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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 01.06.1995
Aktenzeichen: C-40/93
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, RiLi 78/686 EWG


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 168
RiLi 78/686 EWG Art. 19
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Ein Mitgliedstaat, der zur Ausübung der Tätigkeiten eines Zahnarztes Personen zulässt, die keine den in Artikel 1 der Richtlinie 78/687 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeiten des Zahnarztes aufgestellten Kriterien entsprechende Ausbildung erhalten und auch ihr Hochschulstudium der Medizin nicht vor dem in Artikel 19 der Richtlinie 78/686 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr vorgesehenen Zeitpunkt begonnen haben, und auf diese Weise eine Kategorie von Zahnärzten schafft ° deren Mitglieder zur Ausübung ihrer Tätigkeit nur im inländischen Hoheitsgebiet berechtigt sind °, die keiner der in den genannten Richtlinien aufgeführten Kategorien entspricht, verstösst gegen seine Verpflichtungen aus der Richtlinie 78/686 und der Richtlinie 78/687.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 1. JUNI 1995. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN ITALIENISCHE REPUBLIK. - VERTRAGSVERLETZUNG - RICHTLINIEN 78/686/EWG UND 78/687/EWG. - RECHTSSACHE C-40/93.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 9. Februar 1993 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 19 der Richtlinie 78/686/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr (ABl. L 233, S. 1; im folgenden: Anerkennungsrichtlinie) und aus Artikel 1 der Richtlinie 78/687/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeiten des Zahnarztes (ABl. L 233, S. 10; im folgenden: Koordinierungsrichtlinie) verstossen hat, daß sie durch das Gesetz Nr. 471 vom 31. Oktober 1988 die in Artikel 19 der Richtlinie 78/686/EWG festgesetzte Frist in bezug auf die Diplome der Medizin und der Chirurgie auf das Studienjahr 1984/85 ausgedehnt hat.

2 Nach Artikel 1 Absatz 1 der Koordinierungsrichtlinie machen die Mitgliedstaaten die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeiten des Zahnarztes unter den in Artikel 1 der Anerkennungsrichtlinie genannten Bezeichnungen vom Besitz eines in Artikel 3 derselben Richtlinie genannten Diploms, Prüfungszeugnisses oder sonstigen Befähigungsnachweises abhängig, das bzw. der garantiert, daß der Betreffende im Verlauf seiner gesamten Ausbildungszeit die durch die Koordinierungsrichtlinie festgelegten angemessenen Kenntnisse und Erfahrungen erworben hat.

3 Artikel 2 der Anerkennungsrichtlinie lautet: "Jeder Mitgliedstaat erkennt die in Artikel 3 dieser Richtlinie aufgeführten Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes, die die anderen Mitgliedstaaten den Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten nach Artikel 1 der Richtlinie 78/687/EWG ausstellen, an und verleiht ihnen in seinem Gebiet die gleiche Wirkung in bezug auf die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeiten des Zahnarztes wie den von ihm ausgestellten Diplomen, Prüfungszeugnissen und sonstigen Befähigungsnachweisen."

4 Artikel 7 Absatz 1 der Anerkennungsrichtlinie lautet:

"Jeder Mitgliedstaat erkennt bei Staatsangehörigen der Mitgliedstaaten als ausreichenden Nachweis die Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes an, die von den anderen Mitgliedstaaten vor Beginn der Anwendung der Richtlinie 78/687/EWG ausgestellt worden sind, auch wenn sie nicht allen Mindestanforderungen der Ausbildung nach Artikel 1 der Richtlinie 78/687/EWG genügen, sofern ihnen eine Bescheinigung darüber beigefügt ist, daß sich der betreffende Staatsangehörige während der letzten fünf Jahre vor Ausstellung der Bescheinigung mindestens drei Jahre lang ununterbrochen tatsächlich und rechtmässig den betreffenden Tätigkeiten gewidmet hat."

5 Nach Artikel 1 Absatz 4 der Koordinierungsrichtlinie "hindert [diese] die Mitgliedstaaten in keiner Weise daran, den Inhabern von Diplomen, Prüfungszeugnissen oder sonstigen Befähigungsnachweisen, die nicht in einem Mitgliedstaat erworben wurden, die Aufnahme und Ausübung der Tätigkeiten des Zahnarztes in ihrem Gebiet nach ihren innerstaatlichen Vorschriften zu gestatten".

6 Nach Artikel 24 Absatz 1 der Anerkennungsrichtlinie und Artikel 8 Absatz 1 der Koordinierungsrichtlinie lief die Frist für die Umsetzung dieser beiden Richtlinien in nationales Recht 18 Monate nach deren Bekanntgabe, d. h. am 28. Januar 1980, ab. Für Italien lief diese Frist jedoch erst sechs Jahre nach der Bekanntgabe der Richtlinien ab, d. h. am 28. Juli 1984.

7 Dieser Aufschub war dadurch gerechtfertigt, daß damals die Tätigkeiten des Zahnarztes in Italien ausschließlich von Ärzten ausgeuebt wurden. Die Koordinierungsrichtlinie verpflichtete daher die Italienische Republik, eine neue Berufsgruppe zu schaffen, was die Einführung einer entsprechenden Fachausbildung und die Schaffung geeigneter Strukturen für diesen neuen Beruf erforderte.

8 Um dieser besonderen Situation Rechnung zu tragen, bestimmte Artikel 19 der Anerkennungsrichtlinie folgendes:

"Von dem Zeitpunkt an, zu dem Italien die Maßnahmen trifft, um dieser Richtlinie nachzukommen, erkennen die Mitgliedstaaten zum Zwecke der Ausübung der in Artikel 1 dieser Richtlinie genannten Tätigkeiten die Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise der Ärzte an, die in Italien Personen ausgestellt wurden, die ihre Universitätsausbildung spätestens achtzehn Monate nach Bekanntgabe dieser Richtlinie [d. h. dem 28. Januar 1980] begonnen haben, sofern ihnen eine Bescheinigung der zuständigen italienischen Behörden darüber beigefügt ist, daß sich die betreffenden Personen während der letzten fünf Jahre vor Ausstellung der Bescheinigung mindestens drei Jahre lang ununterbrochen in Italien tatsächlich und rechtmässig sowie hauptsächlich den... Tätigkeiten [der Verhütung, Diagnose und Behandlung insbesondere von Krankheiten der Zähne] gewidmet haben und daß sie berechtigt sind, diese Tätigkeiten unter denselben Bedingungen auszuüben wie die Inhaber der [in Italien ausgestellten Zahnarztdiplome]."

9 Durch das Gesetz Nr. 409 vom 24. Juli 1985 (Supplemento ordinario zur GURI Nr. 190 vom 13. August 1985) schuf die Italienische Republik den Beruf des Zahnarztes und beschränkte dessen Ausübung auf Inhaber eines Diploms der Zahnmedizin und der Zahnprothetik sowie Inhaber eines Diploms der Medizin oder der Chirurgie, die über ein Diplom der Spezialisierung auf dem Gebiet der Zahnmedizin verfügen. Artikel 19 dieses Gesetzes sah jedoch entsprechend Artikel 19 der Anerkennungsrichtlinie für eine Übergangszeit eine Abweichung von den Bestimmungen über den Zugang zum Beruf des Zahnarztes vor.

10 Am 31. Oktober 1988 erließ die Italienische Republik das Gesetz Nr. 471 (GURI Nr. 262 vom 8. November 1988), das einen einzigen Artikel enthält, der wie folgt lautet:

"Die Inhaber von Diplomen der Medizin und der Chirurgie, die in den Studienjahren 1980/81, 1981/82, 1982/83, 1983/84 und 1984/85 als Studenten der Medizin und der Chirurgie immatrikuliert waren und zur Ausübung ihres Berufes berechtigt sind, können für die Eintragung in das Zahnärzteregister zum Zweck der Ausübung der Tätigkeit gemäß Artikel 2 des Gesetzes Nr. 409 vom 24. Juli 1985 optieren. Von dieser Möglichkeit muß bis zum 31. Dezember 1991 Gebrauch gemacht werden."

11 Mit Schreiben vom 19. Oktober 1990, mit dem das Verfahren nach Artikel 169 EWG-Vertrag eingeleitet wurde, teilte die Kommission der italienischen Regierung mit, daß die durch das Gesetz Nr. 471 vom 31. Oktober 1988 geschaffene Lage ihrer Ansicht nach gegen Artikel 19 der Anerkennungsrichtlinie und Artikel 1 der Koordinierungsrichtlinie verstosse.

12 Nachdem sie keine Antwort erhalten hatte, gab die Kommission am 28. November 1991 eine mit Gründen versehene Stellungnahme im Sinne von Artikel 169 EWG-Vertrag ab, mit der sie die Italienische Republik aufforderte, die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen, um die betreffenden Richtlinien binnen zwei Monaten korrekt umzusetzen.

13 Nachdem die Kommission auf diese mit Gründen versehene Stellungnahme keine Antwort erhalten hatte, hat sie die vorliegende Klage erhoben.

14 Zur Begründung ihrer Klage macht die Kommission geltend, daß die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 1 der Koordinierungsrichtlinie und aus Artikel 19 der Anerkennungsrichtlinie verstossen habe, daß sie zu den Tätigkeiten eines Zahnarztes Personen zugelassen habe, die ihre Diplome in Italien erworben hätten und die keine den in Artikel 1 der Koordinierungsrichtlinie aufgestellten Kriterien entsprechende Ausbildung erhalten und auch ihr Hochschulstudium der Medizin nicht vor dem in Artikel 19 der Anerkennungsrichtlinie vorgesehenen Zeitpunkt begonnen hätten. Das streitige Gesetz habe auf diese Weise eine Kategorie von Zahnärzten ° deren Mitglieder nur im Inland praktizieren dürften ° geschaffen, die keiner der in den genannten Richtlinien vorgesehenen Kategorien entspreche. Die Mitgliedstaaten seien nicht berechtigt, eine solche Kategorie zu schaffen.

15 In der mündlichen Verhandlung hat die Italienische Republik eine Einrede der Unzulässigkeit erhoben. Nach ihrer Ansicht sind die erwähnten Argumente weder in der mit Gründen versehenen Stellungnahme noch in der Klageschrift dargelegt worden.

16 Diese Einrede ist zurückzuweisen.

17 Sowohl in der mit Gründen versehenen Stellungnahme als auch in der Klageschrift hat die Kommission gerügt, daß das streitige Gesetz dadurch gegen die Richtlinien verstosse, daß es dazu führe, daß Personen zu den Tätigkeiten eines Zahnarztes zugelassen würden, die sich nicht in einer Weise spezialisiert hätten, die ihnen eine der Koordinierungsrichtlinie entsprechende Ausbildung gewährleiste, und die ihr Hochschulstudium der Medizin nicht spätestens am 28. Januar 1980 begonnen hätten.

18 Zur Begründetheit räumt die Italienische Republik ein, daß das streitige Gesetz dazu führe, daß eine Kategorie von Zahnärzten geschaffen werde, die nicht in den Genuß des Rechts auf gegenseitige Anerkennung in den anderen Mitgliedstaaten gelangen könne. Dieses Gesetz verstosse jedoch nicht gegen die Koordinierungs- und die Anerkennungsrichtlinie, da diese Ärzte eben nur befugt seien, ihren Beruf in Italien auszuüben, und das Gesetz auch die Anerkennung von Diplomen, Prüfungszeugnissen und sonstigen Befähigungsnachweisen des Zahnarztes, die in den anderen Mitgliedstaaten erworben worden seien, nicht erschwere. Die Erreichung der Ziele dieser Richtlinien, die darin bestuenden, die Ausübung des Niederlassungsrechts und des freien Dienstleistungsverkehrs zu erleichtern, werde daher nicht beeinträchtigt.

19 Die Italienische Republik führt weiter aus, daß Artikel 1 Absatz 4 der Koordinierungsrichtlinie die Mitgliedstaaten ermächtige, in ihrem Hoheitsgebiet den Zugang zu diesem Beruf Inhabern von in einem Drittstaat erworbenen Diplomen zu gewähren. Somit erlaube es diese Richtlinie Zahnärzten, die über eine Berufsausbildung verfügten, die der in den Richtlinien vorgesehenen Koordinierungsregelung nicht entspreche, ihren Beruf in einem Mitgliedstaat auszuüben.

20 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden.

21 Die in Rede stehenden Richtlinien sehen vor, daß zur Ausübung der Tätigkeit eines Zahnarztes nur berechtigt ist, wer einen der in Artikel 2 der Anerkennungsrichtlinie vorgesehenen Befähigungsnachweise besitzt. Davon sind in den Artikeln 7 und 19 der Anerkennungsrichtlinie und in Artikel 1 Absatz 4 der Koordinierungsrichtlinie nur drei Ausnahmen vorgesehen.

22 Artikel 1 Absatz 4 der Koordinierungsrichtlinie findet nur Anwendung auf die Anerkennung von Diplomen, Prüfungszeugnissen und sonstigen Befähigungsnachweisen, die in einem Drittstaat erworben worden sind (Urteil vom 9. Februar 1994 in der Rechtssache C-154/93, Tawil-Albertini, Slg. 1994, I-451).

23 Was die übrigen Bestimmungen angeht, ist darauf hinzuweisen, daß nach ständiger Rechtsprechung jede Ausnahme von Bestimmungen, die dazu dienen, die Wirksamkeit der vom Vertrag zugebilligten Rechte zu gewährleisten, eng auszulegen ist (Urteile vom 26. Februar 1975 in der Rechtssache 67/74, Bonsignore, Slg. 1975, 297, vom 23. März 1983 in der Rechtssache 77/82, Peskeloglou, Slg. 1983, 1085, und vom 14. Dezember 1989 in der Rechtssache 3/87, Agegate, Slg. 1989, 4459). Nur die im Vertrag oder in den einschlägigen Richtlinien ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen sind zulässig.

24 Daher können die Mitgliedstaaten keine Kategorie von Zahnärzten schaffen, die keiner der in den fraglichen Richtlinien aufgeführten Kategorien entspricht.

25 Nach allem hat die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 19 der Anerkennungsrichtlinie und aus Artikel 1 der Koordinierungsrichtlinie verstossen, daß sie durch das Gesetz Nr. 471 vom 31. Oktober 1988 die in Artikel 19 der Anerkennungsrichtlinie vorgesehene Frist in bezug auf die Diplome der Medizin und der Chirurgie auf das Studienjahr 1984/85 ausgedehnt hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

26 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Italienische Republik mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF (Fünfte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Italienische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 19 der Richtlinie 78/686/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise des Zahnarztes und für Maßnahmen zur Erleichterung der tatsächlichen Ausübung des Niederlassungsrechts und des Rechts auf freien Dienstleistungsverkehr und aus Artikel 1 der Richtlinie 78/687/EWG des Rates vom 25. Juli 1978 zur Koordinierung der Rechts- und Verwaltungsvorschriften für die Tätigkeiten des Zahnarztes verstossen, daß sie durch das Gesetz Nr. 471 vom 31. Oktober 1988 die in Artikel 19 der Richtlinie 78/686/EWG vorgesehene Frist in bezug auf die Diplome der Medizin und der Chirurgie auf das Studienjahr 1984/85 ausgedehnt hat.

2) Die Italienische Republik trägt die Kosten.

Ende der Entscheidung

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