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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 26.09.1996
Aktenzeichen: C-287/94
Rechtsgebiete: Richtlinie 69/335/EWG


Vorschriften:

Richtlinie 69/335/EWG Art. 4 Abs. 2 Buchst. b
Richtlinie 69/335/EWG Art. 10
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Wird einer Gesellschaft ein zinsloses Darlehen gewährt, so ist Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital auf den Betrag der ersparten Zinsen anwendbar.

Denn die Gewährung eines zinslosen Darlehens an eine Gesellschaft bewirkt dadurch, daß sie es dieser ermöglicht, über Kapital zu verfügen, ohne die Kosten dafür tragen zu müssen, durch die sich hieraus ergebende Ersparnis an Zinsaufwendungen eine Erhöhung ihres Gesellschaftsvermögens, und ist dadurch, daß sie zur Stärkung ihres Wirtschaftspotentials beiträgt, geeignet, den Wert ihrer Gesellschaftsanteile zu erhöhen.

2. Artikel 10 der Richtlinie 69/335 steht der Erhebung von Einkommensteuer bei einer Muttergesellschaft, die einer ihrer Tochtergesellschaften ein zinsloses Darlehen gewährt hat, auf der Grundlage nachträglich festgesetzter Zinsen nicht entgegen. Denn die Richtlinie bezweckt die Aufhebung der indirekten Steuern, die die gleichen Merkmale haben wie die Gesellschaftsteuer, und erstreckt sich nicht auf die direkten Steuern, die wie die Steuer auf das Einkommen der Gesellschaften in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen.


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 26. September 1996. - A/S Richard Frederiksen & Co. gegen Skatteministeriet. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Østre Landsret - Dänemark. - Ansammlung von Kapital - Gesellschaftsteuer - Einer Tochtergesellschaft von ihrer Muttergesellschaft gewährtes zinsloses Darlehen - Besteuerung des Einkommens der Gesellschaften. - Rechtssache C-287/94.

Entscheidungsgründe:

1 Der Östre Landsret hat mit Beschluß vom 6. Oktober 1994, beim Gerichtshof eingegangen am 21. Oktober 1994, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung des Artikels 4 Absatz 2 Buchstabe b und des Artikels 10 der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital (ABl. L 249, S. 25, im folgenden: Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der dänischen Gesellschaft A/S Frederiksen & Co. und dem Skatteministeriet, dem dänischen Steuerministerium, wegen der Besteuerung eines zinslosen Darlehens, das diese Gesellschaft einer ihrer Tochtergesellschaften gewährt hatte, im Rahmen der Einkommensteuer.

3 Artikel 4 der Richtlinie enthält die Liste der Vorgänge, die der Gesellschaftsteuer unterliegen, sowie der Vorgänge, die die Mitgliedstaaten dieser Steuer unterwerfen können. Nach Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie gehört zu dieser zweiten Kategorie

"die Erhöhung des Gesellschaftsvermögens einer Kapitalgesellschaft durch Leistungen eines Gesellschafters, die keine Erhöhung des Kapitals mit sich bringen, sondern ihren Gegenwert in einer Änderung der Gesellschaftsrechte finden oder geeignet sind, den Wert der Gesellschaftsanteile zu erhöhen".

4 Artikel 10 der Richtlinie bestimmt: "Abgesehen von der Gesellschaftsteuer erheben die Mitgliedstaaten von Gesellschaften, Personenvereinigungen oder sonstigen Personen mit Erwerbszweck keinerlei andere Steuern oder Abgaben..."

5 Die A/S Richard Frederiksen & Co. (im folgenden: Muttergesellschaft) erwarb sämtliche Aktien der Sydjysk Sten og Grus A/S (im folgenden: Tochtergesellschaft). Vier Monate später gewährte sie ihr ein zinsloses Darlehen in Höhe von 8 519 285 DKR.

6 Wie sich aus dem Vorlagebeschluß ergibt, kann die Steuerverwaltung nach dänischer Rechtsprechung in dem Fall, daß willkürlich Erträge übertragen werden, eine Korrektur der Steuererklärungen im Hinblick auf Vereinbarungen zwischen Parteien vornehmen, die gemeinsame Interessen haben, wie etwa demselben Konzern angehörende Gesellschaften. Eine solche Korrektur setzt voraus, daß die Steuerverwaltung nachweist, daß der fragliche Vorgang nach seinem Inhalt oder seiner Form im Verhältnis zu einem normalen Marktverhalten ungewöhnlich ist und daß angenommen werden muß, daß diese ungewöhnlichen Umstände das Ergebnis einer Interessengemeinschaft sind.

7 Die Steuerbehörde nahm gemäß dieser Rechtsprechung die Korrektur der Steuererklärungen der Muttergesellschaft vor und besteuerte diese auf der Grundlage eines Einkommens in Höhe der Zinsen, die auf 11 % des durchschnittlichen Darlehensbetrags eines jeden Steuerjahres festgesetzt wurden. Die ersparten Zinsen wurden auf diese Weise in die Einkünfte der Muttergesellschaft einbezogen, während die Tochtergesellschaft einen Anspruch auf Abzug derselben Zinsen erlangte.

8 Nach Ansicht der dänischen Steuerbehörde waren demnach die Einkünfte der Muttergesellschaft um 1 518 000 DKR für das Steuerjahr 1986/87, 1 948 061 DKR für das Steuerjahr 1987/88 und 898 621 DKR für das Steuerjahr 1988/89 heraufzusetzen.

9 Die Muttergesellschaft focht diese Entscheidung vor dem Landßkatteret in Kopenhagen an, das die Entscheidung bestätigte.

10 Der in der Berufungsinstanz angerufene Östre Landsret hat das Verfahren bis zur Vorabentscheidung des Gerichtshofes über die beiden folgenden Fragen ausgesetzt:

1. Ist Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital so auszulegen, daß er den Marktwert eines zinslosen Darlehens erfasst?

2. Ist Artikel 10 der Richtlinie so auszulegen, daß er es ausschließt, daß bei einer Muttergesellschaft Einkommensteuer auf nachträglich festgesetzte Zinsen für ein ihrer Tochtergesellschaft gewährtes zinsloses Darlehen erhoben wird, sofern die Zinsersparnis als Kapitalzuführung an die Tochtergesellschaft im Sinne der Richtlinie angesehen wird?

Zur ersten Frage

11 Die erste Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie auf den Betrag der ersparten Zinsen anwendbar ist, wenn einer Gesellschaft ein zinsloses Darlehen gewährt wird.

12 Wird einer Gesellschaft ein zinsloses Darlehen gewährt, so kann sie über Kapital verfügen, ohne die Kosten dafür tragen zu müssen. Die sich hieraus ergebende Ersparnis an Zinsaufwendungen bewirkt eine Erhöhung ihres Gesellschaftsvermögens, da der Gesellschaft Kosten, die sie sonst zu tragen gehabt hätte, nicht entstehen (Urteil vom 5. Februar 1991 in der Rechtssache C-249/89, Trave-Schiffahrtsgesellschaft, Slg. 1991, I-257, Randnr. 12).

13 Auch trägt die Gewährung eines zinslosen Darlehens insofern, als sie es der Gesellschaft erlaubt, über Kapital zu verfügen, ohne die Kosten dafür tragen zu müssen, zur Stärkung ihres Wirtschaftspotentials bei. Sie ist somit geeignet, den Wert der Gesellschaftsanteile der Gesellschaft zu erhöhen (Urteil Trave-Schiffahrtsgesellschaft, a. a. O., Randnr. 14).

14 Deshalb ist auf die erste Vorabentscheidungsfrage zu antworten, daß, wenn einer Gesellschaft ein zinsloses Darlehen gewährt wird, Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie auf den Betrag der ersparten Zinsen anwendbar ist.

Zur zweiten Frage

15 Diese Frage geht dahin, ob Artikel 10 der Richtlinie der Erhebung von Einkommensteuer bei einer Muttergesellschaft, die einer ihrer Tochtergesellschaften ein zinsloses Darlehen gewährt hat, auf der Grundlage nachträglich festgesetzter Zinsen entgegensteht.

16 Aus Artikel 10 der Richtlinie ergibt sich, daß diese im Rahmen ihres Geltungsbereichs bezweckt, die Steuern und Abgaben auf die Ansammlung von Kapital dadurch zu harmonisieren, daß sie die Erhebung aller anderen Steuern und Abgaben als der Gesellschaftsteuer verbietet. Deshalb ist zu prüfen, ob die Besteuerung des Einkommens von Gesellschaften unter die Richtlinie fällt.

17 Die Richtlinie betrifft nach ihrer Überschrift "die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital".

18 Weiter heisst es in der zweiten Begründungserwägung der Richtlinie: "Die gegenwärtig in den Mitgliedstaaten bestehenden indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital... sind Ursache von Diskriminierungen, Doppelbesteuerungen und Unterschiedlichkeiten, die den freien Kapitalverkehr behindern und deshalb durch eine Harmonisierung beseitigt werden sollen."

19 Schließlich wird in der letzten Begründungserwägung der Richtlinie ausgeführt: "Die Beibehaltung anderer indirekter Steuern mit den gleichen Merkmalen wie die Gesellschaftsteuer oder die Wertpapiersteuer gefährdet die Zielsetzungen, die mit den in dieser Richtlinie vorgesehenen Maßnahmen verfolgt werden; infolgedessen ist die Aufhebung dieser Steuern erforderlich."

20 Aus alldem ergibt sich eindeutig, daß die Richtlinie die Aufhebung der indirekten Steuern bezweckt, die die gleichen Merkmale haben wie die Gesellschaftsteuer. Diese Begrenzung des Geltungsbereichs der Richtlinie auf die indirekten Steuern ergibt sich im übrigen aus den verschiedenen sprachlichen Fassungen mit Ausnahme der dänischen Fassung, die in diesem Punkt nicht klar ist.

21 Die in der Richtlinie vorgesehene Harmonisierung erstreckt sich somit nicht auf die direkten Steuern, die wie die Steuer auf das Einkommen der Gesellschaften in die Zuständigkeit der Mitgliedstaaten fallen.

22 Deshalb ist die zweite Vorabentscheidungsfrage dahin zu beantworten, daß Artikel 10 der Richtlinie der Erhebung von Einkommensteuer bei einer Muttergesellschaft, die einer ihrer Tochtergesellschaften ein zinsloses Darlehen gewährt hat, auf der Grundlage nachträglich festgesetzter Zinsen nicht entgegensteht.

Kostenentscheidung:

Kosten

23 Die Auslagen der dänischen, der belgischen, der griechischen und der italienischen Regierung und der Regierung des Vereinigten Königreichs sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)

auf die ihm vom Östre Landsret mit Beschluß vom 6. Oktober 1994 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. Wird einer Gesellschaft ein zinsloses Darlehen gewährt, so ist Artikel 4 Absatz 2 Buchstabe b der Richtlinie 69/335/EWG des Rates vom 17. Juli 1969 betreffend die indirekten Steuern auf die Ansammlung von Kapital auf den Betrag der ersparten Zinsen anwendbar.

2. Artikel 10 der Richtlinie 69/335 steht der Erhebung von Einkommensteuer bei einer Muttergesellschaft, die einer ihrer Tochtergesellschaften ein zinsloses Darlehen gewährt hat, auf der Grundlage nachträglich festgesetzter Zinsen nicht entgegen.

Ende der Entscheidung

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