Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.12.1989
Aktenzeichen: C-49/89
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
EWG-Vertrag Art. 59
EWG-Vertrag Art. 62
EWG-Vertrag Art. 84
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Der EWG-Vertrag, insbesondere seine Artikel 59, 61, 62 und 84, verbot es vor Inkrafttreten der vom Rat aufgrund von Artikel 84 Absatz 2 EWG-Vertrag erlassenen Verordnung Nr. 4055/86 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf die Seeschiffahrt zwischen Mitgliedstaaten sowie zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern nicht, daß ein Mitgliedstaat anläßlich der Benutzung von auf seinem Inselterritorium gelegenen Hafeneinrichtungen durch ein Schiff Gebühren bei der Ausschiffung und der Einschiffung der Passagiere erhob, wenn die Passagiere von Häfen in einem anderen Mitgliedstaat kamen oder sich dorthin begaben, während solche Gebühren im Verkehr zwischen zwei im Inland gelegenen Häfen nur für die Einschiffung bei der Abfahrt vom Inselhafen erhoben wurden.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 13. DEZEMBER 1989. - SOCIETE CORSICA FERRIES FRANCE GEGEN DIRECTION GENERALE DES DOUANES FRANCAISES. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: COUR DE CASSATION - FRANKREICH. - SEESCHIFFAHRT - FREIER DIENSTLEISTUNGSVERKEHR - DISKRIMINIERUNG. - RECHTSSACHE C-49/89.

Entscheidungsgründe:

1 Die französische Cour de cassation hat mit Urteil vom 17. Januar 1989, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Februar 1989, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung des EWG-Vertrags, insbesondere seiner Artikel 59, 62 und 84, zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Firma Corsica Ferries France und der Direction générale des douanes wegen Gebühren, die in den Jahren 1981 und 1982 von dem Reeder für Passagiere erhoben wurden, die in den korsischen Häfen eingeschifft, ausgeschifft oder umgeschifft wurden.

3 Für diese Häfen führt Artikel R.212-20 des französischen Code des ports maritimes (( Gesetzbuch über die Seehäfen )) in der durch das Dekret vom 12. Mai 1981 geänderten Fassung eine Gebühr für alle Passagiere ein, deren Zielhafen sich in Korsika, auf dem französischen Festland oder in Sardinien befindet, sowie eine Gebühr in gleicher Höhe für alle Passagiere, die von europäischen oder nordafrikanischen Häfen kommen oder sich dorthin begeben.

4 Nach Ansicht der Firma Corsica Ferries France verstösst diese Bestimmung gegen die Artikel 59 ff. EWG-Vertrag, da sie die Schiffe, die wie ihre Schiffe Fahrten zwischen Korsika und in anderen Staaten gelegenen Häfen durchführten und die Gebühr bei der Ankunft in und bei der Abfahrt von dem korsischen Hafen zu entrichten hätten, gegenüber den Schiffen diskriminiere, die Verbindungen zwischen Korsika und den französischen Festlandshäfen bedienten und die Gebühr für die Passagiere nur beim Verlassen des korsischen Hafens zu entrichten hätten.

5 Da die französische Cour de cassation der Auffassung ist, der Rechtsstreit erfordere eine Auslegung bestimmter Artikel des EWG-Vertrags, hat sie das Verfahren ausgesetzt, bis der Gerichtshof eine Vorabentscheidung über folgende Frage erlassen hat :

"Sind der EWG-Vertrag und insbesondere seine Artikel 59, 62 und 84 dahin auszulegen, daß ein Mitgliedstaat berechtigt ist, anläßlich der Benutzung von auf seinem Inselterritorium gelegenen Hafeneinrichtungen durch ein Schiff Gebühren bei der Ausschiffung und bei der Einschiffung der Passagiere zu erheben, wenn die Passagiere von Häfen in einem anderen Mitgliedstaat kommen oder sich dorthin begeben, während diese Gebühren im Verkehr zwischen zwei im Inland gelegenen Häfen nur für die Einschiffung bei der Abfahrt vom Inselhafen erhoben werden?"

6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens sowie des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

7 Zur Beantwortung der Frage der französischen Cour de cassation ist zunächst darauf hinzuweisen, daß die französischen Rechtsvorschriften, um die es im Ausgangsverfahren geht, geeignet sind, den freien Dienstleistungsverkehr innerhalb der Gemeinschaft im Sinne des Artikels 59 Absatz 1 EWG-Vertrag zu beschränken, da sie die Dienstleistungserbringer, die Beförderungen zwischen einem Hafen im Inland und einem Hafen in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft durchführen, gegenüber denjenigen diskriminieren, die Beförderungen zwischen zwei inländischen Häfen vornehmen.

8 Die Artikel des EWG-Vertrags über den freien Warenverkehr, die Freizuegigkeit sowie den freien Dienstleistungs - und Kapitalverkehr stellen nämlich, wie der Gerichtshof schon mehrfach entschieden hat, Grundsatzbestimmungen für die Gemeinschaft dar, und jedes Hemmnis für diese Freiheit, sei es auch von geringer Bedeutung, ist verboten.

9 Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 6. Juli 1988 in der Rechtssache 127/86 ( Ledoux, Slg. 1988, 3741 ) entschieden hat, können unter anderem innerstaatliche fiskalische Maßnahmen, die die Ausübung dieser Freiheit durch den Wirtschaftsteilnehmer beeinträchtigen, ein derartiges Hindernis bewirken.

10 Zwar ist Artikel 59 EWG-Vertrag, der den freien Dienstleistungsverkehr innerhalb der Gemeinschaft gewährleistet, mit Ablauf der in Artikel 8 EWG-Vertrag geregelten Übergangszeit unmittelbar und unbedingt anwendbar geworden, jedoch gelten nach Artikel 61 Absatz 1 EWG-Vertrag für den freien Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet des Verkehrs die Bestimmungen des Titels über die gemeinsame Verkehrspolitik ( Urteile vom 30. April 1986 in den verbundenen Rechtssachen 209 bis 213/84, Asjes, Slg. 1986, 1457, und vom 13. Juli 1989 in der Rechtssache 4/88, Lambregts, Slg. 1989, 2583, Randnrn. 8 und 9 ).

11 Wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 30. April 1986 ( a. a. O., Randnr. 37 ) entschieden hat, folgt hieraus, daß auf dem Verkehrssektor das Ziel des Artikels 59 EWG-Vertrag, die Beschränkungen des freien Dienstleistungsverkehrs während der Übergangszeit aufzuheben, im Rahmen der in den Artikeln 74 und 75 definierten gemeinsamen Politik hätte erreicht werden müssen.

12 Für die Seeschiffahrt im besonderen sieht Artikel 84 Absatz 2 EWG-Vertrag vor, daß der Rat darüber entscheiden kann, ob, inwieweit und nach welchen Verfahren geeignete Vorschriften für diese Verkehrsart zu erlassen sind.

13 Der Rat hat jedoch erst durch die Verordnung Nr. 4055/86 vom 22. Dezember 1986 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf die Seeschiffahrt zwischen Mitgliedstaaten sowie zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern ( ABl. L 378, S. 1 ), die am 1. Januar 1987 in Kraft getreten ist, aufgrund von Artikel 84 Absatz 2 EWG-Vertrag die Maßnahmen erlassen, die zur Verwirklichung des freien Dienstleistungsverkehrs auf dem Gebiet der Seeschiffahrt zwischen den Mitgliedstaaten erforderlich sind.

14 Daraus folgt, daß in den Jahren 1981 und 1982, dem im Ausgangsverfahren fraglichen Zeitraum, der freie Dienstleistungsverkehr auf dem Gebiet der Seeschiffahrt noch nicht verwirklicht war und die Mitgliedstaaten daher berechtigt waren, Rechtsvorschriften von der Art, wie sie Gegenstand des Ausgangsverfahrens sind, anzuwenden.

15 Dem steht nicht entgegen, daß die betreffende Regelung 1981 wieder in den französischen Code des ports maritimes aufgenommen worden ist, nachdem sie 1969 aufgehoben worden war. Artikel 62 EWG-Vertrag, wonach die Mitgliedstaaten die bei seinem Inkrafttreten tatsächlich erreichte Freiheit des Dienstleistungsverkehrs keinen neuen Beschränkungen unterwerfen, ist nämlich aufgrund von Artikel 61 Absatz 1 EWG-Vertrag nicht anwendbar.

16 Somit ist auf die von der französischen Cour de cassation vorgelegte Frage zu antworten, daß es der EWG-Vertrag, insbesondere seine Artikel 59, 61, 62 und 84, vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 4055/86 nicht verbot, daß ein Mitgliedstaat anläßlich der Benutzung von auf seinem Inselterritorium gelegenen Hafeneinrichtungen durch ein Schiff Gebühren bei der Ausschiffung und bei der Einschiffung der Passagiere erhob, wenn die Passagiere von Häfen in einem anderen Mitgliedstaat kamen oder sich dorthin begaben, während solche Gebühren im Verkehr zwischen zwei im Inland gelegenen Häfen nur für die Einschiffung bei der Abfahrt vom Inselhafen erhoben wurden.

Kostenentscheidung:

Kosten

17 Die Auslagen der Regierung der Französischen Republik und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Zweite Kammer )

auf die ihm von der französischen Cour de cassation mit Urteil vom 17. Januar 1989 vorgelegte Frage für Recht erkannt :

Der EWG-Vertrag, insbesondere seine Artikel 59, 61, 62 und 84, verbot es vor Inkraftreten der Verordnung Nr. 4055/86 des Rates vom 22. Dezember 1986 zur Anwendung des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs auf die Seeschiffahrt zwischen Mitgliedstaaten sowie zwischen Mitgliedstaaten und Drittländern nicht, daß ein Mitgliedstaat anläßlich der Benutzung von auf seinem Inselterritorium gelegenen Hafeneinrichtungen durch ein Schiff Gebühren bei der Ausschiffung und bei der Einschiffung der Passagiere erhob, wenn die Passagiere von Häfen in einem anderen Mitgliedstaat kamen oder sich dorthin begaben, während solche Gebühren im Verkehr zwischen zwei im Inland gelegenen Häfen nur für die Einschiffung bei der Abfahrt vom Inselhafen erhoben wurden.

Ende der Entscheidung

Zurück