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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 01.10.1991
Aktenzeichen: C-283/90 P
Rechtsgebiete: EWG-Satzung, VerfO, EWG-Vertrag, EWG/EAG BeamtStat


Vorschriften:

EWG-Satzung Art. 49
VerfO Art. 113
EWG-Vertrag Art. 168a
Art. 26 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Im Verfahren auf Anerkennung einer Berufskrankheit werden die Rechte des Beamten - angesichts des besonderen Charakters der in Betracht kommenden Schriftstücke - dadurch geschützt, daß der Betroffene die Möglichkeit hat, vom Inhalt der von der Anstellungsbehörde erstellten Akte über einen Arzt seiner Wahl Kenntnis zu erhalten und einen Arzt zu benennen, der seine Interessen im Ärzteausschuß vertritt.

Im Rahmen dieses Verfahrens erstellte Schriftstücke sind in die Personalakte, zu der der Beamte gemäß Artikel 26 des Statuts unmittelbaren Zugang hat, nur aufzunehmen, wenn sie von dem Organ, dem der Betroffene angehört, zur Würdigung oder Änderung seines Dienstverhältnisses verwendet werden.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 1. OKTOBER 1991. - RAIMUND VIDRANYI GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - BEAMTE - ANERKENNUNG EINER KRANKHEIT ALS BERUFSKRANKHEIT - RECHTSMITTEL. - RECHTSSACHE C-283/90 P.

Entscheidungsgründe:

1 Raimund Vidrányi hat mit Schriftsatz, der am 17. September 1990 in der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 49 der EWG-Satzung sowie der entsprechenden Bestimmungen der EGKS-Satzung und der EAG-Satzung des Gerichtshofes ein Rechtsmittel gegen das Urteil vom 12. Juli 1990 eingelegt, mit dem das Gericht erster Instanz seine Klage auf Aufhebung der Entscheidung der Kommission vom 13. April 1989 abgewiesen hat, mit der die Anerkennung der psychischen Krankheit des Rechtsmittelführers als Berufskrankheit abgelehnt worden war.

2 Mit seinem Rechtsmittel begehrt Herr Vidrányi einmal die Aufhebung des Urteils des Gerichts und zum anderen die Verurteilung der Kommission zum Ersatz des Schadens, der ihm durch die Verletzung der der Kommission obliegenden Fürsorgepflicht entstanden sein soll.

3 Zur Begründung des Rechtsmittels führt Herr Vidrányi drei Gründe an: 1. Fehlerhaftigkeit des Verfahrens bei der Anwendung der Regelung zur Sicherung der Beamten der Europäischen Gemeinschaften bei Unfällen und Berufskrankheiten (im folgenden: Regelung), die in Artikel 73 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Statut) vorgesehen ist; 2. unzutreffende Würdigung des vom Ärzteausschuß erstellten Berichts durch das Gericht; 3. Verletzung von Artikel 24 Absätze 1 und 2 des Statuts.

4 Mit seinem ersten Rechtsmittelgrund wirft Herr Vidrányi dem Gericht vor, die Ansicht vertreten zu haben, daß die Schriftstücke über eine bei seinen Vorgesetzten in Anwendung von Artikel 17 Absatz 2 der Regelung durchgeführte Untersuchung medizinischer Natur seien und ihm demgemäß nicht hätten zugeleitet werden müssen, wogegen diese Schriftstücke für sein Dienstverhältnis von Interesse seien und er folglich Gelegenheit hätte bekommen müssen, dazu Bemerkungen vorzutragen. Der Rechtsmittelführer beanstandet weiter die Wertung des Gerichts, seine Anhörung durch den Ärzteausschuß sei, insbesondere weil dieser über eine vollständige Akte verfügt habe, ausreichend gewesen, obgleich er keine Gelegenheit gehabt habe, zu den Faktoren Stellung zu nehmen, die zur Verschlimmerung seiner Krankheit beigetragen hätten, nämlich die Arbeitsatmosphäre, die Beziehungen zu seinen Vorgesetzten und die Aufgaben, die ihm in der Kommission zugewiesen worden seien.

5 Mit seinem zweiten Rechtsmittelgrund wirft Herr Vidrányi dem Gericht im wesentlichen vor, seine Entscheidung auf die Schlußfolgerung des Berichts des Ärzteausschusses gestützt zu haben, nach der seine Krankheit auf seine Persönlichkeitsstruktur zurückgehe, obwohl keinerlei logische Verbindung zwischen dieser Schlußfolgerung und den medizinischen Feststellungen des Berichts bestehe.

6 Mit seinem dritten Rechtsmittelgrund hält Herr Vidrányi dem Gericht vor, es sei nicht auf den in der ersten Instanz vorgebrachten Klagegrund eingegangen, mit dem der Kommission vorgeworfen worden sei, nichts getan zu haben, um seine Lage zu verbessern, nachdem seine Krankheit dem Ärztlichen Dienst bekanntgeworden sei. Nach Ansicht von Herrn Vidrányi begründet diese Verletzung der in Artikel 24 Absätze 1 und 2 des Statuts verankerten Fürsorgepflicht durch die Kommission für ihn einen Anspruch auf Ersatz des erlittenen Schadens.

7 Wegen weiterer Einzelheiten der Rechtsmittelgründe und der Argumente der Parteien wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

8 Zur Beurteilung des von Herrn Vidrányi eingelegten Rechtsmittels ist in erster Linie auf Artikel 113 der Verfahrensordnung hinzuweisen, wo es heisst:

"§ 1 Die Rechtsmittelanträge müssen zum Gegenstand haben:

- die vollständige oder teilweise Aufhebung der Entscheidung des Gerichts;

- die vollständige oder teilweise Aufrechterhaltung der im ersten Rechtszug gestellten Anträge; neue Anträge können nicht gestellt werden.

§ 2 Das Rechtsmittel kann den vor dem Gericht verhandelten Streitgegenstand nicht verändern."

9 Die von Herrn Vidrányi beim Gericht eingereichte Klage hatte die Aufhebung der Entscheidung der Kommission zum Gegenstand, mit der es abgelehnt worden war, die Krankheit des Rechtsmittelführers als Berufskrankheit anzuerkennen.

10 Daraus folgt, daß der Rechtsmittelantrag als unzulässig zurückgewiesen werden muß, der auf die Verurteilung der Kommission zum Ersatz des Schadens gerichtet ist, den der Rechtsmittelführer angeblich wegen Verletzung der Fürsorgepflicht durch die Kommission erlitten hat.

11 Zweitens ist hervorzuheben, daß das Rechtsmittel nach Artikel 168a EWG-Vertrag und den entsprechenden Bestimmungen des EGKS- und des EAG-Vertrages auf Rechtsfragen beschränkt ist. Diese Beschränkung ist auch erwähnt in Artikel 51 Absatz 1 der EWG-Satzung und in den entsprechenden Bestimmungen der EGKS- und der EAG-Satzung des Gerichtshofes, die demgemäß die Gründe umschreiben, auf die ein Rechtsmittel gestützt werden kann, nämlich Unzuständigkeit des Gerichts, Verfahrensfehler, durch die die Interessen des Rechtsmittelführers beeinträchtigt werden, und Verletzung des Gemeinschaftsrechts durch das Gericht.

12 Daraus folgt, daß das Rechtsmittel nur auf Gründe gestützt werden kann, die sich auf die Verletzung von Rechtsvorschriften durch das Gericht beziehen und jede Tatsachenwürdigung ausschließen (vgl. Beschluß vom 20. März 1991 in der Rechtssache C-115/90 P, Turner/Kommission, Slg. 1991, I-1423, Randnr. 13).

13 Das Rechtsmittel ist daher nur zulässig, soweit dem Gericht vorgeworfen wird, unter Verletzung von Rechtsvorschriften entschieden zu haben, die es zu beachten hatte.

14 Was den zweiten Teil des ersten Rechtsmittelgrundes angeht, so genügt aber die Feststellung, daß Herr Vidrányi sich darauf beschränkt, die Würdigung der Streittatsachen durch das Gericht anzugreifen, ohne die Verletzung irgendeiner Rechtsvorschrift geltend zu machen.

15 Deshalb ist der zweite Teil des ersten Rechtsmittelgrundes als unzulässig zurückzuweisen.

16 Bezueglich des zweiten Rechtsmittelgrundes genügt es, hervorzuheben, daß Herr Vidrányi die Würdigung der Tatsachen bestreitet, die das Gericht bei der Feststellung vorgenommen hat, der ärztliche Bericht weise einen verständlichen Zusammenhang auf zwischen den in ihm getroffenen Feststellungen und der Schlußfolgerung, zu der er gelangt ist.

17 Wie in den Randnummern 11 bis 13 dieses Urteils dargelegt worden ist, entzieht sich aber eine derartige Tatsachenwürdigung der Prüfung durch den Gerichtshof, der nur nachprüfen kann, ob das angegriffene Urteil die Rechtsvorschriften beachtet hat.

18 Daraus folgt, daß dieser Rechtsmittelgrund ebenfalls nicht zulässig ist.

19 Soweit mit dem ersten Rechtsmittelgrund dem Gericht angelastet wird, es habe die im Rahmen der Regelung erstellten Untersuchungsberichte irrigerweise als medizinische Schriftstücke angesehen, während es sich um Schriftstücke handele, die das Dienstverhältnis von Herrn Vidrányi beträfen und ihm somit unmittelbar hätten zugeleitet werden müssen, so kann er nur als Vorwurf verstanden werden, das Gericht habe es unterlassen, eine Verletzung des allgemeinen Grundsatzes der Wahrung der Verteidigungsrechte zu rügen.

20 Diesem Grundsatz zufolge muß ein Beamter Gelegenheit haben, zu jedem Schriftstück Stellung zu nehmen, das das Gemeinschaftsorgan gegen ihn verwenden will.

21 Dieser Grundsatz ist vor allem in Artikel 26 Absatz 2 des Statuts verankert, dem zufolge ein Organ einem Beamten Schriftstücke, die sein Dienstverhältnis betreffen oder sich auf seine Befähigung, Leistung und Führung beziehen, nur entgegenhalten oder gegen ihn verwerten kann, wenn sie ihm vorher mitgeteilt worden sind.

22 Für den besonderen Bereich des Verfahrens, das ein Beamter einleitet, um die berufliche Ursache der Krankheit feststellen zu lassen, die zu seiner Versetzung in den Ruhestand geführt hat, ist dieser Grundsatz in den Artikeln 21 und 23 Absatz 1 der Regelung ausgeformt worden. So sieht Artikel 21 vor, daß der Beamte oder die sonstigen Anspruchsberechtigten beantragen können, daß der vollständige ärztliche Bericht einem Arzt ihrer Wahl übersandt wird, sowie ferner, daß ein Ärzteausschuß ein Gutachten erstattet, bevor die Anstellungsbehörde über die Anerkennung der Krankheit des Beamten als Berufskrankheit entscheidet. Gemäß Artikel 23 Absatz 1 haben der Beamte oder die sonstigen Anspruchsberechtigten die Möglichkeit, einen Arzt für den Ärzteausschuß zu benennen.

23 In diesem Verfahren, das vom Beamten eingeleitet wird und nicht gegen ihn gerichtet ist, werden dessen Rechte - angesichts der besonderen Natur der in Betracht kommenden Schriftstücke - somit dadurch geschützt, daß der Beamte die Möglichkeit hat, vom Inhalt der von der Anstellungsbehörde erstellten Akte über einen Arzt seiner Wahl Kenntnis zu erhalten und einen Arzt zu benennen, der seine Interessen im Ärzteausschuß verteidigt.

24 Wie der Gerichtshof im Urteil vom 7. Oktober 1987 in der Rechtssache 140/86 (Strack/Kommission, Slg. 1987, 3939) zum einen hervorgehoben hat, hat die Akte, anhand deren die Ärzte oder der Ärzteausschuß über die berufliche Ursache einer Krankheit befinden, medizinischen Charakter und kann somit nur mittelbar über einen von dem Beamten benannten Arzt eingesehen werden; zum anderen müssen verwaltungsmässige Angaben, die sich in dieser Akte befinden und einen Einfluß auf das Dienstverhältnis des Beamten haben können, auch in seiner Personalakte enthalten sein, in der sie der Beamte gemäß Artikel 26 des Statuts unmittelbar einsehen kann.

25 Alle den Ärzten oder dem Ärzteausschuß vorgelegten Schriftstücke werden somit von Artikel 21 der Regelung erfasst, und es ist daher nur notwendig, einige dieser Schriftstücke in die Personalakte des Beamten aufzunehmen und diesem die Möglichkeit zur Einsicht zu verschaffen, wenn diese Schriftstücke von dem Organ, dem der Beamte angehört, zur Würdigung oder Änderung seines Dienstverhältnisses verwendet werden.

26 Wie sich aus dem Urteil des Gerichts ergibt, ist es aber zum einen unstreitig, daß die fraglichen Untersuchungsberichte im vorliegenden Fall wesentlicher Bestandteil eines medizinischen Verfahrens waren und sich in der dem Ärzteausschuß übermittelten Akte befanden, so daß der Kläger Zugang zu diesen Schriftstücken über den Arzt seines Vertrauens hatte, der dem Ausschuß angehörte. Zum anderen hat das Gericht festgestellt, es sei nicht erwiesen, daß die fraglichen Schriftstücke im vorliegenden Fall anderen Zwecken gedient hätten als dem in der Regelung vorgesehenen Verfahren.

27 Unter diesen Umständen konnte das Gericht mit Recht und ohne eine Verletzung der Verteidigungsrechte des Rechtsmittelführers festzustellen, davon ausgehen, daß die Berichte seiner Vorgesetzten, die aufzeigen sollten, ob, wie der Rechtsmittelführer in seinem Antrag behauptete, die Arbeitsbedingungen bei der Kommission die zu seiner Dienstunfähigkeit führende Krankheit verursacht haben konnten, insofern medizinischen Charakter hatten, als sie wesentlicher Bestandteil eines medizinischen Verfahrens waren. In der Tat stellt die Anfertigung solcher Berichte, auch wenn sie nicht von der ärztlichen Schweigepflicht erfasst werden, gemäß Artikel 17 Absatz 2 Unterabsatz 1 der Regelung den Akt dar, mit dem das Verfahren, das der Beamte zur Anerkennung der beruflichen Ursache seiner Dienstunfähigkeit einleitet, beginnen muß.

28 Der erste Teil des ersten Rechtsmittelgrundes ist somit nicht begründet.

29 Was schließlich den im Rahmen des dritten Rechtsmittelgrundes vorgebrachten Vorwurf angeht, das Gericht habe es unterlassen, über den Klagegrund der Verletzung des Artikels 24 Absätze 1 und 2 des Statuts zu entscheiden, so kann er, auch wenn keine Verletzung irgendeiner bestimmten Rechtsvorschrift geltend gemacht wird, dahin verstanden werden, daß damit eine dem Fehlen einer Begründung gleichzusetzende Unzulänglichkeit gerügt wird, also die Verletzung eines allgemeinen Grundsatzes, nach dem jedes Gericht seine Entscheidung zu begründen hat, und zwar insbesondere unter Anführung der Erwägungen, die es dazu veranlasst haben, einen ausdrücklich erhobenen Vorwurf nicht zu berücksichtigen.

30 Insofern ist jedoch zu bemerken, daß der genannte Vorwurf - als Kritik am Inhalt des Berichts des Ärzteausschusses - in einem Rechtsstreit vorgebracht worden ist, in dem es um die Feststellung einer Berufskrankheit und nicht um die Verletzung von Artikel 24 des Statuts ging. Der Kläger selbst hat überdies in seiner Rechtsmittelschrift anerkannt, daß die in der ersten Instanz gestellten Anträge "beinahe nichts mit Artikel 24 des Statuts zu tun haben".

31 Daher hat Herr Vidrányi mit dem Hinweis auf eine Verletzung von Artikel 24 des Statuts durch die Kommission keinen eigenen Klagegrund zur Untermauerung seiner Anträge geltend gemacht, sondern nur ein zusätzliches Argument vorgetragen, um den Inhalt des Berichts des Ärzteausschusses über die Ursache seiner Krankheit anzugreifen. Mit der Abweisung seiner Klage hat das Gericht aber klar und zwingend deutlich gemacht, daß seine Krankheit nicht auf andere Ursachen zurückgeführt werden konnte als auf seine Persönlichkeitsstruktur, etwa auf ein angebliches Versäumnis des Ärztlichen Dienstes der Kommission.

32 Somit ist auch dieser Vorwurf von Herrn Vidrányi nicht begründet.

33 Aus alledem folgt, daß das von Herrn Vidrányi eingelegte Rechtsmittel in vollem Umfang zurückzuweisen ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

34 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Nach Artikel 70 der Verfahrensordnung tragen in Beamtenstreitigkeiten die Organe ihre Kosten selbst. Gemäß Artikel 122 der Verfahrensordnung findet Artikel 70 jedoch keine Anwendung bei Rechtsmitteln, die von Beamten oder sonstigen Bediensteten eines Organs eingelegt werden. Da Herr Vidrányi mit seinem Rechtsmittel unterlegen ist, sind ihm folglich die Kosten des vorliegenden Verfahrens aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden:

1) Das Rechtsmittel wird zurückgewiesen.

2) Herr Vidrányi trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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