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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.04.1997
Aktenzeichen: C-147/95
Rechtsgebiete: EG-Vertrag
Vorschriften:
EG-Vertrag Artikels 119 |
5 Ein Rentensystem einer öffentlichen Einrichtung wie das des griechischen öffentlichen Elektrizitätsunternehmens fällt in den Anwendungsbereich des Artikels 119 des Vertrages, so daß für dieses System das mit diesem Artikel aufgestellte Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts gilt. Darauf, daß dieses System durch den Gesetzgeber eingeführt worden ist, kommt es nicht an, wenn es nur eine besondere Gruppe von Arbeitnehmern betrifft und wenn die von ihm gezahlten Renten unmittelbar von der zurückgelegten Beschäftigungszeit und vom letzten Entgelt abhängen, so daß die Rente als aufgrund des Beschäftigungsverhältnisses mit dieser Einrichtung gezahlt angesehen werden kann.
Eine von einem solchen System gezahlte Hinterbliebenenrente fällt demnach unter Artikel 119.
6 Eine nationale Rechtsvorschrift, nach der die Gewährung einer Witwerrente, die von einem betrieblichen Rentensystem gewährt wird und deshalb unter den Begriff des Entgelts im Sinne von Artikel 119 des Vertrages fällt, von besonderen Voraussetzungen abhängt, die für Witwen nicht gelten, läuft Artikel 119 zuwider, und keine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts kann ihre Aufrechterhaltung rechtfertigen.
7 Das Protokoll Nr. 2 zu Artikel 119 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ist so auszulegen, daß Artikel 119 des Vertrages im Rahmen einer vor dem 17. Mai 1990 erhobenen Klage auf die Gewährung von Leistungen eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit geltend gemacht werden kann, wenn diese Klage zwar mit der Begründung für unzulässig erklärt worden ist, daß der Kläger nicht zuvor Widerspruch eingelegt habe, das nationale Gericht dem Kläger aber eine neue Frist zur Einlegung eines solchen Widerspruchs eingeräumt hat.
8 Die Durchführung des Grundsatzes des gleichen Entgelts verlangt, daß Witwer, die in einem beruflichen Rentensystem aufgrund ihres Geschlechts diskriminiert werden, dieselben Vergünstigungen, also eine Hinterbliebenenrente oder Hinterbliebenenleistungen, erhalten müssen, wie sie Witwen gewährt werden. Denn wenn eine Diskriminierung im Bereich des Entgelts festgestellt worden ist und solange im Rahmen des betroffenen Rentensystems keine Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung getroffen worden sind, kann die Beachtung des Artikels 119 nur dadurch sichergestellt werden, daß den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vergünstigungen gewährt werden, wie sie den Angehörigen der bevorzugten Gruppe zustehen.
Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 17. April 1997. - Dimossia Epicheirissi Ilektrismou (DEI) gegen Efthimios Evrenopoulos. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Dioikitiko Efeteio Athinon - Griechenland. - Sozialpolitik - Männliche und weibliche Arbeitnehmer - Gleichbehandlung - Anwendbarkeit des Artikels 119 EG-Vertrag oder der Richtlinie 79/7/EWG - Versicherungssystem eines öffentlichen Elektrizitätsunternehmens - Hinterbliebenenrente - Protokoll Nr. 2 zum Vertrag über die Europäische Union - Begriff der Klage bei Gericht. - Rechtssache C-147/95.
Entscheidungsgründe:
1 Der Dioikitiko Efeteio Athen hat mit Urteil vom 30. März 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 12. Mai 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag mehrere Fragen nach der Auslegung des Artikels 119 EG-Vertrag, des Protokolls zu Artikel 119 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft und der Richtlinie 79/7/EWG des Rates vom 19. Dezember 1978 zur schrittweisen Verwirklichung des Grundsatzes der Gleichbehandlung von Männern und Frauen im Bereich der sozialen Sicherheit (ABl. 1979, L 6, S. 24; im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Efthimios Evrenopoulos (im folgenden: Kläger) und der Dimosia Epicheirisi Ilektrismou (öffentliches Elektrizitätsunternehmen; im folgenden: Beklagte) wegen Gewährung einer Hinterbliebenenrente.
3 Die Klägerin ist eine öffentliche Einrichtung eigener Art mit Rechtspersönlichkeit, die hinsichtlich ihrer meisten Funktionen, einschließlich ihrer Stellung als Arbeitgeber, dem Privatrecht unterliegt. Ihr Versicherungssystem, das die Branchen Rente, Krankheit und Arbeitslosigkeit umfasst, wurde unmittelbar durch das Gesetz 4491/1966 (im folgenden: Gesetz) geschaffen und wird ausschließlich durch dieses geregelt. Die Verwaltung des Versicherungssystems ist einer durch Beschluß des Verwaltungsrats der Beklagten geschaffenen Sonderabteilung übertragen, die gemäß Artikel 1 des Gesetzes "Versicherungsabteilung" heisst.
4 Gemäß Artikel 2 des Gesetzes gehören alle Personen, die in einem Arbeitsverhältnis zu der Beklagten stehen, sowie ihre Familienangehörigen zwingend diesem Versicherungssystem an.
5 Mit Artikel 4 des Gesetzes wurde im Rahmen der Beklagten ein aus elf Mitgliedern bestehender Versicherungsrat geschaffen, der zuständig ist für die Feststellung der Versicherungszeiten der Versicherten, die Entscheidung über die Gewährung der im Gesetz vorgesehenen Leistungen und die Vorlage von Vorschlägen an den Verwaltungsrat der Beklagten im Hinblick auf den Erlaß von Maßnahmen zur Verbesserung der Bedingungen, unter denen den Bediensteten der Beklagten der vom Gesetz gebotene Schutz gewährt wird.
6 Gemäß Artikel 8 des Gesetzes bestimmt sich die Höhe der nach diesem System gewährten Altersrente nach den Bezuegen des letzten Beschäftigungsjahres und hängt unmittelbar von der Beschäftigungsdauer ab, da die für ihre Gewährung erforderliche Versicherungszeit der Dauer der Beschäftigung bei der Beklagten entspricht.
7 Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a des Gesetzes (im folgenden: streitige Bestimmung) sieht vor: "Stirbt ein Ruhegehaltsempfänger oder Versicherter..., so hat die Witwe oder, wenn der Versicherte eine Frau ist, der mittellose, vollständig arbeitsunfähige und während der letzten fünf Jahre vor ihrem Tod von dieser unterhaltene Witwer Anspruch auf Rente."
8 Die Ehefrau des Klägers war bei der Beklagten beschäftigt. Nach ihrem Tod beantragte der Kläger mit Schreiben vom 20. Januar 1989 beim Direktor der Versicherungsabteilung der Beklagten (im folgenden: Direktor) die Gewährung einer Hinterbliebenenrente.
9 Da der Direktor innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung nicht geantwortet hatte, erhob der Kläger am 12. Juni 1989 beim Dioikitiko Protodikeio Athen Klage auf Aufhebung der sich daraus ergebenden stillschweigenden Ablehnung seines Antrags.
10 Am 21. September 1989 lehnte der Direktor den Antrag des Klägers mit der Begründung ab, dieser erfuelle nicht die Voraussetzungen der streitigen Bestimmung. In dem beim Dioikitiko Protodikeio Athen eingereichten Schriftsatz erweiterte der Kläger seine Anfechtungsklage auf diese ausdrückliche ablehnende Entscheidung.
11 Der Dioikitiko Protodikeio Athen erklärte mit Urteil vom 26. November 1990 die Klage gegen die stillschweigende ablehnende Entscheidung, die sich aus dem Ausbleiben einer Antwort des Direktors ergab, für zulässig, wies jedoch die Klage gegen die ausdrückliche ablehnende Entscheidung mit der Begründung ab, der Kläger habe es versäumt, zunächst beim Versicherungsrat Widerspruch gegen die Entscheidung des Direktors einzulegen. Unter Hinweis darauf, daß der Direktor den Kläger nicht von der Notwendigkeit eines solchen Widerspruchs unterrichtet habe, räumte das Gericht dem Kläger aber eine Frist von drei Monaten ab dem 26. November 1990 ein, um Widerspruch einzulegen.
12 Der am 4. Februar 1991 beim Versicherungsrat eingelegte Widerspruch des Klägers wurde am 26. März 1991 mit derselben Begründung zurückgewiesen, wie sie der Direktor in seiner Entscheidung angeführt hatte.
13 Am 2. Mai 1991 erhob der Kläger beim Dioikitiko Protodikeio Athen Klage gegen die Entscheidung des Versicherungsrats. Mit Urteil vom 16. April 1992 erklärte dieses Gericht die streitige Entscheidung mit der Begründung für ungültig und nicht anwendbar, daß sie gegen das Verbot der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts verstosse, das in den Artikeln 4 und 116 der griechischen Verfassung und im Gemeinschaftsrecht niedergelegt sei. Es hob daher die Entscheidung des Versicherungsrats der Beklagten auf.
14 Die Beklagte legte gegen dieses Urteil Berufung zum vorlegenden Gericht ein, das das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Vorabentscheidungsfragen vorgelegt hat:
1. Handelt es sich bei dem... Versicherungssystem der DEI um ein betriebliches oder ein gesetzliches System?
2. Ist Artikel 119 EG-Vertrag oder die Richtlinie 79/7/EWG auf dieses System, insbesondere auf die von ihm vorgesehenen Leistungen für Hinterbliebene, anwendbar?
3. Verstösst Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a des Gesetzes 4491/1966 gegen Artikel 119 des Vertrages?
4. Lässt sich diese Vorschrift aufgrund anderer Gemeinschaftsvorschriften aufrechterhalten?
5. Ist Artikel 119 EWG-Vertrag im vorliegenden Fall in Anbetracht des Protokolls Nr. 2 zum EWG-Vertrag und des Umstands anwendbar, daß der Berufungsbeklagte seine ursprüngliche Klage vor dem 17. Mai 1990, nämlich am 12. Juni 1989, erhoben hatte, daß diese aber durch das Urteil Nr. 8361/1990 des Dioikitiko Protodikeio Athen mit der Begründung, er habe keinen Widerspruch (Verwaltungsbeschwerde) gegen die Entscheidung des Direktors der Versicherungsabteilung eingelegt, abgewiesen, ihm aber für die Einlegung eines solchen Widerspruchs eine Frist von drei Monaten gesetzt wurde?
6. Falls die dritte und die fünfte Frage bejaht werden: Hat der Witwer, der aufgrund der genannten Vorschrift (Artikel 9 Absatz 1 Buchstabe a des Gesetzes 4491/1966) keine Rente oder andere Hinterbliebenenleistungen erhält, Anspruch auf Rente oder andere Hinterbliebenenleistungen unter den für Witwen geltenden Voraussetzungen?
Zur ersten und zur zweiten Frage
15 Die erste Frage geht dahin, ob Leistungen, die nach einem Rentensystem wie dem Versicherungssystem der Beklagten gewährt werden, in den Anwendungsbereich von Artikel 119 des Vertrages fallen.
16 Die Beklagte und die griechische Regierung machen geltend, das Versicherungssystem der Beklagten sei ein gesetzliches System, das nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 119 falle. Insoweit hebt die Beklagte hervor, daß das System unmittelbar durch das Gesetz geschaffen worden sei und ausschließlich durch dieses geregelt werde und daß sie es als juristische Person des öffentlichen Rechts verwalte. Das System sei weder durch eine einseitige Entscheidung des Arbeitgebers noch nach Verhandlungen oder einer Konzertierung zwischen den Sozialpartnern geschaffen worden, die Modalitäten seines Funktionierens hingen mit Gründen der Sozialpolitik und nicht mit dem Beschäftigungsverhältnis zusammen und es habe schließlich keinen ergänzenden Charakter im Verhältnis zu einem anderen, allgemeinen Versicherungssystem, da die von ihm gewährten Leistungen nicht ganz oder teilweise an die Stelle der Leistungen irgendeines anderen allgemeinen Versicherungssystems träten. Aus diesen Erwägungen sind die Beklagte und die griechische Regierung der Auffassung, daß das System nicht den vom Gerichtshof entwickelten Kriterien zur Auslegung des Begriffes "Entgelt" im Sinne von Artikel 119 entspreche.
17 Auch die Richtlinie 79/7 sei im Ausgangsverfahren nicht anwendbar, da sie nach ihrem Artikel 3 Absatz 2 nicht für Leistungen für Hinterbliebene gelte.
18 Der Kläger, die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission halten die Richtlinie ebenfalls nicht für anwendbar im Ausgangsverfahren. Dagegen falle das Versicherungssystem der Beklagten in den Anwendungsbereich von Artikel 119. Da es nur eine besondere Gruppe von Arbeitnehmern betreffe, da die fragliche Leistung unmittelbar von der zurückgelegten Beschäftigungszeit abhänge und da ihre Höhe auf der Grundlage des letzten Beschäftigungsjahres berechnet werde, hänge das System im wesentlichen vom Beschäftigungsverhältnis ab und erfuelle somit die entscheidenden Kriterien dafür, daß die von ihm gewährten Renten als Entgelt im Sinne von Artikel 119 des Vertrages angesehen werden könnten.
19 Wie der Gerichtshof wiederholt entschieden hat, kann allein das Kriterium, daß die Rente dem Arbeitnehmer aufgrund seines Dienstverhältnisses mit seinem früheren Arbeitgeber gezahlt wird, d. h. das aus dem Wortlaut des Artikels 119 selbst abgeleitete Kriterium der Beschäftigung, entscheidend sein (Urteil vom 28. September 1994 in der Rechtssache C-7/93, Beune, Slg. 1994, I-4471, Randnr. 43).
20 Zwar hat der Gerichtshof eingeräumt, daß auf dieses Kriterium des Beschäftigungsverhältnisses nicht ausschließlich abgestellt werden kann, da die von den gesetzlichen Systemen der sozialen Sicherheit gewährten Renten ganz oder teilweise dem Beschäftigungsentgelt Rechnung tragen können (Urteil Beune, a. a. O., Randnr. 44).
21 Erwägungen der Sozialpolitik, der Staatsorganisation und der Ethik oder selbst den Haushalt betreffende Überlegungen, die bei der Festlegung eines Systems durch den Gesetzgeber eine Rolle gespielt haben oder gespielt haben mögen, können jedoch nicht entscheidend sein, wenn die Rente nur für eine besondere Gruppe von Arbeitnehmern gilt, unmittelbar von der zurückgelegten Beschäftigungszeit abhängt und ihre Höhe nach dem letzten Entgelt berechnet wird (Urteil Beune, a. a. O., Randnr. 45).
22 Zudem ist eine in einem Betriebsrentensystem vorgesehene Hinterbliebenenrente eine Vergütung, die ihren Ursprung in der Zugehörigkeit des Ehegatten des Hinterbliebenen zu dem Rentensystem hat, so daß sie in den Anwendungsbereich von Artikel 119 fällt (Urteile vom 6. Oktober 1993 in der Rechtssache C-109/91, Ten Över, Slg. 1993, I-4879, Randnrn. 13 und 14, und vom 28. September 1994 in der Rechtssache C-200/91, Coloroll Pension Trustees, Slg. 1994, I-4389, Randnr. 18).
23 Demgemäß hängt eine von einem Betriebsrentensystem der im Ausgangsverfahren fraglichen Art gezahlte Hinterbliebenenrente, die sich im wesentlichen nach der von der Ehefrau des Betroffenen ausgeuebten Beschäftigung richtet, mit dem von dieser bezogenen Entgelt zusammen und fällt unter Artikel 119 des Vertrages.
24 Auf die erste und die zweite Frage ist demnach zu antworten, daß die Leistungen, einschließlich der Hinterbliebenenleistungen, die von einem Rentensystem wie dem Versicherungssystem der Beklagten gewährt werden, in den Anwendungsbereich des Artikels 119 des Vertrages fallen.
Zur dritten und zur vierten Frage
25 Diese Fragen gehen dahin, ob zum einen Artikel 119 des Vertrages der Anwendung einer nationalen Bestimmung entgegensteht, die die Gewährung einer Witwerrente, die unter den Begriff des Entgelts im Sinne dieses Artikels fällt, von besonderen, für Witwen nicht geltenden Voraussetzungen abhängig macht, und ob sich zum anderen eine solche Bestimmung aufgrund einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts aufrechterhalten lässt.
26 Hierzu genügt der Hinweis, daß Artikel 119 jede das Entgelt betreffende Ungleichbehandlung von Männern und Frauen ohne Rücksicht darauf verbietet, woraus sich diese Ungleichbehandlung ergibt (Urteil vom 17. Mai 1990 in der Rechtssache C-262/88, Barber, Slg. 1990, I-1889, Randnr. 32).
27 Aus den Akten des Ausgangsverfahrens ergibt sich, daß die streitige Bestimmung Männer unmittelbar diskriminiert, wobei die Ungleichbehandlung darin liegt, daß die Gewährung einer Witwerrente, die unter den Begriff des Entgelts im Sinne des Artikels 119 fällt, von besonderen, für Witwen nicht geltenden Voraussetzungen abhängt.
28 Es liegt auf der Hand, daß keine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts die Aufrechterhaltung einer solchen diskriminierenden Bestimmung rechtfertigen kann.
29 Auf die dritte und die vierte Frage ist daher zu antworten, daß zum einen Artikel 119 des Vertrages der Anwendung einer nationalen Bestimmung entgegensteht, die die Gewährung einer Witwerrente, die unter den Begriff des Entgelts im Sinne dieses Artikels fällt, von besonderen, für Witwen nicht geltenden Voraussetzungen abhängig macht, und daß zum anderen keine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts deren Aufrechterhaltung rechtfertigen kann.
Zur fünften Frage
30 Diese Frage geht dahin, ob das Protokoll Nr. 2 so auszulegen ist, daß Artikel 119 des Vertrages im Rahmen einer vor dem 17. Mai 1990, dem Tag des Erlasses des Urteils Barber, erhobenen Klage geltend gemacht werden kann, die auf die Gewährung von Leistungen eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit gerichtet ist, auch wenn die ursprüngliche Klage mit der Begründung abgewiesen wurde, daß der Kläger nicht zuvor Widerspruch eingelegt habe.
31 Die Beklagte macht geltend, aufgrund der zeitlichen Beschränkung der Wirkungen des Urteils Barber, die in das Protokoll Nr. 2 übernommen worden sei, sei Artikel 119 in einem Rechtsstreit wie dem Ausgangsverfahren nicht anwendbar. Indem der Kläger am 12. Juni 1989 vor dem Dioikitiko Protodikeio Klage erhoben habe, ohne zuvor Widerspruch beim Versicherungsrat der Beklagten eingelegt zu haben, habe er die im nationalen Recht vorgesehenen verfahrensrechtlichen Voraussetzungen nicht erfuellt, so daß diese Klage nicht als "eine Klage bei Gericht oder ein gleichwertiges Verfahren nach geltendem einzelstaatlichen Recht" im Sinne des Protokolls Nr. 2 angesehen werden könne. Die Klage im Ausgangsverfahren müsse somit als frühestens am 4. Februar 1991, als der Kläger beim Versicherungsrat der Beklagten Widerspruch eingelegt habe, und damit nach dem Erlaß des Urteils Barber erhoben angesehen werden.
32 Der Kläger, der insoweit von der Kommission unterstützt wird, ist der Auffassung, er habe eine Klage bei Gericht im Sinne des Protokolls Nr. 2 schon am 12. Juni 1989 anhängig gemacht, als er vor dem Dioikitiko Protodikeio Athen die stillschweigende ablehnende Entscheidung des Direktors angefochten habe. Daß er seinen Widerspruch beim Versicherungsrat erst später eingelegt habe, ändere daran nichts. Der Kläger räumt ein, daß er nach griechischem Recht nicht befugt gewesen sei, unmittelbar beim zuständigen nationalen Gericht Klage zu erheben, ohne daß der Direktor einen Rechtsakt erlassen oder dessen Erlaß abgelehnt habe; er macht jedoch geltend, er habe in Ermangelung einer Antwort des Direktors das Recht gehabt, eine Klage bei Gericht zu erheben und die Aufhebung der Nichtbeantwortung seines Antrags, die als stillschweigende Verweigerung der beantragten Rente anzusehen sei, zu beantragen.
33 Die Kommission fügt hinzu, auch wenn die erste Klage aus verfahrensrechtlichen Gründen abgewiesen worden sei, habe der Kläger doch vor dem 17. Mai 1990 vor den nationalen Gerichten die Verletzung des ihm durch Artikel 119 eingeräumten Rechts gerügt, denn der Dioikitiko Protodikeio habe die Klage vom 12. Juni 1989 für zulässig erklärt, soweit sie gegen die stillschweigende ablehnende Entscheidung des Direktors gerichtet gewesen sei. Dem Kläger müsse daher die im Protokoll Nr. 2 vorgesehene Ausnahme zugute kommen.
34 Die Regierung des Vereinigten Königreichs hat zunächst die Ansicht vertreten, daß der Kläger die nach nationalem Verfahrensrecht geltenden Fristen nicht eingehalten habe und sich daher nicht auf die im Protokoll Nr. 2 vorgesehene Ausnahme berufen könne. Anders wäre es nur, wenn er nach nationalem Recht ein Rechtsmittel gegen die Abweisung seiner früheren Klage einlegen könne. In der Sitzung hat die Regierung des Vereinigten Königreichs dann die Auffassung vertreten, wenn es zutreffe, daß der Kläger zu jeder Zeit die Verfahrensvorschriften des griechischen Rechts beachtet habe, müssten die späteren Entscheidungen der griechischen Gerichte als Phasen eines einzigen Verfahrens angesehen werden, das am 12. Juni 1989 begonnen habe. Bei dieser Betrachtungsweise gelte die zeitliche Beschränkung der Wirkungen des Urteils Barber für das Begehren des Klägers nicht.
35 Im Urteil Barber (Randnrn. 44 f.) hat der Gerichtshof entschieden, daß sich aus zwingenden Gründen der Rechtssicherheit niemand auf die unmittelbare Wirkung von Artikel 119 des Vertrages berufen kann, um mit Wirkung von einem vor dem 17. Mai 1990 liegenden Zeitpunkt einen Rentenanspruch geltend zu machen. Er hat jedoch eine Ausnahme zugunsten von Personen vorgesehen, die rechtzeitig Schritte zur Wahrung ihrer Rechte unternommen haben, d. h. für Arbeitnehmer oder deren anspruchsberechtigte Angehörige, die vor diesem Zeitpunkt nach dem anwendbaren innerstaatlichen Recht Klage erhoben oder einen entsprechenden Rechtsbehelf eingelegt haben.
36 Diese Beschränkung ist auch im Protokoll Nr. 2 enthalten, das vorsieht: "Im Sinne des Artikels 119 gelten Leistungen aufgrund eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit nicht als Entgelt, sofern und soweit sie auf Beschäftigungszeiten vor dem 17. Mai 1990 zurückgeführt werden können, ausser im Fall von Arbeitnehmern oder deren anspruchsberechtigten Angehörigen, die vor diesem Zeitpunkt eine Klage bei Gericht oder ein gleichwertiges Verfahren nach geltendem einzelstaatlichen Recht anhängig gemacht haben."
37 Wie der Generalanwalt in Nummer 40 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, liegt es auf der Hand, daß die Klagen oder die gleichwertigen Verfahren, die nach dem Urteil Barber und dem Protokoll Nr. 2 eine Ausnahme von der sich daraus ergebenden zeitlichen Beschränkung der Wirkungen rechtfertigen, selbstverständlich im Einklang mit den im betreffenden Mitgliedstaat geltenden Verfahrensvorschriften anhängig gemacht worden sein müssen.
38 Im Ausgangsverfahren richtete sich zwar die erste vom Kläger erhobene Klage gegen die stillschweigende Entscheidung über die Ablehnung seines Rentenantrags und wurde vom nationalen Gericht erster Instanz abgewiesen, soweit sie auf die ausdrückliche ablehnende Entscheidung des Direktors erweitert worden war; das Gericht hat ihm jedoch eine Frist von drei Monaten eingeräumt, um beim Versicherungsrat Widerspruch gegen diese Entscheidung einzulegen, was er getan hat, und der Kläger hat später eine zweite Klage gegen die Zurückweisung seines Widerspruchs durch den Versicherungsrat erhoben. Die Entscheidung des nationalen Gerichts erster Instanz über die zweite Klage ist Gegenstand eines Rechtsmittels zu dem vorlegenden Gericht.
39 Das Gerichtsverfahren zwischen den Parteien des Ausgangsverfahrens hat demnach am 12. Juni 1989 mit der Erhebung der ersten Klage beim Dioikitiko Protodikeio und somit vor dem 17. Mai 1990, dem Tag des Erlasses des Urteils Barber, begonnen.
40 Auf die fünfte Frage ist daher zu antworten, daß das Protokoll Nr. 2 so auszulegen ist, daß Artikel 119 des Vertrages im Rahmen einer vor dem 17. Mai 1990 erhobenen Klage auf die Gewährung von Leistungen eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit geltend gemacht werden kann, wenn diese Klage zwar mit der Begründung für unzulässig erklärt worden ist, daß der Kläger nicht zuvor Widerspruch eingelegt habe, das nationale Gericht dem Kläger aber eine neue Frist zur Einlegung eines solchen Widerspruchs eingeräumt hat.
Zur sechsten Frage
41 Diese Frage geht dahin, ob Artikel 119 des Vertrages verlangt, daß Witwer, die von einer durch diese Vorschrift verbotenen Diskriminierung betroffen sind, eine Rente oder eine andere Leistung für hinterbliebene Ehegatten unter denselben Voraussetzungen wie Witwen erhalten.
42 Nach dem Urteil Coloroll Pension Trustees (Randnr. 32) kann, wenn der Gerichtshof eine Diskriminierung im Bereich des Entgelts festgestellt hat und solange im Rahmen des Rentensystems die Maßnahmen zur Wiederherstellung der Gleichbehandlung nicht getroffen worden sind, die Beachtung des Artikels 119 nur dadurch sichergestellt werden, daß den Angehörigen der benachteiligten Gruppe dieselben Vergünstigungen gewährt werden, wie sie den Angehörigen der bevorzugten Gruppe zustehen.
43 Folglich muß ein Witwer in der Lage des Klägers Leistungen unter denselben Voraussetzungen erhalten, wie sie für Witwen gelten.
44 Auf die sechste Frage ist daher zu antworten, daß Artikel 119 des Vertrages verlangt, daß Witwer, die von einer durch diese Vorschrift verbotenen Diskriminierung betroffen sind, eine Rente oder eine andere Leistung für hinterbliebene Ehegatten unter denselben Voraussetzungen erhalten wie Witwen.
Kostenentscheidung:
Kosten
45 Die Auslagen der griechischen Regierung, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
(Sechste Kammer)
auf die ihm vom Dioikitiko Efeteio Athen mit Urteil vom 30. März 1995 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1. Die Leistungen, einschließlich der Hinterbliebenenleistungen, die von einem Rentensystem wie dem Versicherungssystem der Dimosia Epicheirisi Ilektrismou gewährt werden, fallen in den Anwendungsbereich des Artikels 119 EG-Vertrag.
2. Artikel 119 des Vertrages steht der Anwendung einer nationalen Bestimmung entgegen, die die Gewährung einer Witwerrente, die unter den Begriff des Entgelts im Sinne dieses Artikels fällt, von besonderen, für Witwen nicht geltenden Voraussetzungen abhängig macht; keine Vorschrift des Gemeinschaftsrechts kann deren Aufrechterhaltung rechtfertigen.
3. Das Protokoll zu Artikel 119 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft ist so auszulegen, daß Artikel 119 des Vertrages im Rahmen einer vor dem 17. Mai 1990 erhobenen Klage auf die Gewährung von Leistungen eines betrieblichen Systems der sozialen Sicherheit geltend gemacht werden kann, wenn diese Klage zwar mit der Begründung für unzulässig erklärt worden ist, daß der Kläger nicht zuvor Widerspruch eingelegt habe, das nationale Gericht dem Kläger aber eine neue Frist zur Einlegung eines solchen Widerspruchs eingeräumt hat.
4. Artikel 119 des Vertrages verlangt, daß Witwer, die von einer durch diese Vorschrift verbotenen Diskriminierung betroffen sind, eine Rente oder eine andere Leistung für hinterbliebene Ehegatten unter denselben Voraussetzungen erhalten wie Witwen.
Ende der Entscheidung
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