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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 04.06.1992
Aktenzeichen: C-157/90
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Beschluss 83/516, Verordnung Nr. 2950/83 vom 17.10.1983
Vorschriften:
EWG-Vertrag Art. 173 Abs. 2 | |
Beschluss 83/516 Art. 3 Abs. 1 | |
Verordnung Nr. 2950/83 vom 17.10.1983 Art. 5 Abs. 1 |
Angesichts der zentralen Stellung des Mitgliedstaats im Rahmen des Verfahrens für die Gewährung von Zuschüssen des Europäischen Sozialfonds für Maßnahmen der beruflichen Bildung und Berufsberatung und der Bedeutung seiner Verantwortung bei der Vorlage und Prüfung der Finanzierung der Bildungsmaßnahmen stellt die ihm durch Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung Nr. 2950/83 eröffnete Möglichkeit, vor Erlaß einer Entscheidung über die Kürzung des ursprünglich gewährten Zuschusses eine Stellungnahme abzugeben, ein wesentliches Formerfordernis dar, dessen Nichtbeachtung zur Nichtigkeit der Kürzungsentscheidung führt.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 4. JUNI 1992. - INFORTEC - PROJECTOS E CONSULTADORIA LDA GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - EUROPAEISCHER SOZIALFONDS - NICHTIGKEITSKLAGE GEGEN DIE KUERZUNG DES URSPRUENGLICH GENEHMIGTEN ZUSCHUSSES. - RECHTSSACHE C-157/90.
Entscheidungsgründe:
1 Die Infortec - Projectos e Consultadoria, Lda hat mit Klageschrift, die am 21. Mai 1990 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Nichtigerklärung der der Klägerin mit Schreiben vom 9. März 1990 mitgeteilten Entscheidung der Kommission, mit der der Zuschuß, den der Europäische Sozialfonds zunächst für ein für Rechnung der Klägerin vorgeschlagenes Bildungsvorhaben genehmigt hatte, gekürzt wurde.
2 Nach Artikel 1 Absatz 2 Buchstabe a des Beschlusses 83/516/EWG des Rates vom 17. Oktober 1983 über die Aufgaben des Europäischen Sozialfonds (ABl. L 289, S. 38) beteiligt sich der Europäische Sozialfonds (im folgenden: der Fonds) an der Finanzierung von Maßnahmen der beruflichen Bildung und Berufsberatung.
3 Die Genehmigung eines Finanzierungsantrags gemäß Artikel 3 Absatz 1 des Beschlusses 83/516 durch den Fonds hat nach Artikel 5 Absatz 1 der Verordnung (EWG) Nr. 2950/83 des Rates vom 17. Oktober 1983 zur Anwendung des Beschlusses 83/516/EWG über die Aufgaben des Europäischen Sozialfonds (ABl. L 289, S. 1; im folgenden: die Verordnung) zur Folge, daß ein Vorschuß in Höhe von 50 v. H. des gewährten Zuschusses zu dem Zeitpunkt gezahlt wird, an dem der Beginn der Maßnahme vorgesehen ist. Nach Artikel 5 Absatz 4 enthalten Anträge auf Restzahlung einen ins einzelne gehenden Bericht über den Inhalt, die Ergebnisse und die finanziellen Einzelheiten der betreffenden Maßnahme.
4 Nach Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung kann die Kommission, wenn ein Zuschuß des Fonds nicht unter den Bedingungen der Entscheidung über die Genehmigung verwandt wird, ihn aussetzen, kürzen oder streichen, nachdem sie dem betroffenen Mitgliedstaat Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben hat. Nach Artikel 6 Absatz 1 ist ein Betrag, der nicht unter den in der Entscheidung über die Genehmigung festgelegten Bedingungen verwendet wurde, zu erstatten, und der betroffene Mitgliedstaat haftet subsidiär für die ohne Rechtsgrund empfangenen Beträge, die für Maßnahmen gezahlt wurden, für welche die Gewährleistung nach Artikel 2 Absatz 2 des Beschlusses 83/516 gilt.
5 Das Departamento para os Assuntos do Fundo Social Europeu (Dienststelle für Angelegenheiten des Europäischen Sozialfonds; im folgenden: DAFSE) in Lissabon stellte im Namen der Portugiesischen Republik zugunsten einer Gruppe von Unternehmen, der die Klägerin angehört, einen Antrag auf einen Zuschuß des Fonds für das Wirtschaftsjahr 1987.
6 Das Bildungsvorhaben, für das der Zuschuß beantragt wurde und dessen Vorgang das Aktenzeichen FSE 870889 P3 trägt, wurde am 31. März 1987 vorbehaltlich bestimmter Änderungen mit Entscheidung der Kommission genehmigt. Diese Entscheidung wurde dem DAFSE mitgeteilt und dann von diesem der Klägerin übermittelt.
7 Nach Abschluß der Bildungsmaßnahme stellte die Klägerin beim DAFSE einen Antrag auf Restzahlung und reichte den quantitativen und qualitativen Bewertungsbericht im Sinne von Artikel 5 Absatz 4 der Verordnung ein.
8 Nach der genannten Bestimmung bestätigte die Portugiesische Republik, daß die im Zahlungsantrag enthaltenen Angaben sachlich und rechnerisch richtig seien, und übermittelte den Antrag der Kommission.
9 Nach Prüfung des Antrags auf Restzahlung wies die Kommission darauf hin, daß ein bestimmter Betrag der Ausgaben nicht zuschußfähig sei. Daraufhin kürzte die Kommission mit Entscheidung vom 7. September 1989, die dem DAFSE mit Schreiben des Fonds vom selben Tag bekanntgegeben wurde, den ursprünglich bewilligten Zuschuß des Fonds.
10 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.
Zulässigkeit
11 Die Kommission hat eine Einrede der Unzulässigkeit nach Artikel 91 § 1 der Verfahrensordnung erhoben. Der Gerichtshof hat die Entscheidung über diesen Antrag mit Beschluß vom 21. November 1990 gemäß Artikel 91 § 4 der Verfahrensordnung dem Endurteil vorbehalten.
12 Die Kommission macht geltend, daß der Gegenstand des Rechtsstreits in der Klage nicht angegeben sei und daß die angefochtene Maßnahme nicht eindeutig abzugrenzen sei.
13 Der Klägerin wurde mit Schreiben des DAFSE vom 9. März 1990 Mitteilung von einer Entscheidung der Kommission gemacht, mit der der Zuschuß, den der Fonds auf den Zuschussantrag 870889 P3 gewährt hatte, gekürzt wurde.
14 Da in dieser Mitteilung weder der Zeitpunkt noch der Inhalt der Entscheidung der Kommission über die Kürzung des Zuschusses des Fonds angegeben war, kann es der Klägerin nicht zur Last gelegt werden, daß sie nicht zur Begründung ihrer Klage nähere Angaben über die streitige Entscheidung gemacht hat.
15 Daher ist die von der Kommission erhobene Einrede der Unzulässigkeit zurückzuweisen.
16 Die fragliche Entscheidung wurde dem DAFSE im übrigen von der Kommission in Form eines Schreibens übermittelt, mit dem ihm mitgeteilt wurde, daß der Zuschuß des Fonds nach Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung auf einen unter der zunächst bewilligten Summe liegenden Betrag gekürzt worden sei.
17 Daher betrifft die streitige Entscheidung, obwohl sie an die Portugiesische Republik gerichtet ist, die Klägerin unmittelbar und individuell im Sinne von Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag, indem sie ihr einen Teil der ihr ursprünglich gewährten Unterstützung entzieht, ohne daß der Mitgliedstaat in dieser Hinsicht über eine eigene Beurteilungsbefugnis verfügt.
Begründetheit
18 Den ersten Klagegrund, Verletzung wesentlicher Formvorschriften, stützt die Klägerin darauf, daß die Kommission dem betroffenen Mitgliedstaat entgegen Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung nicht vor Erlaß der Entscheidung Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben habe.
19 Es ist nicht bestritten, daß die Kommission der Portugiesischen Republik vor Erlaß der streitigen Entscheidung nicht Gelegenheit gegeben hat, Stellung zu nehmen, und somit gegen ihre eindeutige Verpflichtung aus Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung verstossen hat.
20 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes stellt angesichts der zentralen Stellung des Mitgliedstaats und der Bedeutung seiner Verantwortung bei der Vorlage und Prüfung der Finanzierung der Bildungsmaßnahmen die ihm eröffnete Möglichkeit, vor Erlaß einer endgültigen Kürzungsentscheidung eine Stellungnahme abzugeben, ein wesentliches Formerfordernis dar, dessen Nichtbeachtung zur Nichtigkeit der angefochtenen Entscheidung führt (Urteile vom 7. Mai 1991 in der Rechtssache C-291/89, Interhotel, Slg. 1991, I-2257, Randnr. 17, und in der Rechtssache C-304/89, Oliveira, Slg. 1991, I-2283, Randnr. 21).
21 Daher ist die streitige Kürzungsentscheidung für nichtig zu erklären, ohne daß die übrigen von der Klägerin geltend gemachten Klagegründe geprüft zu werden brauchten.
Kostenentscheidung:
Kosten
22 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Zweite Kammer)
für Recht erkannt und entschieden:
1) Die Entscheidung der Kommission, mit der Ausgaben in Höhe von 10 474 033 ESC im Rahmen des Zuschussantrags 870889 P3 an den Europäischen Sozialfonds für nicht zuschußfähig erklärt worden sind, wird für nichtig erklärt.
2) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.
Ende der Entscheidung
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