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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 27.04.1989
Aktenzeichen: 321/87
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, belgische königlichen Verordnung vom 08.10.1981 über die Einreise in das Hoheitsgebiet
Vorschriften:
EWG-Vertrag Art. 169 | |
belgische königlichen Verordnung vom 08.10.1981 über die Einreise in das Hoheitsgebiet Art. 38 |
Das Gemeinschaftsrecht verbietet einem Mitgliedstaat nicht, in seinem Hoheitsgebiet zu kontrollieren, ob die Inhaber eines gemeinschaftlichen Aufenthaltsrechts ständig ihre Aufenthalts - oder Niederlassungserlaubnis bei sich tragen, wenn eine entsprechende Verpflichtung seine eigenen Staatsangehörigen hinsichtlich ihres Personalausweises trifft.
Die Vornahme derartiger Kontrollen bei der Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats ist nach dem Wortlaut der Richtlinien 68/360 und 73/148, wonach die einzige Voraussetzung, von der die Mitgliedstaaten die Einreise der in diesen Richtlinien bezeichneten Personen abhängig machen dürfen, die Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses ist, nicht verboten, da die Einreise in das Hoheitsgebiet des betreffenden Mitgliedstaats nicht von diesen Kontrollen abhängig ist. Gleichwohl kann ein derartiges Vorgehen unter gewissen Umständen die Freizuegigkeit in der Gemeinschaft beeinträchtigen. Dies wäre insbesondere der Fall, wenn die Kontrollen systematisch oder auf willkürliche oder unnötig lästige Weise vorgenommen würden.
URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 27. APRIL 1989. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN KOENIGREICH BELGIEN. - FREIZUEGIGKEIT - GRENZKONTROLLEN - AUFENTHALTS- ODER NIEDERLASSUNGSGENEHMIGUNG. - RECHTSSACHE 321/87.
Entscheidungsgründe:
1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 16. Oktober 1987 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß das Königreich Belgien dadurch gegen seine Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, daß es bei der Einreise von Staatsangehörigen anderer Mitgliedstaaten, die rechtmässig in Belgien wohnen, Personenkontrollen vornehmen lässt, die sich darauf beziehen, ob diese Staatsangehörigen ihre Aufenthalts - oder Niederlassungsgenehmigung bei sich führen.
2 Nach Artikel 38 der belgischen Königlichen Verordnung vom 8. Oktober 1981 über die Einreise in das Hoheitsgebiet, den Aufenthalt, die Niederlassung und die Ausweisung von Ausländern muß "jeder Ausländer, der das 15. Lebensjahr vollendet hat, seine Aufenthalts - oder Niederlassungserlaubnis oder jede andere Aufenthaltsberechtigung ständig bei sich tragen und auf Verlangen allen behördlich Beauftragten vorzeigen ".
3 Diese Verpflichtung entspricht derjenigen, die Artikel 1 der Königlichen Verordnung vom 29. Juli 1985 über die Personalausweise für Belgier den belgischen Staatsangehörigen auferlegt. Die Nichtbeachtung dieser Verpflichtungen stellt in beiden Fällen eine Übertretung dar, für die eine Geldbusse bis 1 500 BFR verhängt werden kann.
4 Bei der Einreise nach Belgien fordern die Grenzkontrollbeamten gelegentlich und je nach den Umständen die nichtbelgischen Gemeinschaftsangehörigen, die ihren Wohnsitz in Belgien haben, auf, ausser ihrem Reisepaß oder Personalausweis ihre Aufenthalts - oder Niederlassungserlaubnis vorzulegen. Legt ein Betroffener diese Erlaubnis nicht vor, so kann er seine Fahrt zwar fortsetzen, muß jedoch möglicherweise eine Geldbusse zahlen.
5 Die Kommission ist der Auffassung, daß diese Praxis den Richtlinien 68/360 des Rates vom 15. Oktober 1968 ( ABl. L 257, S. 13 ) und 73/148 des Rates vom 21. Mai 1973 ( ABl. L 172, S. 14 ) zuwiderläuft, die die Aufhebung der Reise - und Aufenthaltsbeschränkungen innerhalb der Gemeinschaft für Arbeitnehmer der Mitgliedstaaten und ihre Familienangehörigen bzw. für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten auf dem Gebiet der Niederlassung und des Dienstleistungsverkehrs vorsehen.
6 Die belgische Regierung macht geltend, die Kontrolle der Aufenthalts - oder Niederlassungserlaubnis stelle keine Grenzkontrolle dar, sondern sei Teil einer allgemeinen polizeilichen Kontrolle, die regelmässig in ganz Belgien bei allen Einwohnern vorgenommen werde und die nebenbei zugleich mit der Grenzkontrolle durchgeführt werden könne.
7 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.
8 Es ist daran zu erinnern, daß der in den beiden Richtlinien inhaltsgleiche Artikel 3 Absatz 1 vorsieht, daß den Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats, für die die Bestimmungen über die Freizuegigkeit gelten, die Einreise in das Hoheitsgebiet eines anderen Mitgliedstaats "bei (( einfacher )) Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses" gestattet wird. Nach Absatz 2 dieses Artikels darf für die Einreise weder ein Sichtvermerk noch ein gleichartiger Nachweis verlangt werden.
9 Wie der Gerichtshof schon in seinem Urteil vom 3. Juli 1980 in der Rechtssache 157/79 ( Pieck, Slg. 1980, 2171 ) entschieden hat, beziehen sich die Begriffe "Sichtvermerk" und "gleichartiger Nachweis" auf alle Förmlichkeiten, mit denen die Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats erlaubt werden soll und die zur Kontrolle von Reisepaß oder Personalausweis an der Grenze hinzukommen, unabhängig davon, wo, wann und in welcher Form diese Erlaubnis erteilt wird.
10 Aus demselben Urteil ergibt sich, daß der Vorbehalt, der im EWG-Vertrag aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Sicherheit und Gesundheit in bezug auf die Freizuegigkeit gemacht wird, nicht als eine Bedingung für den Erwerb des Einreise - und Aufenthaltsrechts zu verstehen ist, sondern dahin, daß er die Möglichkeit eröffnet, im Einzelfall und bei Vorliegen ausreichender Rechtfertigungsgründe die Ausübung eines unmittelbar aus dem EWG-Vertrag fließenden Rechts zu beschränken. Er rechtfertigt somit keine Verwaltungsmaßnahmen, die ganz allgemein andere Grenzformalitäten verlangen als die blosse Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses.
11 Demgemäß ist die einzige Voraussetzung, von der die Mitgliedstaaten die Einreise der in den genannten Richtlinien bezeichneten Personen abhängig machen dürfen, die Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses.
12 Die streitigen Kontrollen sind nicht Voraussetzung für die Einreise nach Belgien; das Gemeinschaftsrecht verbietet Belgien unstreitig nicht, in seinem Hoheitsgebiet zu kontrollieren, ob die Inhaber eines gemeinschaftlichen Aufenthaltsrechts ständig ihre Aufenthalts - oder Niederlassungserlaubnis bei sich tragen, da eine entsprechende Verpflichtung die belgischen Staatsangehörigen hinsichtlich ihres Personalausweises trifft.
13 Die Kommission bestreitet die Vereinbarkeit der in Rede stehenden Kontrollen mit dem Gemeinschaftsrecht nur insoweit, als sie bei der Einreise nach Belgien vorgenommen werden und somit zum Erfordernis der Vorlage eines gültigen Personalausweises oder Reisepasses hinzukommen.
14 Die Einreise nach Belgien ist nicht von den von der Kommission beanstandeten Kontrollen abhängig; ihr Verbot ergibt sich damit nicht aus dem Wortlaut der von der Kommission angeführten Bestimmungen der Richtlinien.
15 Gleichwohl kann die Vornahme derartiger Kontrollen bei der Einreise in das Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats unter gewissen Umständen die Freizuegigkeit in der Gemeinschaft, ein grundlegendes Prinzip des EWG-Vertrags, dem die genannten Richtlinien seine volle Wirkung verleihen sollen, beeinträchtigen. Dies wäre insbesondere der Fall, wenn diese Kontrollen systematisch oder auf willkürliche oder unnötig lästige Weise vorgenommen würden.
16 Im vorliegenden Fall wird nicht bestritten, daß die streitigen Kontrollen nur gelegentlich und nicht systematisch vorgenommen werden. Im übrigen hat die Kommission nur vorgetragen, daß die Kontrollen als solche dem Gemeinschaftsrecht widersprächen, ohne andere Gesichtspunkte hinsichtlich der Umstände ihrer Durchführung geltend zu machen. Unter diesen Voraussetzungen kann keine Vertragsverletzung des Königreichs Belgiens festgestellt werden.
17 Die Klage ist demgemäß abzuweisen.
Kostenentscheidung:
Kosten
18 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Die belgische Regierung hat jedoch nicht beantragt, der Kommission die Kosten aufzuerlegen. Somit hat, obwohl die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, jede Partei ihre eigenen Kosten zu tragen.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
für Recht erkannt und entschieden :
1 ) Die Klage wird abgewiesen.
2 ) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.
Ende der Entscheidung
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