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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 12.10.2000
Aktenzeichen: C-372/98
Rechtsgebiete: Verordnung 1765/92/EWG, Verordnung 762/94/EWG
Vorschriften:
Verordnung 1765/92/EWG | |
Verordnung 762/94/EWG |
1 Im Rahmen der Unterstützungsregelung für Erzeuger bestimmter Kulturpflanzen ist Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung Nr. 762/94 mit Durchführungsbestimmungen zur Flächenstilllegung so auszulegen, dass die Verpflichtung eines Erzeugers, "Flächen, die im Vorjahr für Erntezwecke bebaut wurden", brachzulegen, Flächen erfasst, auf denen Gras angebaut wurde, das später gemäht und siliert wurde.
(vgl. Randnr. 38 und Tenor)
2 Der Gerichtshof kann die für die Betroffenen bestehende Möglichkeit, sich auf die Auslegung, die er einer Bestimmung gegeben hat, zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen, nur ausnahmsweise aufgrund des allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit beschränken. Eine solche Beschränkung ist nur dann zulässig, wenn zwei grundlegende Kriterien erfuellt sind, nämlich guter Glaube der Betroffenen und die Gefahr schwerwiegender Störungen. Die administrativen und praktischen Schwierigkeiten wegen der Überprüfung zahlreicher Vorgänge können schwerwiegenden Störungen nicht gleichgestellt werden. (vgl. Randnrn. 42-43)
Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 12. Oktober 2000. - The Queen gegen Ministry of Agriculture, Fisheries and Food, ex parte J.H. Cooke & Sons. - Ersuchen um Vorabentscheidung: High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Divisional Court) - Vereinigtes Königreich. - Gemeinsame Agrarpolitik - Verordnung (EWG) Nr. 1765/92 - Verordnung (EG) Nr. 762/94 - Beihilfen im Zusammenhang mit der mit nichtlandwirtschaftlichen Kulturpflanzen bebauten Fläche und der Flächenstilllegung - Begriff "Flächen, die im Vorjahr für Erntezwecke bebaut wurden". - Rechtssache C-372/98.
Parteien:
In der Rechtssache C-372/98
betreffend ein dem Gerichtshof nach Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) vom High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Divisional Court) (Vereinigtes Königreich), in dem bei diesem anhängigen Rechtsstreit
The Queen
gegen
Ministry of Agriculture, Fisheries and Food,
ex parte: J. H. Cooke & Sons,
vorgelegtes Ersuchen um Vorabentscheidung über die Auslegung von Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 762/94 der Kommission vom 6. April 1994 mit Durchführungsbestimmungen zur Flächenstilllegung gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 1765/92 des Rates (ABl. L 90, S. 8)
erlässt
DER GERICHTSHOF
(Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten C. Gulmann sowie der Richter V. Skouris und R. Schintgen (Berichterstatter),
Generalanwalt: P. Léger
Kanzler: H. von Holstein, Hilfskanzler
unter Berücksichtigung der schriftlichen Erklärungen
- der Firma J. H. Cooke & Sons, vertreten durch S. Isaacs, QC, M. Demetriou, Barrister, und D. de Ferrars, Solicitor,
- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch R. Magrill, Treasury Solicitor's Department, als Bevollmächtigte im Beistand von P. M. Roth, QC,
- der dänischen Regierung, vertreten durch Abteilungsleiter J. Molde, Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
- der finnischen Regierung, vertreten durch H. Rotkirch und T. Pynnä, Regierungsbeauftragte, als Bevollmächtigte,
- der schwedischen Regierung, vertreten durch Departementsråd A. Kruse, Rechtssekretariat (EU) im Ministerium für auswärtige Angelegenheiten, als Bevollmächtigten,
- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch Rechtsberater P. Oliver als Bevollmächtigten,
aufgrund des Sitzungsberichts,
nach Anhörung der mündlichen Ausführungen der Firma J. H. Cooke & Sons, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission in der Sitzung vom 27. Januar 2000,
nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 11. Mai 2000,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe:
1 Der High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Divisional Court), hat mit Beschluss vom 25. August 1998, beim Gerichtshof eingegangen am 16. Oktober 1998, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag (jetzt Artikel 234 EG) eine Frage nach der Auslegung von Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung (EG) Nr. 762/94 der Kommission vom 6. April 1994 mit Durchführungsbestimmungen zur Flächenstilllegung gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 1765/92 des Rates (ABl. L 90, S. 8; im Folgenden: Durchführungsverordnung) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Firma J. H. Cooke & Sons, die die Bates Farm in Maer (Vereinigtes Königreich) betreibt (im Folgenden: Klägerin), und dem Ministry of Agriculture, Fisheries and Food (Minister für Landwirtschaft, Fischerei und Ernährung; im Folgenden: Beklagter) wegen der Ablehnung eines Antrags der Klägerin auf eine Ausgleichszahlung gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 1765/92 des Rates vom 30. Juni 1992 zur Einführung einer Stützungsregelung für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen (ABl. L 181, S. 12) in der Fassung der Verordnungen (EG) Nrn. 231/94 des Rates vom 24. Januar 1994 (ABl. L 30, S. 2) und 1460/95 des Rates vom 22. Juni 1995 (ABl. L 144, S. 1) (im Folgenden: Grundverordnung) durch den Beklagten.
Rechtlicher Rahmen
3 Nach Artikel 1 der Grundverordnung wird mit dieser eine Ausgleichszahlungsregelung für Erzeuger landwirtschaftlicher Kulturpflanzen eingeführt. Unter "landwirtschaftlichen Kulturpflanzen" im Sinne dieser Verordnung sind die in Anhang I aufgeführten Pflanzen zu verstehen; dieser Anhang unterschied in der im Ausgangsverfahren maßgeblichen Zeit zwischen Getreide, Ölsaaten und Eiweißpflanzen.
4 Nach Artikel 2 Absatz 1 der Grundverordnung können die Erzeuger landwirtschaftlicher Kulturpflanzen der Gemeinschaft eine Ausgleichszahlung unter den Bedingungen des Titels I dieser Verordnung beantragen. Nach Artikel 2 Absatz 2 Unterabsatz 2 wird die Ausgleichszahlung für die Fläche gewährt, die mit landwirtschaftlichen Kulturpflanzen bebaut ist oder die nach Artikel 7 dieser Verordnung stillgelegt wurde.
5 Die Artikel 4, 5 und 6 der Grundverordnung legen die Einzelheiten der Berechnung der Ausgleichszahlungen für jede der in Randnummer 3 dieses Urteils erwähnten Kulturpflanzen fest.
6 Gemäß Artikel 2 Absatz 5 der Grundverordnung müssen Erzeuger, die die Ausgleichszahlung beantragen, einen Teil ihrer Fläche stilllegen und erhalten dafür eine Ausgleichszahlung.
7 Artikel 7 der Grundverordnung legt die Einzelheiten dieser Verpflichtung zur Flächenstilllegung für jeden Erzeuger fest, der nach der allgemeinen Regelung Ausgleichszahlungen beantragt.
8 Artikel 7 Absätze 3 und 4 Unterabsatz 1 der Grundverordnung bestimmt:
"(3) Die Mitgliedstaaten treffen geeignete Umweltschutzmaßnahmen, die den Besonderheiten der stillgelegten Flächen Rechnung tragen müssen.
(4) Die stillgelegten Flächen können für die Erzeugung von Rohstoffen genutzt werden, die in der Gemeinschaft zu nicht in erster Linie für Lebensmittel- oder Futtermittelzwecke bestimmten Erzeugnissen verarbeitet werden, sofern eine wirksame Kontrolle gewährleistet ist."
9 Artikel 7 Absatz 5 der Grundverordnung setzt den Stilllegungsausgleich in Höhe der Ausgleichszahlung für Getreide fest.
10 Artikel 9 Absatz 1 der Grundverordnung lautet:
"Anträge auf Ausgleichszahlungen einschließlich der Stilllegung können nicht für Flächen gestellt werden, die am 31. Dezember 1991 als Dauerweiden, Dauerkulturen oder Wälder genutzt wurden oder die nichtlandwirtschaftlichen Zwecken dienten."
11 Artikel 2 Absatz 1 der Durchführungsverordnung, die auf der Grundlage des Artikels 12 der Grundverordnung erlassen wurde, bestimmt:
"Unbeschadet der Vorschriften des Artikels 7 Absatz 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1765/92 ist Flächenstilllegung im Sinne dieser Verordnung die Brachlegung von Flächen, die im Vorjahr für Erntezwecke bebaut wurden."
12 Artikel 3 Absatz 2 der Durchführungsverordnung lautet:
"Die stillgelegten Flächen müssen gepflegt werden, um sie in einem zufrieden stellenden agronomischen Zustand zu erhalten. Sie dürfen weder einer anderen landwirtschaftlichen Erzeugung als derjenigen dienen, die in Artikel 7 Absatz 4 der Verordnung (EWG) Nr. 1765/92 vorgesehen ist, noch einem Erwerbszweck zugeführt werden, der mit dem Anbau von Kulturpflanzen unvereinbar ist."
13 In Artikel 3 Absatz 3 der Durchführungsverordnung ist bestimmt:
"Die Mitgliedstaaten erlassen geeignete Vorschriften zum Schutz der Umwelt, die den Besonderheiten der stillgelegten Flächen Rechnung tragen."
14 Artikel 3 Absatz 4 der Durchführungsverordnung sieht vor:
"Um für die Ausgleichsregelung gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 1765/92 in Frage zu kommen, müssen die stillgelegten Flächen
- vom Antragsteller in den beiden dem Antrag vorangegangenen Jahren bewirtschaftet worden sein, es sei denn, es liegen besondere Umstände vor, die nach vom betroffenen Mitgliedstaat festgelegten objektiven Kriterien ausreichend begründet sind...;
- während eines spätestens am 15. Januar beginnenden und frühestens am 31. August endenden Zeitraums aus der Produktion genommen werden. Die Mitgliedstaaten legen jedoch zum einen die Bedingungen fest, unter denen die Erzeuger ab 15. Juli die Aussaat für eine Ernte im folgenden Jahr vornehmen dürfen, und zum anderen die Bedingungen, unter denen es erlaubt ist, die Flächen in den Mitgliedstaaten, die herkömmlicherweise die Wandertierhaltung betreiben, ab 15. Juli als Weideland zu nutzen...."
15 Artikel 4 Absatz 1 der Durchführungsverordnung bestimmt:
"Die Verpflichtung zur rotationsabhängigen Stilllegung gemäß Artikel 7 Absatz 1 zweiter Unterabsatz der Verordnung (EWG) Nr. 1765/92 gilt als erfuellt, wenn keine der stillgelegten Parzellen im Rahmen der besonderen Stilllegung gemäß Artikel 2 Absatz 6 oder in einem der fünf Vorjahre im Rahmen der Stilllegung gemäß Artikel 7 derselben Verordnung stillgelegt worden ist. Eine bereits stillgelegte Parzelle darf jedoch erneut genutzt werden, wenn der Erzeuger über keine Fläche mehr verfügt, die ihm die Einhaltung des genannten Zeitraums ermöglichen würde."
16 Die Verordnung (EWG) Nr. 3508/92 des Rates vom 27. November 1992 zur Einführung eines integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystems für bestimmte gemeinschaftliche Beihilferegelungen (ABl. L 355, S. 1), zu denen die durch die Grundverordnung eingeführte Unterstützungsregelung für Erzeuger bestimmter Kulturpflanzen gehört, sieht in Artikel 6 Absatz 1 erster Gedankenstrich vor, dass ein Betriebsinhaber eine oder mehrere Gemeinschaftsregelungen nur in Anspruch nehmen kann, wenn er für jedes Jahr einen Beihilfeantrag "Flächen" abgibt, der die landwirtschaftlich genutzten Parzellen einschließlich Futterflächen, die landwirtschaftlich genutzten Parzellen, die Gegenstand einer Flächenstilllegungsregelung sind, sowie die Brachflächen enthält.
17 Artikel 4 der Verordnung (EWG) Nr. 3887/92 der Kommission vom 23. Dezember 1992 mit Durchführungsbestimmungen zum integrierten Verwaltungs- und Kontrollsystem für bestimmte gemeinschaftliche Beihilferegelungen (ABl. L 391, S. 36) legt fest, welche Angaben der Beihilfeantrag "Flächen" enthalten muss.
18 Artikel 6 Absatz 1 dieser Verordnung lautet:
"Die Verwaltungskontrollen und die Kontrollen vor Ort werden so durchgeführt, dass zuverlässig geprüft werden kann, ob die Bedingungen für die Gewährung der Beihilfen und Prämien eingehalten wurden."
19 Artikel 9 der Verordnung Nr. 3887/92 regelt die Sanktionen für den Fall, dass die zuständigen Behörden festgestellt haben, dass die im Beihilfeantrag "Flächen" angegebene Fläche von der bei den Kontrollen tatsächlich ermittelten Fläche abweicht. Namentlich wird nach Artikel 9 Absatz 2 keinerlei Beihilfe für Flächen gewährt, wenn die in einem Beihilfeantrag "Flächen" angegebene Fläche die ermittelte Fläche um mehr als 20 % übersteigt. Nach dem letzten Unterabsatz dieses Absatzes gilt als ermittelte Fläche im Sinne des Artikels 9 die Fläche, bei der alle vorgeschriebenen Bedingungen erfuellt sind.
Der Sachverhalt des Ausgangsverfahrens und die Vorlagefrage
20 Am 16. April 1997 stellte die Klägerin beim Beklagten einen Beihilfeantrag "Flächen" in Bezug auf 60,64 ha für Getreide, 23,90 ha für Ölsaaten und 5 ha für brachgelegte Flächen. Unbestritten war 1996 auf den letztgenannten Flächen Welsches Weidelgras angebaut worden, bei dem es sich um ein nicht dauerhaftes Gras handelt. Die Klägerin behauptet - was der Beklagte nicht überprüfen kann -, dass dieses Gras 1996 gemäht und siliert worden sei.
21 Am 17. September 1997 lehnte der Beklagte den Antrag der Klägerin mit der Begründung ab, dass die brachgelegten Flächen nicht die Voraussetzungen dafür erfuellten, als Stilllegungsflächen behandelt zu werden, da sie nicht im Sinne von Artikel 2 Absatz 1 der Durchführungsverordnung im Vorjahr für Erntezwecke bebaut worden seien. Daher wurde gegen die Klägerin ein Bußgeld verhängt, und sie verlor ihren Anspruch auf Gewährung sämtlicher von ihr beantragter Beihilfen einschließlich der Beihilfen für Getreide und Ölsaaten in Höhe von insgesamt 28 000 GBP.
22 Auf den Widerspruch der Klägerin vom 26. September 1997 hin bestätigte der Beklagte die Ablehnung des Antrags mit einem neuen Bescheid vom 2. Oktober 1997.
23 Der Antrag der Klägerin auf gerichtliche Überprüfung des Bescheides durch das vorlegende Gericht wurde mit Entscheidung vom 28. Januar 1998 zugelassen; im Verfahren vor diesem Gericht tritt die Klägerin insbesondere der Ansicht des Beklagten entgegen, dass die Bebauung der Brachlegungsflächen im Jahr vor dem Stilllegungszeitraum durch die Aussaat von Gras, das später gemäht oder ausgerissen und entfernt worden sei, dazu führe, dass diese Flächen im folgenden Jahr nicht als stillgelegte Flächen im Sinne der Gemeinschaftsregelung in Betracht kämen.
24 Der Beklagte macht demgegenüber geltend, angesichts des Zweckes der Stilllegung von Flächen, der darin bestehe, die landwirtschaftliche Erzeugung zu verringern, könnten Stilllegungsflächen nur dann Anspruch auf eine Ausgleichszahlung eröffnen, wenn sie im Jahr vor dem Stilllegungszeitraum für die Zwecke einer solchen landwirtschaftlichen Erzeugung bebaut worden seien.
25 Der High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Divisional Court), hält eine Auslegung des Artikels 2 Absatz 1 der Durchführungsverordnung zur Entscheidung des Rechtsstreits für erforderlich; er hat daher das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist die Wendung "Flächen, die im Vorjahr für Erntezwecke bebaut wurden" in Artikel 2 der Verordnung (EG) Nr. 762/94 der Kommission vom 6. April 1994 mit Durchführungsbestimmungen zur Flächenstilllegung gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 1765/92 des Rates so auszulegen, dass sie Flächen erfasst, auf denen im Vorjahr Gras gesät wurde, das gemäht und siliert wurde?
26 Für die Beantwortung dieser Frage ergibt sich erstens aus der zweiten Begründungserwägung der Grundverordnung, dass die durch diese Verordnung eingeführte Stützungsregelung für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen ein besseres Marktgleichgewicht dadurch gewährleisten soll, dass die gemeinschaftlichen Preise für diese Pflanzen an die Weltmarktpreise angeglichen und die durch die Senkung der institutionellen Preise entstehenden Einkommenseinbußen durch eine Ausgleichszahlung an die Erzeuger ausgeglichen werden sollen, die solche Erzeugnisse zur Ernte anbauen.
27 Gemäß Artikel 2 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Grundverordnung wird die Ausgleichszahlung nicht nur für die Fläche gewährt, die mit landwirtschaftlichen Kulturpflanzen im Sinne der Definitionen in Anhang I der Verordnung bebaut ist, sondern auch für die Fläche, zu deren Stilllegung die Erzeuger gemäß Artikel 2 Absatz 5 Unterabsatz 2 und Artikel 7 der Grundverordnung verpflichtet sind, wenn sie eine Ausgleichszahlung für ihre landwirtschaftliche Erzeugung erhalten möchten.
28 Zweitens verlangt Artikel 2 Absatz 1 der Durchführungsverordnung seinem Wortlaut nach nur, dass sich die Flächenstilllegung, die in der Absicht vorgenommen wird, eine Ausgleichszahlung nach der Grundverordnung zu erhalten, und die selbst den Anspruch auf einen Ausgleich eröffnet, auf Flächen bezieht, die im Jahr vor dem Stilllegungszeitraum für Erntezwecke bebaut wurden.
29 Keine Bestimmung der einschlägigen Gemeinschaftsregelung verlangt, dass auf den gemäß den Artikeln 2 Absatz 5 und 7 der Grundverordnung stillgelegten Flächen im Vorjahr bestimmte Kulturen eingesät worden sein müssen, namentlich eine der in Anhang I dieser Verordnung aufgeführten Kulturpflanzen.
30 Nach Artikel 7 Absatz 3 der Grundverordnung und Artikel 3 Absätze 2 und 3 der Durchführungsverordnung müssen die stillgelegten Flächen so gepflegt werden, dass die Umwelt geschützt und ein zufrieden stellender agronomischer Zustand erhalten wird. Auch lässt Artikel 7 Absatz 4 der Grundverordnung zu, dass die stillgelegten Flächen für die Erzeugung von Rohstoffen genutzt werden, die in der Gemeinschaft zu nicht in erster Linie für Lebensmittel- oder Futtermittelzwecke bestimmten Erzeugnissen verarbeitet werden.
31 Keine dieser Bestimmungen betrifft jedoch die Anforderungen an die Pflege und Nutzung der stillgelegten Flächen im Jahr vor dem Stilllegungszeitraum, um die allein es im Ausgangsverfahren geht.
32 Die einzige Bestimmung der Gemeinschaftsregelung, die bestimmte Flächen wegen ihrer Verwendung vor ihrer Stilllegung von der durch die Grundverordnung eingeführten Stützungsregelung ausschließt, ist Artikel 9 dieser Verordnung, nach dessen Absatz 1 Anträge auf Ausgleichszahlungen einschließlich der Stilllegung nicht für Flächen gestellt werden können, die am 31. Dezember 1991 als Dauerweiden, Dauerkulturen oder Wälder genutzt wurden oder die nichtlandwirtschaftlichen Zwecken dienten.
33 Daher fallen alle im Jahr vor dem Stilllegungszeitraum eingesäten Flächen mit Ausnahme der in Artikel 9 Absatz 1 der Grundverordnung erwähnten unter die Definition des Artikels 2 Absatz 1 der Durchführungsverordnung und kommen für Ausgleichszahlungen bei Flächenstilllegungen unabhängig von den dort angebauten Pflanzen in Betracht, sofern sie für Erntezwecke bebaut wurden.
34 Eine Fläche, die mit einem nicht dauerhaften Gras eingesät war, das dazu bestimmt war, gemäht und dann siliert zu werden, und die somit nicht im Zustand von Weideland belassen wurde, ist als für Erntezwecke bebaut anzusehen.
35 Dieses Ergebnis steht im Einklang mit den durch die Stützungsregelung für die Erzeuger bestimmter Kulturpflanzen, die durch die Grundverordnung eingeführt wurde, verfolgten Zwecken, zu denen als ein wesentlicher Bestandteil die Flächenstilllegung gehört.
36 Denn jede Stilllegung bebauter Flächen trägt unabhängig von der betroffenen Kultur auch dann, wenn es sich um eine Fläche handelt, auf der vorher Gras für Erntezwecke angebaut wurde, zur Verringerung der mit Kulturpflanzen bestellbaren Flächen im Sinne der Grundverordnung bei, die ihrerseits im Sinne der zweiten Begründungserwägung dieser Verordnung der Gewährleistung eines besseren Marktgleichgewichts förderlich ist.
37 Im Übrigen bestuende, wie der Generalanwalt in Nummer 44 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, die Gefahr, dass die Erzeuger veranlasst würden, die Flächen im Jahr vor ihrer Stilllegung mit Kulturpflanzen im Sinne der Grundverordnung zu bestellen, wenn die Gewährung der Stützungsregelung für Erzeuger bestimmter landwirtschaftlicher Kulturpflanzen auf Flächen beschränkt wäre, die in diesem Jahr für die Erzeugung solcher Pflanzen verwendet wurden; dadurch könnte die Verwirklichung des Zweckes der Marktstabilisierung erschwert werden.
38 Nach alledem ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass Artikel 2 Absatz 1 der Durchführungsverordnung so auszulegen ist, dass die Wendung "Flächen, die im Vorjahr für Erntezwecke bebaut wurden" Flächen erfasst, auf denen Gras angebaut wurde, das später gemäht und siliert wurde.
Zu den zeitlichen Wirkungen des vorliegenden Urteils
39 Die Regierung des Vereinigten Königreichs beantragt für den Fall, dass die Vorlagefrage bejaht wird, die Wirkungen des Urteils zeitlich zu begrenzen.
40 Zur Begründung ihres Antrags macht die Regierung des Vereinigten Königreichs geltend, dass die zuständigen nationalen Behörden Artikel 2 Absatz 1 der Durchführungsverordnung in gutem Glauben so ausgelegt hätten, da die Kommission sie trotz wiederholter Ersuchen um Klarstellung und Auskünfte, die sie in diesem Zusammenhang von 1992 bis 1997 an sie gerichtet hätten, nicht vor ihrem Auslegungsirrtum gewarnt habe.
41 Die Regierung des Vereinigten Königreichs macht ferner geltend, dass eine Bejahung der Vorlagefrage ohne Begrenzung der zeitlichen Wirkungen des Urteils zu erheblichen administrativen und praktischen Schwierigkeiten führen würde, da die zuständigen Behörden anhand der Auslegung des Gerichtshofes bis zu 10 000 seit 1993 bearbeitete Vorgänge überprüfen müssten.
42 Der Gerichtshof kann die für die Betroffenen bestehende Möglichkeit, sich auf die Auslegung, die er einer Bestimmung gegeben hat, zu berufen, um in gutem Glauben begründete Rechtsverhältnisse in Frage zu stellen, nur ausnahmsweise aufgrund des allgemeinen gemeinschaftsrechtlichen Grundsatzes der Rechtssicherheit beschränken (Urteil vom 23. Mai 2000 in der Rechtssache C-104/98, Buchner u. a., Slg. 2000, I-3625, Randnr. 39). Eine solche Beschränkung ist nur dann zulässig, wenn zwei grundlegende Kriterien erfuellt sind, nämlich guter Glaube der Betroffenen und die Gefahr schwerwiegender Störungen (Urteil vom 28. September 1994 in der Rechtssache C-57/93, Vroege, Slg. 1994, I-4541, Randnr. 21).
43 Die von der Regierung des Vereinigten Königreichs angeführten administrativen und praktischen Schwierigkeiten wegen der Überprüfung zahlreicher Vorgänge können schwerwiegenden Störungen nicht gleichgestellt werden, zumal gewöhnlich die betroffenen Erzeuger nachweisen müssen, dass sie im Jahr vor der Stilllegung, für die sie die in der Grundverordnung vorgesehenen Stützungsmaßnahmen beantragt haben, diese Flächen mit einem nicht dauerhaften Gras eingesät haben, das sie sodann gemäht und siliert haben.
44 Ferner hat die Kommission zwar mehrere Schreiben nicht beantwortet, die die Regierung des Vereinigten Königreichs an sie gerichtet hatte, doch geht aus deren schriftlichen Erklärungen hervor, dass ihr seit Juli 1997 bekannt war, dass die Kommission Zweifel an der Richtigkeit der vom Vereinigten Königreich vorgenommenen Auslegung hatte und dass die Kommission ihr in einer bilateralen Sitzung am 30. September 1997 deutlich mitgeteilt hatte, dass sie diese Auslegung nicht teile.
45 Keiner dieser Umstände hat die Regierung des Vereinigten Königreichs dazu veranlasst, ihre Ansicht zu ändern, wie der Umstand belegt, dass sie Anfang Oktober 1997 die Ablehnung des Antrags der Klägerin auf Ausgleichszahlung bestätigt und vor dem nationalen Gericht weiterhin ihre eigene Auslegung vertreten hat.
46 Daher kann die Regierung des Vereinigten Königreichs im Rahmen des vorliegenden Verfahrens vor dem Gerichtshof nicht geltend machen, dass sie aufgrund des Verhaltens der Kommission zu der Annahme berechtigt gewesen sei, dass Artikel 2 Absatz 1 der Durchführungsverordnung Flächen wie die im Ausgangsverfahren betroffenen nicht erfasse.
47 Folglich besteht kein Anlass, die Wirkungen des vorliegenden Urteils zeitlich zu begrenzen.
Kostenentscheidung:
Kosten
Die Auslagen der Regierung des Vereinigten Königreichs, der dänischen, der finnischen und der schwedischen Regierung sowie der Kommission, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
(Sechste Kammer)
auf die ihm vom High Court of Justice (England & Wales), Queen's Bench Division (Divisional Court), mit Beschluss vom 25. August 1998 vorgelegte Frage für Recht erkannt:
Artikel 2 Absatz 1 der Durchführungsverordnung (EG) Nr. 762/94 der Kommission vom 6. April 1994 mit Durchführungsbestimmungen zur Flächenstilllegung gemäß der Verordnung (EWG) Nr. 1765/92 des Rates ist so auszulegen, dass die Wendung "Flächen, die im Vorjahr für Erntezwecke bebaut wurden" Flächen erfasst, auf denen Gras angebaut wurde, das später gemäht und siliert wurde.
Ende der Entscheidung
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