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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 22.03.1990
Aktenzeichen: 333/88
Rechtsgebiete: EWGV


Vorschriften:

EWGV Art. 177
EWGV Art. 5
EWGV Art. 13
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Die Artikel 5 und 7 EWG-Vertrag sowie Artikel 13 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften sind dahin auszulegen, daß sie es einem Mitgliedstaat, der die von Privatpersonen für Darlehen zum Erwerb oder zur Verbesserung ihrer in diesem Staat gelegenen Hauptwohnung gezahlten Zinsen subventioniert, wenn ihr zu versteuerndes Einkommen in diesem Mitgliedstaat geringer ist als der Betrag der gezahlten Zinsen, nicht verbieten, diese Subventionen Personen zu versagen, die Beamte oder sonstige Bedienstete der Europäischen Gemeinschaften sind, wenn ihr zu versteuerndes Einkommen in dem fraglichen Mitgliedstaat geringer ist als die von ihnen gezahlten Zinsen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 22. MAERZ 1990. - PETER JOHN KRIER TITHER GEGEN COMMISSIONERS OF INLAND REVENUE. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: SPECIAL COMMISSIONERS OF INCOME TAX - VEREINIGTES KOENIGREICH. - PROTOKOLL UEBER DIE VORRECHTE UND BEFREIUNGEN DER GEMEINSCHAFTEN - ABZUG VON HYPOTHEKENZINSEN. - RECHTSSACHE 333/88.

Entscheidungsgründe:

1 Die Special Commissioners of Income Tax haben mit Beschluß vom 15. November 1988, beim Gerichtshof eingegangen am 18. November 1988, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung des Artikels 13 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften ( im folgenden : Protokoll ) sowie der Artikel 5 und 7 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen P. J. K. Tither, einem Beamten der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, und den Commissioners of Inland Revenü. In diesem Rechtsstreit geht es um den Erlaß eines Bescheides gemäß einer Bestimmung des Finance Act 1982 ( Steuergesetz ) zur Förderung des Erwerbs und der Verbesserung von Eigenheimen.

3 Das fragliche System, bekannt als MIRAS ( mortgage interest relief at source - Abzug der Hypothekenzinsen an der Quelle ), betrifft die Zahlung von Zinsen für ein "anspruchsbegründendes" Darlehen im Sinne des Finance Act, das zur Finanzierung bestimmter Grundstücksgeschäfte aufgenommen worden ist. Nach dem Finance Act kann der Darlehensnehmer von den Zinsen, die er zahlt, einen Betrag in Höhe der aufgrund des Basissteuersatzes berechneten Einkommensteuer auf diese Zinsen abziehen. Der Darlehensgeber hat diesen Abzug zuzulassen; der Darlehensnehmer wird hinsichtlich des Abzugsbetrags befreit, als hätte er ihn tatsächlich gezahlt.

4 Dieser Abzug wird steuerlich als vom Darlehensgeber gezahlte Einkommensteuer behandelt. Für den Darlehensnehmer hat der Abzug, den er bei den Zinszahlungen vornimmt, die gleiche Wirkung wie eine Ermässigung seiner Einkommensteuer. Die Anwendung des MIRAS-Systems ist jedoch nicht davon abhängig, daß das zu versteuernde Einkommen des Darlehensnehmers hoch genug ist, um die Hypothekenzinsen abzudecken. Der Darlehensnehmer kann den Abzug auch vornehmen, wenn er über kein zu versteuerndes Einkommen verfügt.

5 Das MIRAS-System steht jedem "anspruchsberechtigten Darlehensnehmer" mit Wohnsitz im Vereinigten Königreich offen, unabhängig von dessen steuerlicher Situation und Staatsangehörigkeit. Nach Abschnitt 13 des Anhangs 7 des Finance Act erfasst der Begriff des "anspruchsberechtigten Darlehensnehmers" jedoch diejenigen Personen nicht, die eine Beschäftigung im öffentlichen oder privaten Dienst ausüben, für die sie Einkünfte beziehen, die aufgrund einer besonderen Steuerbefreiung nicht zu versteuern sind.

6 Herr Tither, der Eigentümer eines Hauses in Wales ist, beantragte die Anwendung des MIRAS-Systems auf ein von einer Bausparkasse gewährtes Darlehen für Verbesserungen an diesem Haus. Die Commissioners of Inland Revenü lehnten es ab, den für die Inanspruchnahme dieses Systems erforderlichen Bescheid zu erlassen, mit der Begründung, Herr Tither sei als Gemeinschaftsbeamter kein "anspruchsberechtigter Darlehensnehmer ".

7 Herr Tither legte gegen diese Weigerung einen auf Artikel 13 des Protokolls gestützten Rechtsbehelf bei den Special Commissioners of Income Tax ein. Die Special Commissioners waren der Ansicht, daß die Befreiung von nationalen Steuern gemäß Artikel 13 des Protokolls eine Steuerbefreiung gemäß Abschnitt 13 des Anhangs 7 des Finance Act darstelle, so daß Beamte der Europäischen Gemeinschaften von dem MIRAS-System ausgeschlossen seien.

8 Die Special Commissioners hielten es daher für geboten, dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen :

"Ist für den Fall, daß ein Mitgliedstaat die von einer Privatperson gezahlten Zinsen für ein Darlehen zum Kauf oder zur Verbesserung ihrer Hauptwohnung in diesem Staat subventioniert, wenn ihr in diesem Staat steuerbares Einkommen niedriger ist als der Betrag dieser Zinszahlungen, solche Zahlungen jedoch nicht subventioniert, wenn der Betroffene oder sein Ehegatte ein Gehalt bezieht, das in diesem Staat aufgrund einer besonderen Befreiung nicht der Steuer unterliegt,

1 ) a ) Artikel 13 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften oder b ) Artikel 5 oder c ) Artikel 7 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft oder d ) irgendeine andere Vorschrift des Gemeinschaftsrechts dahin auszulegen, daß dieser Mitgliedstaat verpflichtet ist, derartige Zinszahlungen einer Privatperson, die die Staatsangehörigkeit dieses Staates besitzt, die ein gemäß dem genannten Artikel 13 in diesem Staat von der Steuer befreites Gehalt bezieht und deren in diesem Staat steuerbares Einkommen niedriger ist als der Betrag dieser Zinszahlungen, zu subventionieren?

2 ) Wenn dem Mitgliedstaat die in Frage 1 genannte Verpflichtung obliegt, ist dann eine solche Privatperson nach dem Gemeinschaftsrecht befugt, sich auf diese Verpflichtung vor den Gerichten des Mitgliedstaats zu berufen, falls das nationale Recht dieses Mitgliedstaats diese Verpflichtung nicht erfuellt?"

9 Wegen weiterer Einzelheiten des rechtlichen Rahmens und des Sachverhalts des Ausgangsrechtsstreits, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

10 Die erste Frage betrifft nur die Situation von Personen, deren Gehalt aufgrund einer Befreiung wie der in Artikel 13 des Protokolls vorgesehenen nicht steuerbar ist und deren sonstiges Einkommen niedriger ist als der Betrag der gezahlten Hypothekenzinsen, so daß diese Personen nach den nationalen Rechtsvorschriften nicht einkommensteuerpflichtig sind.

11 Um diese Frage beantworten zu können, muß die Bedeutung von Artikel 13 des Protokolls ermittelt werden, wonach die Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaft von innerstaatlichen Steuern auf die von der Gemeinschaft gezahlten Gehälter, Löhne und Bezuege befreit sind.

12 Wegen der Auslegung dieser Vorschrift im Zusammenhang mit einem Finanzierungssystem wie dem des vorliegenden Falles ist auf das Urteil des Gerichtshofes vom 24. Februar 1988 in der Rechtssache 260/86 ( Kommission/Belgien, Slg. 1988, 955 ) zu verweisen. Der Gerichtshof hat in diesem Urteil festgestellt, daß Artikel 13 des Protokolls die Befreiung von jeder innerstaatlichen Besteuerung bezweckt, die unmittelbar oder mittelbar auf den fraglichen Gehältern, Löhnen und Bezuegen beruht, und jeder innerstaatlichen Besteuerung entgegensteht, die die Beamten oder sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften deshalb unmittelbar oder mittelbar belastet, weil sie ein Gehalt von den Gemeinschaften beziehen, unabhängig von ihrer Natur und ihren Erhebungsvoraussetzungen und selbst dann, wenn die fragliche Steuer nicht nach der Höhe dieses Gehalts berechnet wird.

13 In Anbetracht dessen ist zu prüfen, ob die Anwendung nationaler Rechtsvorschriften wie derjenigen über das MIRAS-System bewirkt, daß die Gehälter der Beamten oder sonstigen Bediensteten der Gemeinschaft unmittelbar oder mittelbar besteuert werden.

14 Aus den Gründen des Vorlagebeschlusses ergibt sich, daß das im Ausgangsrechtsstreit streitige MIRAS-System bezweckt, die mit der Zahlung von Hypothekenzinsen verbundene Belastung der Darlehensnehmer zu erleichtern, um den Kauf oder die Verbesserung von Eigenheimen durch Privatpersonen zu fördern. Für Personen, deren zu versteuerndes Einkommen zu gering ist, als daß es mit dem Basissteuersatz besteuert werden könnte, hat dieses System die Wirkung einer unmittelbaren Subvention für den Begünstigten, da in diesem Fall kein Zusammenhang zwischen einer steuerlichen Belastung und dem Abzug bei der Zinszahlung besteht.

15 Angesichts einer solchen Lage ist festzustellen, daß Artikel 13 des Protokolls die Mitgliedstaaten nicht verpflichtet, den Beamten und sonstigen Bediensteten der Gemeinschaften die gleichen Subventionen zu gewähren wie den in den anwendbaren nationalen Rechtsvorschriften definierten Begünstigten. Diese Vorschrift verlangt lediglich, daß ein solcher Bediensteter, wenn er bestimmten Steuern unterliegt, in den Genuß aller den Steuerpflichtigen normalerweise zustehenden Steuervorteile kommen kann, damit er nicht höher besteuert wird.

16 Zu Artikel 5 EWG-Vertrag hat der Gerichtshof bereits in dem Urteil vom 15. Januar 1986 in der Rechtssache 44/84 ( Hurd, Slg. 1986, 29 ) entschieden, daß diese Bestimmung es den Mitgliedstaaten insbesondere verbietet, Maßnahmen zu ergreifen, die die Arbeit der Gemeinschaftsorgane beeinträchtigen können. Obwohl eine Maßnahme wie das MIRAS-System dazu führen kann, daß Beamte und sonstige Bedienstete der Gemeinschaften eine Steuervergünstigung nicht erhalten, die sie erhalten würden, wenn sie diesen Status nicht hätten, erscheint diese Maßnahme nicht dazu angetan, bestimmte Personen vom Eintritt in den Dienst der Gemeinschaften abzuhalten oder sie zur Aufgabe ihrer dortigen Tätigkeit zu veranlassen, und kann somit die Arbeit der Gemeinschaftsorgane nicht beeinträchtigen.

17 Was Artikel 7 EWG-Vertrag betrifft, unterscheidet das MIRAS-System die Begünstigten unstreitig nicht nach ihrer Staatsangehörigkeit. Auch diese Vorschrift kann somit die hinsichtlich des Artikels 13 des Protokolls vorgenommene Beurteilung nicht beeinflussen.

18 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß die Artikel 5 und 7 EWG-Vertrag sowie Artikel 13 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften dahin auszulegen sind, daß sie es einem Mitgliedstaat, der die von Privatpersonen für Darlehen zum Erwerb oder zur Verbesserung ihrer in diesem Staat gelegenen Hauptwohnung gezahlten Zinsen subventioniert, wenn ihr zu versteuerndes Einkommen in diesem Mitgliedstaat geringer ist als der Betrag der gezahlten Zinsen, nicht verbieten, diese Subventionen Personen zu versagen, die Beamte oder sonstige Bedienstete der Europäischen Gemeinschaften sind, wenn ihr zu versteuerndes Einkommen in dem fraglichen Mitgliedstaat geringer ist als die von ihnen gezahlten Zinsen.

19 In Anbetracht der Antwort auf diese Frage ist die zweite Frage gegenstandslos geworden.

Kostenentscheidung:

Kosten

20 Die Auslagen des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Sechste Kammer )

auf die ihm von den Special Commissioners of Income Tax durch Beschluß vom 15. November 1988 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

Die Artikel 5 und 7 EWG-Vertrag sowie Artikel 13 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften sind dahin auszulegen, daß sie es einem Mitgliedstaat, der die von Privatpersonen für Darlehen zum Erwerb oder zur Verbesserung ihrer in diesem Staat gelegenen Hauptwohnung gezahlten Zinsen subventioniert, wenn ihr zu versteuerndes Einkommen in diesem Mitgliedstaat geringer ist als der Betrag der gezahlten Zinsen, nicht verbieten, diese Subventionen Personen zu versagen, die Beamte oder sonstige Bedienstete der Europäischen Gemeinschaften sind, wenn ihr zu versteuerndes Einkommen in dem fraglichen Mitgliedstaat geringer ist als die von ihnen gezahlten Zinsen.

Ende der Entscheidung

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