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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 01.04.1993
Aktenzeichen: C-31/91
Rechtsgebiete:
Vorschriften:
1. Artikel 1 der Verordnung Nr. 1311/73 zur Aufstellung des vorläufigen Verzeichnisses der Qualitätsweine bestimmter Anbaugebiete sowie zur Identifizierung dieser Weine im Begleitdokument ist dahin auszulegen, daß nur die Weine mit "Denominazione di origine controllata" (DOC) und mit "Denominazione di origine controllata e garantita" (DOCG) in Italien während der Geltungsdauer dieser Vorschrift, d. h. vom 22. Mai bis 31. August 1973, die Bezeichnung Qualitätswein bestimmter Anbaugebiete beanspruchen konnten.
2. Wenn für die Zeit der Ereignisse, die dem Rechtsstreit zugrunde liegen, mit dem das innerstaatliche Gericht befasst ist, Gemeinschaftsbestimmungen fehlen, die auf die Nacherhebung von Währungsausgleichsbeträgen durch die innerstaatliche Verwaltung infolge einer ursprünglich irrigen Auslegung der Gemeinschaftsregelung durch ihre Dienststellen anwendbar sind, ist es Sache des innerstaatlichen Gerichts, die innerstaatlichen Rechtsvorschriften über die Verjährung des Anspruchs auf Erhebung von Ausfuhrabgaben anzuwenden, deren Zahlung wegen eines Irrtums der innerstaatlichen Verwaltung zu Unrecht nicht vom Abgabenpflichtigen verlangt wurde, sofern diese Bestimmungen unterschiedslos für nationale und gemeinschaftsrechtliche Forderungen gelten und weder die Tragweite noch die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigen.
3. Die innerstaatliche Behörde, die im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisation für Wein für die Ausstellung der Begleitdokumente VA2 für Weine, die die Bezeichnung Qualitätswein bestimmter Anbaugebiete führen dürfen, zuständig ist, hat den Grundsatz des berechtigten Vertrauens zu beachten. Ist jedoch ein solches Dokument von einer innerstaatlichen Behörde ausgestellt worden, die hierzu nicht befugt war und die aufgrund irriger Auslegung die in diesen Vorschriften vorgesehene Zahlung von Währungsausgleichsbeträgen nicht verlangt hat, so konnte bei den Betroffenen trotz Gutgläubigkeit kein berechtigtes Vertrauen entstehen.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 1. APRIL 1993. - SPA ALOIS LAGEDER UND ANDERE GEGEN AMMINISTRAZIONE DELLE FINANZE DELLO STATO. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: CORTE SUPREMA DI CASSAZIONE - ITALIEN. - WEIN - QUALITAETSWEIN B. A. - DOC UND DOCG - VORLAEUFIGES VERZEICHNIS - WAEHRUNGSAUSGLEICHSBETRAEGE - IRRTUM DER NATIONALEN VERWALTUNG - VERJAEHRUNG - BERECHTIGTES VERTRAUEN. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN C-31/91 BIS C-44/91.
Entscheidungsgründe:
1 Die Corte suprema di cassazione hat mit Beschlüssen vom 26. Februar 1990, die am 28. Januar 1991 beim Gerichtshof eingegangen sind, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag in vierzehn bei ihr anhängigen Verfahren drei gleichlautende Fragen nach der Auslegung der Verordnung (EWG) Nr. 1311/73 der Kommission vom 16. Mai 1973 zur Aufstellung des vorläufigen Verzeichnisses der Qualitätsweine b. A. sowie zur Identifizierung dieser Weine im Begleitdokument (ABl. L 132, S. 20) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in Verfahren, die die Gesellschaften Alois Lageder, Divit (früher Vinexport SpA), Ditta Josef Nidermayr, Schenk, Ditta Josef Brigl, W. Walch, Castello Rametz, Cooperative Cavit, Cantina Vini J. Hofstätter, Ditta Alton Lindner, H. Mumelter e C., Girelli, Josef Stimpfl und Azienda Vinicola Liberio Todesca (im folgenden: Kläger) gegen die Amministrazione delle finanze dello Stato (im folgenden: Beklagte) wegen der Nacherhebung von Währungsausgleichsbeträgen auf in Italien erzeugte Weine, die sie in der Zeit von Juni bis August 1973 nach Deutschland ausgeführt haben, anhängig gemacht haben.
3 Aus den Akten ergibt sich, daß die fraglichen Weine bei der Ausfuhr mit Begleitdokumenten auf Vordrucken VA2 versehen waren, die vom Istituto agrario provinciale in S. Michele (im folgenden: IAP) ausgestellt waren und bestätigten, daß es sich um Qualitätsweine b. A. (in bestimmten Anbaugebieten erzeugte Qualitätsweine) handelte. Deshalb entrichteten die Kläger der Ausgangsverfahren keine Währungsausgleichsbeträge.
4 Im Jahr 1977 stellte die Beklagte jedoch fest, daß die ausgeführten Weine gemäß Artikel 1 der Verordnung Nr. 1311/73 nicht als Qualitätsweine b. A. bezeichnet werden konnten, weil sie nach italienischem Recht nicht als Weine anerkannt waren, die die Bezeichnung "Denominazione di origine controllata" (im folgenden: DOC) oder "Denominazione di origine controllata et garantita" (im folgenden: DOCG) führen durften. Da nur Weine mit der Bezeichnung Qualitätswein b. A. von Währungsausgleichsbeträgen freigestellt sind, forderte die Beklagte die Kläger nachträglich zur Zahlung dieser Beträge auf.
5 Zu diesem Zweck erließ sie im Jahr 1977 Zahlungsbescheide, wobei geltend gemacht wurde, nach der Verordnung Nr. 1311/73 sei das IAP seit dem 22. Mai 1973 zur Ausstellung der Begleitdokumente VA2 nicht mehr berechtigt gewesen; das vorläufige Verzeichnis der Qualitätsweine b. A., auf das es sich gestützt habe, habe seit diesem Zeitpunkt nicht mehr gegolten.
6 Gegen die im Jahr 1978 zugestellten Zahlungsbescheide riefen die Kläger das Tribunale in Trient an. Sie machten geltend, die von der Beklagten für richtig gehaltene Auslegung der Verordnung Nr. 1311/73 sei abwegig und nach den für die Verjährung sowie den Vertrauensschutz geltenden Grundsätzen habe die Beklagte weder das Recht noch ein Interesse daran, die Währungsausgleichsbeträge so viele Jahre nach der Ausfuhr nachzuerheben. Das Tribunale Trient hob die Zahlungsbescheide auf. Auf Berufung der Beklagten wurde dieses Urteil von der Corte d' appello Trient, nach deren Ansicht die Währungsausgleichsbeträge zu entrichten sind, aufgehoben. Daraufhin riefen die Kläger die Corte suprema di cassazione an.
7 Dieses Gericht hat, um den Rechtsstreit entscheiden zu können, dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:
1) Ist Artikel 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1311/73 der Kommission vom 16. Mai 1973 so zu verstehen, daß nur die italienischen Weine, die bereits vorher durch Präsidialdekret die Bezeichnung DOC erhalten hatten, ° in der Gemeinschaft ° als Qualitätsweine angesehen werden konnten, da ab 1. April 1973 oder (spätestens) ab 22. Mai 1973 nur diese Weine in dem Verzeichnis nach Artikel 1 Absatz 3 der Verordnung (EWG) Nr. 817/70 enthalten sein durften?
Oder sind die Worte "enthält die Weine" in Artikel 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1311/73 dahin auszulegen, daß das im Jahre 1970 mit der Verordnung Nr. 1704/70 aufgestellte vorläufige Verzeichnis noch (bis zum 31. August 1973, zumindest aber bis zum Inkrafttreten der Verordnung Nr. 2247/73 vom 16. August 1973) weitergegolten hat, weil die Verordnung Nr. 1627/71 des Rates vom 26. Juli 1971 vorsah, daß bis zu dem Zeitpunkt, zu dem die Mitgliedstaaten die einzelstaatlichen Bestimmungen über die Bedingungen für die Erzeugung erlassen hatten, spätestens jedoch bis zum 31. August 1973, die Weine als Qualitätsweine b. A. gelten sollten, die in einem nach dem Verfahren des Artikels 7 der Verordnung Nr. 24 aufgestellten Verzeichnis aufgeführt waren, sofern sie den übrigen Bestimmungen der Verordnung entsprachen?
Stellt mit anderen Worten die Verordnung Nr. 1311/73 ° zumindest vom 22. Mai 1973 an ° eine Vorwegnahme der endgültigen Regelung dar, oder aber hat sie die Übergangsregelung in dem Sinne beibehalten, daß sie die Liste von 1970 mit der Angabe der Weine, die die nationale Anerkennung als DOC-Wein erlangt hatten (oder künftig erlangt hätten) bloß übernommen hat?
2) Berücksichtigt man, daß die Währungsausgleichsbeträge zur Beseitigung möglicher Störungen auf den Agrarmärkten infolge währungspolitischer Maßnahmen der Mitgliedstaaten angewandt werden, bleiben dann das Recht und das Interesse der Finanzverwaltung des Mitgliedstaats, eigene Einkünfte oder Eigenmittel der Gemeinschaft darstellende Währungsausgleichsbeträge zu erheben, bestehen, wenn seit dem Ausfuhrvorgang einige Jahre vergangen sind und wenn diese ursprünglich geschuldeten Beträge deshalb nicht erhoben wurden, weil sich diese Verwaltung bei der Auslegung der Gemeinschaftsverordnungen und/oder der vom Exporteur vorgelegten Dokumente geirrt hat?
3) Verstösst die Erhebung der zwar geschuldeten, aber aus den in der zweiten Frage genannten Gründen nicht erhobenen Währungsausgleichsbeträge einige Jahre nach dem betreffenden Vorgang gegen den Gemeinschaftsgrundsatz des berechtigten Vertrauens auf die Richtigkeit der Handlungen der Stelle, die das Begleitdokument ausgestellt hat, und auf die für den Exporteur günstigere Auslegung durch die Finanzverwaltung zum Zeitpunkt der Ausfuhr, die der Exporteur, der meint, diese Währungsausgleichsbeträge nicht mehr auf den ausländischen Importeur abwälzen zu können, gutgläubig getätigt hat?
8 Wegen weiterer Einzelheiten des anwendbaren Gemeinschaftsrechts, des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt würde im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.
Zur ersten Frage
9 Mit der ersten Frage soll im wesentlichen geklärt werden, ob zu der nach dem Sachverhalt der Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit nur die italienischen Weine mit der Bezeichnung DOC oder DOCG in den Geltungsbereich der Regelung für Qualitätsweine b. A. fielen.
10 Die Verordnung (EWG) Nr. 816/70 des Rates vom 28. April 1970 zur Festlegung ergänzender Vorschriften für die gemeinsame Marktorganisation für Wein (ABl. L 99, S. 1) gilt für alle Weine, während die Verordnung (EWG) Nr. 817/70 des Rates vom 28. April 1970 zur Festlegung besonderer Vorschriften für Qualitätswein bestimmter Anbaugebiete (ABl. L 99, S. 20) eine besondere Regelung für Qualitätswein b. A. enthält. Beide Verordnungen sind am 1. Juni 1970 in Kraft getreten.
11 Die Verordnung Nr. 817/70 enthielt eine Regelung zur Bestimmung der Weine, die als Qualitätswein b. A. bezeichnet werden konnten (Artikel 12 Absatz 1), sowie die Verpflichtung, die Bezeichnung Qualitätswein b. A. auf den Begleitdokumenten zu erwähnen (Artikel 12 Absatz 4 dritter Unterabsatz), und sie sah die Aufstellung eines vorläufigen Verzeichnisses der Qualitätsweine b. A. vor, das bis zu der für die Aufstellung eines endgültigen Verzeichnisses notwendigen Angleichung der einzelstaatlichen Regelungen, spätestens aber bis 31. August 1973 gelten sollte [Artikel 17 und Artikel 1 Absatz 3, der in die Verordnung Nr. 817/70 durch die Verordnung (EWG) Nr. 1627/71 des Rates vom 26. Juli 1971 zur Änderung der Verordnungen (EWG) Nr. 816/70 und Nr. 817/70 bezueglich einiger Übergangsmaßnahmen im Weinsektor, ABl. L 170, S. 3, eingefügt worden ist].
12 Die letzte Änderung der in Artikel 1 Absatz 3 der Verordnung Nr. 817/70 für das Verzeichnis der Qualitätsweine b. A. vorgesehenen vorläufigen Regelung ist gemäß der Verordnung Nr. 1311/73 am 22. Mai 1973 in Kraft getreten. In Artikel 1 der zuletzt genannten Verordnung heisst es, das vorläufige Verzeichnis der Qualitätsweine b. A. enthalte nur die Weine "für die nach den Vorschriften des Erzeugermitgliedstaats eine der in Artikel 12 Absatz 2 der Verordnung (EWG) Nr. 817/70 für jeden dieser Mitgliedstaaten genannten Bezeichnungen verwendet werden kann".
13 In Artikel 12 Absatz 2 Buchstabe c der Verordnung Nr. 817/70 werden aber nur die Weine aus italienischer Erzeugung mit der Bezeichnung DOC oder DOCG erwähnt.
14 Aufgrund der Verordnung (EWG) Nr. 2247/73 der Kommission vom 16. August 1973 über die Kontrolle von Qualitätsweinen bestimmter Anbaugebiete (ABl. L 230, S. 12) ist die Verordnung Nr. 1311/73 aufgehoben worden (Artikel 4) und die für Weine mit der Bezeichnung Qualitätswein b. A. geltende endgültige Regelung, wie sie die Verordnung Nr. 817/70 vorsah, am 1. September 1973 in Kraft getreten (Artikel 5).
15 Daraus folgt, daß in der Zeit vom 22. Mai 1973 bis zum 31. August 1973, also während des für die Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraums, nach den Vorschriften der Verordnung Nr. 1311/73 nur die italienischen Weine mit der Bezeichnung DOC und DOCG als Qualitätsweine b. A. angesehen werden konnten.
16 Die Kläger der Ausgangsverfahren sind jedoch der Ansicht, die Tatsache, daß ihre Weine nicht die Bezeichnung DOC oder DOCG geführt hätten, schließe nicht aus, daß sie von der Regelung für Qualitätsweine b. A. erfasst würden. Das vorläufige Verzeichnis der Qualitätsweine, das sich in Anhang III B der Verordnung (EWG) Nr. 1704/70 der Kommission vom 25. August 1970 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1022/70 zur Einführung von Begleitzeugnissen für bestimmte Weine während einer Übergangszeit (ABl. L 190, S. 15) finde und das ihre Weine enthalte, habe bis zum 31. August 1973, dem Tag des Inkrafttretens der endgültigen Regelung, für Qualitätsweine b. A. gegolten. Im übrigen sei das IAP immer die für die Ausstellung der Begleitdokumente VA2 zuständige Stelle gewesen, eben weil es zu diesem Zweck in dem in Anhang III C dieser Verordnung enthaltenen Verzeichnis erwähnt worden sei.
17 Es steht fest, daß die für Qualitätsweine b. A. geltende vorläufige Regelung in der Zeit von 1971 bis 1973 wiederholt geändert wurde und daß das vorläufige Verzeichnis der Qualitätsweine b. A., das in Artikel 1 Absatz 3 der Verordnung Nr. 817/70 erwähnt wird, grundsätzlich bis zum 31. August 1973 galt. Ab Inkrafttreten der Verordnung Nr. 1311/73, d. h. seit dem 22. Mai 1973, war aber die Zuweisung der Bezeichnung DOC oder DOCG durch den italienischen Staat unerläßliche Voraussetzung für die Anerkennung italienischer Weine als Qualitätsweine b. A. Die anderen vorläufigen Verzeichnisse waren also nicht mehr anwendbar.
18 Was die Begleitdokumente angeht, ist zwar die Geltungsdauer der durch die Verordnung Nr. 1704/70 ergänzten Verordnung Nr. 1022/70 mehrere Male verlängert worden. Aus der Verordnung (EWG) Nr. 734/73 der Kommission vom 7. März 1973 zur Änderung der Verordnung (EWG) Nr. 1022/70 infolge der Festsetzung einer Regelung für Begleitdokumente in der Weinwirtschaft (ABl. L 69, S. 31), mit der die Geltungsdauer der Verordnung Nr. 1022/70 zum letzten Mal verlängert worden ist, ergibt sich jedoch, daß letztere nur bis zum 31. März 1973 anwendbar war.
19 Gemäß Artikel 2 der Verordnung Nr. 1311/73 war nämlich zu der nach dem Sachverhalt maßgeblichen Zeit die Verordnung (EWG) Nr. 1769/72 der Kommission vom 26. Juli 1972 zur Ausstellung von Begleitdokumenten und zur Festlegung der Pflichten der Erzeuger und Händler ausser Einzelhändlern in der Weinwirtschaft (ABl. L 191, S. 1) in der Fassung der Verordnung (EWG) Nr. 2814/72 der Kommission vom 22. Dezember 1972 (ABl. L 297, S. 1), mit der ab 1. April 1973 die für Begleitdokumente VA2 geltende endgültige Regelung eingeführt wurde, anwendbar.
20 Daraus ergibt sich, daß der Ansicht der Kläger der Ausgangsverfahren nicht gefolgt werden kann.
21 Auf die erste Frage der Corte suprema di cassazione ist also zu antworten, daß Artikel 1 der Verordnung Nr. 1311/73 dahin auszulegen ist, daß nur die Weine mit "Denominazione di origine controllata" (DOC) und mit "Denominazione di origine controllata e garantita" (DOCG) in Italien während der Geltungsdauer dieser Vorschrift, d. h. vom 22. Mai bis 31. August 1973, die Bezeichnung Qualitätswein b. A. beanspruchen konnten.
Zur zweiten Frage
22 Mit dieser Frage soll für den Fall, daß die bei der Ausfuhr nicht erhobenen Währungsausgleichsbeträge geschuldet würden, geklärt werden, ob die Betroffenen geltend machen können, das Recht der Verwaltung zur Nacherhebung sei deswegen verjährt, weil sie die gemeinschaftsrechtlichen Bestimmungen anfangs falsch ausgelegt habe.
23 Die Kläger der Ausgangsverfahren sind der Ansicht, mehrere Jahre nach Durchführung eines Geschäfts die Zahlung der Währungsausgleichsbeträge zu verlangen, verstosse gegen den Zweck der Regelung über die Währungsausgleichsbeträge, die Störungen der Agrarmärkte, zu denen es infolge von Währungsmaßnahmen der Mitgliedstaaten kommen könne, zu neutralisieren.
24 Dem kann nicht gefolgt werden.
25 Wie die italienische Regierung und die Kommission hervorgehoben haben, greift Verjährung nur ein, wenn sie ausdrücklich vorgesehen ist. Die einzigen Vorschriften, die hierfür in Betracht kommen könnten, finden sich in der Verordnung (EWG) Nr. 1697/79 des Rates vom 24. Juli 1979 betreffend die Nacherhebung von noch nicht vom Abgabenschuldner angeforderten Eingangs- oder Ausfuhrabgaben für Waren, die zu einem Zollverfahren angemeldet worden sind, das die Verpflichtung zur Zahlung derartiger Abgaben beinhaltet (ABl. L 197, S. 1).
26 Diese Verordnung war indessen zu der Zeit, die für die Ausgangsverfahren von Bedeutung ist, nicht in Kraft, und sie kann deshalb nicht auf diesen Sachverhalt angewandt werden (vgl. Urteil vom 12. November 1981 in den Rechtssachen 212/80 bis 217/80 (Meridionale Industria Salumi u. a., Slg. 1981, 2735, Randnr. 15).
27 Daraus folgt, wie der Gerichtshof im Urteil vom 27. März 1980 in den Rechtssachen 66/79, 127/79 und 128/79 (Salumi u. a., Slg. 1980, 1237, Randnr. 18) festgestellt hat, daß es, soweit das Gemeinschaftsrecht die Materie nicht geregelt hat, Sache der internen Rechtsordnung des jeweiligen Mitgliedstaats ist, die Modalitäten und Voraussetzungen für die Erhebung der Gemeinschaftsabgaben im allgemeinen und der Agrarabgaben im besonderen festzulegen und zu bestimmen, welche Behörden für die Abgabenerhebung und welche Gerichte für Rechtsstreitigkeiten über die Abgabenerhebung zuständig sein sollen, wobei freilich diese Modalitäten und Voraussetzungen die Regelung der Erhebung der Gemeinschaftsabgaben und -gebühren nicht weniger wirksam machen dürfen als diejenige für gleichartige einzelstaatliche Gebühren und Abgaben.
28 Ausserdem dürfen, wie der Gerichtshof in Randnummer 20 des Urteils vom 27. März 1980 in der Rechtssache Salumi u. a. festgestellt hat, bei der Anwendung der einzelstaatlichen Rechtsvorschriften keine Unterschiede im Vergleich zu Verfahren gemacht werden, in denen über gleichartige, aber rein nationale Rechtsstreitigkeiten entschieden wird, und die Verfahrensmodalitäten dürfen nicht dazu führen, daß die Ausübung der durch das Gemeinschaftsrecht verliehenen Rechte praktisch unmöglich wird.
29 Auf die zweite Frage der Corte suprema di cassazione ist also zu antworten, daß es, wenn Gemeinschaftsbestimmungen für den im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraum fehlen, Sache des innerstaatlichen Gerichts ist, die innerstaatlichen Rechtsvorschriften über die Verjährung des Anspruchs auf Erhebung von Ausfuhrabgaben anzuwenden, deren Zahlung wegen eines Irrtums der innerstaatlichen Verwaltung zu Unrecht nicht vom Abgabenpflichtigen verlangt wurde, sofern diese Bestimmungen unterschiedslos für nationale und gemeinschaftsrechtliche Forderungen gelten und weder die Tragweite noch die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigen.
Zur dritten Frage
30 Drittens möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die innerstaatliche Behörde die Begleitdokumente VA2 aufgrund unrichtiger Auslegung des Gemeinschaftsrechts ausgestellt und demgemäß zu zahlende Währungsausgleichsbeträge nicht erhoben hat, zur Beachtung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes verpflichtet ist und ob dieser Grundsatz es in Fällen wie denen der Ausgangsverfahren ausschließt, daß Währungsausgleichsbeträge vier Jahre nach erfolgter Ausfuhr nacherhoben werden.
31 Die Kläger der Ausgangsverfahren berufen sich darauf, daß sie auf die Richtigkeit der vom IAP vorgenommenen Handlungen und die für den Exporteur günstigere, von der Verwaltung ursprünglich vertretene Auslegung vertraut hätten und daß sie aus diesem Grund von der Zahlung der Währungsausgleichsbeträge befreit seien.
32 Die Verordnung Nr. 1769/72, mit der die für die Begleitdokumente VA2 geltende endgültige Regelung eingeführt worden ist, war gemäß Artikel 2 der Verordnung Nr. 1311/73 (vgl. oben Randnr. 19) zu der für den Sachverhalt der Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit anwendbar. Gemäß Artikel 4 der Verordnung Nr. 1769/72 veröffentlichte die Kommission am 17. Mai und am 26. Juni 1973 das Verzeichnis der für die Begleitdokumente auf dem Weinsektor zuständigen Stellen (ABl. C 31, S. 20, und ABl. C 50, S. 2). Diesem Verzeichnis ist aber zu entnehmen, daß nur das "Ministero Agricoltura e Foreste, servizio Repressione frodi ° Roma" in dieser Hinsicht für Italien zuständig war.
33 Der Grundsatz des Vertrauensschutzes ist Bestandteil des Gemeinschaftsrechts ist (vgl. Urteil vom 3. Mai 1978 in der Rechtssache 112/77, Töpfer/Kommission, Slg. 1978, 1019), und die allgemeinen Grundsätze des Gemeinschaftsrechts sind von jeder innerstaatlichen mit der Anwendung des Gemeinschaftsrechts betrauten Behörde zu beachten (vgl. Urteil vom 27. September 1979 in der Rechtssache 230/78, Eridania ° Zuccherifici nazionali und Società italiana per l' industria degli zuccheri, Slg. 1979, 2749). Demgemäß muß die innerstaatliche Behörde, die die vorläufige Regelung über die Begleitdokumente für Weine, denen die Bezeichnung Qualitätswein b. A. zusteht, anzuwenden hat, den Grundsatz des Schutzes des berechtigten Vertrauens von Wirtschaftsteilnehmern beachten.
34 Der Gerichtshof hat aber festgestellt, daß eine gegen das Gemeinschaftsrecht verstossende Praxis eines Mitgliedstaates bei einem Wirtschaftsteilnehmer, dem die so geschaffene Lage zugute kommt, kein berechtigtes Vertrauen begründen kann (vgl. Urteil vom 15. Dezember 1982 in der Rechtssache 5/82, Maizena, Slg. 1982, 4601, Randnr. 22).
35 Daraus folgt, daß der Grundsatz des Vertrauensschutzes nicht gegen eine klare gemeinschaftsrechtliche Bestimmung angeführt werden kann und daß das gemeinschaftsrechtswidrige Verhalten einer für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts zuständigen innerstaatlichen Stelle kein berechtigtes Vertrauen eines Wirtschaftsteilnehmers begründen kann, in den Genuß einer gemeinschaftsrechtswidrigen Behandlung zu kommen (vgl. Urteil vom 26. April 1988 in der Rechtssache 316/86, Krücken, Slg. 1988, 2213, Randnr. 24).
36 Die Tatsache, daß eine innerstaatliche Behörde Begleitdokumente VA2 für italienische Weine ausstellt, die nicht als Weine DOC oder DOCG anerkannt sind, kann also, wenn hierfür gemäß Artikel 1 der Verordnung Nr. 1311/73 und Artikel 4 der Verordnung 1769/72 eine andere innerstaatliche Behörde ausschließlich zuständig war, bei einem Exporteur kein berechtigtes Vertrauen darauf begründen, von der Zahlung von Währungsausgleichsbeträgen befreit zu sein.
37 Der Ansicht der Kläger der Ausgangsverfahren kann daher nicht gefolgt werden.
38 Auf die dritte Frage der Corte suprema di cassazione ist somit zu antworten, daß die innerstaatliche Behörde, die für die Ausstellung der Begleitdokumente VA2 für Weine, die im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisation für Wein die Bezeichnung Qualitätswein b. A. führen dürfen, zuständig ist, den Grundsatz des berechtigten Vertrauens zu beachten hat. Ist jedoch ein Begleitdokument VA2 von einer innerstaatlichen Behörde ausgestellt worden, die hierzu nicht befugt war und die aufgrund irriger Auslegung die in diesen Vorschriften vorgesehene Zahlung von Währungsausgleichsbeträgen nicht verlangt hat, so konnte bei den Betroffenen trotz Gutgläubigkeit kein berechtigtes Vertrauen entstehen.
Kostenentscheidung:
Kosten
39 Die Auslagen der italienischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)
auf die ihm von der Corte suprema di cassazione mit Beschlüssen vom 26. Februar 1990 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:
1) Artikel 1 der Verordnung (EWG) Nr. 1311/73 der Kommission vom 16. Mai 1973 zur Aufstellung des vorläufigen Verzeichnisses der Qualitätsweine b. A. sowie zur Identifizierung dieser Weine im Begleitdokument ist dahin auszulegen, daß nur die Weine mit "Denominazione di origine controllata" (DOC) und mit "Denominazione di origine controllata e garantita" (DOCG) in Italien während der Geltungsdauer dieser Vorschrift, d. h. vom 22. Mai bis 31. August 1973, die Bezeichnung Qualitätswein b. A. beanspruchen konnten.
2) Wenn Gemeinschaftsbestimmungen für den im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeitraum fehlen, ist es Sache des innerstaatlichen Gerichts, die innerstaatlichen Rechtsvorschriften über die Verjährung des Anspruchs auf Erhebung von Ausfuhrabgaben anzuwenden, deren Zahlung wegen eines Irrtums der innerstaatlichen Verwaltung zu Unrecht nicht vom Abgabenpflichtigen verlangt wurde, sofern diese Bestimmungen unterschiedslos für nationale und gemeinschaftsrechtliche Forderungen gelten und weder die Tragweite noch die Wirksamkeit des Gemeinschaftsrechts beeinträchtigen.
3) Die innerstaatliche Behörde, die für die Ausstellung der Begleitdokumente VA2 für Weine, die im Rahmen der gemeinsamen Marktorganisation für Wein die Bezeichnung Qualitätswein b. A. führen dürfen, zuständig ist, hat den Grundsatz des berechtigten Vertrauens zu beachten. Ist jedoch ein Begleitdokument VA2 von einer innerstaatlichen Behörde ausgestellt worden, die hierzu nicht befugt war und die aufgrund irriger Auslegung die in diesen Vorschriften vorgesehene Zahlung von Währungsausgleichsbeträgen nicht verlangt hat, so konnte bei den Betroffenen trotz Gutgläubigkeit kein berechtigtes Vertrauen entstehen.
Ende der Entscheidung
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