollektive Schutzvorrichtungen oder Maßnahmen, Methoden oder Verfahren der Arbeitsorganisation vermieden oder hinreichend vermindert werden können".

7 Die Artikel 43 und 44 des Decreto legislativo Nr. 626/94, die sich ebenfalls im Abschnitt IV befinden, bestimmen:

Artikel 43

Pflichten des Arbeitgebers

(1) Zum Zweck der Auswahl der PSA ist der Arbeitgeber verpflichtet,

a) zu prüfen, welche Gefahren nicht auf andere Weise vermieden werden können, und sie zu bewerten;

b) festzulegen, welche Eigenschaften die PSA aufweisen müssen, um den Gefahren gemäß Buchstabe a zu begegnen, wobei auch die Gefahren zu berücksichtigen sind, die gegebenenfalls von den PSA selbst ausgehen;

c) auf der Grundlage der Angaben des Herstellers zu den PSA und der Verwendungsvorschriften in Artikel 45 zu beurteilen, über welche Eigenschaften die auf dem Markt erhältlichen PSA verfügen, und sie mit den gemäß Buchstabe b festgelegten Eigenschaften zu vergleichen;

d) seine Auswahl anzupassen, sobald eine wesentliche Änderung der Umstände eintritt, die der Beurteilung zugrunde liegen.

(2) Der Arbeitgeber legt ebenfalls auf der Grundlage der Verwendungsvorschriften in Artikel 45 fest, unter welchen Voraussetzungen und insbesondere wie lange eine PSA zu verwenden ist, und zwar aufgrund folgender Kriterien:

a) Ausmaß der Gefahr;

b) Häufigkeit, mit der der Arbeitnehmer der Gefahr ausgesetzt ist;

c) Merkmale des Arbeitsplatzes des jeweiligen Arbeitnehmers;

d) Leistungsfähigkeit der PSA.

(3) Der Arbeitgeber stellt dem Arbeitnehmer die PSA unter Beachtung des Artikels 42 und des in Artikel 45 Absatz 2 genannten Dekrets zur Verfügung.

(4) Der Arbeitgeber ist verpflichtet,

a) die Funktionsfähigkeit der PSA aufrecht zu erhalten und hygienische Verhältnisse sicherzustellen, indem er für den Unterhalt sorgt, die Reparaturen übernimmt und den notwendigen Ersatz beschafft;

b) darauf zu achten, dass die PSA von besonderen Ausnahmefällen abgesehen nur zu den vorgesehenen Zwecken und entsprechend den Angaben des Herstellers verwendet werden;

c) für die Arbeitnehmer verständliche Anweisungen bereitzustellen;

d) jedem Arbeitnehmer eine eigene PSA zur Verfügung zu stellen und, wenn die Umstände die Verwendung derselben PSA durch mehrere Personen erfordern, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, damit diese Verwendung keine gesundheitlichen oder hygienischen Probleme für die verschiedenen Benutzer schafft;

e) den Arbeitnehmer vorab über die Gefahren zu informieren, vor denen die PSA ihn schützt;

f) im Unternehmen oder im Betrieb geeignete Hinweise für jede PSA zur Verfügung zu stellen;

g) für eine angemessene Schulung zu sorgen und erforderlichenfalls spezielle praktische Kurse über die ordnungsgemäße Verwendung der PSA in der Praxis zu organisieren.

(5) Praktische Kurse sind zwingend,

a) für alle PSA, die nach dem Decreto legislativo Nr. 475 vom 4. Dezember 1992 zur dritten Kategorie gehören;

b) für Ausrüstungen zum Schutz des Gehörs.

Artikel 44

Pflichten der Arbeitnehmer

(1) Die Arbeitnehmer nehmen am Programm der Schulungen und praktischen Kurse teil, das der Arbeitgeber in den gemäß Artikel 43 Absatz 4 Buchstabe g und Absatz 5 für erforderlich befundenen Fällen organisiert.

(2) Die Arbeitnehmer verwenden die ihnen zur Verfügung gestellten PSA entsprechend den erhaltenen Angaben und Schulungen sowie den gegebenenfalls organisierten praktischen Kursen.

(3) Die Arbeitnehmer sind verpflichtet,

a) die ihnen zur Verfügung gestellten PSA zu pflegen;

b) die PSA nicht eigenmächtig zu verändern.

(4) Am Ende der Verwendungsdauer befolgen die Arbeitnehmer die zur Rückgabe der PSA vorgesehenen Verfahren.

(5) Die Arbeitnehmer weisen den Arbeitgeber, den Betriebsleiter oder den Vorgesetzten unverzüglich auf jeden Mangel oder jede sonstige Unzulänglichkeit hin, die sie an den ihnen zur Verfügung gestellten PSA feststellen."

8 Artikel 55 des Decreto legislativo Nr. 626/94, der sich im Abschnitt VI, Arbeiten an Bildschirmgeräten", befindet, lautet:

Gesundheitsüberwachung

(1) Bevor die Arbeitnehmer die in diesem Titel vorgesehenen Tätigkeiten aufnehmen, werden sie einer ärztlichen Untersuchung zur Entdeckung eventueller struktureller Missbildungen sowie einer Untersuchung der Augen und des Sehvermögens durch den zuständigen Arzt unterzogen. Wenn es aufgrund der Ergebnisse ratsam erscheint, werden weitere Spezialuntersuchungen durchgeführt.

(2) Aufgrund der Ergebnisse der in Absatz 1 vorgesehenen Untersuchungen werden die Arbeitnehmer einer der beiden folgenden Kategorien zugeordnet:

a) geeignet, mit oder ohne ärztliche Verordnung;

b) ungeeignet.

(3) Arbeitnehmer, die der Kategorie ,geeignet mit ärztlicher Verordnung zugeordnet sind, sowie Arbeitnehmer, die das 45. Lebensjahr vollendet haben, werden mindestens alle zwei Jahre einer ärztlichen Kontrolluntersuchung unterzogen.

(4) Der Arbeitnehmer wird auf seinen Wunsch einer augenärztlichen Untersuchung unterzogen, wenn er eine Verschlechterung seines Sehvermögens festzustellen meint, die vom zuständigen Arzt bestätigt wird.

(5) Die Kosten für die speziellen Sehhilfen je nach der ausgeübten Tätigkeit sind vom Arbeitgeber zu tragen."

Vorverfahren

9 Da Artikel 9 Absätze 1 bis 3 der Richtlinie 90/270 nach Auffassung der Kommission nicht ordnungsgemäß in italienisches Recht umgesetzt worden war, leitete sie das Vertragsverletzungsverfahren gemäß Artikel 226 Absatz 1 EG ein. Nachdem sie die Italienische Republik aufgefordert hatte, sich hierzu zu äußern, gab sie am 9. Juli 1999 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der sie den betreffenden Mitgliedstaat aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zu erlassen, um der Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrer Bekanntgabe nachzukommen.

10 Da die Kommission von der italienischen Regierung keine Antwort auf diese Stellungnahme erhielt, hat sie beschlossen, die vorliegende Klage zu erheben.

Zur Klage

11 In ihrer Klagebeantwortung hat die Italienische Regierung den Gerichtshof davon in Kenntnis gesetzt, dass mit dem Gesetz Nr. 422 vom 29. Dezember 2000 über Maßnahmen zur Erfuellung der Verpflichtungen aufgrund der Zugehörigkeit Italiens zu den Europäischen Gemeinschaften - Gemeinschaftsgesetz 2000 (Supplemento ordinario Nr. 14, S. 14 zu GURI Nr. 16 vom 20. Januar 2001, nachfolgend: Gesetz Nr. 422/2000) u. a. die Absätze 3 und 4 des Artikels 55 des Decreto legislativo Nr. 626/94 durch die neuen Absätze 3, 3a, 3b und 4 ersetzt worden seien.

12 Nach Prüfung dieser nationalen Umsetzungsvorschriften hat die Kommission dem Gerichtshof in ihrer Erwiderung mitgeteilt, dass sie zwei Rügen und die zugehörigen Anträge zurücknehme.

13 Mit der aufrecht erhaltenen Rüge beanstandet die Kommission, dass die Italienische Republik dadurch gegen Artikel 9 Absatz 3 der Richtlinie 90/270 verstoßen habe, dass sie nicht die Voraussetzungen festgelegt habe, unter denen den betroffenen Arbeitnehmern spezielle Sehhilfen nach Maßgabe der ausgeübten Arbeit zur Verfügung zu stellen sind.

Vorbringen der Parteien

14 Die Kommission trägt vor, den Arbeitnehmern werde in Artikel 55 des Decreto legislativo Nr. 626/94 an keiner Stelle ein Anspruch auf spezielle Sehhilfen für die betreffende Arbeit" eingeräumt, wenn die Ergebnisse der Untersuchungen ergäben, dass sie notwendig seien, und normale Sehhilfen nicht verwendet werden könnten. Da es um die Sicherheit und den Gesundheitsschutz der Arbeitnehmer gehe, müsse der Anspruch auf derartige Hilfen klar definiert sein. Die italienischen Rechtsvorschriften seien jedoch nicht eindeutig und ungenau.

15 In Artikel 55 Absatz 5 des Decreto legislativo Nr. 626/94 heiße es lediglich, dass die Kosten für die speziellen Sehhilfen je nach der ausgeübten Tätigkeit... vom Arbeitgeber zu tragen" seien, was zwar eindeutig sei, aber nicht ausreiche, um die Voraussetzung für die Entstehung" des Anspruch des Arbeitnehmers auf die betreffenden Hilfen festzulegen.

16 Die italienische Regierung macht geltend, die Pflicht des Arbeitgebers, geeignete Maßnahmen zum Schutz des Arbeitnehmers zu ergreifen, sei im Abschnitt IV des Decreto legislativo Nr. 626/94 festgelegt. Nach den Artikeln 41, 43 und 44 in Verbindung mit dem neuen Wortlaut des Artikels 55 dieses Dekrets in der Fassung aufgrund des Gesetzes Nr. 422/2000 sei der Arbeitgeber verpflichtet, dem Arbeitnehmer diejenigen Sehhilfen zur Verfügung zu stellen, die der zuständige Arzt im Rahmen einer vorbeugenden oder regelmäßigen Untersuchung gegebenenfalls verschreibe.

17 Außerdem habe die betreffende Verpflichtung bereits aufgrund von Artikel 377 des DPR Nr. 547/55 im nationalen Recht bestanden.

18 Die Kommission erwidert, dass die Italienische Republik offensichtlich die speziellen Sehhilfen", die in der Richtlinie 90/270 für an Bildschirmgeräten zu verrichtende Tätigkeiten vorgeschrieben seien, mit den persönlichen Schutzausrüstungen" verwechsle, die in der Richtlinie 89/656/EWG des Rates vom 30. November 1989 über Mindestvorschriften für Sicherheit und Gesundheitsschutz bei Benutzung persönlicher Schutzausrüstungen durch Arbeitnehmer bei der Arbeit (Dritte Einzelrichtlinie im Sinne des Artikels 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391) (ABl. L 393, S. 18) vorgesehen und geregelt seien.

19 In ihrer Gegenerwiderung bekräftigt die Italienische Regierung erneut, sie habe Artikel 9 Absatz 3 der Richtlinie 90/270 angesichts der Änderungen, die mit dem Gesetz Nr. 422/2000 an Artikel 55 des Decreto legislativo Nr. 626/94 vorgenommen worden seien, ordnungsgemäß umgesetzt. Gestützt auf den allgemeinen Grundsatz der logischen und systematischen Auslegung der Gesetze, wonach der Sinn und Zweck von Bestimmungen eines einzelnen Gesetzestextes - und erst recht wie hier eines einzelnen Artikels - nicht allein dem Wortlaut der jeweiligen Bestimmung entnommen werden dürften, sondern auf der Zusammenschau der verschiedenen Bestimmungen beruhen müssten, seien die in Artikel 55 Absätze 3, 3a, 3b und 4 des Decreto legislativo Nr. 626/94 in der Fassung aufgrund des Gesetzes Nr. 422/2000 im Licht sowohl der Absätze 1, 2 und 5 dieses Artikels als auch des Artikels 16 des betreffenden Dekrets auszulegen, auf den Artikel 55 Absatz 3 ebenfalls verweise.

20 Diese Bestimmungen sähen sowohl vor, dass ein Arbeitnehmer einen Anspruch auf spezielle Sehhilfen habe, sofern nach Untersuchungen durch Spezialisten der zuständige Arzt deren Verwendung vorschreibe, als auch, dass die für derartige Hilfen anfallenden Kosten vom Arbeitgeber zu tragen seien.

Würdigung durch den Gerichtshof

21 Hierzu ist zum einen darauf hinzuweisen, dass nach ständiger Rechtsprechung das Vorliegen einer Vertragsverletzung anhand der Situation zu beurteilen ist, in der sich der Mitgliedstaat bei Ablauf der Frist, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme festgesetzt wurde, befand, und dass später eingetretene Veränderungen vom Gerichtshof nicht berücksichtigt werden können (vgl. insbesondere Urteile vom 30. Januar 2002 in der Rechtssache C-103/00, Kommission/Griechenland, Slg. 2002, I-1147, Randnr. 23, und vom 30. Mai 2002 in der Rechtssache C-323/01, Kommission/Italien, Slg. 2002, I-4711, Randnr. 8).

22 Im vorliegenden Fall wurde das Gesetz Nr. 422/2000 vom 29. Dezember 2000 mehr als ein Jahr nach Ablauf der Frist von zwei Monaten erlassen, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 9. Juli 1999 gesetzt worden war. Die mit ihm vorgenommenen Änderungen der italienischen Rechtsvorschriften können daher bei der Prüfung der Begründetheit der vorliegenden Vertragsverletzungsklage vom Gerichtshof nicht berücksichtigt werden.

23 Zum anderen ist es nach ständiger Rechtsprechung bei der Umsetzung einer Richtlinie in das Recht eines Mitgliedstaats unerlässlich, dass das fragliche nationale Recht tatsächlich die vollständige Anwendung der Richtlinie durch die nationalen Behörden gewährleistet, dass die sich aus diesem Recht ergebende Rechtslage hinreichend bestimmt und klar ist und dass die Begünstigten in die Lage versetzt werden, von allen ihren Rechten Kenntnis zu erlangen und diese gegebenenfalls vor den nationalen Gerichten geltend zu machen (vgl. insbesondere Urteile vom 23. März 1995 in der Rechtssache C-365/93, Kommission/Griechenland, Slg. 1995, I-499, Randnr. 9, und vom 10. Mai 2001 in der Rechtssache C-144/99, Kommission/Niederlande, Slg. 2001, I-3541, Randnr. 17).

24 Demgemäß ist zu prüfen, ob diejenigen italienischen Vorschriften, die bei Ablauf der Frist in Kraft waren, die in der mit Gründen versehenen Stellungnahme gesetzt worden war, den Anforderungen aus der Richtlinie genügten.

25 Diese Prüfung ergibt, dass die von der italienischen Regierung angeführten Vorschriften des DPR Nr. 547/55 und des Decreto legislativo Nr. 626/94 nicht mit hinreichender Bestimmtheit und Klarheit vorsehen, dass die Arbeitnehmer einen Anspruch auf spezielle Sehhilfen für die betreffende Arbeit haben, wenn diese sich aufgrund der Ergebnisse einer Untersuchung der Augen und des Sehvermögens und erforderlichenfalls einer augenärztlichen Untersuchung als notwendig erweisen und normale Sehhilfen nicht verwendet werden können.

26 Zwar sind gemäß Artikel 55 Absatz 5 des Decreto legislativo Nr. 626/94 die Kosten für die speziellen Sehhilfen je nach der ausgeübten Tätigkeit vom Arbeitgeber zu tragen. Diese Bestimmung beschränkt sich jedoch auf die Umsetzung des Artikels 9 Absatz 4 der Richtlinie 90/270 in italienisches Recht. Sie stellt für sich genommen keine Umsetzung des Artikels 9 Absatz 3 dieser Richtlinie dar, da sie nicht, wie es der betreffende Absatz verlangt, vorsieht, dass die Arbeitnehmer einen Anspruch auf spezielle Sehhilfen haben, wenn diese sich aufgrund der Ergebnisse von Untersuchungen der Augen und des Sehvermögens oder von augenärztlichen Untersuchungen als notwendig erweisen.

27 Der Wortlaut des Artikels 55 des Decreto legislativo Nr. 626/94 lässt auch in Verbindung mit Artikel 16 dieses Dekrets keinen anderen Schluss zu.

28 Soweit die italienische Regierung vorträgt, Artikel 55 des Decreto legislativo Nr. 626/94 sei mit Blick auf die Artikel 41 ff. dieses Dekrets auszulegen, genügt die Feststellung, dass die in Artikel 9 Absatz 3 der Richtlinie 90/270 vorgesehenen speziellen Sehhilfen" der Korrektur bereits bestehender Schäden dienen, während mit den persönlichen Schutzausrüstungen", auf die sich die betreffenden Artikel beziehen, der Eintritt dieser Schäden vermieden werden soll.

29 Der Hinweis der italienischen Regierung, die Verpflichtung aus Artikel 9 Absatz 3 der Richtlinie 90/270 habe bereits aufgrund von Artikel 377 DPR Nr. 547/55 im nationalen Recht bestanden, geht ebenfalls fehl. Auch die persönlichen Schutzvorrichtungen, auf die dort Bezug genommen wird, sind lediglich Vorrichtungen zur Gefahrenverhütung.

30 Nach alledem ist festzustellen, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 9 Absatz 3 der Richtlinie 90/270 verstoßen hat, dass sie nicht die Voraussetzungen festgelegt hat, unter denen den betroffenen Arbeitnehmern spezielle Sehhilfen nach Maßgabe der ausgeübten Arbeit zur Verfügung zu stellen sind.

Kostenentscheidung:

Kosten

31 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen.

32 Da die Kommission die Verurteilung der Italienischen Republik beantragt hat und die Italienische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind dieser die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Italienische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 9 Absatz 3 der Richtlinie 90/270/EWG des Rates vom 29. Mai 1990 über die Mindestvorschriften bezüglich der Sicherheit und des Gesundheitsschutzes bei der Arbeit an Bildschirmgeräten (Fünfte Einzelrichtlinie im Sinne von Artikel 16 Absatz 1 der Richtlinie 89/391/EWG) verstoßen, dass sie nicht die Voraussetzungen festgelegt hat, unter denen den betroffenen Arbeitnehmern spezielle Sehhilfen nach Maßgabe der ausgeübten Arbeit zur Verfügung zu stellen sind.

2. Die Italienische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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