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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.09.1997
Aktenzeichen: C-347/95
Rechtsgebiete: EG-Vertrag, Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern


Vorschriften:

EG-Vertrag Art. 9
EG-Vertrag Art. 12
EG-Vertrag Art. 95
Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern Art. 33
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

3 Eine Abgabe auf die Vermarktung von Milcherzeugnissen, die unterschiedslos auf inländische und eingeführte Erzeugnisse erhoben wird, stellt eine nach den Artikeln 9 und 12 des Vertrages verbotene Abgabe zollgleicher Wirkung dar, wenn ihr Aufkommen zur Finanzierung von Tätigkeiten bestimmt ist, die nur den belasteten inländischen Erzeugnissen zugute kommen, und wenn die sich daraus ergebenden Vorteile diese Belastung vollständig ausgleichen; gleichen diese Vorteile nur einen Teil der Belastung der inländischen Erzeugnisse aus, stellt die Abgabe eine nach Artikel 95 des Vertrages verbotene diskriminierende inländische Abgabe dar und ist entsprechend herabzusetzen.

Kommen die durch die Abgabe finanzierten Tätigkeiten den belasteten inländischen und den belasteten eingeführten Erzeugnissen zugute, ziehen die erstgenannten Erzeugnisse daraus aber einen verhältnismässig grösseren Vorteil, so stellt die Abgabe insoweit eine Abgabe zollgleicher Wirkung oder eine diskriminierende inländische Abgabe dar, je nachdem, ob der Vorteil, der den belasteten inländischen Erzeugnissen zugute kommt, diese Belastung vollständig oder nur teilweise ausgleicht.

Daraus folgt, daß das nationale Gericht für die rechtliche Qualifizierung der Abgaben auf die Vermarktung von Milcherzeugnissen zu prüfen hat,

- ob das Aufkommen aus der Abgabe nur für die Regulierung des Handels mit den von der Abgabe erfassten Erzeugnissen mit den anderen Mitgliedstaaten verwendet wird;

- ob der institutionelle Rahmen für die Vertretungsorganisationen der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer und die Anwendung der inländischen und gemeinschaftlichen Beihilferegelungen sowie finanziellen und steuerlichen Anreize zugunsten der Nahrungsmittelindustrie und der Verteilung von Nahrungsmitteln, für die ein Teil des Aufkommens aus den fraglichen Abgaben verwendet wird, ausschließlich oder verhältnismässig mehr als den eingeführten Erzeugnissen der inländischen Erzeugung zugute kommen.

4 Da Artikel 33 der Sechsten Richtlinie 77/388 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern die Einführung von Steuern, Abgaben und Gebühren verhindern soll, die das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems dadurch beeinträchtigen, daß sie den Waren- und Dienstleistungsverkehr in einer der Mehrwertsteuer vergleichbaren Art und Weise belasten, steht diese Vorschrift der Erhebung einer nur auf bestimmte Erzeugnisse Anwendung findenden Abgabe nicht entgegen, die weder dem Preis dieser Erzeugnisse proportional ist noch auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe erhoben wird und die nicht den Mehrwert der Erzeugnisse erfasst. Da eine solche Abgabe keines der Merkmale der Mehrwertsteuer aufweist, belastet sie nämlich nicht den Waren- und Dienstleistungsverkehr in einer der Mehrwertsteuer vergleichbaren Art und Weise.


Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 17. September 1997. - Fazenda Pública gegen União das Cooperativas Abastecedoras de Leite de Lisboa, UCRL (UCAL). - Ersuchen um Vorabentscheidung: Supremo Tribunal Administrativo - Portugal. - Nationale Abgabe auf die Vermarktung von Milcherzeugnissen - Abgabe gleicher Wirkung - Inländische Abgabe - Umsatzsteuer. - Rechtssache C-347/95.

Entscheidungsgründe:

1 Das Supremo Tribunal Administrativo hat mit Urteil vom 11. Oktober 1995, beim Gerichtshof eingegangen am 13. November 1995, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 9, 12 und 95 EG-Vertrag sowie des Artikels 33 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1; im folgenden: Sechste Richtlinie) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen der Fazenda Pública (portugiesisches Finanzministerium) und der União das Cooperativas Abastecedoras de Leite de Lisboa, UCRL (Verband der Milchgenossenschaften von Lissabon; im folgenden: UCAL), wegen Nichtzahlung der Vermarktungsabgaben auf Milcherzeugnisse gemäß Artikel 1 des Decreto-Lei Nr. 309/86 vom 23. September 1986 durch die UCAL.

3 Nach dieser Vorschrift "[gelten] für die Abgaben auf einheimische oder eingeführte Milchprodukte, die zum menschlichen Verbrauch bestimmt sind,... folgende Sätze:

Butter: 4 ESC/kg... Aromatisierte Milch und Schokoladenmilch: 1 ESC/Liter."

4 Ursprünglich stand das Aufkommen aus diesen Abgaben der Junta Nacional dos Produtos Pecuários (Nationales Amt für Viehzuchterzeugnisse), einer 1939 geschaffenen Einrichtung für wirtschaftliche Koordination, zu.

5 Im Anschluß an den Beitritt der Portugiesischen Republik zu den Europäischen Gemeinschaften wurden alle Rechte und Befugnisse dieser Einrichtung durch Decreto-Lei Nr. 15/87 vom 9. Januar 1987 auf eine neu geschaffene öffentliche Einrichtung, das Instituto Regulador e Orientador dos Mercados Agrícolas (Institut für die Regulierung und Ausrichtung der Agrarmärkte; im folgenden: IROMA), übertragen.

6 Gemäß Artikel 3 Absatz 4 des Decreto-Lei Nr. 15/87 hatte das IROMA, eine Einrichtung mit Rechtspersönlichkeit sowie Finanz- und Verwaltungsautonomie, die Märkte für Agrar- und Viehzuchterzeugnisse zu verwalten und zu koordinieren. Im einzelnen waren dem IROMA folgende Aufgaben übertragen: Schaffung der nach den nationalen und gemeinschaftlichen Interventionsregelungen für diese Erzeugnisse vorgesehenen institutionellen Preisgarantien und Zuteilung von Prämien, Beihilfen und Subventionen (Buchstabe b), Verwaltung der auf nationaler oder Gemeinschaftsebene eingerichteten Finanzierungsmechanismen zur Unterstützung der Interventions-, Regulierungs-, Ausrichtungs- und Organisationsmaßnahmen für die betreffenden Märkte (Buchstabe c), Begleitung der Entwicklung und des Funktionierens der Agrar- und Viehzuchtmärkte in Portugal und in den anderen Mitgliedstaaten (Buchstabe d), Regelung und Regulierung des Aussenhandels mit Agrar- und Viehzuchterzeugnissen (Buchstabe e), nationale Beteiligung an der Verwaltung der Gemeinschaftsmärkte für diese Erzeugnisse (Buchstabe f), Zusammenarbeit mit der nationalen Verwaltung und den zuständigen Diensten der Kommission, insbesondere bei der Einholung und Verbreitung von Informationen über das Funktionieren dieser Märkte (Buchstabe g), Zusammenarbeit mit den Vertretungsorganen der am Funktionieren der betreffenden Märkte interessierten Wirtschaftsteilnehmer (Buchstabe h), Information und Schulung der Erzeuger, Fabrikanten, Händler und Verbraucher des Sektors (Buchstabe i), Gesetzesinitiative auf dem Gebiet der Regulierung, Ausrichtung und Organisation der betreffenden Märkte (Buchstabe j) und schließlich Verwaltung der Schlachthöfe (Buchstabe l).

7 Mit Erlaß des Decreto-Lei Nr. 282/88 vom 12. August 1988 wurden alle diese Befugnisse mit Ausnahme der Verwaltung der Schlachthöfe auf eine neue Einrichtung, das Instituto Nacional de Intervenção e Garantia Agrícola (im folgenden: INGA), übertragen, das dem IROMA beigeordnet wurde.

8 Das IROMA erhielt jedoch weiterhin die Hälfte des Aufkommens aus den Abgaben, um die es im Ausgangsverfahren geht, während die andere Hälfte dem INGA zugewiesen wurde.

9 Mit dem Decreto-Lei Nr. 56/90 vom 13. Februar 1990 wurde sodann beim Landwirtschaftsministerium eine neue Fachdirektion, die Direcção-Geral dos Mercados Agrícolas e da Indústria Agro-Alimentar (im folgenden: DGMAIAA), gebildet. Mit diesem Decreto-Lei wurden alle zuvor dem IROMA und dem INGA zugeteilten Befugnisse (Artikel 6) sowie zahlreiche weitere spezielle Befugnisse bei der Verwaltung und Regulierung der Märkte für Agrar- und Viehzuchterzeugnisse auf die DGMAIAA übertragen (Artikel 2).

10 Artikel 2 Absatz 2 des Decreto-Lei Nr. 56/90 sieht vor:

"Die DGMAIAA hat insbesondere die Aufgabe,

...

f) den institutionellen Rahmen für die Vertretungsorganisationen der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer zu schaffen, um deren Mitarbeit am Funktionieren und an der Verwaltung der Agrar- und Viehzuchtmärkte sowie an der Festlegung der Strategie bei der Entwicklung der Nahrungsmittelindustrie und der Verteilung von Nahrungsmitteln zu gewährleisten;

...

i) Programme und Pläne auszuarbeiten für die Anwendung der inländischen und gemeinschaftlichen Beihilferegelungen sowie finanziellen und steuerlichen Anreize auf die Nahrungsmittelindustrie und die Verteilung von Nahrungsmitteln;

..."

11 Später, mit Inkrafttreten des Decreto-Lei Nr. 284/91 vom 9. August 1991, wurde der DGMAIAA ein Teil des betreffenden Abgabenaufkommens in Höhe von 15 % zugewiesen. Das Gesamtaufkommen aus diesen Abgaben wurde somit ab diesem Jahr unter die DGMAIAA, das INGA und das IROMA aufgeteilt.

12 Seit dem 23. Oktober 1993, dem Tag des Inkrafttretens des Decreto-Lei Nr. 365/93 vom 22. Oktober 1993, gibt es die streitigen Abgaben in der portugiesischen Rechtsordnung nicht mehr.

13 Das IROMA leitete gegen die UCAL ein Steuerbeitreibungsverfahren wegen eines Betrages von 16 810 ESC ein, der den nicht gezahlten Abgaben auf die Vermarktung von Milcherzeugnissen für August 1991 entsprach.

14 Die UCAL wandte sich gegen die aus diesem Verfahren resultierende Anordnung vor dem Tribunal Tributário Lissabon, indem sie sich auf die Verfassungswidrigkeit der fraglichen Abgaben berief. Das erstinstanzliche Gericht gab der Klage zwar statt, stellte aber auch fest, daß die Abgaben mit den Artikeln 9 und 12 des Vertrages unvereinbar seien.

15 Die Fazenda Pública legte gegen diese Entscheidung Rechtsmittel zum Supremo Tribunal Administrativo ein, das das Verfahren ausgesetzt hat, um dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorzulegen:

1. Verstossen die streitigen "Abgaben" mit den oben genannten Merkmalen einer Steuer gegen Artikel 95 des Römischen Vertrages?

2. Sind diese Besteuerungen als eine nach den Artikeln 9 und 12 dieses Vertrages verbotene Abgabe mit gleicher Wirkung wie ein Einfuhrzoll anzusehen?

3. Sind sie, eventuell vorbehaltlich des genannten Artikels 378 der Akte über den Beitritt Portugals oder irgendeiner anderen Vorschrift des Gemeinschaftsrechts, als Umsatzsteuern im Sinne von Artikel 33 der Sechsten Richtlinie anzusehen?

Zur ersten und zur zweiten Frage

16 Mit den ersten beiden Fragen möchte das nationale Gericht im wesentlichen wissen, ob Abgaben wie die vorliegenden Abgaben mit gleicher Wirkung wie Einfuhrzölle im Sinne der Artikel 9 und 12 des Vertrages oder nach Artikel 95 des Vertrages verbotene diskriminierende inländische Abgaben darstellen können.

17 Die Vorschriften über Abgaben gleicher Wirkung und diejenigen über diskriminierende inländische Abgaben sind nicht kumulativ anwendbar, so daß dieselbe Abgabe nach dem System des Vertrages nicht zugleich in beide Kategorien fallen kann (vgl. Urteile vom 8. Juli 1965 in der Rechtssache 10/65, Deutschmann, Slg. 1965, 636, 641 f., vom 16. Juni 1966 in der Rechtssache 57/65, Lütticke, Slg. 1966, 258, 267, und vom 2. August 1993 in der Rechtssache C-266/91, Celbi, Slg. 1993, I-4337, Randnr. 9).

18 Nach ständiger Rechtsprechung stellt jede den Waren wegen des Überschreitens der Grenze einseitig auferlegte finanzielle Belastung, wenn sie kein Zoll im eigentlichen Sinne ist, unabhängig von ihrer Bezeichnung und der Art ihrer Erhebung eine Abgabe zollgleicher Wirkung im Sinne der Artikel 9, 12, 13 und 16 des Vertrages dar, selbst wenn sie nicht zugunsten des Staates erhoben wird (vgl. insbesondere Urteil vom 9. November 1983 in der Rechtssache 158/82, Kommission/Dänemark, Slg. 1983, 3573, Randnr. 18).

19 Die sich aus einem allgemeinen innerstaatlichen Abgabensystem ergebenden finanziellen Belastungen, die systematisch nach den gleichen Kriterien für inländische und eingeführte Erzeugnisse gelten, fallen dagegen unter die Artikel 95 ff. des Vertrages (vgl. Urteil Celbi, a. a. O., Randnr. 11). Diese Artikel verbieten es den Mitgliedstaaten, auf Waren aus anderen Mitgliedstaaten unmittelbar oder mittelbar höhere inländische Abgaben zu erheben, als gleichartige inländische Waren zu tragen haben, oder Abgaben, die geeignet sind, andere inländische Produktionen zu schützen, so daß das Kriterium für die Anwendung von Artikel 95 darin besteht, ob eine inländische Abgabe diskriminierenden oder protektionistischen Charakter hat (vgl. insbesondere Urteil vom 16. Dezember 1992 in der Rechtssache C-17/91, Lornoy u. a., Slg. 1992, I-6523, Randnr. 19).

20 Jedoch kann es für die rechtliche Qualifizierung einer Abgabe, die auf inländische und eingeführte Erzeugnisse nach denselben Kriterien erhoben wird, erforderlich sein, den Bestimmungszweck des Aufkommens aus der Abgabe zu berücksichtigen.

21 Ist nämlich das Aufkommen aus einer solchen Abgabe dazu bestimmt, Tätigkeiten zu fördern, die speziell den belasteten inländischen Erzeugnissen zugute kommen, so kann sich daraus ergeben, daß der Beitrag, der nach denselben Kriterien erhoben wird, dennoch insoweit eine diskriminierende Besteuerung bedeutet, als die steuerliche Belastung der inländischen Erzeugnisse durch die Vorteile, deren Finanzierung sie dient, aufgehoben wird, während sie für die eingeführten Erzeugnisse eine Nettobelastung darstellt (vgl. Urteile vom 21. Mai 1980 in der Rechtssache 73/79, Kommission/Italien, Slg. 1980, 1533, Randnr. 15, und vom 11. März 1992 in den Rechtssachen C-78/90 bis C-83/90, Compagnie commerciale de l'Oüst u. a., Slg. 1992, I-1847, Randnr. 26).

22 Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. insbesondere vorerwähnte Urteile Compagnie commerciale de l'Oüst u. a., Randnr. 27, und Lornoy u. a., Randnr. 21, sowie Urteil vom 27. Oktober 1993 in der Rechtssache C-72/92, Scharbatke, Slg. 1993, I-5509, Randnr. 10) stellt eine Abgabe, die auf einem allgemeinen innerstaatlichen Abgabensystem beruht und systematisch auf inländische und eingeführte Erzeugnisse erhoben wird, eine gegen die Artikel 9 und 12 des Vertrages verstossende Abgabe zollgleicher Wirkung dar, wenn die Vorteile, die sich aus der Zuweisung des Aufkommens aus dieser Abgabe ergeben, die Belastung, die das inländische Erzeugnis bei seinem Inverkehrbringen trifft, vollständig ausgleichen. Dagegen würde eine solche Abgabe gegen das in Artikel 95 des Vertrages verankerte Diskriminierungsverbot verstossen, wenn die Vorteile, die sich für die belasteten inländischen Erzeugnisse aus der Zuweisung der Einnahmen aus der Abgabe ergeben, diese Belastung nur teilweise ausgleichen würden.

23 Falls die Vorteile für die inländische Erzeugung deren Belastung vollständig ausgleichen, wäre die auf das Erzeugnis erhobene Abgabe als Abgabe zollgleicher Wirkung in vollem Umfang rechtswidrig; gleichen die Vorteile die Belastung der inländischen Erzeugung dagegen teilweise aus, so ist die Abgabe auf das eingeführte Erzeugnis von Rechts wegen lediglich entsprechend herabzusetzen (vgl. Urteile vom 18. Juni 1975 in der Rechtssache 94/74, IGAV, Slg. 1975, 699, Randnr. 13, und Compagnie commerciale de l'Oüst, a. a. O., Randnr. 27).

24 Ausserdem ergibt sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes, daß die Anwendung des Grundsatzes der Ausgleichung voraussetzt, daß das belastete Erzeugnis identisch ist mit dem begünstigten inländischen Erzeugnis (vgl. Urteile vom 25. Mai 1977 in der Rechtssache 77/76, Cucchi, Slg. 1977, 987, Randnr. 19, und in der Rechtssache 105/76, Interzuccheri, Slg. 1977, 1029, Randnr. 12).

25 Ferner setzt eine sachdienliche und richtige Anwendung des Ausgleichungskriteriums voraus, daß in einem Referenzzeitraum die finanzielle Gleichwertigkeit zwischen den Beträgen, die aufgrund der fraglichen Abgabe insgesamt auf inländische Erzeugnisse erhoben werden, und den Vorteilen festgestellt wird, die diesen Erzeugnissen ausschließlich zugute kommen. Jeder andere Parameter, wie die Art, der Umfang oder die Unerläßlichkeit dieser Vorteile, würde keine hinreichend objektive Grundlage für die Beurteilung der Vereinbarkeit einer nationalen Steuermaßnahme mit den Bestimmungen des Vertrages abgeben (vgl. Urteil Celbi, a. a. O., Randnr. 18).

26 Im Fall des Ausgangsverfahrens ist es somit Aufgabe des nationalen Gerichts, unter Anwendung der vorgenannten Grundsätze zu prüfen, ob die inländischen Erzeugnisse aus den Leistungen der Einrichtungen, denen die Abgaben zufließen, nicht de facto einen alleinigen oder verhältnismässig grösseren Vorteil ziehen als die eingeführten Erzeugnisse, der die mit diesen Abgaben verbundene Belastung vollständig oder teilweise ausgleichen kann.

27 Dabei hat das nationale Gericht die Rolle zu berücksichtigen, die zunächst das IROMA und sodann die DGMAIAA im Rahmen der Ordnung und der Regulierung des Aussenhandels mit Agrar- und Viehzuchterzeugnissen gemäß Artikel 3 Absatz 4 Buchstabe e des Decreto-Lei Nr. 15/87 übernommen hat. Bezieht sich der Ausdruck "Aussenhandel" nicht nur auf den Handel mit den betreffenden Erzeugnissen mit Drittländern, sondern auch auf den innergemeinschaftlichen Handel, so ist diese Tätigkeit nämlich geeignet, nur den inländischen Erzeugnissen zugute zu kommen.

28 In diesem Zusammenhang hat das nationale Gericht auch zu prüfen, ob die Aufgaben der DGMAIAA im Hinblick auf die Schaffung des institutionellen Rahmens für die Vertretungsorganisationen der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer (Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe f des Decreto-Lei Nr. 56/90) und die Ausarbeitung der Programme und Pläne für die Anwendung der inländischen und gemeinschaftlichen Beihilferegelungen sowie finanziellen und steuerlichen Anreize auf die Nahrungsmittelindustrie und die Verteilung von Nahrungsmitteln (Artikel 2 Absatz 2 Buchstabe i des Decreto-Lei Nr. 56/90) nicht ausschließlich oder zumindest verhältnismässig mehr als den eingeführten Erzeugnissen der inländischen Erzeugung zugute kommen.

29 Nach alledem ist auf die ersten beiden Vorlagefragen wie folgt zu antworten:

1. a) Eine Abgabe, die unterschiedslos auf inländische und eingeführte Erzeugnisse erhoben wird, stellt eine nach den Artikeln 9 und 12 des Vertrages verbotene Abgabe zollgleicher Wirkung dar, wenn ihr Aufkommen zur Finanzierung von Tätigkeiten bestimmt ist, die nur den belasteten inländischen Erzeugnissen zugute kommen, und wenn die sich daraus ergebenden Vorteile diese Belastung vollständig ausgleichen; gleichen diese Vorteile nur einen Teil der Belastung der inländischen Erzeugnisse aus, so stellt die Abgabe eine nach Artikel 95 des Vertrages verbotene diskriminierende inländische Abgabe dar und ist entsprechend herabzusetzen.

b) Kommen die durch die Abgabe finanzierten Tätigkeiten den belasteten inländischen und den belasteten eingeführten Erzeugnissen zugute, ziehen die erstgenannten Erzeugnisse daraus aber einen verhältnismässig grösseren Vorteil, so stellt die Abgabe insoweit eine Abgabe zollgleicher Wirkung oder eine diskriminierende inländische Abgabe dar, je nachdem, ob der Vorteil, der den belasteten inländischen Erzeugnissen zugute kommt, diese Belastung vollständig oder nur teilweise ausgleicht.

2. Das nationale Gericht hat die erforderlichen Feststellungen zu treffen, um die fragliche Abgabe rechtlich zu qualifizieren. In diesem Rahmen hat das nationale Gericht zu prüfen,

a) ob das Aufkommen aus der Abgabe nur für die Regulierung des Handels mit den von der Abgabe erfassten Erzeugnissen mit den anderen Mitgliedstaaten verwendet wird;

b) ob der institutionelle Rahmen für die Vertretungsorganisationen der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer und die Anwendung der inländischen und gemeinschaftlichen Beihilferegelungen sowie finanziellen und steuerlichen Anreize zugunsten der Nahrungsmittelindustrie und der Verteilung von Nahrungsmitteln, für die ein Teil des Aufkommens aus den fraglichen Abgaben verwendet wird, ausschließlich oder verhältnismässig mehr als den eingeführten Erzeugnissen der inländischen Erzeugung zugute kommen.

Zur dritten Frage

30 Die dritte Frage des vorlegenden Gerichts geht im wesentlichen dahin, ob Abgaben wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden als Umsatzsteuern im Sinne von Artikel 33 der Sechsten Richtlinie anzusehen sind.

31 Artikel 33 der Sechsten Richtlinie des Rates sieht vor:

"Unbeschadet anderer Gemeinschaftsbestimmungen hindern die Bestimmungen dieser Richtlinie einen Mitgliedstaat nicht daran, Abgaben auf Versicherungsverträge, auf Spiele und Wetten, Verbrauchsteuern, Grunderwerbsteuern, sowie ganz allgemein alle Steuern, Abgaben und Gebühren, die nicht den Charakter von Umsatzsteuern haben, beizubehalten oder einzuführen."

32 Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ergibt sich, daß sie es den Mitgliedstaaten verbietet, Steuern, Abgaben und Gebühren einzuführen oder beizubehalten, die den Charakter von Umsatzsteuern haben (vgl. Urteile vom 3. März 1988 in der Rechtssache 252/86, Bergandi, Slg. 1988, 1343, Randnrn. 10 und 11, vom 13. Juli 1989 in den Rechtssachen 93/88 und 94/88, Wisselink u. a., Slg. 1989, 2671, Randnrn. 13 und 14, und vom 31. März 1992 in der Rechtssache C-200/90, Dansk Denkavit und Poulsen Trading, Slg. 1992, I-2217, Randnr. 10).

33 Wie der Gerichtshof in den vorgenannten Urteilen sowie im Urteil vom 27. November 1985 in der Rechtssache 295/84 (Rousseau Wilmot, Slg. 1985, 3759, Randnr. 16) festgestellt hat, soll Artikel 33 der Sechsten Richtlinie die Einführung von Steuern, Abgaben und Gebühren verhindern, die das Funktionieren des gemeinsamen Mehrwertsteuersystems dadurch beeinträchtigen, daß sie den Waren- und Dienstleistungsverkehr in einer der Mehrwertsteuer vergleichbaren Art und Weise belasten. Steuern, Abgaben und Gebühren, die die wesentlichen Merkmale der Mehrwertsteuer aufweisen, sind in jedem Fall als den Waren- und Dienstleistungsverkehr in einer der Mehrwertsteuer vergleichbaren Art und Weise belastend anzusehen (vgl. Urteil Dansk Denkavit und Poulsen Trading, a. a. O., Randnr. 11).

34 Wie der Gerichtshof in den genannten Urteilen dargelegt hat, handelt es sich dabei um folgende Merkmale: Die Mehrwertsteuer wird allgemein auf Umsätze angewandt, bei denen es um Gegenstände oder Dienstleistungen geht, sie ist dem Preis dieser Gegenstände und Dienstleistungen proportional, sie wird auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe erhoben, und sie erfasst den Mehrwert der Gegenstände und Dienstleistungen, da die für einen Umsatz geschuldete Mehrwertsteuer unter Abzug der auf den vorangegangenen Umsatz gezahlten Mehrwertsteuer berechnet wird.

35 Abgaben wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, die keines dieser Merkmale aufweisen, belasten aber nicht den Waren- und Dienstleistungsverkehr in einer der Mehrwertsteuer vergleichbaren Art und Weise.

36 Erstens werden sie nicht allgemein, sondern nur auf bestimmte Erzeugnisse angewandt, zweitens sind sie dem Preis dieser Erzeugnisse nicht proportional, drittens werden sie nicht auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe erhoben, und schließlich erfassen sie nicht den Mehrwert der Erzeugnisse, so daß der Teil, der auf die auf den vorangegangenen Umsatz gezahlte Abgabe entfällt, nicht abgezogen werden kann.

37 Daher ist auf die dritte Frage des vorlegenden Gerichts zu antworten, daß eine nur auf bestimmte Erzeugnisse erhobene Abgabe, die weder dem Preis dieser Erzeugnisse proportional ist noch auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe erhoben wird und die nicht den Mehrwert der Erzeugnisse erfasst, nicht den Charakter einer Umsatzsteuer im Sinne von Artikel 33 der Sechsten Richtlinie hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

38 Die Auslagen der portugiesischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

(Fünfte Kammer)

auf die ihm vom Supremo Tribunal Administrativo mit Urteil vom 11. Oktober 1995 vorgelegten Fragen für Recht erkannt:

1. a) Eine Abgabe, die unterschiedslos auf inländische und eingeführte Erzeugnisse erhoben wird, stellt eine nach den Artikeln 9 und 12 EG-Vertrag verbotene Abgabe zollgleicher Wirkung dar, wenn ihr Aufkommen zur Finanzierung von Tätigkeiten bestimmt ist, die nur den belasteten inländischen Erzeugnissen zugute kommen, und wenn die sich daraus ergebenden Vorteile diese Belastung vollständig ausgleichen; gleichen diese Vorteile nur einen Teil der Belastung der inländischen Erzeugnisse aus, stellt die Abgabe eine nach Artikel 95 des Vertrages verbotene diskriminierende inländische Abgabe dar und ist entsprechend herabzusetzen.

b) Kommen die durch die Abgabe finanzierten Tätigkeiten den belasteten inländischen und den belasteten eingeführten Erzeugnissen zugute, ziehen die erstgenannten Erzeugnisse daraus aber einen verhältnismässig grösseren Vorteil, so stellt die Abgabe insoweit eine Abgabe zollgleicher Wirkung oder eine diskriminierende inländische Abgabe dar, je nachdem, ob der Vorteil, der den belasteten inländischen Erzeugnissen zugute kommt, diese Belastung vollständig oder nur teilweise ausgleicht.

2. Das nationale Gericht hat die erforderlichen Feststellungen zu treffen, um die fragliche Abgabe rechtlich zu qualifizieren. In diesem Rahmen hat das nationale Gericht zu prüfen,

a) ob das Aufkommen aus der Abgabe nur für die Regulierung des Handels mit den von der Abgabe erfassten Erzeugnissen mit den anderen Mitgliedstaaten verwendet wird;

b) ob der institutionelle Rahmen für die Vertretungsorganisationen der betroffenen Wirtschaftsteilnehmer und die Anwendung der inländischen und gemeinschaftlichen Beihilferegelungen sowie finanziellen und steuerlichen Anreize zugunsten der Nahrungsmittelindustrie und der Verteilung von Nahrungsmitteln, für die ein Teil des Aufkommens aus den fraglichen Abgaben verwendet wird, ausschließlich oder verhältnismässig mehr als den eingeführten Erzeugnissen der inländischen Erzeugung zugute kommen.

3. Eine nur auf bestimmte Erzeugnisse erhobene Abgabe, die weder dem Preis dieser Erzeugnisse proportional ist noch auf jeder Produktions- und Vertriebsstufe erhoben wird und die nicht den Mehrwert der Erzeugnisse erfasst, hat nicht den Charakter einer Umsatzsteuer im Sinne von Artikel 33 der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage.

Ende der Entscheidung

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