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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 21.04.1993
Aktenzeichen: C-172/91
Rechtsgebiete: Übereinkommen vom 27.09.1968
Vorschriften:
Übereinkommen vom 27.09.1968 Art. 1 Abs. 1 | |
Übereinkommen vom 27.09.1968 Art. 27 Nr. 2 | |
Übereinkommen vom 27.09.1968 Art. 37 Abs. 2 |
1. Die Zivilklage auf Ersatz des Schadens, der einem einzelnen durch eine strafbare Handlung entstanden ist, hat zivilrechtlichen Charakter, auch wenn sie in einem Strafverfahren zu diesem hinzutritt, es sei denn, daß der Schädiger, gegen den sich die Klage richtet, als Hoheitsträger anzusehen ist, der in Ausübung hoheitlicher Befugnisse gehandelt hat. Dies ist aber bei der Aufsicht eines Lehrers einer öffentlichen Schule über seine Schüler auf einem Schulausflug nicht der Fall. Somit umfasst der Begriff der Zivilsache im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Satz 1 des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen eine Schadensersatzklage vor einem Strafgericht gegen den Lehrer einer öffentlichen Schule, der auf einem Schulausflug durch rechtswidrige und schuldhafte Verletzung seiner Aufsichtspflichten einen Schüler geschädigt hat; dies gilt auch dann, wenn öffentlich-rechtlicher Sozialversicherungsschutz besteht.
2. Artikel 37 Absatz 2 des Übereinkommens ist dahin auszulegen, daß er jeden Rechtsbehelf interessierter Dritter gegen die Entscheidung, die über den Rechtsbehelf gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung einer in einem anderen Vertragsstaat erlassenen Entscheidung ergangen ist, auch für den Fall ausschließt, daß ihnen nach dem nationalen Recht des Vollstreckungsstaats ein Rechtsbehelf zusteht.
3. Da eine in einem anderen Vertragsstaat ergangene Entscheidung nur dann aus den in Artikel 27 Nr. 2 des Übereinkommens genannten Gründen nicht anerkannt wird, wenn der Beklagte sich auf das Verfahren, in dem sie ergangen ist, nicht eingelassen hat, kann sich der Beklagte nicht auf diese Bestimmung berufen, wenn er sich auf das Verfahren eingelassen hat. Ein Beklagter hat sich auf das Verfahren im Sinne des Artikels 27 Nr. 2 des Übereinkommens eingelassen, wenn er im Rahmen einer Schadensersatzklage, die vor dem Strafgericht zu der öffentlichen Klage hinzutritt, in der Hauptverhandlung durch einen Wahlverteidiger zwar zu der öffentlichen Klage, nicht aber zu der ebenfalls in Anwesenheit des Verteidigers mündlich verhandelten Zivilklage Stellung nimmt.
URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 21. APRIL 1993. - VOLKER SONNTAG GEGEN HANS WAIDMANN, ELISABETH WAIDMANN UND STEFAN WAIDMANN. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: BUNDESGERICHTSHOF - DEUTSCHLAND. - BRUESSELER UEBEREINKOMMEN VOM 27. SEPTEMBER 1968 - AUSLEGUNG DER ARTIKEL 1, 27 UND 37. - RECHTSSACHE C-172/91.
Entscheidungsgründe:
1 Der Bundesgerichtshof hat mit Beschluß vom 28. Mai 1991, beim Gerichtshof eingegangen am 1. Juli 1991, gemäß dem Protokoll vom 3. Juni 1971 betreffend die Auslegung des Übereinkommens vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen durch den Gerichtshof (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1; nachstehend: Übereinkommen) mehrere Fragen nach der Auslegung der Artikel 1 Absatz 1, 27 Nr. 2 und 37 Absatz 2 dieses Übereinkommens zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Volker Sonntag (nachstehend: Schuldner), unterstützt durch das Land Baden-Württemberg, und Hans und Elisabeth Waidmann sowie ihrem Sohn Stefan Waidmann (nachstehend: Gläubiger) wegen Vollstreckung des zivilrechtlichen Teils des Urteils eines italienischen Strafgerichts in der Bundesrepublik Deutschland.
3 Wie sich aus den Akten ergibt, handelt es sich bei den Gläubigern um die Eltern und den Bruder von Thomas Waidmann, Schüler einer öffentlichen Schule in Baden-Württemberg, der am 8. Juni 1984 bei einem Schulausflug in Italien im Gebirge tödlich verunglückte. Der begleitende Lehrer Volker Sonntag wurde vor dem Tribunale penale Bozen wegen fahrlässiger Tötung angeklagt.
4 Diesem Strafverfahren traten die Gläubiger am 22. September 1986 als Zivilpartei gegen den angeklagten Lehrer bei, um seine Verurteilung zum Ersatz des durch den Unfall verursachten Schadens zu erreichen. Die darüber ausgestellte gerichtliche Niederschrift wurde dem Schuldner am 16. Februar 1987 zugestellt.
5 Am 25. Januar 1988 fand die Hauptverhandlung vor dem Tribunale penale Bozen statt. Der Schuldner ließ sich in dieser Verhandlung durch einen Rechtsanwalt vertreten. Mit Urteil vom selben Tage wurde der Schuldner der fahrlässigen Tötung für schuldig befunden und zu einer Akontozahlung in Höhe von 20 Millionen Lire an die Gläubiger sowie zur Tragung der Kosten verurteilt. Das Urteil wurde dem Schuldner zugestellt und ist rechtskräftig geworden.
6 Auf Antrag der Gläubiger ordnete das Landgericht Ellwangen durch Beschluß vom 29. September 1989 an, das Urteil des Tribunale Bozen bezueglich seines zivilrechtlichen Teils mit der Vollstreckungsklausel zu versehen.
7 Der Schuldner legte dagegen Beschwerde beim Oberlandesgericht ein und verkündete in diesem Verfahren dem Land Baden-Württemberg mit der Begründung den Streit, daß ihm im Fall des Unterliegens ein beamtenrechtlicher Anspruch gegen das Land auf Freistellung von der Schadensersatzpflicht zustehe. Das Land Baden-Württemberg trat dem Rechtsstreit auf seiten des Schuldners als Streithelfer bei.
8 Das Oberlandesgericht wies die Beschwerde am 20. Juli 1990 zurück und führte zur Begründung u. a. aus, daß das Strafurteil des Tribunale Bozen eine Zivilsache im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 des Übereinkommens behandele und die Zivilklage dem Schuldner rechtzeitig zugestellt worden sei.
9 Der Schuldner und das Land Baden-Württemberg legten dagegen Rechtsbeschwerde zum Bundesgerichtshof ein. Beide rügen u. a. das Strafurteil des Tribunale Bozen behandele einen öffentlich-rechtlichen Anspruch, weil der Schuldner als Beamter bei der Betreuung der Schüler hoheitlich gehandelt habe. Auch sei die Streiteinlassung der Gläubiger vom 22. September 1986 inhaltlich zu unbestimmt, um als ein das Verfahren einleitendes Schriftstück im Sinne von Artikel 27 Nr. 2 des Übereinkommens behandelt werden zu können.
10 Der Bundesgerichtshof ist der Auffassung, daß der Rechtsstreit somit Fragen nach der Auslegung des Übereinkommens aufwerfe; er hat deshalb beschlossen, das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:
1) Schließt Artikel 37 Absatz 2 des Brüsseler Übereinkommens jeden Rechtsbehelf interessierter Dritter gegen die Entscheidung, die über den Rechtsbehelf nach Artikel 36 des Brüsseler Übereinkommens ergangen ist, auch für den Fall aus, daß ihnen nach dem nationalen Recht des Vollstreckungsstaates ein Rechtsbehelf zusteht?
2) a) Handelt es sich um eine Zivilsache im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 des Brüsseler Übereinkommens, wenn der Träger eines öffentlichen Amtes, der durch eine rechtswidrige und schuldhafte Verletzung seiner Amtspflichten einen anderen geschädigt hat, von diesem persönlich auf Schadensersatz in Anspruch genommen wird?
b) Falls a) bejaht wird: Gilt das auch dann, wenn für den Unfall öffentlich-rechtlicher Sozialversicherungsschutz besteht?
3) Genügt es als ein "das Verfahren einleitendes Schriftstück" im Sinne von Artikel 27 Nr. 2 des Brüsseler Übereinkommens, wenn dem Beklagten schriftsätzlich angekündigt wird, von ihm werde im Rahmen eines Strafverfahrens auch Ersatz materiellen wie immateriellen Schadens verlangt werden, ohne daß das Schriftstück den Umfang des zu erhebenden zivilrechtlichen Anspruchs näher bezeichnet?
4) Hat sich ein Beklagter nach Artikel 27 Nr. 2 des Brüsseler Übereinkommens auf das Verfahren eingelassen, wenn es sich um einen Antrag auf Schadensersatz im Zusammenhang mit einer öffentlichen Klage vor dem Strafgericht (Artikel 5 Nr. 4 des Brüsseler Übereinkommens) handelt und der Schuldner in der Hauptverhandlung durch einen Wahlverteidiger zwar zu der öffentlichen Klage, nicht aber zu der ebenfalls in Anwesenheit des Verteidigers mündlich verhandelten Zivilklage Stellung nimmt?
11 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.
12 Da die vom Bundesgerichtshof vorgelegten Fragen die Auslegung mehrerer Bestimmungen des Übereinkommens betreffen, ist zunächst zu untersuchen, ob die dem Rechtsstreit zugrunde liegende Schadensersatzklage, wie sie in dem Vorlagebeschluß beschrieben wird, in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fällt. Es ist also zunächst die zweite Vorabentscheidungsfrage zu beantworten.
Zur zweiten Frage
13 Wie sich aus der Vorlagefrage und den Gründen des Vorlagebeschlusses ergibt, möchte der Bundesgerichtshof im wesentlichen wissen, ob der Begriff der Zivilsache im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 des Übereinkommens eine Schadensersatzklage vor einem Strafgericht gegen den Lehrer einer öffentlichen Schule umfasst, der auf einem Schulausflug durch rechtswidrige und schuldhafte Verletzung seiner Aufsichtspflichten einen Schüler geschädigt hat, und ob dies auch dann gilt, wenn öffentlich-rechtlicher Sozialversicherungsschutz besteht.
14 Für die Beantwortung dieser Frage ist zunächst zu prüfen, ob eine Schadensersatzklage vor einem Strafgericht in den Anwendungsbereich des Übereinkommens fallen kann.
15 Das Übereinkommen ist nach seinem Artikel 1 Absatz 1 "in Zivil- und Handelssachen anzuwenden, ohne daß es auf die Art der Gerichtsbarkeit ankommt".
16 Somit findet nach dem Wortlaut dieser Bestimmung das Übereinkommen auch Anwendung auf zivilrechtliche Entscheidungen eines Strafgerichts.
17 Sodann ist zu prüfen, ob die Schadensersatzklage gegen einen Lehrer einer öffentlichen Schule, der auf einem Schulausflug durch Verletzung seiner Amtspflichten einen Schüler geschädigt hat, unter den Begriff der Zivilsache im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 des Übereinkommens fällt.
18 Nach ständiger Rechtsprechung (u. a. Urteile vom 14. Oktober 1976 in der Rechtssache 29/76, LTU, Slg. 1976, 1541, Randnrn. 3 und 4, vom 22. Februar 1979 in der Rechtssache 133/78, Gourdain, Slg. 1979, 733, Randnr. 3, und vom 16. Dezember 1980 in der Rechtssache 814/79, Rüffer, Slg. 1980, 3807, Randnrn. 7 und 8) ist der Begriff der Zivilsache in Artikel 1 des Übereinkommens als autonomer Begriff zu verstehen, für dessen Auslegung zum einen die Ziele und der Aufbau des Übereinkommens und zum anderen die sich aus der Gesamtheit der nationalen Rechtssysteme ergebenden allgemeinen Grundsätze heranzuziehen sind.
19 Die Zivilklage auf Ersatz des Schadens, der einem einzelnen durch eine strafbare Handlung entstanden ist, hat zivilrechtlichen Charakter, auch wenn sie in einem Strafverfahren zu diesem hinzutritt. In den Rechtssystemen der Vertragsstaaten wird nämlich der Anspruch auf Ersatz des Schadens, der durch ein strafrechtlich vorwerfbares Handeln verursacht worden ist, im allgemeinen als ein zivilrechtlicher Anspruch angesehen. Diese Auffassung liegt im übrigen auch Artikel 5 Nr. 4 des Übereinkommens zugrunde.
20 Wie sich aus den Urteilen LTU und Rüffer ergibt, ist eine solche Klage vom Anwendungsbereich des Übereinkommens nur ausgeschlossen, wenn der Schädiger, gegen den sich die Klage richtet, als Hoheitsträger anzusehen ist, der in Ausübung hoheitlicher Befugnisse gehandelt hat.
21 Dazu ist erstens festzustellen, daß es nicht entscheidend ist, ob der Lehrer Beamter ist und als solcher handelt. Selbst wenn ein Beamter für den Staat handelt, übt er nämlich nicht immer hoheitliche Befugnisse aus.
22 Zweitens stellt in den Rechtsordnungen der meisten Mitgliedstaaten das Verhalten eines Lehrers einer öffentlichen Schule im Rahmen der ihm übertragenen Betreuung der Schüler auf einem Schulausflug keine Wahrnehmung hoheitlicher Befugnisse dar, da dieser insoweit keine Befugnisse wahrnimmt, die von den im Verhältnis zwischen Privatpersonen geltenden Regeln abweichen.
23 Drittens nimmt der Lehrer einer öffentlichen Schule gegenüber den Schülern in einem Fall wie dem des Ursprungsrechtsstreits die gleichen Aufgaben wahr wie der Lehrer einer Privatschule.
24 Viertens hat der Gerichtshof ° wenn auch in einem anderen tatsächlichen und rechtlichen Zusammenhang ° bereits im Urteil vom 3. Juli 1986 in der Rechtssache 66/85 (Lawrie-Blum, Slg. 1986, 2121, Randnr. 28 zu Randnr. 24) festgestellt, daß ein Lehrer selbst dann keine hoheitlichen Befugnisse ausübt, wenn er Schüler benotet und an der Entscheidung über ihre Versetzung in die nächsthöhere Klasse mitwirkt. Diese Feststellung gilt erst recht für die Aufsichtspflicht, der der Lehrer bei der Betreuung der Schüler auf einem Schulausflug genügen muß.
25 Selbst wenn das innerstaatliche Recht des Vertragsstaats, aus dem der betreffende Lehrer stammt, die Aufsicht dieses Lehrers über seine Schüler als hoheitliche Tätigkeit einstuft, ist dies für die Qualifizierung des Ursprungsrechtsstreits im Hinblick auf Artikel 1 des Übereinkommens ohne Bedeutung.
26 Nach alledem fällt die Schadensersatzklage, die die Gläubiger im Ursprungsrechtsstreit gegen den Lehrer einer öffentlichen Schule erhoben haben, unter den Begriff der Zivilsache im Sinne des Artikels 1 Absatz 1 Satz 1 des Übereinkommens.
27 Zu prüfen bleibt noch, ob gegen diese Auslegung die Tatsache spricht, daß für den Unfall, der zu dieser Klage geführt hat, öffentlich-rechtlicher Sozialversicherungsschutz besteht.
28 Insoweit genügt die Feststellung, daß ein eventueller Versicherungsschutz ohne Bedeutung ist, da die Grundlage des zivilrechtlichen Anspruchs, nämlich die Haftung wegen unerlaubter Handlung, von diesem öffentlich-rechtlichen Versicherungsschutz nicht berührt wird.
29 Somit ist auf die zweite Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, daß der Begriff der Zivilsache im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 des Übereinkommens eine Schadensersatzklage vor einem Strafgericht gegen den Lehrer einer öffentlichen Schule umfasst, der auf einem Schulausflug durch rechtswidrige und schuldhafte Verletzung seiner Aufsichtspflichten einen Schüler geschädigt hat; dies gilt auch dann, wenn öffentlich-rechtlicher Sozialversicherungsschutz besteht.
Zur ersten Frage
30 Mit der ersten Frage möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob Artikel 37 Absatz 2 des Übereinkommens dahin auszulegen ist, daß er jeden Rechtsbehelf interessierter Dritter gegen die Entscheidung, die über den Rechtsbehelf nach Artikel 36 des Übereinkommens ergangen ist, auch für den Fall ausschließt, daß ihm nach dem nationalen Recht des Vollstreckungsstaats ein Rechtsbehelf zusteht.
31 Für die Beantwortung dieser Frage ist zunächst darauf hinzuweisen, daß nach Artikel 36 Absatz 1 des Übereinkommens der Schuldner gegen die Entscheidung, mit der die Zwangsvollstreckung zugelassen wird, einen Rechtsbehelf einlegen kann. Nach Artikel 37 Absatz 2 des Übereinkommens findet in der Bundesrepublik Deutschland gegen die Entscheidung, die über diesen Rechtsbehelf ergangen ist, nur die Rechtsbeschwerde statt.
32 Sodann ist daran zu erinnern, daß der Gerichtshof eine enge Auslegung der in Artikel 37 Absatz 2 des Übereinkommens enthaltenen Wendung "Entscheidung, die über den Rechtsbehelf ergangen ist" befürwortet. Wie er nämlich für Recht erkannt hat, kann nach dem Gesamtsystem des Übereinkommens und im Lichte eines seiner Hauptziele, das darin besteht, die Verfahren im Vollstreckungsstaat zu vereinfachen, diese Bestimmung nicht in der Weise ausgedehnt werden, daß ein Rechtsmittel gegen eine andere Entscheidung als die, die über den Rechtsbehelf ergangen ist, zulässig wäre (Urteile vom 27. November 1984 in der Rechtssache 258/83, Brennero, Slg. 1984, 3971, Randnr. 15, und vom 4. Oktober 1991 in der Rechtssache C-183/90, van Dalfsen u. a., Slg. 1991, I-4743, Randnr. 19).
33 Wie der Gerichtshof schließlich im Urteil vom 2. Juli 1985 in der Rechtssache 148/84 (Deutsche Genossenschaftsbank, Slg. 1985, 1981, Randnr. 17) erläutert hat, wurde mit dem Übereinkommen ein Verfahren über die Zulassung der Zwangsvollstreckung geschaffen, das auch für den Bereich der Rechtsschutzmöglichkeiten ein eigenständiges und geschlossenes System darstellt. Artikel 36 des Übereinkommens schließt daher Rechtsbehelfe aus, die das nationale Recht interessierten Dritten gegen die Zulassung der Zwangsvollstreckung eröffnet.
34 Dieser Grundsatz muß auch auf einen Rechtsbehelf Anwendung finden, der zu einem späteren Zeitpunkt nach Artikel 37 Absatz 2 des Übereinkommens eingelegt wird. Es würde nämlich diesem System sowie einem der Hauptziele des Übereinkommens ° der Vereinfachung des Verfahrens im Vollstreckungsstaat ° zuwiderlaufen, wenn einem interessierten Dritten, dem die Einlegung eines Rechtsbehelfs nach Artikel 36 verwehrt ist, erlaubt würde, sich durch Einlegung eines Rechtsbehelfs nach Artikel 37 in einem späteren Verfahrensabschnitt am Rechtsstreit zu beteiligen.
35 Somit ist auf die erste Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, daß Artikel 37 Absatz 2 des Übereinkommens dahin auszulegen ist, daß er jeden Rechtsbehelf interessierter Dritter gegen die Entscheidung, die über den Rechtsbehelf nach Artikel 36 des Übereinkommens ergangen ist, auch für den Fall ausschließt, daß ihnen nach dem nationalen Recht des Vollstreckungsstaats ein Rechtsbehelf zusteht.
Zur dritten und zur vierten Frage
36 Mit diesen beiden letzten Fragen, die zusammen zu prüfen sind und die Auslegung des Artikels 27 Nr. 2 des Übereinkommens betreffen, möchte das vorlegende Gericht zum einen wissen, ob ein "das Verfahren einleitendes Schriftstück" im Sinne dieser Bestimmung vorliegt, wenn dem Beklagten schriftsätzlich angekündigt wird, von ihm werde im Rahmen eines Strafverfahrens auch Ersatz materiellen wie immateriellen Schadens verlangt werden, ohne daß das Schriftstück den Umfang des zu erhebenden zivilrechtlichen Anspruchs näher bezeichnet. Zum anderen möchte das Gericht wissen, ob sich ein Beklagter im Sinne dieser Bestimmung auf das Verfahren eingelassen hat, wenn er im Rahmen einer Schadensersatzklage, die vor dem Strafgericht zu der öffentlichen Klage hinzutritt, in der Hauptverhandlung durch einen Wahlverteidiger zwar zu der öffentlichen Klage, nicht aber zu der ebenfalls in Anwesenheit des Verteidigers mündlich verhandelten Zivilklage Stellung nimmt.
37 Artikel 27 des Übereinkommens nennt die Voraussetzungen, unter denen in einem Vertragsstaat die in einem anderen Vertragsstaat ergangenen Entscheidungen anerkannt werden. Nach Artikel 27 Nr. 2 wird eine Entscheidung nicht anerkannt, "wenn dem Beklagten, der sich auf das Verfahren nicht eingelassen hat, das dieses Verfahren einleitende Schriftstück... nicht ordnungsgemäß und nicht so rechtzeitig zugestellt worden ist, daß er sich verteidigen konnte".
38 Nach ständiger Rechtsprechung soll Artikel 27 Nr. 2 des Übereinkommens sicherstellen, daß eine Entscheidung nach den Bestimmungen des Übereinkommens weder anerkannt noch vollstreckt wird, wenn es dem Beklagten nicht möglich war, sich vor dem Gericht des Urteilsstaats zu verteidigen (Urteile vom 16. Juni 1981 in der Rechtssache 166/80, Klomps, Slg. 1981, 1593, Randnr. 9, und vom 12. November 1992 in der Rechtssache C-123/91, Minalmet, Slg. 1992, I-5661, Randnr. 18).
39 Eine Entscheidung wird somit nur dann aus den in Artikel 27 Nr. 2 des Übereinkommens genannten Gründen nicht anerkannt, wenn der Beklagte sich auf das Verfahren, in dem sie ergangen ist, nicht eingelassen hat. Hat sich der Beklagte auf das Verfahren eingelassen, so kann er sich zumindest dann nicht auf diese Bestimmung berufen, wenn er über die Elemente des Rechtsstreits in Kenntnis gesetzt worden ist und Gelegenheit zur Verteidigung erhalten hat.
40 Angesichts des Sachverhalts des Ursprungsrechtsstreits ist darauf hinzuweisen, daß nach Artikel II Absatz 1 des dem Übereinkommen beigefügten Protokolls "Personen, die ihren Wohnsitz in einem Vertragsstaat haben und die vor den Strafgerichten eines anderen Vertragsstaates, dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzen, wegen einer fahrlässig begangenen Straftat verfolgt werden, sich von hierzu befugten Personen verteidigen lassen [können], selbst wenn sie persönlich nicht erscheinen".
41 Nimmt eine Person in der Verhandlung durch ihren Verteidiger zu den gegen sie erhobenen Vorwürfen in Kenntnis der zivilrechtlichen Forderung, die im Rahmen des Strafverfahrens gegen sie geltend gemacht wird, Stellung, so ist dies grundsätzlich als Einlassung auf das Verfahren insgesamt anzusehen, ohne daß zwischen der Strafverfolgung und der zivilrechtlichen Forderung zu trennen wäre. Dies schließt jedoch nicht aus, daß der Beklagte es ablehnen kann, sich auf die Zivilklage einzulassen. Tut er dies aber nicht, so bedeutet seine Stellungnahme zu den Vorwürfen im Strafverfahren zugleich eine Einlassung auf die zivilrechtliche Klage.
42 Wie sich aus dem Vorlagebeschluß ergibt, hat der Wahlverteidiger des Schuldners keine Einwände gegen die Zivilklage erhoben, und zwar auch nicht, als diese Klage mündlich verhandelt wurde.
43 Somit ist in diesem Fall davon auszugehen, daß der Beklagte sich auf das Verfahren eingelassen hat; Artikel 27 Nr. 2 des Übereinkommens ist deshalb für unanwendbar zu erklären. Folglich erübrigt sich die Prüfung, ob ein das Verfahren einleitendes Schriftstück im Sinne dieser Bestimmung vorgelegen hat.
44 Dem vorlegenden Gericht ist also zu antworten, daß eine Entscheidung nur dann aus den in Artikel 27 Nr. 2 des Übereinkommens genannten Gründen nicht anerkannt wird, wenn der Beklagte sich auf das Verfahren, in dem sie ergangen ist, nicht eingelassen hat. Der Beklagte kann sich demnach nicht auf diese Bestimmung berufen, wenn er sich auf das Verfahren eingelassen hat. Ein Beklagter hat sich auf das Verfahren im Sinne des Artikels 27 Nr. 2 des Übereinkommens eingelassen, wenn er im Rahmen einer Schadensersatzklage, die vor dem Strafgericht zu der öffentlichen Klage hinzutritt, in der Hauptverhandlung durch einen Wahlverteidiger zwar zu der öffentlichen Klage, nicht aber zu der ebenfalls in Anwesenheit des Verteidigers mündlich verhandelten Zivilklage Stellung nimmt.
Kostenentscheidung:
Kosten
45 Die Auslagen der Regierung der Bundesrepublik Deutschland, der Regierung der Italienischen Republik und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
auf die ihm vom Bundesgerichtshof mit Beschluß vom 28. Mai 1991 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1) Der Begriff der Zivilsache im Sinne von Artikel 1 Absatz 1 Satz 1 des Übereinkommens umfasst eine Schadensersatzklage vor einem Strafgericht gegen den Lehrer einer öffentlichen Schule, der auf einem Schulausflug durch rechtswidrige und schuldhafte Verletzung seiner Aufsichtspflichten einen Schüler geschädigt hat; dies gilt auch dann, wenn öffentlich-rechtlicher Sozialversicherungsschutz besteht.
2) Artikel 37 Absatz 2 des Übereinkommens ist dahin auszulegen, daß er jeden Rechtsbehelf interessierter Dritter gegen die Entscheidung, die über den Rechtsbehelf nach Artikel 36 des Übereinkommens ergangen ist, auch für den Fall ausschließt, daß ihnen nach dem nationalen Recht des Vollstreckungsstaats ein Rechtsbehelf zusteht.
3) Eine Entscheidung wird nur dann aus den in Artikel 27 Nr. 2 des Übereinkommens genannten Gründen nicht anerkannt, wenn der Beklagte sich auf das Verfahren, in dem sie ergangen ist, nicht eingelassen hat. Der Beklagte kann sich demnach nicht auf diese Bestimmung berufen, wenn er sich auf das Verfahren eingelassen hat. Ein Beklagter hat sich auf das Verfahren im Sinne des Artikels 27 Nr. 2 des Übereinkommens eingelassen, wenn er im Rahmen einer Schadensersatzklage, die vor dem Strafgericht zu der öffentlichen Klage hinzutritt, in der Hauptverhandlung durch einen Wahlverteidiger zwar zu der öffentlichen Klage, nicht aber zu der ebenfalls in Anwesenheit des Verteidigers mündlich verhandelten Zivilklage Stellung nimmt.
Ende der Entscheidung
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