Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 14.12.2000
Aktenzeichen: C-55/99
Rechtsgebiete: EGV


Vorschriften:

EGV Art. 30 a.F.
EGV Art. 169 a.F.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Bei Fehlen von Harmonisierungsvorschriften haben die Mitgliedstaaten darüber zu entscheiden, in welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gewährleisten wollen und ob sie für das Inverkehrbringen von Erzeugnissen, die eine Gefahr für die Gesundheit heraufbeschwören können, eine vorherige Zulassung verlangen. Die Mitgliedstaaten sind daher grundsätzlich befugt, für Reagenzien, die zwar selbst keine Gefahr heraufbeschwören, aber geeignet sind, das Leben oder die Gesundheit von Menschen, wenn auch nur mittelbar, einer Gefahr auszusetzen, wenn sie keine zuverlässigen Diagnoseergebnisse liefern, ein Verfahren der vorherigen Registrierung einzuführen, das naturgemäß weniger einschneidend ist als eine vorherige Zulassung für das Inverkehrbringen. Jedoch verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, dass die Befugnis der Mitgliedstaaten, Beschränkungen für den Handel mit Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten vorzusehen, auf das Maß dessen beschränkt wird, was zur Erreichung der berechtigterweise verfolgten Ziele erforderlich ist.

(vgl. Randnrn. 27-29)

2 In einem Vertragsverletzungsverfahren gemäß Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) obliegt der Kommission der Nachweis für das Vorliegen der angeblichen Verletzung, und sie muss dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte liefern, anhand deren dieser das Vorliegen der Vertragsverletzung prüfen kann.

(vgl. Randnr. 30)

3 Ein Mitgliedstaat, der in einer Regelung über Arzneimittelreagenzien die Verpflichtung aufstellt, die bei der Registrierung des Reagenz vergebene nationale Registrierungsnummer auf der äußeren Verpackung und die Registrierung auf der Packungsbeilage zu den Reagenzien anzugeben, verstößt gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG).

Der Hinweis auf die Registrierung gibt dem Verwender lediglich die Gewissheit, dass das Reagenz bei der zuständigen Behörde registriert ist, liefert ihm aber keine zusätzliche einem wirksamen Schutz der allgemeinen Gesundheit dienende Information. Die übrigen Erfordernisse der Regelung hingegen, wonach Name und Adresse des Händlers sowie die Nummer der Herstellungscharge sowohl auf der äußeren Verpackung als auch auf der unmittelbaren Verpackung des Reagenz selbst anzugeben sind, während die jeweiligen Namen und Adressen des Herstellers, des Händlers und gegebenenfalls des Importeurs auf der Packungsbeilage angegeben sein müssen, sind hinreichende Maßnahmen, um die Rückverfolgbarkeit der Reagenzien zu gewährleisten. Angesichts dessen, dass es weniger einschränkende Maßnahmen gibt, verstößt eine solche Verpflichtung daher gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

(vgl. Randnrn. 43, 45-46, Tenor 1)


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 14. Dezember 2000. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Französische Republik. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Freier Warenverkehr - Maßnahmen gleicher Wirkung - Arzneimittelreagenzien - Für alle Reagenzien geltendes, zwingend vorgeschriebenes Registrierungsverfahren - Verpflichtung zur Angabe der Registrierungsnummer auf der äußeren Verpackung und der Packungsbeilage zu den Reagenzien. - Rechtssache C-55/99.

Parteien:

In der Rechtssache C-55/99

Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Hauptrechtsberater R. B. Wainwright und durch O. Couvert-Castéra, zum Juristischen Dienst abgeordneter nationaler Beamter, als Bevollmächtigte, Zustellungsbevollmächtigter: C. Gómez de la Cruz, Juristischer Dienst, Centre Wagner, Luxemburg-Kirchberg,

Klägerin,

gegen

Französische Republik, vertreten durch K. Rispal-Bellanger, Abteilungsleiterin in der Direktion für Rechtsfragen des Ministeriums für auswärtige Angelegenheiten, und R. Loosli-Surrans, Chargé de mission in derselben Direktion, als Bevollmächtigte,

Beklagte,

wegen Feststellung, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) verstoßen hat, dass sie in das Dekret Nr. 96-351 vom 19. April 1996 über die in Artikel L. 761-14-1 des Code de la santé publique (Gesetz über die allgemeine Gesundheit) genannten Reagenzien (JORF vom 26. April 1996, S. 6386) ein Verfahren zur Registrierung aller Arzneimittelreagenzien aufgenommen hat und in diesem Dekret die Verpflichtung eingeführt hat, die Registrierungsnummer auf der äußeren Verpackung und der Packungsbeilage zu den Reagenzien anzugeben,

erlässt

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Präsidenten der Zweiten Kammer V. Skouris (Berichterstatter) in Wahrnehmung der Aufgaben des Präsidenten der Sechsten Kammer sowie des Richters J.-P. Puissochet und der Richterin F. Macken,

Generalanwalt: N. Fennelly

Kanzler: L. Hewlett, Verwaltungsrätin

aufgrund des Sitzungsberichts,

nach Anhörung der Parteien in der Sitzung vom 17. Februar 2000,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 6. April 2000,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 18. Februar 1999 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EG-Vertrag (jetzt Artikel 226 EG) Klage erhoben auf Feststellung, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) verstoßen hat, dass sie in das Dekret Nr. 96-351 vom 19. April 1996 über die in Artikel L. 761-14-1 des Code de la santé publique (Gesetz über die allgemeine Gesundheit) genannten Reagenzien (JORF vom 26. April 1996, S. 6386; im Folgenden: streitiges Dekret) ein Verfahren zur Registrierung aller Arzneimittelreagenzien aufgenommen hat und in diesem Dekret die Verpflichtung eingeführt hat, die Registrierungsnummer auf der äußeren Verpackung und der Packungsbeilage zu den Reagenzien anzugeben.

Rechtlicher Rahmen

2 Nach Artikel 19 Absatz 3 des Gesetzes Nr. 93-5 vom 4. Januar 1993 über die Sicherheit im Bereich der Bluttransfusion und der Arzneimittel (JORF vom 5. Januar 1993, S. 237) sind Arzneimittelreagenzien chemische oder biologische Stoffe, die zum Zwecke biomedizinischer Analysen im Sinne des Artikels L. 753 des Code de la santé publique speziell zubereitet werden, um einzeln oder in Verbindung miteinander in vitro verwendet zu werden. Gemäß Artikel L. 753 des Code de la santé publique handelt es sich bei den biomedizinischen Analysen um biologische Untersuchungen, die dazu beitragen, menschliche Krankheiten zu diagnostizieren oder zu behandeln oder solchen Krankheiten vorzubeugen, oder die irgendeine andere Veränderung des körperlichen Zustands erkennbar machen.

3 Für das Inverkehrbringen dieser Stoffe sieht Artikel L. 761-14-1 Absatz 1 des Code de la santé publique vor, dass die für biomedizinische Untersuchungslaboratorien bestimmten Reagenzien und die für den öffentlichen Verkauf verpackten Reagenzien, die für ärztliche Diagnosen oder die Feststellung einer Schwangerschaft bestimmt sind, vor dem unentgeltlichen oder entgeltlichen Inverkehrbringen unter Bedingungen, die im Conseil d'Etat durch Dekret festgelegt werden, bei der Agence du médicament (Arzneimittelagentur) zu registrieren sind.

4 Zu diesem Zweck macht Artikel 1 Absatz 1 des streitigen Dekrets den Zugang von Reagenzien zum französischen Markt von ihrer vorherigen Registrierung abhängig und legt in den folgenden Artikeln die Modalitäten dieser Registrierung fest.

5 Insbesondere führt Artikel 2 des streitigen Dekrets fünfzehn Rubriken auf, die die Informationen betreffen, die in den Antragsunterlagen für die Registrierung bei der Arzneimittelagentur enthalten sein müssen, darunter sämtliche Informationen über den diagnostischen und therapeutischen Nutzen des Reagenz, die durch die Ergebnisse der Haltbarkeitsstudien gerechtfertigten Aufbewahrungsbedingungen und den Bericht über die analytischen und klinischen Prüfungen. Darüber hinaus verpflichtet Artikel 4 des streitigen Dekrets den von der Registrierung Begünstigten, der Arzneimittelagentur jede sich auf die Informationen in der Registrierungsakte auswirkende Änderung anzuzeigen.

6 Bei Vollständigkeit der in Artikel 2 des streitigen Dekrets bestimmten Unterlagen und gegebenenfalls nach Anhörung des gemäß den Artikeln 6 und 7 dieses Dekrets beim Gesundheitsminister eingerichteten beratenden Ausschusses für die Registrierung von Reagenzien nimmt der Generaldirektor der Arzneimittelagentur nach Artikel 3 des Dekrets die Registrierung des in dem Antrag genannten Reagenz oder der dort genannten Serie von Reagenzien vor und teilt dem Antragsteller die Registrierungsnummer mit.

7 Gemäß Artikel 5 Absatz 1 Nummer 11 des streitigen Dekrets muss die Packungsbeilage zu den Reagenzien den Hinweis auf die Registrierung bei der Arzneimittelagentur enthalten.

8 Nach Artikel 5 Absatz 2 Unterabsatz 1 Nummer 3 des streitigen Dekrets ist die Registrierungsnummer auf der unmittelbaren und der äußeren Verpackung anzugeben. Jedoch braucht nach Artikel 5 Absatz 2 Unterabsatz 2 die innere Verpackung keine solche Angabe aufzuweisen, falls es eine äußere Verpackung gibt.

9 Im Übrigen verpflichtet Artikel 5 des streitigen Dekrets zur Angabe der Nummer der Herstellungscharge und des Namens und der Adresse des Händlers auf der inneren und der äußeren Verpackung (Artikel 5 Absatz 2 Unterabsatz 1 Nummer 8 und Nummer 2) sowie zur Angabe der Namen und der Adressen des Herstellers, des Händlers und gegebenenfalls des Importeurs auf der Packungsbeilage (Artikel 5 Absatz 1 Nummer 2).

Sachverhalt und Vorverfahren

10 Die zum entscheidungserheblichen Zeitpunkt gültige Richtlinie 83/189/EWG des Rates vom 28. März 1983 über ein Informationsverfahren auf dem Gebiet der Normen und technischen Vorschriften (ABl. L 109, S. 8) verpflichtet die Mitgliedstaaten, der Kommission unverzüglich jeden Entwurf einer technischen Vorschrift zu übermitteln, und sieht ein Verfahren zur Unterrichtung der anderen Mitgliedstaaten sowie Fristen für Bemerkungen zu dem übermittelten Entwurf vor.

11 Gemäß dieser Richtlinie übermittelten die französischen Behörden am 19. Januar 1995 der Kommission den Entwurf eines Dekrets, das zum streitigen Dekret werden sollte. Dabei führten sie aus, dass sie gemäß Artikel 9 Absatz 3 der Richtlinie aus dringenden Gründen des allgemeinen Gesundheitsschutzes gezwungen seien, die in diesem Entwurf vorgesehenen Maßnahmen unverzüglich zu erlassen.

12 Nachdem die Kommission am 23. Januar 1995 vorbehaltlich ihrer Beurteilung der Vereinbarkeit des übermittelten Textes mit dem Gemeinschaftsrecht der Anwendung des Dringlichkeitsverfahrens durch die französische Regierung zugestimmt hatte, unterrichtete sie die französischen Behörden mit Schreiben vom 6. April 1995 von den Problemen, die der Erlass des übermittelten Entwurfs des Dekretes im Hinblick auf den freien Warenverkehr aufwerfe, und äußerte Kritik insbesondere an den Bestimmungen dieses Entwurfs über die Einführung eines Registrierungsverfahrens für alle Reagenzien, an der Verpflichtung, die Nummer der Registrierung auf deren äußerer Verpackung anzugeben, und am Fehlen einer Bestimmung über die gegenseitige Anerkennung in anderen Mitgliedstaaten durchgeführter Kontrollen.

13 Das streitige Dekret wurde in der Folgezeit erlassen, ohne dass die französische Regierung den Bemerkungen der Kommission Rechnung trug. Diese richtete daraufhin am 15. April 1997 ein Schreiben an die französische Regierung, mit dem sie die französische Regierung zur Stellungnahme ihr gegenüber aufforderte. Dabei wiederholte sie ihre Beanstandungen und beharrte darauf, dass die Bestimmungen des streitigen Dekrets, gegen die sich diese Beanstandungen richteten, gegen Artikel 30 des Vertrages verstoßende Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen seien.

14 Da die Kommission die Antwort der französischen Behörden vom 3. Juli 1997 nicht als zufriedenstellend ansah, fand eine Sitzung mit ihr und den französischen Behörden statt, ohne dass es zu einer Lösung der aufgeworfenen Probleme gekommen wäre.

15 Unter diesen Umständen richtete die Kommission am 10. August 1998 eine mit Gründen versehene Stellungnahme an die Französische Republik, in der sie diese aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um dieser Stellungnahme binnen zwei Monaten nach ihrer Zustellung nachzukommen.

16 In ihrer Antwort auf die mit Gründen versehene Stellungnahme teilten die französischen Behörden der Kommission mit Schreiben vom 19. Oktober 1998 mit, man sei dabei, das streitige Dekret dahin zu ändern, dass eine Bestimmung über die gegenseitige Anerkennung der in den anderen Mitgliedstaaten oder in den zum Europäischen Wirtschaftsraum gehörenden Ländern vorgenommenen Prüfungen der Reagenzien aufgenommen werde.

17 Da diese Antwort der französischen Behörden keinen Hinweis auf weitere Änderungen in dem von der Kommission gewünschten Sinn gab, hat diese die vorliegende Klage erhoben.

Zum Streitgegenstand

18 Angesichts der von der französischen Regierung übernommenen Verpflichtung, in das streitige Dekret eine Bestimmung über die gegenseitige Anerkennung aufzunehmen, verzichtet die Kommission in ihrer Klageschrift ausdrücklich auf die entsprechende Rüge. Die beiden anderen an die Französische Republik gerichteten Vorwürfe erhält sie hingegen aufrecht. Sie macht geltend, die Einführung eines für alle Reagenzien geltenden Registrierungsverfahrens ohne Unterscheidung nach der Schwere der Krankheit, deren Erkennung sie ermöglichten, und der Zuverlässigkeit, die sie für die allgemeine Gesundheit gewährleisten müssten, zum einen und die Verpflichtung, die Registrierungsnummer auf der äußeren Verpackung und der Packungsbeilage zu den Reagenzien anzugeben, zum anderen seien Maßnahmen mit gleicher Wirkung wie mengenmäßige Beschränkungen.

19 In ihrer Klagebeantwortung bestreitet die französische Regierung nicht, dass diese beiden Anforderungen Maßnahmen gleicher Wirkung sein können. Sie seien allerdings durch das in dem streitigen Dekret angestrebte Ziel des Schutzes der allgemeinen Gesundheit gerechtfertigt und gemessen am verfolgten Zweck verhältnismäßig.

20 Die Kommission stellt in ihrer Erwiderung nicht in Abrede, dass das streitige Dekret ein Ziel des Schutzes der allgemeinen Gesundheit anstrebe; der Streit drehe sich um die Frage, ob die beanstandeten Bestimmungen dieses Dekrets dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit genügten. Nach Ansicht der Kommission handelt es sich nämlich nicht um Maßnahmen, die zur Erreichung des geltend gemachten Zieles des Schutzes der allgemeinen Gesundheit erforderlich und angemessen sind.

Begründetheit

Das durch das streitige Dekret eingeführte Registrierungsverfahren

21 Die Kommission trägt vor, das in dem streitigen Dekret vorgesehene Registrierungsverfahren sei deshalb unverhältnismäßig, weil es alle Reagenzien einer einheitlichen Registrierung vor dem Inverkehrbringen unterwerfe, ohne nach der Schwere der Krankheit, zu deren Erkennung sie gedacht seien, oder nach dem Grad des Risikos zu unterscheiden, das ihre möglicherweise fehlende Zuverlässigkeit für die allgemeine Gesundheit bedeuten könne, und weil es außerdem von den Herstellern, Importeuren oder Händlern für die Erstellung der Registrierungsakte die Vorlage einer Dokumentation mit einer Reihe nicht erforderlicher Informationen verlange.

22 Um festzustellen, ob das streitige Dekret mit der Einführung eines einheitlichen Registrierungsverfahrens für alle Reagenzien gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstößt, ist nach Ansicht der Kommission das durch die Richtlinie 98/79/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 27. Oktober 1998 über In-vitro-Diagnostika (ABl. L 331, S. 1) errichtete System zu berücksichtigen. Nach der 22. Begründungserwägung dieser Richtlinie werde zwischen Reagenzien, deren Versagen ein unmittelbares Risiko für die Gesundheit der Patienten darstellen könne, und solchen Reagenzien unterschieden, bei denen ein solches Risiko nicht bestehe. Die Richtlinie habe zwar beim Erlass des streitigen Dekrets noch nicht gegolten, ihre Bestimmungen lieferten jedoch ein nützliches Beurteilungskriterium und könnten als Hinweis verwendet werden, wie es der Gerichtshof im Urteil vom 11. Mai 1999 in der Rechtssache C-350/97 (Monsees, Slg. 1999, I-2921, Randnr. 30) bei einer anderen Richtlinie getan habe, um zu zeigen, dass es weniger einschränkende Maßnahmen gegeben habe.

23 Aufgrund dieser Erwägungen kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass das französische Registrierungssystem für bestimmte Reagenzien, die die Erkennung schwerer in Anhang II der Richtlinie 98/79 aufgeführter Krankheiten wie Aids und bestimmte Formen der Hepatitis ermöglichten, gerechtfertigt sein könne, dass es aber keinesfalls für alle Reagenzien gerechtfertigt sei.

24 In der mündlichen Verhandlung hat die Kommission darüber hinaus angegeben, dass etwa 60 % der auf dem Gemeinschaftsmarkt verfügbaren Reagenzien, wie die Tests zum Nachweis von Cholesterin, Allergien, Salmonellen oder Diabetes, keine unmittelbaren Risiken für die Gesundheit aufwiesen. Dass die Bestimmungen der Richtlinie 98/79 für die Mehrzahl der In-vitro-Diagnostika eine dem Hersteller obliegende Erklärungspflicht vorsähen, zeige, dass es andere Maßnahmen gebe, die den Handel weniger einschränkten als das französische Registrierungssystem.

25 Die französische Regierung trägt erstens vor, die Kommission müsse nachweisen, dass die beanstandeten Bestimmungen des streitigen Dekrets unverhältnismäßig seien; da zudem die Richtlinie 98/79 zum Zeitpunkt des Erlasses dieses Dekrets noch nicht in Kraft gewesen sei, könne sie keineswegs für die Beurteilung der Frage herangezogen werden, ob diese Bestimmungen im Hinblick auf das Gemeinschaftsrecht verhältnismäßig seien.

26 Die französische Regierung trägt zweitens vor, mangels Harmonisierungsvorschriften für Reagenzien sei die Festlegung des Schutzniveaus für die allgemeine Gesundheit Sache der Mitgliedstaaten. Demnach sei ein Mitgliedstaat nicht verpflichtet, zwischen zwei Arten von Reagenzien danach zu unterscheiden, ob ihr Versagen ein unmittelbares Risiko für die Gesundheit darstellen könne oder nicht. Ferner befänden sich unter den Krankheiten oder Zuständen, die eine einfache medizinische Begleitung erforderten, einige, wie die Schwangerschaft, die, wenn sie nicht rechtzeitig erkannt würden, ebenso schwerwiegende Folgen für Leben und Gesundheit mit sich bringen könnten wie Aids oder bestimmte Formen der Hepatitis, so dass die von der Kommission vorgeschlagene Aufteilung der Reagenzien in zwei Gruppen falsch sei. Die französische Regierung verweist hierzu auf den Schwangerschaftstest, der, falls er nicht zuverlässig sei, schwerwiegende Folgen für das Leben der Mutter und des Fötus haben könne, wenn das gelieferte Ergebnis es nicht zulasse, die geeigneten Vorsorgemaßnahmen oder die Behandlungen vorzunehmen, die bei bestimmten Risikoschwangerschaften erforderlich seien.

27 Zum entsprechenden Vorbringen der Parteien und im Hinblick auf die Frage, ob die beanstandeten Bestimmungen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit beachten, ist daran zu erinnern, dass nach ständiger Rechtsprechung bei Fehlen von Harmonisierungsvorschriften für Erzeugnisse, die eine Gefahr für die Gesundheit heraufbeschwören können, die Mitgliedstaaten darüber zu entscheiden haben, in welchem Umfang sie den Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen gewährleisten wollen und ob sie für das Inverkehrbringen solcher Erzeugnisse eine vorherige Zulassung verlangen (Urteil vom 17. September 1998 in der Rechtssache C-400/96, Harpegnies, Slg. 1998, I-5121, Randnr. 33).

28 Diese Befugnis haben die Mitgliedstaaten auch bei Reagenzien, die zwar selbst keine Gefahr heraufbeschwören, aber geeignet sind, das Leben oder die Gesundheit von Menschen, wenn auch nur mittelbar, einer Gefahr auszusetzen, wenn sie keine zuverlässigen Diagnoseergebnisse liefern. Die Mitgliedstaaten sind daher grundsätzlich befugt, für diese Erzeugnisse ein Verfahren der vorherigen Registrierung einzuführen, das naturgemäß weniger einschneidend ist als eine vorherige Zulassung für das Inverkehrbringen.

29 Jedoch verlangt der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der Artikel 36 Satz 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 30 Satz 2 EG) zugrunde liegt, dass die Befugnis der Mitgliedstaaten, Beschränkungen für den Handel mit Erzeugnissen aus anderen Mitgliedstaaten vorzusehen, auf das Maß dessen beschränkt wird, was zur Erreichung der berechtigterweise verfolgten Ziele erforderlich ist (Urteil Harpegnies, Randnr. 34).

30 Außerdem obliegt in einem Vertragsverletzungsverfahren der Kommission der Nachweis für das Vorliegen der angeblichen Verletzung, und sie muß dem Gerichtshof die erforderlichen Anhaltspunkte liefern, anhand deren dieser das Vorliegen der Vertragsverletzung prüfen kann (Urteil vom 23. Oktober 1997 in der Rechtssache C-159/94, Kommission/Frankreich, Slg. 1997, I-5815, Randnr. 102).

31 Ohne dass entschieden zu werden braucht, ob die Richtlinie 98/79 einen sachgerechten Anhaltspunkt dafür liefert, ob das streitige Dekret gemessen am Gemeinschaftsrecht verhältnismäßig ist, ist festzustellen, dass sich die Kommission auf die Übernahme der in dieser Richtlinie verwendeten Unterscheidung beschränkt hat, ohne ihre gegen das streitige Dekret gerichtete Rüge auf substanziierte Gründe oder auf Gesichtspunkte zu stützen, die die Feststellung ermöglichen, ob die Anwendung dieses Dekret auf alle Reagenzien unverhältnismäßig ist. Sie hat lediglich einige, in Randnummer 24 dieses Urteils wiedergegebene Beispiele genannt, die ihrer Ansicht nach zeigen, dass es Reagenzien gibt, für die das Erfordernis einer vorherigen Registrierung wie im streitigen Dekret vorgesehen nicht notwendig ist.

32 Hinsichtlich dieser Beispiele hat die französische Regierung die Argumentation der Kommission widerlegt, indem sie zum einen darauf hingewiesen hat, dass Harmonisierungsvorschriften in diesem Bereich fehlten, und indem sie zum anderen dargelegt hat, dass es Reagenzien wie z. B. den Schwangerschaftstest gebe, die zwar der Kommission zufolge nicht zur Gruppe derjenigen gehörten, die ein unmittelbares Risiko für die Patienten darstellten, doch eine Gefahr für das Leben und die Gesundheit von Menschen heraufbeschwören könnten, falls sie unzuverlässig seien. Diese Feststellung gelte außer für den Schwangerschaftstest auch für andere Tests einschließlich der in Randnummer 24 dieses Urteils erwähnten Beispiele der Kommission.

33 Zu der in der mündlichen Verhandlung aufgestellten Behauptung der Kommission, das Verfahren der vorherigen Registrierung sei bei mindestens 60 % der Reagenzien nicht erforderlich, ist zunächst festzustellen, dass sie die Reagenzien, für die eine vorherige Registrierung angeblich nicht erforderlich ist, nicht eindeutig benannt hat. Ferner hat die Kommission, indem sie sich bei kein unmittelbares Risiko für die Gesundheit darstellenden Reagenzien auf den Hinweis beschränkt hat, die durch das streitige Dekret eingeführte Registrierung könne, ebenso wie es in der Richtlinie 98/79 vorgesehen sei, durch eine Erklärung des Herstellers oder des Händlers dieser Reagenzien gegenüber den Behörden ersetzt werden, nicht dargetan, dass die durch das streitige Dekret vorgesehene Registrierung bei fehlender Harmonisierung nicht erforderlich ist. Schließlich hat die Kommission auch keine weiteren Anhaltspunkte dafür geliefert, dass die Bestimmungen dieses Dekrets unverhältnismäßig sind.

34 Neben der Rüge in Bezug auf die Verpflichtung, alle Reagenzien einer vorherigen Registrierung zu unterwerfen, trägt die Kommission vor, bestimmte Modalitäten dieser Registrierung seien nicht erforderlich. Die Kommission beruft sich insbesondere darauf, dass das streitige Dekret dadurch gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verstoße, dass es die Vorlage einer für die Erstellung der Registrierungsakte nutzlosen Dokumentation vorschreibe. Dies gilt nach Ansicht der Kommission zum einen für die Verpflichtung zur Übermittlung aller eher in den Kompetenzbereich des Arztes fallenden Informationen über den therapeutischen Nutzen sämtlicher Reagenzien, über die Ergebnisse der Haltbarkeitsstudien, die bei anorganischen Reagenzien nicht erforderlich seien, und über den Bericht über die analytischen und klinischen Bewertungen, sofern die Reagenzien bereits Gegenstand breit angelegter veröffentlichter Studien gewesen seien, und zum anderen für die Verpflichtung, die Akte im Fall einer sich auf deren Inhalt auswirkenden Änderung zu aktualisieren.

35 Die französische Regierung hält die geforderte Dokumentation und die Verpflichtung zur Aktualisierung der Akte hingegen für erforderlich, weil sie es ermöglichten, unzuverlässige oder leistungsschwache Reagenzien zu ermitteln. Diese Dokumentation in Verbindung mit der Verpflichtung zur Aktualisierung der Akte ermögliche den Aufbau einer regelmäßig auf den neuesten Stand gebrachten Datenbank für eine dauernde Reagenzienüberwachung; dadurch werde es möglich, nach Vornahme von Stichproben oder im Licht sich aus der Akte ergebender Ungereimtheiten Erzeugnisse, die sich als weniger zuverlässig oder minder leistungsstark erwiesen, zurückzuziehen oder zu ersetzen. Auch wenn die Reagenzien nicht alle vor der Registrierung getestet würden, bildeten die in der Akte enthaltenen Informationen die Grundlage für Kontrollen zur Prüfung oder erneuten Prüfung im Hinblick auf eine langfristige Überwachung des Marktes für Reagenzien.

36 Die Kommission hat nichts vorgetragen, was die Feststellung zuließe, dass die geforderte Dokumentation und gegebenenfalls die Aktualisierung der Informationen in der Registrierungsakte nicht erforderlich sind.

37 Denn in Bezug auf die Dokumentation über den Nachweis des therapeutischen Nutzens der Reagenzien hat die Kommission lediglich angegeben, dass dieser Nutzen wohl eher in den Kompetenzbereich des Arztes falle. Zu den Ergebnissen der Haltbarkeitsstudien hat sie ohne zusätzliche Erläuterung erklärt, diese Studien seien bei anorganischen Reagenzien nicht erforderlich. Was schließlich den Bericht über die analytischen und klinischen Prüfungen betrifft, hat sich die Kommission mit dem Hinweis begnügt, dass die Richtlinie 98/79 eine andere Lösung getroffen habe.

38 Zu der Verpflichtung, die Akte im Fall einer sich auf deren Inhalt auswirkenden Änderung zu aktualisieren, hat die Kommission nichts dafür vorgetragen, dass diese Verpflichtung für die Beurteilung von Reagenzien ohne Belang ist.

39 Nach alledem ist die Rüge, dass das im streitigen Dekret vorgesehene Registrierungssystem für Reagenzien unverhältnismäßig sei, zurückzuweisen, da die Kommission gegenüber dem Gerichtshof nichts vorgetragen hat, was eine entsprechende Feststellung ermöglichen würde.

Zur Verpflichtung, die Registrierungsnummer auf der äußeren Verpackung und die Registrierung auf der Packungsbeilage zu den Reagenzien anzugeben

40 Die Kommission trägt vor, die den Herstellern, Importeuren oder Händlern auferlegte Verpflichtung, die Registrierungsnummer auf der äußeren Verpackung und der Packungsbeilage zu den Reagenzien anzugeben, sei im Hinblick auf den verfolgten Zweck ungeeignet, da die bloße Angabe der Registrierungsnummer auf dieser Verpackung und dieser Beilage weder gewährleiste, dass das Reagenz mit den Erfordernissen der allgemeinen Gesundheit im Einklang stehe, noch den Anwendern eine Information darüber verschaffe, dass das Fehlen eines Gesundheitsrisikos tatsächlich geprüft worden sei. Da der einzige Nutzen der Angabe der Registrierungsnummer darin bestehe, die Anwender darüber zu unterrichten, dass eine Verwaltungsformalität erfuellt worden sei, sei die betreffende Verpflichtung im Hinblick auf das angeführte Ziel des Schutzes der allgemeinen Gesundheit unverhältnismäßig.

41 Die französische Regierung begründet die Verhältnismäßigkeit dieser Maßnahme mit dem Erfordernis der Rückverfolgbarkeit der Reagenzien. Die Verpflichtung zur Angabe der Registrierungsnummer ermögliche es gegebenenfalls, die für Zwischenfälle verantwortlichen Erzeugnisse zu ermitteln, mit dem Hersteller, Importeur oder Händler Kontakt aufzunehmen und erforderlichenfalls zu gewährleisten, dass die betreffenden Erzeugnisse vom Markt genommen würden. Die französische Regierung hat in der Sitzung ferner ausgeführt, eine solche Verpflichtung sei notwendig, um jede Verwechslungsgefahr auszuschließen, falls ein gleichartiges Reagenz, das später unter der gleichen oder einer ähnlichen Bezeichnung in den Verkehr gebracht werde, zwar die gleichen Merkmale habe, aufgrund der wissenschaftlichen und technischen Entwicklung aber eine größere Wirksamkeit und Zuverlässigkeit aufweise.

42 Nach ständiger Rechtsprechung ist eine nationale Regelung, die die Einfuhren von Erzeugnissen beschränkt oder beschränken kann, mit dem EG-Vertrag nur vereinbar, soweit sie für einen wirksamen Schutz der Gesundheit und des Lebens von Menschen erforderlich ist. Eine nationale Regelung fällt daher nicht unter die Ausnahme des Artikels 36 EG-Vertrag, wenn die Gesundheit oder das Leben von Menschen genauso wirksam durch Maßnahmen geschützt werden könnte, die den innergemeinschaftlichen Handel weniger beschränken (Urteil vom 11. Juli 2000 in der Rechtssache C-473/98, Toolex, Slg. 2000, I-0000, Randnr. 40).

43 Der Hinweis auf die Registrierung, insbesondere durch die Angabe der Registrierungsnummer, gibt dem Verwender lediglich die Gewissheit, dass das Reagenz bei der zuständigen Behörde registriert ist, liefert ihm aber keine zusätzliche einem wirksamen Schutz der allgemeinen Gesundheit dienende Information. Die übrigen Erfordernisse nach Artikel 5 des streitigen Dekrets hingegen, wonach Name und Adresse des Händlers sowie die Nummer der Herstellungscharge sowohl auf der äußeren Verpackung als auch auf der unmittelbaren Verpackung des Reagenz selbst anzugeben sind, während die jeweiligen Namen und Adressen des Herstellers, des Händlers und gegebenenfalls des Importeurs auf der Packungsbeilage angegeben sein müssen, sind hinreichende Maßnahmen, um die Rückverfolgbarkeit der Reagenzien zu gewährleisten.

44 Was das Vorbringen der französischen Regierung zur Gefahr einer möglichen Verwechslung der verschiedenen Arten von Reagenzien, die unter gleichen oder ähnlichen Bezeichnungen vertrieben werden, angeht, so stellt das Erfordernis, nach Artikel 5 Absatz 2 Unterabsatz 1 Nummer 8 des streitigen Dekrets die Nummer der Herstellungscharge anzugeben, eine zur Vorbeugung gegen eine derartige Gefahr ausreichende Maßnahme dar.

45 Angesichts dessen, dass es weniger einschränkende Maßnahmen gibt, verstößt die streitige Verpflichtung daher gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz.

46 Demnach ist festzustellen, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-Vertrag verstoßen hat, dass sie in dem streitigen Dekret die Verpflichtung aufgestellt hat, die Registrierungsnummer auf der äußeren Verpackung und die Registrierung auf der Packungsbeilage zu den Arzneimittelreagenzien anzugeben.

Kostenentscheidung:

Kosten

47 Nach Artikel 69 § 3 Unterabsatz 1 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof die Kosten teilen oder beschließen, dass jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da die Kommission und die Französische Republik jeweils mit einem Angriffs- oder Verteidigungsmittel unterlegen sind, haben sie jeweils ihre eigenen Kosten zu tragen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Die Französische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 30 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 28 EG) verstoßen, dass sie in dem Dekret Nr. 96-351 vom 19. April 1996 über die in Artikel L. 761-14-1 des Code de la santé publique genannten Reagenzien die Verpflichtung aufgestellt hat, die Registrierungsnummer auf der äußeren Verpackung und die Registrierung auf der Packungsbeilage zu den Arzneimittelreagenzien anzugeben.

2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.

3. Die Französische Republik und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften tragen jeweils ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

Zurück