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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 09.12.1965
Aktenzeichen: 44-65
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Verordnung Nr. 3 des Rates der EWG über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer
Vorschriften:
EWG-Vertrag Art. 117 | |
EWG-Vertrag Art. 51 | |
Verordnung Nr. 3 des Rates der EWG über die soziale Sicherheit der Wanderarbeitnehmer Art. 52 |
1. NUR DIE STAATLICHEN GERICHTE HABEN ZU BESTIMMEN, WELCHE FRAGEN DEM GERICHTSHOF VORZULEGEN SIND. DIE PARTEIEN KÖNNEN DIE FRAGEN WEDER INHALTLICH ÄNDERN NOCH FÜR GEGENSTANDSLOS ERKLÄREN LASSEN.
2. DER BEGRIFF DES " ARBEITNEHMERS " IM SINNE DER VERORDNUNG NR. 3 IST NICHT AUF WANDERARBEITNEHMER STRICTO SENSU ODER AUF ARBEITNEHMER BESCHRÄNKT, DIE IHR ARBEITSVERHÄLTNIS ZU ORTSVERÄNDERUNGEN NÖTIGT.
VGL. LEITSATZ NR. 1 DES URTEILS 75/63, RSPRGH X 383.
3. DIE SOZIALVERSICHERUNGSTRAEGER DER MITGLIEDSTAATEN KÖNNEN NACH MASSGABE DES ARTIKELS 52 DER VERORDNUNG NR. 3 DIE ERSTATTUNG DER LEISTUNGEN VERLANGEN, DIE SIE FÜR EINEN VOR DEM 1. JANUAR 1959 EINGETRETENEN UNFALL ERBRACHT HABEN.
URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 9. DEZEMBER 1965. - HESSISCHE KNAPPSCHAFT GEGEN SINGER ET FILS. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VON DER COUR D'APPEL COLMAR. - RECHTSSACHE 44-65.
Entscheidungsgründe:
S. 1274
I. ERSTE FRAGE
MIT DER ERSTEN FRAGE WIRD DER GERICHTSHOF ERSUCHT ZU ENTSCHEIDEN, OB ARTIKEL 52 DER VERORDNUNG NR. 3 NUR AUF WANDERARBEITNEHMER ANWENDBAR IST, DIE IM UNFALLZEITPUNKT IN EINEM DER SECHS LÄNDER DER GEMEINSCHAFT BESCHÄFTIGT SIND ODER WAREN, ODER OB ER FÜR JEDEN EINEM SOZIALVERSICHERUNGSSYSTEM EINES MITGLIEDSTAATS ANGESCHLOSSENEN ARBEITNEHMER GILT, AUCH WENN ER NICHT WANDERARBEITNEHMER IST UND WENN DER IHM ZUGESTOSSENE UNFALL, FÜR DEN SOZIALVERSICHERUNGSLEISTUNGEN ERBRACHT WORDEN SIND, WEDER BEI NOCH ANLÄSSLICH DER ARBEIT GESCHEHEN IST.
DURCH SEIN URTEIL 33/64 VOM 11. MÄRZ 1965 ( ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VON DER ARRONDISSEMENTSRECHTBANK ASSEN, RSPRGH XI 133, 145 ) HAT DER GERICHTSHOF FOLGENDE AUSLEGUNG DES ARTIKELS 52 ABSATZ 1 DER VERORDNUNG NR. 3 GEGEBEN :
" DIESE VORSCHRIFTEN SIND ANWENDBAR, WENN EIN ARBEITNEHMER NACH DEN RECHTSVORSCHRIFTEN EINES MITGLIEDSTAATS EINE DER IN ARTIKEL 2 DER VERORDNUNG NR. 3 GENANNTEN LEISTUNGEN FÜR EINEN IM HOHEITSGEBIET EINES ANDEREN MITGLIEDSTAATS EINGETRETENEN SCHADEN ERHÄLT UND DORT GEGEN EINEN DRITTEN ANSPRUCH AUF ERSATZ DES SCHADENS BESITZT. ES IST UNERHEBLICH, OB DER SCHADEN MIT DEM ARBEITSVERHÄLTNIS IM ZUSAMMENHANG STEHT. "
FÜR DEN VORLIEGENDEN FALL IST NOCH DARAN ZU ERINNERN, DASS ARTIKEL 52 UNABHÄNGIG DAVON, OB ES SICH UM DEN ARBEITNEHMER SELBST ODER UM SEINE ANSPRUCHSBERECHTIGTEN ANGEHÖRIGEN HANDELT, STETS ANWENDBAR IST, WENN JEMAND NACH DEN RECHTSVORSCHRIFTEN EINES MITGLIEDSTAATS LEISTUNGEN ERHÄLT.
S. 1275
DIE BEKLAGTE HÄLT DIE VERORDNUNG NR. 3 BEI DIESER AUSLEGUNG, DEREN RICHTIGKEIT SIE EINRÄUMT, FÜR UNVEREINBAR MIT ARTIKEL 51 EWG-VERTRAG; SIE MEINT VOR ALLEM, NACH DIESER VORSCHRIFT KÖNNE DER RAT NUR DIE RECHTSSTELLUNG DER WANDERARBEITNEHMER STRICTO SENSU REGELN. MIT DIESER BEGRÜNDUNG MACHT DIE BEKLAGTE VOR DEM GERICHTSHOF NACH DEN ARTIKELN 173 UND 184 EWG-VERTRAG DIE UNANWENDBARKEIT VON ARTIKEL 52 DER VERORDNUNG NR. 3 GELTEND UND BEANTRAGT, DAS AUSLEGUNGSERSUCHEN DER COUR D' APPEL COLMAR FÜR GEGENSTANDSLOS ZU ERKLÄREN. NUR DIE STAATLICHEN GERICHTE, NICHT DIE PARTEIEN DER VOR IHNEN ANHÄNGIGEN STREITSACHEN KÖNNEN DEN GERICHTSHOF NACH ARTIKEL 177 ANRUFEN. DAMIT HABEN AUCH NUR DIE STAATLICHEN GERICHTE ZU BESTIMMEN, WELCHE FRAGEN DEM GERICHTSHOF VORZULEGEN SIND. DIE PARTEIEN KÖNNEN DIE FRAGEN WEDER INHALTLICH ÄNDERN NOCH FÜR GEGENSTANDSLOS ERKLÄREN LASSEN.
DER GERICHTSHOF KANN DAHER IN DEM BESONDEREN VERFAHREN DES ARTIKELS 177 NICHT GEZWUNGEN WERDEN, SICH AUF ANTRAG EINER PARTEI MIT EINER FRAGE ZU BEFASSEN, DIE IHM VORZULEGEN NICHT DEN PARTEIEN, SONDERN NUR DEM STAATLICHEN GERICHT SELBST ZUKOMMT. DIES GILT AUCH FÜR ANTRAEGE, DIE AUF ARTIKEL 184 GESTÜTZT WERDEN. DIE GEGENTEILIGE ANSICHT VERKENNT, DASS DIE VERFASSER VON ARTIKEL 177 EIN UNMITTELBARES ZUSAMMENWIRKEN DES GERICHTSHOFES MIT DEN STAATLICHEN GERICHTEN IN EINEM NICHTSTREITIGEN VERFAHREN VORSEHEN WOLLTEN, IN DEM DIE PARTEIEN KEINERLEI INITIATIVRECHTE, SONDERN NUR GELEGENHEIT ZUR ÄUSSERUNG HABEN.
DER ANTRAG DER KLAEGERIN, DEN AUSLEGUNGSANTRAG DER COUR D' APPEL COLMAR FÜR GEGENSTANDSLOS ZU ERKLÄREN, IST DAHER ZURÜCKZUWEISEN.
ÜBRIGENS IST DIE ANSICHT DER KLAEGERIN, DIE VERORDNUNG NR. 3, INSBESONDERE IHR ARTIKEL 52, ÜBERSCHREITE DIE IN ARTIKEL 51 EWG-VERTRAG GEZOGENEN GRENZEN, NICHT HALTBAR. NACH ARTIKEL 51 DES VERTRAGES " BESCHLIESST ( DER RAT )... DIE AUF DEM GEBIET DER SOZIALEN SICHERHEIT FÜR DIE HERSTELLUNG DER FREIZUEGIGKEIT DER ARBEITNEHMER NOTWENDIGEN MASSNAHMEN ". ARTIKEL 51 STEHT IM KAPITEL " DIE ARBEITSKRÄFTE " DES TITELS III ( " DIE FREIZUEGIGKEIT, DER FREIE DIENSTLEISTUNGS - UND KAPITALVERKEHR ") DES ZWEITEN TEILS DES VERTRAGES ( " DIE GRUNDLAGEN DER GEMEINSCHAFT " ). DIE HERBEIFÜHRUNG EINER MÖGLICHST WEITGEHENDEN FREIZUEGIGKEIT DER ARBEITNEHMER GEHÖRT ALSO ZU DEN " GRUNDLAGEN " DER GEMEINSCHAFT. SIE STELLT DEN ENDZWECK DES ARTIKELS 51 DAR UND IST DIE RICHTSCHNUR FÜR DIE ABGRENZUNG DER BEFUGNISSE, DIE DIESER ARTIKEL DEM RAT VERLEIHT. DIESEM GEIST ENTSPRICHT ES NICHT, DEN " ARBEITNEHMER " -BEGRIFF AUF DIE WANDERARBEITNEHMER STRICTO SENSU ODER AUF ORTSVERÄNDERUNGEN EINZUSCHRÄNKEN, DIE MIT DEM ARBEITSVERHÄLTNIS IM ZUSAMMENHANG STEHEN. NICHTS IN ARTIKEL 51 VERLANGT NACH SOLCHEN UNTERSCHEIDUNGEN, SIE WÜRDEN ÜBRIGENS DIE ANWENDUNG DER AUFGRUND DIESES ARTIKELS ZU ERLASSENDEN RECHTSNORMEN PRAKTISCH UNMÖGLICH MACHEN. DAGEGEN ENTSPRICHT DIE IN DER VERORDNUNG NR. 3 GETROFFENE REGELUNG, DIE IN DER MÖGLICHST WEITGEHENDEN BESEITIGUNG DER TERRITORIALEN GRENZEN DER ANWENDBARKEIT DER VERSCHIEDENEN SOZIALVERSICHERUNGSSYSTEME BESTEHT, SEHR WOHL DEN ZIELEN DES ARTIKELS 51 EWG-VERTRAG.
S. 1276
II. ZWEITE FRAGE
MIT DER ZWEITEN FRAGE ERSUCHT DIE COUR D' APPEL COLMAR DEN GERICHTSHOF UM ENTSCHEIDUNG DARÜBER, OB DIE SOZIALVERSICHERUNGSTRAEGER EINES STAATES NACH MASSGABE DES ARTIKELS 52 DER VERORDNUNG NR. 3 DIE ERSTATTUNG VON LEISTUNGEN VERLANGEN KÖNNEN, DIE SIE AUS ANLASS EINES VOR DEM 1. JANUAR 1959 GESCHEHENEN UNFALLS ERBRACHT HABEN.
DIE VERORDNUNG NR. 3 IST NACH ARTIKEL 88 ABSATZ 1 DER VERORDNUNG NR. 4 DES RATES DER EWG AM 1. JANUAR 1959 IN KRAFT GETRETEN. SIE HAT DIE RECHTE UND PFLICHTEN, VON DENEN SIE HANDELT, NICHT VOR DEM 1. JANUAR 1959 ENTSTEHEN LASSEN KÖNNEN. DAS HINDERT ABER NICHT, DASS FRÜHERE EREIGNISSE VOM ZEITPUNKT DES INKRAFTTRETENS DER VERORDNUNG AN SOLCHE RECHTE UND PFLICHTEN BEGRÜNDEN KÖNNEN. MANGELS AUSDRÜCKLICHER GEGENTEILIGER BESTIMMUNGEN SIND DIE NORMEN DER VERORDNUNG ALS MIT IHREM INKRAFTTRETEN WIRKSAM GEWORDEN ANZUSEHEN, SOWEIT SIE FÜR DIE GEGENWART DIE RECHTSFOLGEN VERGANGENER EREIGNISSE FESTLEGEN. ARTIKEL 52 DER VERORDNUNG ÄNDERT NICHTS AN DEN TATBESTÄNDEN, VON DENEN ENTSTEHUNG UND UMFANG DER AUSSERVERTRAGLICHEN HAFTUNG ABHÄNGEN; DIESE TATBESTÄNDE WERDEN NACH WIE VOR ALLEIN VOM INNERSTAATLICHEN RECHT BEHERRSCHT. DER ARTIKEL BESCHRÄNKT SICH DARAUF, DIE RECHTSNACHFOLGE DES VERSICHERUNGSTRAEGERS, DER LEISTUNGEN SCHULDET, IN DIE ETWAIGEN ANSPRÜCHE DES LEISTUNGSEMPFÄNGERS GEGEN EINEN HAFTENDEN DRITTEN ANZUORDNEN, MIT ANDEREN WORTEN, EINEN NEUEN GLÄUBIGER AN DIE STELLE DES BISHERIGEN TRETEN ZU LASSEN.
AUSSERDEM STELLT DER IN ARTIKEL 52 VORGESEHENE FORDERUNGSÜBERGANG AUF DIE NATIONALEN SOZIALVERSICHERUNGSTRAEGER DAS LOGISCHE UND GERECHTE GEGENSTÜCK ZUR AUSDEHNUNG DER VERPFLICHTUNGEN DIESER VERSICHERUNGSTRAEGER AUF DAS GESAMTE GEBIET DER GEMEISCHAFT DAR. HIERZU SCHREIBT ARTIKEL 53 ABSATZ 3 DER VERORDNUNG NR. 3 VOR, DASS LEISTUNGEN AUCH FÜR EREIGNISSE ZU GEWÄHREN SIND, DIE VOR INKRAFTTRETEN DER VERORDNUNG GESCHEHEN SIND. DIE GLEICHE ZEITLICHE GELTUNG MUSS DAHER AUCH ARTIKEL 52 ZUERKANNT WERDEN. DEMNACH IST DIE ZWEITE FRAGE DER COUR D' APPEL COLMAR ZU BEJAHEN.
Kostenentscheidung:
DIE VON DER EWG-KOMMISSION, DIE ERKLÄRUNGEN ABGEGEBEN HAT, VERAUSLAGTEN KOSTEN SIND NICHT ERSTATTUNGSFÄHIG.
S. 1277
FÜR DIE PARTEIEN DES HAUPTPROZESSES HAT DAS VERFAHREN DEN CHARAKTER EINES ZWISCHENSTREITS IN DEM VOR DER COUR D' APPEL COLMAR ANHÄNGIGEN RECHTSSTREIT. DIE KOSTENENTSCHEIDUNG OBLIEGT DAHER DIESEM GERICHT.
Tenor:
HAT
DER GERICHTSHOF
AUF DIE IHM VON DER 1. ZIVILKAMMER DER COUR D' APPEL COLMAR MIT BESCHLUSS VOM 1. JUNI 1965 ZUR VORABENTSCHEIDUNG VORGELEGTEN FRAGEN FÜR RECHT ERKANNT :
1. DIE ENTSCHEIDUNG ÜBER DIE ERSTE FRAGE DER COUR D' APPEL COLMAR IST DEM URTEIL 33/64 DES GERICHTSHOFES VOM 11. MÄRZ 1965 ZU ENTNEHMEN.
2. DIE SOZIALVERSICHERUNGSTRAEGER DER MITGLIEDSTAATEN KÖNNEN NACH MASSGABE DES ARTIKELS 52 DER VERORDNUNG NR. 3 DES RATES DER EWG " ÜBER DIE SOZIALE SICHERHEIT DER WANDERARBEITNEHMER " DIE ERSTATTUNG VON LEISTUNGEN VERLANGEN, DIE SIE FÜR EINEN VOR DEM 1. JANUAR 1959 EINGETRETENEN UNFALL ERBRACHT HABEN.
S. 1278
3. DIE KOSTENENTSCHEIDUNG BLEIBT DER COUR D' APPEL COLMAR VORBEHALTEN.
Ende der Entscheidung
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