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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 15.06.2000
Aktenzeichen: C-302/98
Rechtsgebiete: Verordnung (EWG) Nr. 1408/71/EWG


Vorschriften:

Verordnung (EWG) Nr. 1408/71/EWG Art. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1 Es ist allein Sache des mit dem Rechtsstreit befaßten nationalen Gerichts, das die Verantwortung für die zu erlassende gerichtliche Entscheidung übernehmen muß, im Hinblick auf die Besonderheiten der Rechtssache sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlaß seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof von ihm vorgelegten Fragen zu beurteilen.

(vgl. Randnr. 20)

2 Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) verbietet es einem Mitgliedstaat, die Krankenversicherungsbeiträge eines im Ruhestand befindlichen Arbeitnehmers, der seinen Rechtsvorschriften unterliegt, auf der Grundlage des Bruttobetrags einer zusätzlichen tarifvertraglichen Altersrente zu berechnen, die der Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat bezieht, ohne zu berücksichtigen, daß ein Teil des Bruttobetrags dieser Rente in dem anderen Mitgliedstaat bereits als Krankenversicherungsbeitrag einbehalten wurde.

Ein derartiges Beitragsberechnungssystem gilt zwar gleichermaßen für Wanderarbeitnehmer und andere Arbeitnehmer, führt aber nur für die Erstgenannten zu Nachteilen, da es ganz unwahrscheinlich ist, daß der Bruttobetrag der Zusatzrente eines Arbeitnehmers, der seine Tätigkeit nur in seinem Herkunftsland ausgeübt hat, dort mit der Erhebung zweier Krankenversicherungsbeiträge belastet wird. Dagegen ist dieses Risiko für einen Arbeitnehmer, der seine Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübt hat und dort eine zusätzliche Altersrente bezieht, durchaus realistisch. Eine nationale Regelung, die ein solches Beitragsberechnungssystem vorsieht, stellt daher ein Hemmnis für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer dar.

(vgl. Randnrn. 34-36 und Tenor)


Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 15. Juni 2000. - Manfred Sehrer gegen Bundesknappschaft. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Bundessozialgericht - Deutschland. - Freizügigkeit der Arbeitnehmer - Soziale Sicherheit - Von einem Mitgliedstaat erhobene Krankenversicherungsbeiträge auf tarifvertragliche Zusatzrenten, die in einem anderen Mitgliedstaat gezahlt werden - Berechnungsgrundlage der Beiträge - Berücksichtigung der in dem anderen Mitgliedstaat bereits einbehaltenen Beiträge. - Rechtssache C-302/98.

Parteien:

In der Rechtssache C-302/98

betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom deutschen Bundessozialgericht in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit

Manfred Sehrer

gegen

Bundesknappschaft,

beigeladen:

Landesversicherungsanstalt für das Saarland

vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung der Artikel 6, 48 und 49 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG, 39 EG und 40 EG), 50 EG-Vertrag (jetzt Artikel 41 EG) und 51 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 42 EG) sowie des Artikels 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6) geänderten und aktualisierten Fassung

erläßt

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten J. C. Moitinho de Almeida, der Richter C. Gulmann, J.-P. Puissochet (Berichterstatter) und G. Hirsch sowie der Richterin F. Macken,

Generalanwalt: D. Ruiz-Jarabo Colomer

Kanzler: R. Grass

unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen

- der deutschen Regierung, vertreten durch Ministerialrat W.-D. Plessing und Regierungsdirektor C.-D. Quassowski, Bundesministerium für Wirtschaft, als Bevollmächtigte,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch P. Hillenkamp als Bevollmächtigten,

aufgrund des Berichts des Berichterstatters,

nach Anhörung der Schlußanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 8. Februar 2000,

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Bundessozialgericht hat mit Beschluß vom 13. Mai 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 3. August 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung der Artikel 6, 48 und 49 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 12 EG, 39 EG und 40 EG), 50 EG-Vertrag (jetzt Artikel 41 EG) und 51 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 42 EG) sowie des Artikels 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und deren Familien, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, in der durch die Verordnung (EWG) Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 (ABl. L 230, S. 6; im folgenden: Verordnung Nr. 1408/71) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Sehrer (im folgenden: Kläger) und der Bundesknappschaft (im folgenden: Beklagte), die die Zahlung von Krankenversicherungsbeiträgen auf die vom Kläger bezogene französische Zusatzrente verlangt.

3 Der Kläger ist ein ehemaliger Bergarbeiter deutscher Staatsangehörigkeit, der in Deutschland wohnt. Seit seinem sechzigsten Lebensjahr bezieht er eine Altersrente der Bundesknappschaft sowie eine Zusatzrente aus der deutschen hüttenknappschaftlichen Zusatzversorgung.

4 Da er auch in Frankreich berufstätig gewesen war, bezieht der Kläger außerdem eine französische Zusatzrente, die von der Caisse des retraites complémentaires des ouvriers mineurs (Zusatzrentenkasse der Bergarbeiter; im folgenden: Carcom) gezahlt wird. Vom Bruttobetrag dieser Altersrente, der im Streitzeitraum zwischen 2 384,19 FRF und 2 538,45 FRF schwankte, wird ein Beitrag von 2,4 %, d. h. zwischen 57,22 FRF und 60,92 FRF je Quartal, für die französische Krankenversicherung einbehalten. Dabei handelt es sich um einen sogenannten "Solidarbeitrag", der für sich keinen Leistungsanspruch begründet.

5 Der Kläger ist über die Bundesknappschaft bei der Krankenversicherung der Rentner (im folgenden: KVdR) versichert. Nachdem die Bundesknappschaft von der französischen Zusatzrente des Klägers erfahren hatte, forderte sie mit Bescheiden vom 7. und 13. September 1993 die Zahlung rückständiger Krankenversicherungsbeiträge, die auf der Grundlage des Bruttobetrags der Zusatzrente berechnet waren. Der Betrag dieser Rückstände beläuft sich für den Zeitraum vom 1. Dezember 1988 bis 30. September 1993 auf 1 005,67 DM.

6 Die Widersprüche des Klägers gegen diese Zahlungsaufforderung wies die Bundesknappschaft zurück. Der Kläger erhob daraufhin Klage beim Sozialgericht für das Saarland. Dieses gab der Klage durch Urteil vom 8. Februar 1995 teilweise statt. Es entschied, daß die Bundesknappschaft nicht berechtigt gewesen sei, den Anteil der französischen Altersrente, der als Beitrag zur französischen Krankenversicherung einbehalten werde, in die Berechnungsgrundlage für die in Deutschland zu zahlenden Beiträge einzubeziehen. Die Berufung der Beklagten gegen dieses Urteil wurde vom Landessozialgericht für das Saarland durch Urteil vom 23. Mai 1996 mit der Begründung zurückgewiesen, das Solidaritätsprinzip schließe es aus, daß ein Versicherter Beiträge auf Beitragszahlungen zu entrichten habe und auf diese Weise doppelt belastet werde.

7 Die Beklagte legte beim Bundessozialgericht Revision ein. Sie machte geltend, das Berufungsgericht habe gegen die §§ 237 und 239 des am 1. Januar 1989 in Kraft getretenen Fünften Buches des Sozialgesetzbuchs (im folgenden: SGB V) sowie gegen die entsprechenden Bestimmungen der zuvor geltenden Reichsversicherungsordnung verstoßen, indem es bestätigt habe, daß die in Frankreich gezahlten Krankenversicherungsbeiträge nicht in den Betrag der französischen Zusatzrente einzubeziehen seien, der als Berechnungsgrundlage für die deutschen Beiträge diene.

8 Das Bundessozialgericht stellt in seinem Vorlagebeschluß fest, daß nach deutschem Recht die in Deutschland an die KVdR zu zahlenden Beiträge tatsächlich auf der Grundlage des Bruttobetrags der französischen Zusatzrente des Klägers zu berechnen seien. Nach § 237 Satz 1 Nr. 2 SGB V würden nämlich die Beiträge der Rentner zur deutschen Krankenversicherung auf der Grundlage des "Zahlbetrags" der der Rente vergleichbaren Einnahmen berechnet. Außerdem sind Zusatzrenten nach § 229 Absatz 1 Satz 1 Nr. 5 und Satz 2 SGB V, auf den § 237 verweist, auch dann Bestandteil dieser Einnahmen, wenn sie aus dem Ausland bezogen werden.

9 Insbesondere in Anbetracht des Urteils vom 7. März 1991 in der Rechtssache C-10/90 (Masgio, Slg. 1991, I-1119) bezweifelt das Bundessozialgericht jedoch, ob sich ein System mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbaren läßt, bei dem ein im Ruhestand befindlicher Arbeitnehmer bezüglich seiner Zusatzrente nur deshalb einer doppelten Beitragspflicht für die Krankenversicherung unterliegt, weil er diese Rente aus einem anderen Mitgliedstaat bezieht. Ein solches System würde nämlich dazu führen, diejenigen Arbeitnehmer, die von ihrem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch gemacht hätten, gegenüber denen zu benachteiligen, die dieses Recht nicht wahrgenommen hätten.

10 Nach Auffassung des Bundessozialgerichts kann daher der elementare Grundsatz der Freizügigkeit der Arbeitnehmer der Einbeziehung des Anteils der französischen Rente, der als Beitrag zur französischen Krankenversicherung einbehalten werde, in die Berechnungsgrundlage für die deutschen Beiträge entgegenstehen. Der Gerichtshof habe zwar in seinem Urteil vom 16. Januar 1992 in der Rechtssache C-57/90 (Kommission/Frankreich, Slg. 1992, I-75) entschieden, daß Artikel 33 der Verordnung Nr. 1408/71, nach dem ein Mitgliedstaat von einem Rentner nur dann Krankenversicherungsbeiträge erheben dürfe, wenn die entsprechenden Leistungen zu seinen Lasten gingen, nicht auf Zusatzrenten anwendbar sei, die - wie die von der Carcom gezahlte Rente - auf tarifvertraglichen Vereinbarungen beruhten. Daraus könne aber nicht gefolgert werden, daß die Belastung einer Zusatzrente mit einer mehrfachen Beitragspflicht mit den Artikel 6 und 48 bis 51 EG-Vertrag vereinbar sei.

11 Das Bundessozialgericht hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Stehen die Artikel 6 und 48 bis 51 des Vertrages zur Gründung der Europäischen Gemeinschaft sowie Artikel 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 zur Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu- und abwandern, nationalen Regelungen entgegen, nach denen eine aufgrund tarifvertraglicher Regelungen gewährte französische Zusatzrente in vollem Umfang sowohl mit Beiträgen zur französischen Krankenversicherung als auch mit Beiträgen zur deutschen Krankenversicherung der Rentner herangezogen wird?

12 Die deutsche Regierung und die Kommission sind der Ansicht, daß unter den vorliegenden Umständen vor der Beantwortung der gestellten Frage zunächst die Vereinbarkeit der Beitragserhebung für die französische Krankenversicherung mit den Artikeln 48 bis 51 EG-Vertrag zu untersuchen sei. Nur wenn die Erhebung dieses Beitrags gemeinschaftsrechtskonform sei, sei die Berechnungsmethode für den deutschen Beitrag zu prüfen.

13 In diesem Zusammenhang weist die deutsche Regierung darauf hin, daß Artikel 59 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 49 EG) es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes einem Mitgliedstaat verbiete, ein Unternehmen, das in einem anderen Mitgliedstaat ansässig sei und vorübergehend Arbeiten im erstgenannten Staat ausführe, zu verpflichten, Arbeitgeberbeiträge für die Arbeitnehmer zu entrichten, die mit der Durchführung dieser Arbeiten betraut gewesen seien, wenn dieses Unternehmen bereits vergleichbare Beiträge in dem Staat, in dem es ansässig sei, zahlen müsse (Urteil vom 28. März 1996 in der Rechtssache C-272/94, Guiot, Slg. 1996, I-1905, vgl. auch Urteil vom 3. Februar 1982 in den verbundenen Rechtssachen 62/81 und 63/81, Seco und Desquenne & Giral, Slg. 1982, 223).

14 Der Kläger, der bereits in seinem Wohnsitzstaat vollen Krankenversicherungsschutz genieße, werde in Frankreich mit einem zweiten Krankenversicherungsbeitrag belastet, durch den er keinerlei zusätzliche Rechte oder Vorteile erwerbe. Ebenso wie die Arbeitgeberbeiträge in den Rechtssachen Seco und Desquenne & Giral sowie Guiot gegen Artikel 59 EG-Vertrag verstoßen hätten, stelle die Erhebung des Krankenversicherungsbeitrags in Frankreich eine nach Artikel 48 EG-Vertrag verbotene Beeinträchtigung der Freizügigkeit der Arbeitnehmer dar.

15 Die Kommission weist darauf hin, daß der Krankenversicherungsbeitrag in Frankreich von der Zusatzrente des Klägers abgezogen werde, obwohl der in Deutschland lebende Kläger nur Leistungen der deutschen Krankenversicherung beanspruchen könne. Ein solcher Beitragseinzug, der keinerlei Leistungsansprüche gewähre, führe für den Kläger zu einem Nachteil. Außerdem entstehe für ihn eine zusätzliche finanzielle Belastung, da er in seinem Wohnsitzstaat nochmals einen Krankenversicherungsbeitrag zahlen müsse, der auf der Grundlage des Bruttobetrags der Zusatzrente berechnet werde. Die Kommission ist daher der Auffassung, daß die Erhebung eines Beitrags zur französischen Krankenversicherung gegen Artikel 48 EG-Vertrag verstoße.

16 Für den Fall, daß sich der Gerichtshof auf die Frage des vorlegenden Gerichts beschränken sollte, vertritt die deutsche Regierung die Ansicht, daß diese Frage zu verneinen sei. Die Kommission ist dagegen der Auffassung, daß die Artikel 5 EG-Vertrag (jetzt Artikel 10 EG) und 48 bis 51 EG-Vertrag in diesem Fall die zuständigen Behörden eines Mitgliedstaats verpflichteten, Beiträge, die in einem anderen Mitgliedstaat von den dort gezahlten Altersrenten abgezogenen worden seien, zu berücksichtigen und ihre eigenen Beiträge auf der Grundlage des Nettobetrags der entsprechenden Renten zu berechnen.

Zur Bedeutung der Vorlagefrage

17 Das vorlegende Gericht möchte mit seiner Frage wissen, ob bestimmte Vorschriften des EG-Vertrags und des Sekundärrechts es einem Mitgliedstaat verbieten, die Krankenversicherungsbeiträge eines im Ruhestand befindichen Arbeitnehmers, der seinen Rechtsvorschriften unterliegt, auf der Grundlage des Bruttobetrags einer zusätzlichen tarifvertraglichen Altersrente zu berechnen, die der Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat bezieht, ohne zu berücksichtigen, daß ein Teil des Bruttobetrags dieser Rente in dem anderen Mitgliedstaat bereits als Krankenversicherungsbeitrag einbehalten wurde.

18 Die gestellte Frage bezieht sich demgegenüber nicht darauf, ob die fraglichen Bestimmungen es dem anderen Mitgliedstaat verbieten, Krankenversicherungsbeiträge einzubehalten, auch wenn sie keinen Leistungsanspruch gewähren und der betroffene Arbeitnehmer bereits über eine gesetzliche Altersrente verfügt und im erstgenannten Mitgliedstaat schon gegen das fragliche Risiko versichert ist.

19 Außerdem hat das Bundessozialgericht, obwohl es in seinem Vorlagebeschluß Zweifel daran äußert, ob die Erhebung von Krankenversicherungsbeiträgen in Frankreich, die keinen Leistungsanspruch gewähren, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar ist, darauf hingewiesen, daß der Kläger diese Gemeinschaftsrechtswidrigkeit nur vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats hätte rügen können. Der Kläger habe jedoch die Rechtswidrigkeit der deutschen Krankenversicherungsbeiträge gerügt, da diese höher gewesen seien als die französischen Beiträge.

20 Nach ständiger Rechtsprechung ist es allein Sache des befaßten nationalen Gerichts, das in dem Rechtsstreit zu entscheiden hat, im Hinblick auf den jeweiligen Einzelfall sowohl die Erforderlichkeit einer Vorabentscheidung zum Erlaß seines Urteils als auch die Erheblichkeit der dem Gerichtshof vorzulegenden Fragen zu beurteilen. Daher ist der Gerichtshof grundsätzlich gehalten, über ihm vorgelegte Fragen zu befinden, wenn diese die Auslegung des Gemeinschaftsrechts betreffen (vgl. u. a. Urteil vom 13. Januar 2000 in der Rechtssache C-254/98, TK-Heimdienst, Slg. 2000, I-0000, Randnr. 13).

21 Daher ist nur die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage zu beantworten.

Zur Beantwortung der Vorlagefrage

22 Der Kläger, der seine Berufstätigkeit vollständig eingestellt hat und in Deutschland, wo er seinen Wohnsitz hat, eine gesetzliche Altersrente bezieht, unterliegt deswegen gemäß Artikel 13 Absatz 2 Buchstabe f der Verordnung Nr. 1408/71 den deutschen Rechtsvorschriften über die Sozialversicherung. Nach dieser Bestimmung, die durch die Verordnung Nr. 2195/91 des Rates vom 25. Juni 1991 (ABl. L 206, S. 2) in die Verordnung Nr. 1408/71 eingefügt wurde, unterliegt eine Person, die den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats nicht weiterhin unterliegt, ohne daß die Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats gemäß einer der Vorschriften in den vorhergehenden Buchstaben oder einer der Ausnahmen bzw. Sonderregelungen der Artikel 14 bis 17 auf sie anwendbar würden, den Rechtsvorschriften des Mitgliedstaats, in dessen Gebiet sie wohnt, nach Maßgabe allein dieser Rechtsvorschriften.

23 Dabei umfaßt der Begriff "Rechtsvorschriften" im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 gemäß Artikel 1 Buchstabe j dieser Verordnung bestehende oder künftige tarifvertragliche Vereinbarungen selbst dann nicht, wenn eine behördliche Entscheidung sie für allgemein verbindlich erklärt oder ihren Geltungsbereich erweitert hat, soweit nicht diese Einschränkung in den von der Verordnung vorgesehenen Fällen durch eine Erklärung des betreffenden Mitgliedstaats aufgehoben wurde.

24 Aus dem Vorlagebeschluß ergibt sich, daß das von der Carcom verwaltete Zusatzrentensystem auf einer tarifvertraglichen Vereinbarung zwischen Sozialpartnern beruht, für die keine Erklärung nach Artikel 1 Buchstabe j der Verordnung Nr. 1408/71 abgegeben wurde.

25 Daraus folgt, daß der Kläger im Sinne der Verordnung Nr. 1408/71 eine Altersrente nur aufgrund der Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats, nämlich Deutschlands, bezieht.

26 Schließlich hat Titel III Kapitel 1 Abschnitt 5 der Verordnung Nr. 1408/71 die Ansprüche der Rentenberechtigten und ihrer Familienangehörigen zum Gegenstand. Allerdings beziehen sich die einschlägigen Bestimmungen dieses Abschnitts entweder auf Situationen, in denen ein Rentner aufgrund der Rechtsvorschriften von zwei oder mehr Mitgliedstaaten eine Rente bezieht, oder in denen ein Rentner zwar nur nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats eine Rente bezieht, aber keinen Leistungsanspruch in seinem Wohnsitzstaat hat (Artikel 27, 28 und 28 a). Artikel 33 ist nur in bezug auf die letztgenannten Bestimmungen anwendbar.

27 Da die Situation des Klägers unter keine dieser Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71 fällt, gelten für die Erhebung von Krankenkassenbeträgen auf seine französische Zusatzrente durch die deutschen Behörden ausschließlich die deutschen Rechtsvorschriften.

28 Die Bundesrepublik Deutschland muß jedoch bei der Ausübung dieser Befugnis die Vorschriften des EG-Vertrags und insbesondere die Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer beachten (vgl. Urteil vom 26. Januar 1999 in der Rechtssache C-18/95, Terhoeve, Slg. 1999, I-345, Randnrn. 34 und 35).

29 Obwohl der Kläger deutscher Staatsangehöriger ist, ist er nicht daran gehindert, sich gegenüber dem Mitgliedstaat, dessen Staatsangehöriger er ist, auf die Bestimmungen über die Freizügigkeit der Arbeitnehmer zu berufen, soweit er in Ausübung seines Rechts auf Freizügigkeit in einem anderen Mitgliedstaat eine Berufstätigkeit ausgeübt hat (Urteil Terhoeve, Randnrn. 27 bis 29).

30 Auch der Umstand, daß der Kläger nicht mehr in einem Arbeitsverhältnis steht, beeinträchtigt nicht die Garantie bestimmter, mit der Arbeitnehmereigenschaft zusammenhängender Rechte (Urteile vom 27. November 1997 in der Rechtssache C-57/96, Meints, Slg. 1997, I-6689, Randnr. 40, und vom 24. September 1998 in der Rechtssache C-35/97, Kommission/Frankreich, Slg. 1998, I-5325, Randnr. 41). Eine zusätzliche Altersrente wie die vom Kläger bezogene, deren Gewährung vom früheren Bestehen eines Arbeitsverhältnisses abhängig ist, fällt unter diese Kategorie von Rechten. Das Recht auf die Rente steht nämlich in unauflöslichem Zusammenhang mit der objektiven Arbeitnehmereigenschaft.

31 Zu Artikel 48 EG-Vertrag, der als erstes zu prüfen ist, hat der Gerichtshof mehrfach festgestellt, daß diese Bestimmung einen elementaren Grundsatz ausführt, der in Artikel 3 Buchstabe c EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c EG) verankert ist, nach dem die Tätigkeit der Gemeinschaft im Sinne des Artikels 2 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 2 EG) die Beseitigung der Hindernisse für die Freizügigkeit zwischen den Mitgliedstaaten umfaßt (Urteile vom 7. Juli 1992 in der Rechtssache C-370/90, Singh, Slg. 1992, I-4265, Randnr. 15, und Terhoeve, Randnr. 36).

32 Der Gerichtshof hat außerdem festgestellt, daß sämtliche Vertragsbestimmungen über die Freizügigkeit den Gemeinschaftsangehörigen die Ausübung jeder Art von Berufstätigkeit im Gebiet der Gemeinschaft erleichtern sollen und Maßnahmen entgegenstehen, die die Gemeinschaftsangehörigen benachteiligen könnten, wenn sie im Gebiet eines anderen Mitgliedstaats eine wirtschaftliche Tätigkeit ausüben wollen (Urteile Singh, Randnr. 16, und Terhoeve, Randnr. 37).

33 Bestimmungen, die einen Staatsangehörigen eines Mitgliedstaats daran hindern oder davon abhalten, sein Herkunftsland zu verlassen, um von seinem Recht auf Freizügigkeit Gebrauch zu machen, stellen daher Beeinträchtigungen dieser Freiheit dar, auch wenn sie unabhängig von der Staatsangehörigkeit der betroffenen Arbeitnehmer Anwendung finden (Urteile Masgio, Randnrn. 18 und 19, und Terhoeve, Randnr. 39).

34 Genau dies trifft für die fraglichen deutschen Rechtsvorschriften zu, die zwar gleichermaßen für Wanderarbeitnehmer und andere Arbeitnehmer gelten, aber nur für die Erstgenannten zu Nachteilen führen können. Es ist nämlich ganz unwahrscheinlich, daß der Bruttobetrag der Zusatzrente eines Arbeitnehmers, der seine Tätigkeit nur in Deutschland ausgeübt hat, dort mit der Erhebung zweier Krankenversicherungsbeiträge belastet wird. Dagegen ist dieses Risiko für einen Arbeitnehmer der wie der Kläger seine Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat ausgeübt hat und dort eine zusätzliche Altersrente bezieht, durchaus realistisch.

35 Somit stellt eine nationale Regelung wie diejenige, um die es im Ausgangsverfahren geht, ein durch Artikel 48 EG-Vertrag verbotenes Hemmnis für die Freizügigkeit der Arbeitnehmer dar. Damit erübrigt sich die Prüfung, ob Artikel 6 EG-Vertrag und Artikel 3 der Verordnung Nr. 1408/71 einer solchen Regelung entgegenstehen.

36 Auf die Frage ist daher zu antworten, daß Artikel 48 EG-Vertrag es einem Mitgliedstaat verbietet, die Krankenversicherungsbeiträge eines im Ruhestand befindlichen Arbeitnehmers, der seinen Rechtsvorschriften unterliegt, auf der Grundlage des Bruttobetrags einer zusätzlichen tarifvertraglichen Altersrente zu berechnen, die der Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat bezieht, ohne zu berücksichtigen, daß ein Teil des Bruttobetrags dieser Rente in dem anderen Mitgliedstaat bereits als Krankenversicherungsbeitrag einbehalten wurde.

Kostenentscheidung:

Kosten

37 Die Auslagen der deutschen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Sechste Kammer)

auf die ihm vom Bundessozialgericht mit Beschluß vom 13. Mai 1998 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 48 EG-Vertrag (nach Änderung jetzt Artikel 39 EG) verbietet es einem Mitgliedstaat, die Krankenversicherungsbeiträge eines im Ruhestand befindlichen Arbeitnehmers, der seinen Rechtsvorschriften unterliegt, auf der Grundlage des Bruttobetrags einer zusätzlichen tarifvertraglichen Altersrente zu berechnen, die der Arbeitnehmer in einem anderen Mitgliedstaat bezieht, ohne zu berücksichtigen, daß ein Teil des Bruttobetrags dieser Rente in dem anderen Mitgliedstaat bereits als Krankenversicherungsbeitrag einbehalten wurde.

Ende der Entscheidung

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