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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 28.04.1988
Aktenzeichen: 31/86
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 173 Abs. 2
EWG-Vertrag Art. 215
EWG-Vertrag Art. 237
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Vorschriften des Anhangs I der Akte über den Beitritt Spaniens und Portugals betreffend die Anpassung von Rechtsakten der Organe sind kein Rechtsakt des Rates, sondern primärrechtliche Bestimmungen, die nach Artikel 6 der Beitrittsakte, soweit darin nicht etwas anderes vorgesehen ist, nur nach den für die Revision der ursprünglichen Verträge vorgesehenen Verfahren ausgesetzt, geändert oder aufgehoben werden können. Daher fallen sie trotz Artikel 8 der Beitrittsakte nicht unter die Kategorie der Rechtsakte der Organe, gegen die eine Nichtigkeitsklage nach Artikel 173 EWG-Vertrag möglich ist.

2. Der Gerichtshof ist im Rahmen der Artikel 178 und 215 Absatz 2 EWG-Vertrag nicht befugt, über eine Klage auf Ersatz eines Schadens zu befinden, der durch die aufgrund der Akte über den Beitritt Spaniens und Portugals vorgenommenen Anpassungen von Rechtsakten der Organe entstanden ist; denn bei dieser Akte handelt es sich, wie sich aus Artikel 237 EWG-Vertrag ergibt, um ein Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten und den Staaten, die einen Beitrittsantrag gestellt haben.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 28. APRIL 1988. - LEVANTINA AGRICOLA INDUSTRIAL SA (LAISA) UND CPC ESPANA SA GEGEN RAT DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - KLAGE AUF NICHTIGERKLAERUNG VON BESTIMMUNGEN DES ANHANGS I DER AKTE UEBER DIE BEDINGUNGEN DES BEITRITTS DES KOENIGREICHS SPANIEN UND DER PORTUGIESISCHEN REPUBLIK ZUR AENDERUNG DER VERORDNUNG NR. 1785/81 - FESTSETZUNG DER ERZEUGUNGSQUOTEN FUER ISOGLUKOSE. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN 31 UND 35/86.

Entscheidungsgründe:

1 Die Levantina Agricola Industrial SA ( nachstehend : LAISA ) und die CPC España SA ( nachstehend : CPC ), beide mit Sitz in Barcelona, haben mit Klageschriften, die am 6. und 10. Februar 1986 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen sind, gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Nichtigerklärung einiger Vorschriften des Anhangs I der Akte über die Bedingungen des Beitritts des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik und die Anpassungen der Verträge ( ABl. 1985, L 302, S. 232 ) zur Änderung der Verordnung Nr. 1785/81 des Rates vom 30. Juni 1981 über die gemeinsame Marktorganisation für Zucker ( ABl. L 177, S. 4 ). Hilfsweise beantragen die Klägerinnen festzustellen, daß die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, vertreten durch den Rat, für den Schaden haftet, der ihnen durch den Erlaß der genannten Vorschriften entsteht.

2 Die Klägerinnen und die als Streithelferin zu ihrer Unterstützung beigetretene Campo Ebro Industrial SA ( nachstehend : Campo Ebro ) sind die drei einzigen Isoglukosehersteller in Spanien. Sie bestreiten die Gültigkeit des Artikels 24 Absatz 3 Buchstabe a und Absatz 5 Buchstabe a der genannten Verordnung in Verbindung mit Absatz 2 desselben Artikels über die Zuweisung von Produktionsquoten für Isoglukose an die in Spanien ansässigen Unternehmen, indem sie eine Verletzung der Grundsätze der Gleichbehandlung und der Verhältnismässigkeit sowie als hilfsweise angeführten Nichtigkeitsgrund, die Unangemessenheit der Aufteilung der Quoten unter den drei spanischen Isoglukoseherstellern geltend machen.

3 Der Hilfsantrag auf Schadensersatz stützt sich auf Artikel 215 EWG-Vertrag, dessen Voraussetzungen im vorliegenden Fall erfuellt sein sollen.

4 Der Rat, unterstützt durch die Kommission und die Asociación General de Fabricantes de Azúcar de España ( nachstehend : AGFA ), hat gegen die Haupt - und Hilfsanträge eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben. Gemäß Artikel 91 § 3 der Verfahrensordnung hat der Gerichtshof beschlossen, die mündliche Verhandlung über die Einrede zu eröffnen.

5 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur Zulässigkeit der Nichtigkeitsklagen

6 Der Rat macht geltend, die angefochtenen Bestimmungen seien Bestandteil eines Vertrages, der den gleichen rechtlichen Wert habe wie die ursprünglichen Verträge. Sie gehörten daher nicht zu den Handlungen des Rates, die der Rechtmässigkeitskontrolle gemäß Artikel 173 EWG-Vertrag unterworfen werden könnten. Artikel 8 der Beitrittsakte betreffe nur die Möglichkeit für die Organe, die Bestimmungen dieser Akte, die die von ihnen erlassenen Rechtsakte nicht nur vorübergehend aufhöben oder änderten, aufzuheben oder zu ändern, ohne daß sie dabei auf das Verfahren zur Revision der Verträge zurückgreifen müssten, das in Artikel 6 der Beitrittsakte für die Aussetzung, Änderung oder Aufhebung der Bestimmungen dieser Akte vorgesehen sei.

7 Die Klägerinnen und Campo Ebro tragen vor, bei den angefochtenen Bestimmungen handele es sich um abgeleitetes Recht, wie in Artikel 8 der Beitrittsakte klar zum Ausdruck komme. Ein Rechtsakt könne nicht gleichzeitig in bezug auf einige seiner Vorschriften sekundärrechtlichen und in bezug auf andere primärrechtlichen Charakter haben. Ausserdem führe die Auffassung des Rates dazu, zwischen der Regelung, die für die Anpassungen des Sekundärrechts in Anhang I gelte, und der für die Anpassungen, die von den Organen gemäß den im Anhang II dieser Akte festgelegten Leitlinien vorgenommen würden, zu unterscheiden; dies sei willkürlich, da die Wahl des Verfahrens für die Vornahme solcher Anpassungen allein von Gründen der Bequemlichkeit und Zweckmässigkeit bestimmt werde. Ausserdem würden, wenn die angefochtenen Bestimmungen der Kontrolle durch den Gerichtshof entzogen würden, die Wirksamkeit des Rechtsschutzsystems, die fundamentalen Rechtsgrundsätze der Gemeinschaft und die Einheitlichkeit des Gemeinschaftsrechts gefährdet.

8 Nach Ansicht von Campo Ebro zeigt die Möglichkeit der Aufhebung oder Änderung der nicht nur vorübergehenden Anpassungen der Rechtsakte der Organe nach dem Beitritt, daß diese Anpassungen keine Aufnahmebedingungen im Sinne von Artikel 237 sein könnten. Ausserdem führe der Standpunkt des Rates dazu, daß Artikel 24 der Verordnung Nr. 1785/81 paradoxerweise nacheinander drei verschiedenen Regelungen unterworfen werde : Klagemöglichkeit bis zum 31. Dezember 1985, Ausschluß dieser Möglichkeit vom 1. Januar 1986 bis zum 30. Juli 1986 und erneute Klagemöglichkeit seit dem 1. Juli 1986, Zeitpunkt des Inkrafttretens der Verordnung Nr. 934/86, die die Geltung der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1785/81 bis zum Ende des Wirtschaftsjahres 1990/91 verlängert habe.

9 Zunächst ist festzustellen, daß nach Artikel 1 Absatz 2 des Vertrages über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik die Aufnahmebedingungen und die aufgrund der Aufnahme erforderlichen Anpassungen der Verträge zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft und der Europäischen Atomgemeinschaft in der diesem Vertrag beigefügten Akte festgelegt sind.

10 Die Aufnahmebedingungen betreffen die Anwendung des gesamten zum Zeitpunkt des Beitritts geltenden Gemeinschaftsrechts auf die neuen Mitgliedstaaten und stellen den wesentlichen Gegenstand der Akte über den Beitritt der beiden genannten Staaten dar.

11 Nach den Artikeln 26 und 27 der Beitrittsakte sind die nicht nur vorübergehenden Anpassungen in Anhang I der Beitrittsakte selbst festgelegt oder werden vom Rat oder von der Kommission im Einklang mit den in Anhang II aufgestellten Leitlinien nach dem Verfahren und nach Maßgabe des Artikels 396 festgelegt.

12 Die Anpassungen in Anhang I der Beitrittsakte sind daher Gegenstand des Abkommens zwischen den Mitgliedstaaten und dem antragstellenden Staat gemäß Artikel 237 EWG-Vertrag. Sie sind kein Rechtsakt des Rates, sondern primärrechtliche Bestimmungen, die nach Artikel 6 der Beitrittsakte, soweit darin nicht etwas anderes vorgesehen ist, nur nach den für die Revision der ursprünglichen Verträge vorgesehenen Verfahren ausgesetzt, geändert oder aufgehoben werden können.

13 Entgegen der Auffassung der Klägerinnen und der Streithelferin Campo Ebro ergibt sich die Möglichkeit der Kontrolle der Rechtmässigkeit dieser Bestimmungen nicht aus Artikel 8 der Beitrittsakte, der folgendes bestimmt :

" Die Bestimmungen dieser Akte, die eine nicht nur vorübergehende Aufhebung oder Änderung von Rechtsakten der Organe der Gemeinschaften zum Gegenstand haben oder bewirken, haben denselben Rechtscharakter wie die durch sie aufgehobenen oder geänderten Bestimmungen und unterliegen denselben Regeln wie diese."

14 Diese Bestimmung muß im Zusammenhang mit Artikel 6 gesehen werden. Artikel 8 legt nämlich ebenso wie Artikel 7 über die vorübergehenden Bestimmungen die in Artikel 6 genannten Ausnahmen bezueglich des Verfahrens zur Änderung und Aufhebung der Bestimmungen der Beitrittsakte fest. Artikel 8 bewirkt daher nicht, die Bestimmungen, auf die er sich bezieht, der Rechtmässigkeitskontrolle zu unterwerfen.

15 Diese Auslegung gilt um so mehr, als die Bestimmungen der Beitrittsakte die Ergebnisse der Beitrittsverhandlungen niederlegen, die einen Gesamtkomplex zur Lösung der Schwierigkeiten darstellen, den der Beitritt sowohl für die Gemeinschaft als auch für den antragstellenden Staat mit sich bringt.

16 Zurückzuweisen ist das Argument, das sich auf die Änderung der Rechtsnatur der Artikel 24 bis 32 der Verordnung Nr. 1785/81 stützt, die nach Artikel 23 nur für die Wirtschaftsjahre 1981/82 bis 1985/86 anwendbar waren, deren Geltung aber vom Rat bis zum Ende des Wirtschaftsjahres 1990/91 verlängert wurde. Zwar unterliegen die streitigen Bestimmungen, soweit sie sich auf die Wirtschaftsjahre nach den in der Beitrittsakte genannten beziehen, der gerichtlichen Kontrolle nach Artikel 173 EWG-Vertrag. Diese Situation ist jedoch entgegen dem Vorbringen von Campo Ebro nicht paradox. Sie ergibt sich daraus, daß das Abkommen zwischen den Vertragsparteien gemäß Artikel 23 auf die Geltungsdauer dieser Vorschriften beschränkt ist.

17 Zu der angeblichen Willkür des Regelungsunterschieds zwischen den Anpassungen der Rechtsakte der Organe aufgrund der Beitrittsakte selbst und den Anpassungen der Rechtsakte, die die Organe gemäß Artikel 27 der Beitrittsakte erlassen haben, ist festzustellen, daß dieser Unterschied die Folge der verschiedenen gewählten Verfahren ist. Während die Anpassungen nach Artikel 27 der Beitrittsakte aufgrund von Rechtsakten der Organe vorgenommen werden, die insoweit dem allgemeinen System der im EWG-Vertrag vorgesehenen Rechtmässigkeitskontrolle unterliegen, stellen die Anpassungen, die sich unmittelbar aus der Beitrittsakte ergeben, keine Rechtsakte der Organe dar und können daher nicht einer Rechtmässigkeitskontrolle unterzogen werden.

18 Nach alledem stellen die angefochtenen Bestimmungen, die Bestandteil der Akte über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik sind, keinen Rechtsakt des Rates im Sinne von Artikel 173 EWG-Vertrag dar; der Gerichtshof ist daher nicht befugt, über die Rechtmässigkeit dieser Bestimmungen zu befinden. Somit sind die Nichtigkeitsklagen unzulässig.

Zur Schadensersatzklage

19 Nach Ansicht des Rates beruht der angebliche Schaden nicht auf einem von ihm als Gemeinschaftsorgan erlassenen Rechtsakt, sondern auf den Bestimmungen der Beitrittsakte. Ausserdem sei Artikel 215 EWG-Vertrag im vorliegenden Fall nicht anwendbar, da ihm kein Verhalten in bezug auf die Festlegung der beanstandeten Vorschriften zugerechnet werden könne.

20 Die Klägerinnen tragen vor, die Anpassungen des Sekundärrechts seien dem Rat aufgrund seiner herausragenden Rolle zuzurechnen, die er in dem Beitrittsverfahren spiele. Infolgedessen hafte er für die sich daraus ergebenden Schäden.

21 Nach Artikel 237 werden die Aufnahmebedingungen und die Anpassungen des Vertrages durch ein Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten und dem antragstellenden Staat geregelt; der Rat hat keine andere Aufgabe als die, über den Beitrittsantrag zu beschließen.

22 Infolgedessen zielen die Schadensersatzklagen, auch wenn sie formal gegen den Rat gerichtet sind, in Wirklichkeit auf Ersatz des Schadens ab, der unter Umständen durch ein Abkommen zwischen den Mitgliedstaaten, dem Königreich Spanien und der Portugiesischen Republik entstanden ist. Da der Gerichtshof nicht befugt ist, über solche Klagen zu befinden, sind die Schadensersatzklagen als unzulässig abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

23 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung hat die unterliegende Partei die Kosten zu tragen. Da die Klägerinnen mit ihrem Vorbringen unterlegen sind, sind ihnen die Kosten als Gesamtschuldnerinnen aufzuerlegen. Die Streithelferin Campo Ebro trägt ihre eigenen Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Klagen werden als unzulässig abgewiesen.

2 ) Die Klägerinnen tragen die Kosten gesamtschuldnerisch.

3 ) Die Streithelferin Campo Ebro trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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