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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 23.02.1988
Aktenzeichen: 429/85
Rechtsgebiete:
Vorschriften:
1. Die Auslegung einer Vorschrift einer Richtlinie, die sich aus deren Wortlaut ergibt, darf nicht durch eine andere Auslegung ersetzt werden, die sich auf eine in das Protokoll der Sitzung, in der die Richtlinie gebilligt worden ist, aufgenommene Erklärung des Rates stützt.
2. Eine blosse Verwaltungspraxis, die die Verwaltung naturgemäß beliebig ändern kann, kann nicht als rechtswirksame Erfuellung der Verpflichtung angesehen werden, die Artikel 189 EWG-Vertrag den Mitgliedstaaten, an die eine Richtlinie gerichtet ist, auferlegt.
URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 23. FEBRUAR 1988. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN ITALIENISCHE REPUBLIK. - VERTRAGSVERLETZUNG - GEFAEHRLICHE STOFFE. - RECHTSSACHE 429/85.
Entscheidungsgründe:
1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 23. Dezember 1985 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen hat, daß sie nicht innerhalb der festgesetzten Frist alle erforderlichen Maßnahmen getroffen hat, um der Richtlinie 79/831 des Rates vom 18. September 1979 zur sechsten Änderung der Richtlinie 67/548 zur Angleichung der Rechts - und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe ( ABl. L 259, S. 10 ) vollständig nachzukommen.
2 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs sowie des Vorbringens der Parteien wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.
3 Die Kommission ist der Auffassung, daß zur Umsetzung der genannten Richtlinie 79/831 erlassene Dekret Nr. 927 des Präsidenten der Italienischen Republik vom 24. November 1981 ( GURI Nr. 50 vom 20. 2. 1981 ) gewährleiste keine ausreichende Umsetzung dieser Richtlinie in die italienische Rechtsordnung.
4 Die Kommission macht geltend, Artikel 8 Absätze 3 und 4 dieses Dekrets stehe dadurch, daß er sowohl den Hersteller als auch den Einführer von der Verpflichtung zur Anmeldung befreie, im Widerspruch zu Artikel 8 Absatz 1 vierter Gedankenstrich der Richtlinie 67/548 in ihrer durch die Richtlinie 79/831 geänderten Fassung ( im folgenden : die Richtlinie ), wonach nur der Hersteller von dieser Verpflichtung befreit sei. Diese Ausdehnung der Regelung zugunsten der Einführer ermögliche es, den in der Richtlinie vorgesehenen Grenzwert von einer Tonne je Jahr und Hersteller in der Weise zu umgehen, daß sich ein ausländischer Hersteller aufgrund von Artikel 8 des Dekrets mehrerer Einführer bedienen könne, von denen sich jeder auf das Recht berufen könne, ohne Anmeldung jährlich bis zu einer Tonne des gleichen Stoffes in den Verkehr zu bringen.
5 Es ist darauf hinzuweisen, daß die Richtlinie 79/831 die sechste Änderung der Richtlinie 67/548 vom 27. Juni 1967 ( ABl. L 196, S. 1 ) darstellt, durch die die Grundregeln für die Einstufung, die Verpackung und die Kennzeichnung gefährlicher Stoffe und Zubereitungen aufgestellt worden sind.
6 Einer der grundlegenden Bestandteile der Richtlinie ist die Verpflichtung zur Anmeldung, die für jeden Hersteller oder Einführer dieser Stoffe in der Gemeinschaft besteht, um gemäß der dritten Begründungserwägung dieser Richtlinie die Wirkungen dieser Stoffe auf den Menschen und die Umwelt prüfen zu können. Zu diesem Zweck sind in den Artikeln 6 und 7 der Richtlinie die Modalitäten des Anmeldeverfahrens im einzelnen festgelegt. Nach diesen Vorschriften ist im allgemeinen jeder Stoff im Sinne der Richtlinie vor dem Inverkehrbringen durch den Hersteller oder den Einführer bei den zuständigen Stellen anzumelden.
7 Ausnahmen von dieser Regel sind in Artikel 8 Absatz 1 der Richtlinie vorgesehen, deren Rechtfertigung darin liegt, daß die Kontrolle der genannten Stoffe aufgrund ihrer begrenzten Mengen oder aufgrund des wissenschaftlichen oder Forschungszweckes, zu dem die Stoffe in den Verkehr gebracht werden, möglich ist und die Risiken begrenzt sind. Aus diesem Grund sind nach dem vierten Gedankenstrich dieser Vorschrift "Stoffe, die in Mengen von weniger als 1 Tonne je Jahr und Hersteller in den Verkehr gebracht werden", von der Verpflichtung zur Anmeldung befreit. Gemäß Artikel 2 Absatz 1 Buchstabe e der Richtlinie ist die Einfuhr als ein Inverkehrbringen im Sinne der Richtlinie zu betrachten.
8 Die italienische Regierung räumt zwar ein, daß die nationale Vorschrift formal nicht der Richtlinie entspreche, sie trägt aber vor, daß die Ausdehnung der Regelung auf Einführer infolge der Erklärung des Rates erfolgt sei, die in das Protokoll der Sitzung aufgenommen worden sei, in der die Richtlinie gebilligt worden sei; in dieser Erklärung werde auf den Hersteller oder den Einführer Bezug genommen, um jede Diskriminierung zwischen ihnen auszuschließen.
9 Hierzu ist festzustellen, daß eine Auslegung, die aus einer Erklärung des Rates hergeleitet wird, nicht zu einer anderen Auslegung als der führen darf, die sich aus dem Wortlaut des Artikels 8 Absatz 1 vierter Gedankenstrich der Richtlinie selbst ergibt.
10 In Anbetracht dieser Vorschrift stellt Artikel 8 des Dekrets Nr. 927 eine vom Gemeinschaftsgesetzgeber nicht gewollte Ausdehnung der in der Richtlinie vorgesehenen Ausnahmeregelung dar. Dieser Artikel lässt es nämlich zu, daß mehrere Einführer Mengen eines von demselben Hersteller stammenden Stoffes von weniger als einer Tonne in den Verkehr bringen. Damit ist das Ziel der Richtlinie, das Inverkehrbringen von neuen Stoffen ohne Anmeldung auf kleine Mengen zu beschränken und nur zu bestimmten Zwecken zuzulassen, nicht beachtet worden.
11 Die italienische Regierung trägt vor, nach der nationalen Vorschrift habe der Anmelder die anderen Länder der Gemeinschaft, in denen er den Stoff in den Verkehr bringen wolle, anzugeben, so daß man kontrollieren und verhindern könne, daß ein Hersteller sich mehrerer Einführer bediene, um mehrmals verschiedene Mengen desselben Stoffes in den Verkehr zu bringen; ausserdem werde bei der Einfuhr nach dem Namen des Herstellers gefragt, so daß der Einführer als im Namen und für Rechnung des Herstellers handelnd angesehen werde. Die nationale Vorschrift werde also in der Praxis in völliger Übereinstimmung mit den Forderungen der Kommission angewandt.
12 Es ist festzustellen, daß es sich hierbei um blosse Verwaltungspraktiken handelt und daß solche Praktiken, die die Verwaltung naturgemäß beliebig ändern kann, nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes nicht als eine rechtswirksame Erfuellung der Verpflichtung angesehen werden können, die Artikel 189 EWG-Vertrag den Mitgliedstaaten, an die eine Richtlinie gerichtet ist, auferlegt.
13 Nach alledem hat die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen, daß sie die Einführer entgegen Artikel 8 Absatz 1 Satz 1 der Richtlinie 67/548 des Rates zur Angleichung der Rechts - und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe in ihrer durch die Richtlinie 79/831 des Rates geänderten Fassung von der in Artikel 6 dieser Richtlinie vorgesehenen Verpflichtung zur Anmeldung befreit hat.
Kostenentscheidung:
Kosten
14 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Italienische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
für Recht erkannt und entschieden :
1 ) Die Italienische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus dem EWG-Vertrag verstossen, daß sie die Einführer entgegen Artikel 8 Absatz 1 Satz 1 der Richtlinie 67/548 des Rates zur Angleichung der Rechts - und Verwaltungsvorschriften für die Einstufung, Verpackung und Kennzeichnung gefährlicher Stoffe in ihrer durch die Richtlinie 79/831 des Rates geänderten Fassung von der in Artikel 6 dieser Richtlinie vorgesehenen Verpflichtung zur Anmeldung befreit hat.
2 ) Die Italienische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.
Ende der Entscheidung
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