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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 28.09.1994
Aktenzeichen: C-144/93
Rechtsgebiete: Richtlinie 79/112/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 79/112/EWG Art. 6 Abs. 4 Buchst. c Ziffer ii erster Gedankenstrich
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 6 Absatz 4 Buchstabe c Ziffer ii erster Gedankenstrich der Richtlinie 79/112 über die Etikettierung und Aufmachung von Lebensmitteln, nach dem Zusatzstoffe, deren Vorhandensein in einem Lebensmittel lediglich darauf beruht, daß sie in einer oder in mehreren Zutaten dieses Lebensmittels enthalten waren, sofern sie im Enderzeugnis keine technologische Wirkung mehr ausüben, nicht als Zutaten gelten und folglich nicht in das Zutatenverzeichnis im Rahmen der Etikettierung der Erzeugnisse aufgenommen werden dürfen, ist dahin auszulegen, daß ein Zusatzstoff, der während der Herstellung einer Zutat deren Verfärbung verhindert, im Enderzeugnis keine technologische Wirkung mehr ausübt, wenn er in diesem nicht mehr zur Verhinderung der Verfärbung vorhanden sein muß.

Die Richtlinie schreibt nämlich eine zweckdienliche, für den Verbraucher verständliche Unterrichtung vor, kann aber wegen der in Artikel 6 geregelten Ausnahme nicht dahin ausgelegt werden, daß sie eine umfassende Aufzählung aller bei der Herstellung der fraglichen Erzeugnisse verwendeten Zutaten verlangt.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 28. SEPTEMBER 1994. - PFANNI WERKE OTTO ECKART KG GEGEN LANDESHAUPTSTADT MUENCHEN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: BUNDESVERWALTUNGSGERICHT - DEUTSCHLAND. - LEBENSMITTEL - VERPFLICHTUNG ZUR ANGABE EINES ZUSATZSTOFFS IM VERZEICHNIS DER ZUTATEN (ETIKETTIERUNG) - RICHTLINIE 79/112/EWG - AUSNAHME VON DIESER VERPFLICHTUNG. - RECHTSSACHE C-144/93.

Entscheidungsgründe:

1 Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Beschluß vom 26. November 1992, beim Gerichtshof eingegangen am 6. April 1993, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung von Artikel 6 Absatz 4 Buchstabe c Ziffer ii erster Gedankenstrich der Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür (ABl. L 33, S. 1) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Pfanni Werke Otto Eckart KG (nachstehend: Klägerin) und der Landeshauptstadt München (nachstehend: Beklagte) über die Verpflichtung zur Angabe eines Zusatzstoffs im Verzeichnis der Zutaten im Rahmen der Etikettierung ihrer Erzeugnisse.

3 Gemäß Artikel 3 der Richtlinie 79/112 enthält die Etikettierung eines Lebensmittels ein Verzeichnis seiner Zutaten. Von dieser Regel sind mehrere Ausnahmen vorgesehen, darunter diejenige, die in Artikel 6 Absatz 4 Buchstabe c Ziffer ii erster Gedankenstrich aufgeführt ist. Nach dieser Bestimmung gelten nicht als Zutaten:

"Zusatzstoffe, deren Vorhandensein in einem Lebensmittel lediglich darauf beruht, daß sie in einer oder in mehreren Zutaten dieses Lebensmittels enthalten waren, sofern sie im Enderzeugnis keine technologische Wirkung mehr ausüben".

4 Diese Bestimmung wurde durch § 5 Absatz 2 Nr. 2 der Lebensmittel-Kennzeichnungsverordnung vom 22. Dezember 1981 (BGBl. I S. 1625; nachstehend: LMKV), zuletzt geändert durch Verordnung vom 5. März 1990 (BGBl. I S. 435), in deutsches Recht umgesetzt. Gemäß § 5 Absatz 2 Nr. 2 LMKV galten zum maßgeblichen Zeitpunkt nicht als Zutaten "Stoffe der Anlage 2 der Zusatzstoffverkehrsverordnung und Aromen, Enzyme und Mikroorganismenkulturen, die in einer oder mehreren Zutaten eines Lebensmittels enthalten waren, sofern sie im Enderzeugnis keine technologische Wirkung mehr ausüben". In Anlage 2 der Zusatzstoffverkehrsverordnung vom 10. Juli 1984 (BGBl. I S. 897), geändert durch Verordnung vom 19. Juni 1989 (BGBl. I S. 1123), war u. a. Diphosphat E 450 a aufgeführt.

5 Die Klägerin, die Lebensmitel auf Trockenkartoffelbasis herstellt, setzt Diphosphat E 450 a bei der Herstellung der Zutat "Kartoffelpüreeflocken" zu, um deren enzymbedingte Grauverfärbung zu verhindern.

6 Laut dem Vorlagebeschluß beanstandete die Beklagte, daß die Klägerin diesen Zusatzstoff im Verzeichnis der Zutaten ihrer Erzeugnisse nicht aufgeführt hatte. Nach Auffassung der Beklagten wirkt sich Diphosphat E 450 a auf die Farbe des Enderzeugnisses aus und ist daher als Zutat im Sinne der oben erwähnten Bestimmungen anzusehen. Die Beklagte wies die Klägerin ferner darauf hin, daß sie mit einem Untersagungsbescheid und einem Bußgeldverfahren rechnen müsse, wenn sie bei der Fortsetzung ihrer Tätigkeit der Etikettierungsverpflichtung nicht nachkomme.

7 Die Klägerin erhob beim Bayerischen Verwaltungsgericht München (nachstehend: Verwaltungsgericht) Klage gegen die Beklagte. Sie machte geltend, das Diphosphat E 450 a spiele im Enderzeugnis keine Rolle mehr und müsse folglich nicht in das Zutatenverzeichnis aufgenommen werden. Dieser Zusatzstoff werde der Kartoffelmasse nur zugesetzt, um eine Verfärbung zu verhindern. Die Kartoffelmasse sei nur ein Zwischenprodukt bei der Herstellung der Zutat "Kartoffelpüreeflocken". Bei der anschließenden Trocknung der Kartoffelmasse könne die Färbung der Kartoffelflocken im Enderzeugnis nicht mehr verändert werden, weil durch die Erhitzung die Enzyme in den Kartoffelzellen neutralisiert würden.

8 Das Verwaltungsgericht wies die Klage mit Urteil vom 22. März 1989 ab. Es war der Auffassung, die Zugabe von Diphosphat E 450 a beeinflusse das Aussehen des Enderzeugnisses und müsse folglich in der Etikettierung angegeben werden.

9 Die Klägerin legte gegen dieses Urteil beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof Berufung ein. Sie machte gestützt auf § 5 Absatz 2 Nr. 2 LMKV geltend, daß das Diphosphat E 450 a im Enderzeugnis keine technologische Wirkung mehr ausübe.

10 Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof wies die Berufung mit Urteil vom 1. August 1990 als unbegründet zurück. Er schloß sich in seiner Begründung der Auslegung des Verwaltungsgerichts mit dem Hinweis an, der Normgeber beabsichtige, den Verbraucher möglichst umfassend über die Zusammensetzung und Beschaffenheit der ihm angebotenen Lebensmittel zu unterrichten.

11 Die Klägerin legte gegen dieses Urteil beim Bundesverwaltungsgericht Revision ein. Das Bundesverwaltungsgericht ist der Auffassung, daß der Rechtsstreit eine Frage der Auslegung der einschlägigen Gemeinschaftsregelung aufwerfe. Es hat deshalb das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Übt ein Zusatzstoff im Enderzeugnis noch eine technologische Wirkung aus, wenn er während der Herstellung der Zutat deren Verfärbung verhindert und dieser Zustand im Enderzeugnis erhalten bleibt, ohne daß der Zusatzstoff im Enderzeugnis weiterhin vorhanden sein muß?

12 Mit seiner Frage möchte das vorlegende Gericht im Kern wissen, ob Artikel 6 Absatz 4 Buchstabe c Ziffer ii erster Gedankenstrich der Richtlinie 79/112 dahin auszulegen ist, daß ein Zusatzstoff, der während der Herstellung einer Zutat deren Verfärbung verhindert, im Enderzeugnis keine technologische Wirkung mehr ausübt, wenn er in diesem nicht mehr zur Verhinderung der Verfärbung vorhanden sein muß.

13 Nach Auffassung der Landesanwaltschaft Bayern, die erklärt hat, die gleichen Interessen wie die Beklagte zu vertreten, muß jeder Zusatzstoff, der die Beschaffenheit des Enderzeugnisses unmittelbar oder mittelbar beeinflusst, in das Zutatenverzeichnis aufgenommen werden. Zweck der Richtlinie sei es nämlich, den Verbraucher vor einer Irreführung durch die Kennzeichnung von Lebensmitteln zu schützen und ihn möglichst umfassend über deren Zusammensetzung zu informieren.

14 Dieses Argument ist nicht stichhaltig.

15 Es trifft zu, daß die Richtlinie, wie ihre sechste Begründungserwägung besagt, der Unterrichtung und dem Schutz der Verbraucher dienen soll und daß sie die Hersteller zu diesem Zweck dazu verpflichtet, das Zutatenverzeichnis in die Etikettierung ihrer Erzeugnisse aufzunehmen. Es gibt jedoch mehrere Ausnahmen von dieser Verpflichtung, darunter diejenige nach Artikel 6 Absatz 4 Buchstabe c Ziffer ii erster Gedankenstrich.

16 Aus diesen Bestimmungen ergibt sich, daß die Richtlinie eine zweckdienliche, für den Verbraucher verständliche Unterrichtung vorschreibt, nicht aber, wie die Beklagte geltend macht, eine umfassende Aufzählung der bei der Herstellung der fraglichen Erzeugnisse verwendeten Zutaten. Im übrigen würde bei einer derartigen Auslegung Artikel 6 Absatz 4 Buchstabe c Ziffer ii erster Gedankenstrich der Richtlinie seines Regelungsgehalts entleert.

17 Im vorliegenden Fall ergibt sich aus dem Vorlagebeschluß, daß die Gefahr einer Grauverfärbung der Kartoffelmasse nach der Erhitzung und Trocknung entfällt, so daß das Diphosphat E 450 a im Enderzeugnis nicht mehr vorhanden sein muß.

18 Der streitige Zusatzstoff übt demnach im Enderzeugnis keine technologische Wirkung mehr aus und darf folglich, um den Verbraucher nicht irrezuführen, nicht in das Zutatenverzeichnis aufgenommen werden.

19 Auf die Vorlagefrage ist demnach zu antworten, daß Artikel 6 Absatz 4 Buchstabe c Ziffer ii erster Gedankenstrich der Richtlinie 79/112 dahin auszulegen ist, daß ein Zusatzstoff, der während der Herstellung einer Zutat deren Verfärbung verhindert, im Enderzeugnis keine technologische Wirkung mehr ausübt, wenn er in diesem nicht mehr zur Verhinderung der Verfärbung vorhanden sein muß.

Kostenentscheidung:

Kosten

20 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

auf die ihm vom Bundesverwaltungsgericht mit Beschluß vom 26. November 1992 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 6 Absatz 4 Buchstabe c Ziffer ii erster Gedankenstrich der Richtlinie 79/112/EWG des Rates vom 18. Dezember 1978 zur Angleichung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Etikettierung und Aufmachung von für den Endverbraucher bestimmten Lebensmitteln sowie die Werbung hierfür ist dahin auszulegen, daß ein Zusatzstoff, der während der Herstellung einer Zutat deren Verfärbung verhindert, im Enderzeugnis keine technologische Wirkung mehr ausübt, wenn er in diesem nicht mehr zur Verhinderung der Verfärbung vorhanden sein muß.

Ende der Entscheidung

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