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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.11.1998
Aktenzeichen: C-70/97 P
Rechtsgebiete: Entscheidung 92/428/EWG


Vorschriften:

Entscheidung 92/428/EWG
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Im Rahmen einer Entscheidung, mit der ein selektives Vertriebssystem freigestellt wird, befindet sich ein mit den Vertragshändlern in Wettbewerb stehendes Unternehmen, das weder an dem Verwaltungsverfahren teilgenommen noch einen Antrag beim Lieferanten auf Zulassung zu dem selektiven Vertriebsnetz gestellt hat, in keiner anderen Lage als zahlreiche andere Wirtschaftsteilnehmer auf dem Parallelmarkt und kann daher nicht als durch die Freistellungsentscheidung individuell betroffen im Sinne des Artikels 173 Satz 4 des Vertrages angesehen werden.

Dabei kann ein solches Unternehmen nicht geltend machen, hinreichend im Sinne des Artikels 173 individualisiert zu sein, weil eine Wirtschaftsvereinigung, der es angehört, an dem Verwaltungsverfahren, das zum Erlaß der Freistellungsentscheidung geführt hat, beteiligt gewesen ist. Zwar kann die Ausdehnung des Klagerechts auf Vereinigungen, die Interessen ihrer Mitglieder wahrnehmen, Verfahrensvorteile haben, doch entbindet die Beteiligung solcher Vereinigungen an diesem Verfahren deren Mitglieder nicht von dem Nachweis eines Zusammenhangs zwischen ihrer individuellen Situation und dem Verhalten der Vereinigung.

Im übrigen verlangt der gerichtliche Schutz der Lage der betroffenen Unternehmen im Sinne des Artikels 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 nicht, daß sie als durch die Entscheidung individuell betroffen angesehen werden, wenn sie nicht von ihrer Möglichkeit, gegenüber der Kommission eine Stellungnahme abzugeben, Gebrauch gemacht haben.

Es ist unerheblich, daß ein solches Unternehmen an einem Verfahren beteiligt ist, das ein Vertragshändler bei einem nationalen Gericht wegen Verstosses gegen nationale Rechtsvorschriften über den unlauteren Wettbewerb angestrengt hat und daß für die Entscheidung dieses Rechtsstreits die Frage der Rechtmässigkeit der Freistellungsentscheidung von Bedeutung ist. Die Einleitung eines solchen Verfahrens vor Ablauf der Anfechtungsfrist für die Freistellungsentscheidung ist nämlich reiner Zufall und steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit dieser Entscheidung.

Wenn das betreffende Unternehmen auch nicht die Nichtigerklärung der Entscheidung verlangen kann, bleibt ihm unter diesen Umständen jedenfalls die Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit der Entscheidung vor den nationalen Gerichten geltend zu machen, die unter Beachtung des Artikels 177 entscheiden.


Urteil des Gerichtshofes vom 17. November 1998. - Kruidvat BVBA gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Rechtsmittel - Vertriebsbindungssystem - Luxuskosmetika - Unmittelbar und individuell betroffenes Unternehmen. - Rechtssache C-70/97 P.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kruidvat BVBA (nachstehend: Kruidvat) hat mit Rechtsmittelschrift, die am 18. Februar 1997 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen das Urteil des Gerichts erster Instanz vom 12. Dezember 1996 in der Rechtssache T-87/92 (Kruidvat/Kommission, Slg. 1996, II-1931; nachstehend: angefochtenes Urteil) eingelegt, soweit mit diesem ihre Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung 92/428/EWG der Kommission vom 24. Juli 1992 in einem Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag (IV/33.542 - selektives Vertriebssystem von Parfums Givenchy) (ABl. L 236, S. 11; nachstehend: Entscheidung) als unzulässig abgewiesen worden ist.

2 Nach dem angefochtenen Urteil liegt dem Rechtsstreit folgender Sachverhalt zugrunde:

1 Die Klägerin, die Kruidvat BVBA,... ist das belgische Tochterunternehmen einer niederländischen Kette von ungefähr 300 Läden, die auf der Grundlage des "health & beauty"-Konzepts unter dem Handelsnamen "Kruidvat" betrieben werden. In diesen Läden gibt es eine Abteilung für kosmetische Artikel, eine Abteilung für diätetische Lebensmittel und Naturkost und eine Parfümerieabteilung, in der verschiedene Luxusparfümmarken, die miteinander in Wettbewerb stehen, und auch die auf dem Parallelmarkt bezogenen Parfums der Marke Givenchy angeboten werden. In den Niederlanden ist die Kruidvat-Kette in den Augen der Verbraucher "die absolute Nummer Eins" beim Verkauf von Luxusparfums (vgl. die Anlagen 18 und 20 der Erwiderung).

2 Die Parfums Givenchy SA (nachstehend: Givenchy) stellt kosmetische Artikel der Luxusklasse her und gehört zur Gruppe Louis Vuitton Moët-Hennessy, die auf dem gleichen Markt, auf dem Givenchy tätig ist, auch noch mit den Firmen Parfums Christian Dior und Parfums Christian Lacroix vertreten ist. Über diese drei Firmen hält die Gruppe Louis Vuitton Moët-Hennessy einen Anteil von mehr als 10 % am Gemeinschaftsmarkt für Parfümerieartikel der Luxusklasse.

3 Am 19. März 1990 meldete Givenchy bei der Kommission ein Netz von selektiven Vertriebsvereinbarungen für den Verkauf ihrer alkoholischen Parfümeriewaren und ihrer Erzeugnisse der Körper- und Schönheitspflege in den Mitgliedstaaten an und beantragte ein Negativattest nach Artikel 2 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204, nachstehend: Verordnung Nr. 17), hilfsweise eine Freistellung nach Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages.

4 Aus dem "EWG-Vertragshändlervertrag für Parfümeriewaren" (nachstehend: Vertrag) und den dazugehörigen Allgemeinen Geschäftsbedingungen in der mitgeteilten Fassung ergibt sich, daß das Vertriebsnetz von Givenchy ein geschlossenes Netz ist. Den Mitgliedern ist nämlich verboten, die Produkte der Marke Givenchy ausserhalb des Netzes zu verkaufen oder zu beziehen. Givenchy ist dafür verpflichtet, die Einhaltung der Vertriebsbedingungen im Rahmen der geltenden Gesetze und Rechtsvorschriften zu gewährleisten und die Erzeugnisse ihrer Marke aus den Verkaufsstellen abzuziehen, die die vertraglichen Auswahlkriterien nicht erfuellen.

5 Die im Vertrag festgelegten Kriterien für die Auswahl der zugelassenen Einzelhändler betreffen im wesentlichen die berufliche Ausbildung des Personals und die Fortbildungskurse, zu denen es verpflichtet ist, den Standort und die Einrichtung der Verkaufsstelle, das Firmenzeichen des Einzelhändlers sowie bestimmte andere von ihm zu erfuellende Bedingungen u. a. hinsichtlich des Warenlagers, der jährlichen Mindestkäufe, der Präsenz eines ausreichenden Sortiments konkurrierender Marken in der Verkaufsstelle, um das Image der Givenchy-Erzeugnisse zu illustrieren, sowie der Zusammenarbeit zwischen dem Einzelhändler und Givenchy bei Werbeveranstaltungen.

6 Am 8. Oktober 1991 gab die Kommission gemäß Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 ihre Absicht bekannt, den Vertrag für zulässig zu erklären, und forderte die betroffenen Dritten auf, ihr eventuelle Bemerkungen innerhalb von 30 Tagen mitzuteilen (ABl. C 262, S. 2).

7 Nach der Veröffentlichung dieser Mitteilung gingen bei der Kommission eine Reihe von Stellungnahmen ein, darunter die des Raad voor het Filiaal- en Grootwinkelbedrijf (Rat für Filial- und Großbetriebe des Einzelhandels, nachstehend: Raad FGB) vom 29. November 1991. Zu diesem Zeitpunkt war Kruidvat BV, eine der Muttergesellschaften von Kruidvat, Mitglied des Raad FGB.

8 Der Vertrag trat in der Fassung, die in der Entscheidung... beschrieben ist, am 1. Januar 1992 in Kraft (siehe Abschnitt I.C Absatz 2 der Entscheidung).

9 Am 3. Juli 1992 ließ die Copardis SA (nachstehend: Copardis), der Alleinvertreter von Givenchy in Belgien, Kruidvat im Verfahren der einstweiligen Anordnung zur mündlichen Verhandlung vom 8. Juli 1992 vor den Präsidenten der Rechtbank van koophandel Dendermonde laden, um ihr jeglichen Verkauf von Erzeugnissen der Marke Givenchy in Belgien untersagen zu lassen; sie begründete dies in erster Linie damit, daß ein Wiederverkäufer, der nicht zum selektiven Vertriebsnetz von Givenchy gehöre, trotzdem aber die Erzeugnisse dieses Unternehmens verkaufe, sich des unlauteren Wettbewerbs im Sinne der belgischen Rechtsvorschriften über die Lauterkeit des Handelsverkehrs schuldig mache. Kruidvat trug in diesem Verfahren zu ihrer Verteidigung vor, das selektive Vertriebsnetz von Givenchy sei wegen Verstosses gegen Artikel 85 Absätze 1 und 2 des Vertrages unzulässig.

10 Die Kommission erließ am 24. Juli 1992 die Entscheidung. Artikel 1 des verfügenden Teils lautet folgendermassen:

"Artikel 1

Artikel 85 Absatz 1 des EWG-Vertrags wird nach Artikel 85 Absatz 3 für nicht anwendbar erklärt auf den Standardvertrag von Givenchy bzw. ihren Vertragshändlern mit Vertretern des Facheinzelhandels in der Gemeinschaft sowie die allgemeinen Geschäftsbedingungen.

Diese Entscheidung gilt vom 1. Januar 1992 bis zum 31. Mai 1997."

11 Nach den Akten hat der Präsident der Rechtbank van koophandel Dendermonde den Antrag von Copardis am 24. Februar 1993 zurückgewiesen; Copardis hat hiergegen am 28. April 1993 Rechtsmittel zum Hof van Beroep Gent eingelegt."

3 Daraufhin hat Kruidvat mit Klageschrift, die am 16. Oktober 1992 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, Klage auf Nichtigerklärung der Entscheidung erhoben. Die Kommission hat mit besonderem Schriftsatz, der am 3. März 1993 eingegangen ist, eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben, über die durch Endurteil entschieden worden ist. Das Comité de liaison des syndicats européens de l'industrie de la parfumerie et des cosmétiques (Colipa), die Fédération européenne des parfumeurs détaillants (FEPD) und Givenchy sind als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen worden.

4 Kruidvat hat vor dem Gericht drei Hauptargumente dafür vorgetragen, daß sie durch die Entscheidung individuell betroffen sei.

5 Erstens hat sie geltend gemacht, daß sie, vertreten durch den Raad FGB, der der Kommission nach Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 seine Stellungnahme vorgelegt habe, tatsächlich an dem Verwaltungsverfahren teilgenommen habe. Zweitens sei zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung bereits ein konkreter Rechtsstreit zwischen Copardis und ihr über die Gültigkeit des Vertriebssystems von Givenchy vor einem belgischen Gericht anhängig gewesen. Da ihr durch die Entscheidung das Recht genommen sei, sich in diesem Rechtsstreit zu ihrer Verteidigung auf einen Verstoß gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zu berufen, sei sie als individuell betroffen anzusehen. Sie beruft sich auch auf ein an sie gerichtetes Schreiben von Belluco vom 17. Juli 1992, die sämtliche allgemeinen Vertragshändler für Belgien und Luxemburg im Bereich der Luxuskosmetika einschließlich der Erzeugnisse von Givenchy vertritt. Belluco habe in diesem Schreiben bestätigt, daß Kruidvat als Vertragshändler nicht in Betracht komme und der Verkauf von Markenartikeln durch einen nicht zugelassenen Vertragshändler rechtswidrig sei. Drittens hat Kruidvat geltend gemacht, ihre Klage müsse für zulässig erklärt werden, damit ihren Rechten nach Artikel 85 des Vertrages ein vollständiger und wirksamer Rechtsschutz zuteil werde.

6 Mit dem angefochtenen Urteil hat das Gericht die Klage von Kruidvat als unzulässig abgewiesen.

7 Zur Frage der individuellen Betroffenheit von Kruidvat durch die Entscheidung hat das Gericht in Randnummer 63 zunächst festgestellt, daß weder Kruidvat noch ihre Muttergesellschaften Profimarkt BV und Kruidvat BV, noch die niederländische Evora-Gruppe, zu der Kruidvat als Tochtergesellschaft gehöre, eine Beschwerde nach Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 bei der Kommission eingereicht, am Verwaltungsverfahren nach Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 selbst teilgenommen oder die Zulassung zum selektiven Vertriebsnetz von Givenchy beantragt hätten. Die vorliegende Rechtssache unterscheide sich somit von den Rechtssachen, die zu den Urteilen vom 25. Oktober 1977 in der Rechtssache 26/76 (Metro/Kommission, Slg. 1977, 1875), vom 22. Oktober 1986 in der Rechtssache 75/84 (Metro/Kommission, Slg. 1986, 3021; nachstehend: Urteil Metro II), und vom 11. Oktober 1983 in der Rechtssache 210/81 (Demo-Studio Schmidt/Kommission, Slg. 1983, 3045) geführt hätten, auf die sich Kruidvat berufe.

8 Bezueglich der Beteiligung des Raad FGB an dem Verfahren nach Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 aufgrund seines Schreibens vom 29. November 1991 hat das Gericht in Randnummer 64 festgestellt, daß die Akten, auch wenn eine der Muttergesellschaften der Rechtsmittelführerin, nämlich Kruidvat NV, nachweislich Mitglied des Raad FGB gewesen sei, keinen Anhaltspunkt enthielten, daß dieses Schreiben auf Wunsch der Kruidvat NV abgesandt worden sei oder daß letztere an seiner Abfassung beteiligt gewesen sei oder dessen Inhalt genehmigt oder zumindest beeinflusst habe.

9 Zumindest besteht nach der vom Gericht in Randnummer 65 vertretenen Auffassung ein erheblicher Unterschied zwischen dem Standpunkt, den der Raad FGB in seinem Schreiben zum Ausdruck gebracht habe, und dem der Rechtsmittelführerin im vorliegenden Verfahren, da letztere u. a. bereits das Prinzip des selektiven Vertriebs im Bereich der Luxuskosmetika in Frage stelle, während der Raad FGB sich in seinem Schreiben mit diesem Prinzip einverstanden erklärt habe, sofern die Auswahlkriterien objektiv und nicht diskriminierend seien.

10 Unter diesen Umständen bestehe, wie das Gericht in Randnummer 66 feststellt, zwischen der Beteiligung des Raad FGB an dem Verwaltungsverfahren und der individuellen Situation von Kruidvat NV kein ausreichender Zusammenhang, um letztere in bezug auf eine individuelle Freistellungsentscheidung nach Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages im Sinne des Artikels 173 des Vertrages "individualisieren" zu können. Das Schreiben des Raad FGB reiche somit erst recht nicht aus, um die Rechtsmittelführerin zu individualisieren.

11 Das Gericht hat daraufhin untersucht, ob andere Umstände Kruidvat haben individualisieren können. In Randnummern 69 und 70 stellt das Gericht fest, daß die Situation der Rechtsmittelführerin sich nicht von der zahlreicher anderer Wirtschaftsteilnehmer auf dem Parallelmarkt unterscheide, so daß sie nicht schon dadurch individualisiert werde, daß sie aufgrund der Entscheidung Givenchy-Erzeugnisse möglicherweise nicht unmittelbar von Givenchy, deren Alleinvertretern oder Vertragshändlern in der Gemeinschaft beziehen könne.

12 Nach der vom Gericht in Randnummer 71 vertreten Auffassung hat Kruidvat nicht nachgewiesen, daß sie durch die Entscheidung daran gehindert sei, die Bezugsquellen für Givenchy-Erzeugnisse auszunutzen, auf die sie bisher rechtmässig zurückgegriffen habe.

13 Zum Rechtsstreit zwischen Copardis und der Klägerin vor dem nationalen Gericht hat das Gericht in Randnummer 73 festgestellt, daß, selbst wenn man unterstellte, daß zwischen dem Ausgang dieses Rechtsstreits und der Gültigkeit der Entscheidung ein gewisser Zusammenhang bestehe, der Rechtsstreit vor dem nationalen Gericht jedenfalls in erster Linie die Anwendung der belgischen Rechtsvorschriften über den unlauteren Wettbewerb betreffe und nicht die Ablehnung eines Zugangs zum Netz von Givenchy oder einen Antrag auf Schadensersatz wegen angeblicher Verletzung des Artikels 85 Absatz 1 des Vertrages.

14 In Randnummer 74 hat das Gericht weiter festgestellt, daß Kruidvat nicht schon deshalb hinreichend individualisiert sei, weil die Rechtmässigkeit der Entscheidung für die Lösung des vor dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreits von Bedeutung sei. Jeder Händler für Parfums könne nämlich ein Interesse daran haben, im Rahmen eines nationalen Rechtsstreits die Frage der Rechtmässigkeit des Vertriebssystems von Givenchy aufzuwerfen. Ausserdem sei es blosser Zufall, daß dieser Rechtsstreit bei Erlaß der Entscheidung anhängig gewesen sei.

15 In Randnummer 75 des angefochtenen Urteils hat das Gericht darauf hingewiesen, daß das nationale Gericht im Rahmen eines bei ihm anhängigen Rechtsstreits die Möglichkeit habe, den Weg des Vorabentscheidungsverfahrens nach Artikel 177 Absatz 1 Buchstabe b EG-Vertrag zu beschreiten, was einer Partei wie der Klägerin einen angemessenen Rechtsschutz biete.

16 Dem von Kruidvat in Beantwortung der Fragen des Gerichts vorgelegten Schreiben von Belluco lässt sich nach Randnummer 76 des angefochtenen Urteils nichts für einen rechtlich hinreichenden Nachweis entnehmen, daß seine Versendung von Givenchy oder Copardis genehmigt worden sei; dieses Schreiben stelle keine Antwort auf einen Antrag von Kruidvat auf Zulassung zum Vertriebsnetz von Givenchy dar und sei daher für die Beurteilung der Zulässigkeit der Klage ohne Bedeutung.

17 Kruidvat führt zur Begründung ihres Rechtsmittels zwei Gründe an: Verstoß gegen Artikel 173 Absatz 4 bzw. gegen Artikel 190 EG-Vertrag.

Zum Rechtsmittelgrund des Verstosses gegen Artikel 173 Absatz 4 des Vertrages

18 Dieser Rechtsmittelgrund umfasst vier Rügen. Die erste betrifft die Teilnahme von Kruidvat am Verwaltungsverfahren über den Raad FGB. Bei der zweiten geht es um die Folgen der Anhängigkeit eines Verfahrens zwischen Kruidvat und Copardis bei einem nationalen Gericht zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung. Mit der dritten Rüge wirft Kruidvat dem Gericht vor, die Auswirkungen der Entscheidung auf die Wettbewerbssituation unzutreffend beurteilt zu haben, und mit der vierten wird das Fehlen eines vollständigen und wirksamen Rechtsschutzes beanstandet.

19 Die erste Rüge beruht auf der Vorstellung, daß Kruidvat nicht nachzuweisen brauche, daß sie bei der Abfassung des Schreibens des Raad FGB aktiv mitgewirkt habe. Kruidvat ist nämlich der Ansicht, daß Wirtschaftsvereinigungen gerade dadurch gekennzeichnet seien, daß sie jederzeit die Interessen aller ihrer Mitglieder verträten. Kruidvat verweist dazu auf das Urteil des Gerichts vom 6. Juli 1995 in den Rechtssachen T-447/93 bis T-449/93 (AITEC u. a./Kommission, Slg. 1995, II-1971), in dem die Klage des Wirtschaftsverbands AITEC als zulässig angesehen worden sei, da der Verband die Interessen seiner Mitglieder entsprechend seinen satzungsmässigen Befugnissen wahrgenommen habe.

20 Dagegen ist die Kommission der Ansicht, ein individuelles Interesse lasse sich nicht aus der blossen Zugehörigkeit zu einer Wirtschaftsvereinigung herleiten. Der Raad FGB habe an dem Verwaltungsverfahren vor der Kommission teilgenommen und hätte daher grundsätzlich selbst eine Klage erheben können. Diese Auslegung stehe mit der Begründung des Gerichts im Urteil AITEC u. a. völlig im Einklang.

21 Colipa trägt hierzu vor, daß sich im Rahmen der Beurteilung eines individuellen Interesses, das sich aus der Beteiligung einer Wirtschaftsvereinigung am Verwaltungsverfahren herleite, auch die Beteiligung des vertretenen Unternehmens feststellen lassen müsse.

22 Das Gericht hat rechtsfehlerfrei festgestellt, daß zwischen der Beteiligung des Raad FGB an dem Verwaltungsverfahren aufgrund des Schreibens vom 29. November 1991 und der individuellen Situation von Kruidvat NV kein ausreichender Zusammenhang besteht, um letztere in bezug auf eine individuelle Freistellungsentscheidung nach Artikel 85 Absatz 3 des Vertrages im Sinne des Artikels 173 des Vertrages "individualisieren" zu können.

23 Zwar kann die Ausdehnung des Klagerechts auf Vereinigungen, die Interessen ihrer Mitglieder wahrnehmen, Verfahrensvorteile haben, doch entbindet die Beteiligung solcher Vereinigungen am Verwaltungsverfahren deren Mitglieder nicht von dem Nachweis eines Zusammenhangs zwischen ihrer individuellen Situation und dem Verhalten der Vereinigung.

24 Die von Kruidvat vertretene gegenteilige Ansicht findet im Urteil AITEC u. a. keine Stütze, in dem das Gericht drei dem Verband angehörende Unternehmen als individuell betroffen im Sinne des Artikels 173 EG-Vertrag angesehen hat, da ihre Marktstellung durch die mit dem angefochtenen Beschluß der Kommission gebilligte Beihilfe spürbar beeinträchtigt zu werden drohte. Dieses Urteil enthält keinen Hinweis zu der Situation der anderen Verbandsmitglieder.

25 Zweitens trägt Kruidvat vor, das Gericht könne sich nicht auf einen angeblichen Unterschied zwischen dem Standpunkt des Raad FGB und dem von Kruidvat stützen. Für die Feststellung, daß Kruidvat am Verwaltungsverfahren nicht beteiligt gewesen sei, hätte das Gericht nachweisen müssen, daß diese Standpunkte gegensätzlich gewesen seien.

26 Die Kommission hält diesen Teil der Argumentation des Gerichts für entbehrlich. Selbst eine vollständige Übereinstimmung der beiden Standpunkte wäre nicht ausreichend gewesen, um Kruidvat gegenüber anderen, ebenfalls dem Raad FGB angehörenden Unternehmen zu individualisieren.

27 Die Rechtsmittelführerin versteht das angefochtene Urteil falsch. Das Gericht hat keineswegs verlangt, daß zwischen dem Standpunkt der Vereinigung und dem eines seiner Mitglieder, das Klage erhebt, kein erheblicher Unterschied bestehen dürfe, sondern hat auf diesen tatsächlichen Gesichtspunkt nur hingewiesen, um noch stärker zu verdeutlichen, daß Kruidvat auf den Inhalt des Schreibens des Raad FGB keinen Einfluß ausgeuebt hat.

28 Hilfsweise bestreitet Kruidvat noch im Rahmen der ersten Rüge dieses Rechtsmittelgrundes, daß tatsächlich ein erheblicher Unterschied zwischen ihrem Standpunkt und dem des Raad FGB bestanden habe.

29 Dazu genügt die Feststellung, daß damit eine Tatsachenfeststellung in Zweifel gezogen wird, die nach Artikel 51 der EG-Satzung des Gerichtshofes nicht Gegenstand eines Rechtsmittels sein kann.

30 Mit der zweiten Rüge des ersten Rechtsmittelgrundes macht Kruidvat geltend, nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes, insbesondere dem Urteil Metro II, reiche die Anhängigkeit eines zivilrechtlichen Verfahrens bei einem nationalem Gericht für die Zulässigkeit einer unmittelbaren Klage gegen eine mit dem Streitgegenstand zusammenhängende Entscheidung der Kommission aus. Kruidvat sei daher dadurch individualisiert, daß Copardis gegen sie ein Verfahren eingeleitet und sie selbst in ihrer Verteidigung die Ungültigkeit des Vertriebsbindungssystems von Givenchy geltend gemacht habe. Wie sich aus dem Urteil des Gerichtshofes vom 13. Januar 1994 in der Rechtssache C-376/92 (Cartier, Slg. 1994, I-15) ergebe, sei in einem Verfahren wegen unlauteren Wettbewerbs die Wirksamkeit des Vertriebssystems nach Artikel 85 des Vertrages eine vorrangige Frage.

31 Die Kommission ist dagegen der Ansicht, daß Kruidvat kein Interesse daran haben könne, die Ungültigkeit der Entscheidung in dem Rechtsstreit vor dem nationalen Gericht geltend zu machen; dadurch unterscheide sich die vorliegende Rechtssache von der Rechtssache Cartier, in der es um die Frage gegangen sei, ob Metro die Vertragshändler zum Vertragsbruch gegenüber Cartier verleitet habe. Die Frage, ob ein Rechtsstreit vor einem nationalen Gericht anhängig sei, sei ein willkürliches Kriterium und nicht objektiv genug, um festzustellen, ob ein Unternehmen durch eine an ein anderes Unternehmen gerichtete Freistellungsentscheidung individuell betroffen sei.

32 Das Gericht hat zu Recht festgestellt, daß die Klägerin nicht geltend machen kann, schon deshalb hinreichend im Sinne des Artikels 173 Absatz 4 des Vertrages individualisiert zu sein, weil die Rechtmässigkeit der Entscheidung für die Lösung des vor dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreits von Bedeutung ist. Wie der Generalanwalt in Nummer 51 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, ist es nämlich reiner Zufall und steht in keinem unmittelbaren Zusammenhang mit einer das Vertriebsnetz betreffenden Entscheidung, wenn gegen einen Wirtschaftsteilnehmer von einer Partei, die aus der Organisation des Netzes Nutzen zieht oder dafür verantwortlich ist, vor Ablauf der Anfechtungsfrist für diese Entscheidung Klage erhoben wird.

33 Entgegen der Meinung der Rechtsmittelführerin ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht, daß die Anhängigkeit eines zivilrechtlichen Verfahrens für die Zulässigkeit der Klage genügt. In dem Urteil Metro II hat der Gerichtshof der Tatsache, daß der Antrag von Metro auf Zulassung zum Vertriebsnetz abgelehnt worden ist, Bedeutung beigemessen, hat aber nicht auf die Anhängigkeit eines Rechtsstreits zwischen Metro und SABA abgestellt. Zudem hat er die Beteiligung von Metro am Verwaltungsverfahren für erheblich gehalten.

34 Die Ansicht der Klägerin findet auch im Urteil Cartier keine Stütze, in dem der Gerichtshof festgestellt hat, daß in einem Verfahren wegen unlauteren Wettbewerbs die Wirksamkeit des Vertrages nach Artikel 85 EG-Vertrag eine Vorfrage sei. Die Rechtmässigkeit eines Verwaltungsakts, auf die sich eine der Prozessparteien beruft, kann in vielen Fällen eine Vorfrage für die Entscheidung des Rechtsstreits sein, ohne daß sich daraus zwangsläufig der Schluß ergibt, daß eine unmittelbare Klage der anderen Partei vor dem Gericht wegen angeblicher Rechtswidrigkeit dieses Aktes zulässig wäre.

35 Im Rahmen der dritten Rüge des ersten Rechtsmittelgrundes trägt Kruidvat mehrere Argumente vor, um aufzuzeigen, daß das Gericht die Beeinträchtigung ihrer Wettbewerbsstellung durch die angefochtene Entscheidung sowie die Bedeutung dieses Kriteriums für die Feststellung, ob ein einzelner individuell betroffen sei, unzutreffend beurteilt habe.

36 Erstens sei Kruidvat durch die Entscheidung individuell betroffen, weil sie Parfümerie-Erzeugnisse von Givenchy kaufe und verkaufe. Die Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 und 93 Absatz 2 EG-Vertrag über staatliche Beihilfen enthielten einander entsprechende Vorschriften über die Beteiligung betroffener Dritter am Verwaltungsverfahren vor der Kommission. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes, insbesondere den Urteilen vom 14. November 1984 in der Rechtssache 323/82 (Intermills/Kommission, Slg. 1984, 3809), vom 19. Mai 1993 in der Rechtssache C-198/91 (Cook/Kommission, Slg. 1993, I-2487) und vom 15. Juni 1993 in der Rechtssache C-225/91 (Matra/Kommission, Slg. 1993, I-3203) sei "Beteiligter" nicht nur der Beihilfebegünstigte, sondern auch sein Konkurrent. Daher müsse die Wettbewerbsstellung von Kruidvat gegenüber den Vertragshändlern von Givenchy für die Individualisierung von Kruidvat im Sinne des Artikels 173 des Vertrages ausreichen.

37 Zweitens sei Kruidvat in ihrer Wettbewerbsstellung auch deshalb ausdrücklich betroffen, weil ihre Zulassung zum selektiven Vertriebsnetz von vornherein abgelehnt worden sei. Diese Ablehnung ergebe sich zum einen aus dem Verfahren Copardis gegen Kruidvat, in dem Copardis vorgetragen habe, daß das Image von Kruidvat nicht dem für den Vertrieb der Parfums von Givenchy erforderlichen Luxusimage entspreche, und zum anderen aus dem Schreiben von Belluco vom 17. Juli 1992, das Kruidvat als Vertragshändler von vornherein ausgeschlossen habe. In diesem Zusammenhang sei ohne Bedeutung, daß Kruidvat niemals beantragt habe, zum Vertriebsnetz zugelassen zu werden.

38 Drittens bestreitet Kruidvat die Feststellung des Gerichts, daß nicht bewiesen sei, daß sie daran gehindert sei, dieselben Bezugsquellen auszunutzen wie vor Erlaß der Entscheidung. Dieses Argument sei unerheblich und im übrigen falsch. Unerheblich sei es, weil es nicht darum gehe, ob ihre frühere Stellung sich geändert habe, sondern ob der Einkauf durch die Entscheidung schwieriger geworden sei. Falsch sei das Argument, weil es nicht die Folgen der Umsetzung der Ersten Richtlinie 89/104/EWG des Rates vom 21. Dezember 1988 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Marken (ABl. 1989, L 40, S. 1) in Belgien berücksichtige. Die Entscheidung und diese Richtlinie wirkten sich zusammen dahin aus, daß ein Einkauf auf dem Parallelmarkt unmöglich geworden sei.

39 Zudem stehe das angefochtene Urteil im Widerspruch zu dem Urteil des Gerichts vom 11. Juli 1996 in den Rechtssachen T-528/93, T-542/93, T-543/93 und T-546/93 (Métropole télévision u. a./Kommission, Slg. 1996, II-649). In diesem Urteil habe das Gericht das Unternehmen Antena 3 als durch die Entscheidung der Kommission individuell betroffen angesehen, da es als betroffener Dritter im Sinne des Artikels 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 habe qualifiziert werden können, obwohl es nicht an dem Verwaltungsverfahren vor der Kommission teilgenommen habe. In dem Urteil Métropole télévision u. a./Kommission habe das Gericht lediglich geprüft, ob Antena 3 der Zugang zum Netz verwehrt worden sei, während es in dem angefochtenen Urteil ein strengeres Kriterium angewandt habe, nämlich ob Kruidvat einen Antrag auf Zulassung gestellt habe.

40 Für die Kommission besteht ein erheblicher Unterschied zwischen dem Verfahren nach Artikel 93 Absatz 2 des Vertrages auf dem Gebiet staatlicher Beihilfen und dem des Artikels 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17. Den Urteilen Matra/Kommission und Cook/Kommission lasse sich nicht entnehmen, daß allein die abstrakte Beteiligteneigenschaft für die Individualisierung eines Unternehmens wesentlich sei. Erforderlich sei auch, daß die Beihilfe die Wettbewerbsstellung des Unternehmens wesentlich beeinträchtige. Jede Beihilfe habe grundsätzlich eine wettbewerbsverzerrende Wirkung, während dies bei einem Vertriebsbindungssystem nicht der Fall sei. Dritte wie Kruidvat würden durch dieses System nicht beeinträchtigt, sondern könnten vielmehr Nutzen daraus ziehen.

41 Mit dem zweiten Argument würden Tatsachenfeststellungen bestritten, die nicht Gegenstand eines Rechtsmittels sein könnten. Zudem ergebe sich aus den Schriftsätzen von Kruidvat im ersten Rechtszug, daß sie kein Interesse daran habe, Vertriebshändler für Givenchy zu werden. Weder die Behauptung von Copardis in dem Verfahren vor dem belgischen Gericht noch das Schreiben von Belluco könnten dahin ausgelegt werden, daß die Zulassung von Kruidvat von vornherein ausgeschlossen worden sei, sondern müssten im Zusammenhang mit dem Argument gesehen werden, daß nicht zugelassene Händler keine Erzeugnisse von Givenchy verkaufen könnten.

42 Zum dritten Argument trägt die Kommission vor, Kruidvat habe in der Vergangenheit stets auf dem Parallelmarkt eingekauft und daran sei sie durch die Entscheidung auch in Zukunft nicht gehindert. Zudem habe Kruidvat nicht nachweisen können, daß ihre Wettbewerbsstellung durch die Entscheidung wesentlich im Sinne des Urteils vom 28. Januar 1986 in der Rechtssache 169/84 (Cofaz u. a./Kommission, Slg. 1986, 391) beeinträchtigt worden sei. Was die Änderung des Benelux-Markenrechts aufgrund der Richtlinie 89/104 betreffe, so sei diese Änderung erst mit Wirkung vom 1. Januar 1996 eingetreten, d. h. drei Jahre nach Erlaß der Entscheidung. Es bestehe somit weder ein zeitlicher noch ein kausaler Zusammenhang zwischen der Entscheidung und dieser Änderung des Benelux-Rechts.

43 Wie der Generalanwalt in Nummern 59 bis 62 seiner Schlussanträge festgestellt hat, kann Kruidvat die Lage der im Sinne des Artikels 93 Absatz 2 des Vertrages beteiligten Unternehmen, wie sie vom Gerichtshof in den Urteilen Matra/Kommission und Cook/Kommission beurteilt worden ist, und die der betroffenen Dritten nach Artikel 19 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 nicht gleichsetzen. In diesen Urteilen hat der Gerichtshof das Rechtsschutzinteresse mit dem Fehlen anderer Verfahrensgarantien begründet, wenn die Kommission in einer Entscheidung eine Beihilfe mit dem Gemeinsamen Markt für vereinbar erklärt hat, ohne das Untersuchungsverfahren einzuleiten. Im vorliegenden Fall ist dagegen eine Aufforderung zur Abgabe einer Stellungnahme ergangen, und die Betroffenen konnten von ihrem Recht, der Kommission ihren Standpunkt mitzuteilen, Gebrauch machen. Der gerichtliche Schutz ihrer Interessen verlangt also nicht, daß sie als durch die Entscheidung individuell betroffen angesehen werden, wenn sie von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht haben.

44 Zu dem Vorbringen von Kruidvat bezueglich des Schreibens von Belluco vom 17. Juli 1992 ist zu bemerken, daß die Feststellungen des Gerichts, es gebe keinen Anhaltspunkt dafür, daß die Versendung dieses Schreibens von Givenchy oder Copardis genehmigt worden sei oder daß das Schreiben eine Antwort auf einen Antrag von Kruidvat auf Zulassung zum Netz von Givenchy gewesen sei, Tatsachen betreffen und nicht Gegenstand eines Rechtsmittels sein können. Das Gericht hat die Auslegung, daß das Schreiben eine Ablehnung eines Zulassungsantrags enthalte, zurückgewiesen. Es hat dagegen hervorgehoben, daß Kruidvat niemals die Zulassung zum Vertriebsnetz beantragt hat. Daher hat das Gericht zu Recht davon ausgehen können, daß das Schreiben für die Beurteilung der Zulässigkeit der Klage ohne Bedeutung ist.

45 Was die zukünftigen Einkaufsmöglichkeiten von Kruidvat betrifft, so hat das Gericht mit der Feststellung, daß die Rechtsmittelführerin nicht nachgewiesen habe, daß sie durch die Entscheidung daran gehindert sei, die Bezugsquellen auszunutzen, auf die sie bisher rechtmässig zurückgegriffen habe, eine zutreffende Prüfung vorgenommen. Allein anhand dieser Prüfung lässt sich nämlich in einem Fall wie dem vorliegenden entscheiden, ob ein einzelner durch eine Entscheidung aufgrund besonderer, ihn aus dem Kreis aller übrigen Personen heraushebender Umstände berührt ist (vgl. Urteil vom 15. Juli 1963 in der Rechtssache 25/62 (Plaumann/Kommission, Slg. 1963, 237). Die Wirkungen der Entscheidung, wie sie von Kruidvat beschrieben worden sind, heben selbst in Verbindung mit den möglichen Auswirkungen der Anwendung der belgischen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 89/104 das Unternehmen aus dem Kreis aller anderen Wirtschaftsteilnehmer, die nicht zum Vertriebssystem von Givenchy gehören, nicht heraus.

46 Zu dem Hinweis auf das Urteil Métropole télévision u. a./Kommission genügt die Feststellung, daß das Gericht im vorliegenden Fall zu Recht festgestellt hat, daß Kruidvat niemals eine Zulassung zum Vertriebsnetz von Givenchy beantragt hat und ihre Situation sich nicht von der zahlreicher anderer Wirtschaftsteilnehmer auf dem Parallelmarkt unterschieden hat.

47 Mit der vierten Rüge des ersten Rechtsmittelgrundes macht Kruidvat geltend, daß ihr kein angemessener Rechtsschutz gewährt werde, wenn ihre Klage für unzulässig erklärt würde. Das Gericht sei am besten in der Lage, über die unmittelbare Klage, mit der die Rechtswidrigkeit der Freistellungsentscheidungen im Hinblick auf Artikel 85 des Vertrages geltend gemacht werde, zu befinden. Der gerichtliche Schutz, den ein nationales Gericht in Verbindung mit einem Vorabentscheidungsersuchen biete, sei nicht ausreichend.

48 Mit den Artikeln 173 und 184 EG-Vertrag auf der einen und Artikel 177 EG-Vertrag auf der anderen Seite ist ein umfassendes Rechtsschutzsystem geschaffen worden, innerhalb dessen dem Gerichtshof die Überprüfung der Rechtmässigkeit der Handlungen der Organe übertragen ist (vgl. Urteil vom 23. April 1986 in der Rechtssache 294/83, Les Verts/Parlament, Slg. 1986, 1339, Randnr. 23).

49 Wenn Kruidvat auch nicht die Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission verlangen konnte, blieb ihr im vorliegenden Fall, wie sich aus dem Urteil vom 27. September 1983 in der Rechtssache 216/82 (Universität Hamburg, Slg. 1983, 2771, Randnr. 10) ergibt und wie auch von der Kommission vorgetragen worden ist, doch die Möglichkeit, die Rechtswidrigkeit der Entscheidung vor den nationalen Gerichten geltend zu machen, die unter Beachtung des Artikels 177 des Vertrages entscheiden.

50 Nach alledem ist der erste Rechtsmittelgrund zurückzuweisen.

Zum Rechtsmittelgrund des Verstosses gegen Artikel 190 des Vertrages

51 Mit diesem Rechtsmittelgrund macht Kruidvat geltend, daß das angefochtene Urteil in mehrfacher Hinsicht fehlerhaft begründet sei, was gegen Artikel 190 des Vertrages verstosse.

52 Mit der ersten Rüge dieses Rechtsmittelgrundes beanstandet Kruidvat, daß das Gericht gegen Artikel 190 des Vertrages verstosse, wenn es sich in einem Urteil ohne Angabe von Gründen von der früheren Rechtsprechung entferne. Das Gericht habe dem Urteil AITEC u. a./Kommission bezueglich der Frage des Wesens einer Wirtschaftsvereinigung, dem Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 1996 in den Rechtssachen T-19/92 und T-88/92 (Leclerc/Kommission, Slg. 1996, II-1851 und II-1961) und dem Urteil Cartier bezueglich der Frage des Zusammenhangs zwischen einem nationalen Verfahren und der Wirksamkeit der angefochtenen Entscheidung und dem Urteil Métropole télévision u. a./Kommission bezueglich der Beeinträchtigung der Wettbewerbsstellung der Klägerin nicht angemessen Rechnung getragen.

53 Mit der zweiten Rüge dieses Rechtsmittelgrundes macht Kruidvat geltend, daß auch in vier weiteren Punkten gegen Artikel 190 des Vertrages verstossen worden sei. Erstens habe das Gericht in Randnummer 65 des angefochtenen Urteils nicht hinreichend dargelegt, warum es dem Vorbringen von Kruidvat zum Fehlen von Unterschieden zwischen ihrem Standpunkt und dem des Raad FGB nicht gefolgt sei. Zweitens bestehe ein Widerspruch zwischen den Randnummern 1 und 70 des Urteils, in denen das Gericht einerseits Kruidvat als "die absolute Nummer Eins" beim Verkauf von Luxusparfums in den Niederlanden angesehen habe, andererseits aber behaupte, daß die Lage von Kruidvat sich nicht von der zahlreicher anderer Wirtschaftsteilnehmer auf dem Parallelmarkt unterscheide. Drittens habe das Gericht in Randnummer 75 des angefochtenen Urteils dem Vorbringen bezueglich des Fehlens eines angemessenen Rechtsschutzes nicht gebührend Rechnung getragen. Viertens habe das Gericht nicht die gemeinsame Wirkung der Entscheidung und der Richtlinie 89/104 berücksichtigt.

54 Nach Ansicht der Kommission handelt es sich hierbei um keinen eigenständigen Rechtsmittelgrund. Die vorgetragenen Argumente seien nämlich im wesentlichen mit denen identisch, die im Rahmen des ersten Rechtsmittelgrundes geltend gemacht worden seien.

55 Hierzu genügt die Feststellung, daß sämtliche Argumente, die zur Stützung dieses Rechtsmittelgrundes vorgetragen worden sind, Rechtsfragen betreffen, die bereits im Rahmen des ersten Rechtsmittelgrundes einer Prüfung unterzogen worden sind, die zu dem Ergebnis geführt hat, daß dem Gericht bei der Begründung des angefochtenen Urteils keine Rechtsfehler unterlaufen sind.

56 Somit ist der zweite Rechtsmittelgrund ebenfalls zurückzuweisen.

57 Infolgedessen ist das Rechtsmittel insgesamt zurückzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

58 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung, der gemäß Artikel 118 auf das Rechtsmittelverfahren anzuwenden ist, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 69 § 4 der Verfahrensordnung kann der Gerichtshof entscheiden, daß andere Streithelfer als die Mitgliedstaaten und die Organe ihre Kosten selbst tragen.

59 Da die Rechtsmittelführerin mit ihrem Rechtsmittel unterlegen ist, sind ihr die Kosten der Kommission und der Streithelferin Givenchy, die Adressatin der Entscheidung ist, aufzuerlegen. Da die Streithelfer Colipa und FEPD kein so unmittelbares Interesse wie Givenchy am Ausgang des Rechtsstreits haben, tragen sie ihre Kosten selbst.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

60 Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

61 Kruidvat BVBA trägt die Kosten der Kommission und der Streithelferin Parfums Givenchy SA sowie ihre eigenen Kosten.

62 Das Comité de liaison des syndicats européens de l'industrie de la parfumerie et des cosmétiques und die Fédération européenne des parfumeurs detaillants tragen ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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