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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 18.12.1997
Aktenzeichen: C-402/96
Rechtsgebiete: EGV, VO Nr. 2137/85/EWG
Vorschriften:
EGV Art. 177 | |
VO Nr. 2137/85/EWG Art. 5 |
Artikel 5 Buchstabe a der Verordnung Nr. 2137/85 des Rates vom 25. Juli 1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) ist dahin auszulegen, daß die Firmenbezeichnung einer EWIV zumindest die Worte "Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung" oder die Abkürzung "EWIV" enthalten muß, während ihre übrigen Bestandteile durch das im Mitgliedstaat des Sitzes der Vereinigung anwendbare innerstaatliche Recht vorgeschrieben werden können.
Urteil des Gerichtshofes (Fünfte Kammer) vom 18. Dezember 1997. - European Information Technology Observatory, Europäische Wirtschaftliche Interessenvereinigung. - Ersuchen um Vorabentscheidung: Oberlandesgericht Frankfurt am Main - Deutschland. - Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung - Firma. - Rechtssache C-402/96.
Entscheidungsgründe:
1 Das Oberlandesgericht Frankfurt am Main hat mit Beschluß vom 9. Dezember 1996, beim Gerichtshof eingegangen am 23. Dezember 1996, gemäß Artikel 177 EG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung des Artikels 5 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates vom 25. Juli 1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) (ABl. L 199, S. 1; nachstehend: Verordnung) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Frage stellt sich in einem Verfahren, in dem das Amtsgericht Frankfurt am Main die Eintragung der in Gründung befindlichen Vereinigung "European Information Technology Observatory, Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung" (nachstehend: EITO) mit Sitz in Frankfurt am Main in das Handelsregister A mit der Begründung ablehnte, nach deutschem Recht könne eine Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung (nachstehend: EWIV oder Vereinigung) nur als reine Personenfirma oder als Personenfirma mit Zusätzen gebildet werden; ihre Eintragung als reine Sachfirma sei nicht möglich.
3 Das Landgericht Frankfurt am Main bestätigte die Verweigerung der Eintragung mit Beschluß vom 21. Juni 1995, gegen den die EITO weitere Rechtsbeschwerde beim Oberlandesgericht Frankfurt am Main einlegte.
4 Vor diesen Gerichten machte die EITO geltend, die Ablehnung ihres Antrags auf Eintragung ins Handelsregister verstosse gegen Artikel 5 Buchstabe a der Verordnung, wonach der Gründungsvertrag mindestens den Namen der Vereinigung mit den voran- oder nachgestellten Worten "Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung" oder der Abkürzung "EWIV" enthalten müsse, es sei denn, daß diese Worte oder diese Abkürzung bereits im Namen enthalten seien.
5 Das Oberlandesgericht hält die Beschwerde der EITO für unbegründet. Es führt aus, es habe mit Entscheidung vom 18. Mai 1993 festgestellt, daß die Firma einer EWIV nicht als reine Sachfirma in das Handelsregister eingetragen werden könne, weil das Firmenrecht der offenen Handelsgesellschaft, das für die EWIV gelte, nur die Bildung einer reinen Personenfirma oder einer Personenfirma mit Zusätzen vorsehe. In dieser Entscheidung habe das Oberlandesgericht ausdrücklich den Standpunkt zurückgewiesen, Artikel 5 Buchstabe a der Verordnung sehe eine Sachfirma verbindlich vor. In dieser Bestimmung komme lediglich zum Ausdruck, daß die Worte "Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung" oder die Abkürzung "EWIV" der Bezeichnung nicht zwingend voran- oder nachgestellt werden müssten, so daß für die Frage der Firmierung bis auf den Rechtsformzusatz allein innerstaatliches Recht maßgeblich sei.
6 Das Oberlandesgericht hält sich gleichwohl für verpflichtet, das Verfahren auszusetzen, und hat dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:
Ist Artikel 5 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates vom 25. Juli 1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) dahin zu verstehen, daß der Name/die Firma einer EWIV neben den Zusätzen "Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung" oder "EWIV" auch dann nur aus Sachbezeichnungen gebildet werden kann, wenn das innerstaatliche Recht für die Gründung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung eine solche Firmierung an sich ausschließt?
7 Die Verordnung schafft einen rechtlichen Rahmen, der es natürlichen Personen, Gesellschaften und anderen juristischen Einheiten ermöglicht, über die Grenzen hinweg zusammenzuarbeiten, indem er ihnen ein neues Rechtsinstrument zur Verfügung stellt.
8 Gemäß Artikel 1 Absatz 1 der Verordnung werden die EWIV unter den Voraussetzungen, in der Weise und mit den Wirkungen gegründet, die in dieser Verordnung vorgesehen sind.
9 Artikel 2 Absatz 1 bestimmt: "Vorbehaltlich dieser Verordnung ist das innerstaatliche Recht des Staates anzuwenden, in dem die Vereinigung nach dem Gründungsvertrag ihren Sitz hat, und zwar einerseits auf den Gründungsvertrag mit Ausnahme der Fragen, die den Personenstand und die Rechts-, Geschäfts- und Handlungsfähigkeit natürlicher Personen sowie die Rechts- und Handlungsfähigkeit juristischer Personen betreffen, und andererseits auf die innere Verfassung der Vereinigung."
10 Artikel 5 der Verordnung sieht folgendes vor: "Der Gründungsvertrag muß mindestens folgende Angaben enthalten:
a) den Namen der Vereinigung mit den voran- oder nachgestellten Worten "Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung" oder der Abkürzung "EWIV", es sei denn, daß diese Worte oder diese Abkürzung bereits im Namen enthalten sind;
..."
11 Nach Auffassung der EITO ist die Frage des nationalen Gerichts zu bejahen. Sie verweist zunächst auf den Wortlaut des Artikels 5 Buchstabe a und insbesondere auf den Satzteil "es sei denn, daß diese Worte oder diese Abkürzung bereits im Namen enthalten sind". Bei einer Personenfirma dürften die Worte "Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung" oder die Abkürzung "EWIV" nur einen Zusatz darstellen und nicht bereits im Namen enthalten sein. Der genannte Satzteil begründe die Möglichkeit einer Sachfirma; andernfalls wäre er überfluessig.
12 Die EITO verweist weiter auf die in den Begründungserwägungen der Verordnung genannten Ziele. Die Absicht des Verordnungsgebers sei es gewesen, die grenzueberschreitende wirtschaftliche Kooperation dadurch zu fördern, daß den Mitgliedern der Vereinigung weitgehende Freiheit bei der Gestaltung ihrer vertraglichen Beziehungen eingeräumt werde. Dies erfordere zwingend die Zulässigkeit von Sachfirmen. Es bestehe ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Bezeichnung einer EWIV einerseits und der Gestaltung ihrer vertraglichen Beziehungen sowie ihrer inneren Verfassung andererseits.
13 Ausserdem müsse die Gleichbehandlung der Mitglieder einer EWIV auch in der Firmierung Ausdruck finden. Dies könne durch die Nennung des Namens aller Mitglieder in der Firma zum Ausdruck kommen. Dabei ergäben sich jedoch zwei Probleme: Zum einen könne die Zahl der Mitglieder einer solchen Firmierung entgegenstehen, zum anderen könne so nicht gewährleistet werden, daß in der Firmierung ein geeigneter Hinweis auf den Tätigkeitsbereich der EWIV gegeben werde. Die Folge der Unzulässigkeit einer Sachfirma wäre somit, daß die EWIV ihren Zweck, nämlich die Kooperation in der Gemeinschaft zu fördern, nicht erfuellen könnte.
14 Die EITO führt schließlich aus, die Bedeutung der Sachfirmierung für die grenzueberschreitende Kooperation zeige sich auch daran, daß über 80 % aller gegründeten EWIV unter einem Sachnamen firmierten. Bei Unzulässigkeit einer Sachfirmierung bestehe die Gefahr der Rechtszersplitterung im Gemeinsamen Markt. Gerade diese habe durch eine einheitliche Gesellschaftsform aufgehoben werden sollen. Bei der Auslegung und Anwendung der Verordnung dürfe also keineswegs nur die deutsche Rechtslage berücksichtigt werden.
15 Nach Auffassung der deutschen Regierung und der Kommission ist die Vorlagefrage zu verneinen. Die deutsche Regierung verweist insbesondere darauf, daß Artikel 5 Buchstabe a der Verordnung nur regele, in welcher Weise die Gesellschaftsform EWIV in der Firma zum Ausdruck kommen müsse, und keinerlei Aussage zum Inhalt der Firmenbezeichnung der Vereinigung treffe. Die Regelung des Inhalts der Firmenbezeichnung sei somit allein Sache des nationalen Rechts. Dies ergebe sich unmittelbar aus Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung.
16 Die Kommission führt aus, soweit die Verordnung selbst keine Regelungen treffe, gelte nach ihrem Artikel 2 Absatz 1 das nationale Recht des Mitgliedstaats, in dem die Vereinigung ihren Sitz habe. Für die Firmenbezeichnung einer Vereinigung gelte das innerstaatliche Recht.
17 Die Auffassung, aus der Wendung "es sei denn, daß diese Worte oder diese Abkürzung bereits im Namen enthalten sind" sei zu schließen, daß die Verordnung zwingend auch die Möglichkeit einer reinen Sachfirma eröffne, sei nicht überzeugend. Diese Auffassung müsse nämlich für die Auslegung einer Vorschrift des Gemeinschaftsrechts auf innerstaatliche Bestimmungen zurückgreifen; dieses müsse aber aus sich selbst heraus ausgelegt werden und könne nicht von den notwendigerweise unterschiedlichen Regelungen in den einzelnen Mitgliedstaaten beeinflusst werden.
18 Zudem werde die Offenheit der Verordnung hinsichtlich der Firmenbezeichnung der EWIV durch ihren Artikel 1 Absatz 3 bestätigt, wonach die Mitgliedstaaten bestimmen könnten, ob die in ihren Registern eingetragenen EWIV Rechtspersönlichkeit hätten.
19 Der von der EITO vorgeschlagenen Auslegung des Artikels 5 Buchstabe a kann, wie auch die deutsche Regierung und die Kommission dargelegt haben, nicht gefolgt werden.
20 Aus Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung ergibt sich nämlich, daß vorbehaltlich dieser Verordnung das innerstaatliche Recht des Staates anzuwenden ist, in dem die Vereinigung nach dem Gründungsvertrag ihren Sitz hat.
21 Wie der Generalanwalt in Nummer 5 seiner Schlussanträge ausgeführt hat, verlangt Artikel 5 Buchstabe a der Verordnung nur, daß die Firma einer EWIV die Worte "Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung" oder die Abkürzung "EWIV" enthalten muß. Ziel dieser Bestimmung ist es, daß die Vereinigung in ihren Aussenbeziehungen durch die Nennung der von der Verordnung geschaffenen Vereinigungsform identifiziert und unterschieden werden kann. Dagegen stellt sie kein weiteres Erfordernis hinsichtlich des Inhalts der Firmenbezeichnung auf. Insbesondere soll der Satzteil "es sei denn, daß diese Worte oder diese Abkürzung bereits im Namen enthalten sind" nur überfluessige Wiederholungen verhindern.
22 Die Verordnung sieht somit vor, daß die Bezeichnung einer EWIV die Worte "Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung" oder die Abkürzung "EWIV" enthalten muß, betrifft jedoch nicht den Inhalt dieser Bezeichnung. Inhaltliche Anforderungen können folglich gemäß Artikel 2 Absatz 1 der Verordnung durch das im Mitgliedstaat des Sitzes der Vereinigung anwendbare innerstaatliche Recht aufgestellt werden.
23 Demgemäß ist zu antworten, daß Artikel 5 Buchstabe a der Verordnung dahin auszulegen ist, daß die Firmenbezeichnung einer EWIV zumindest die Worte "Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung" oder die Abkürzung "EWIV" enthalten muß, während ihre übrigen Bestandteile durch das im Mitgliedstaat des Sitzes der Vereinigung anwendbare innerstaatliche Recht vorgeschrieben werden können.
Kostenentscheidung:
Kosten
24 Die Auslagen der deutschen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF
(Fünfte Kammer)
auf die ihm vom Oberlandesgericht Frankfurt am Main mit Beschluß vom 9. Dezember 1996 vorgelegte Frage für Recht erkannt:
Artikel 5 Buchstabe a der Verordnung (EWG) Nr. 2137/85 des Rates vom 25. Juli 1985 über die Schaffung einer Europäischen wirtschaftlichen Interessenvereinigung (EWIV) ist dahin auszulegen, daß die Firmenbezeichnung einer EWIV zumindest die Worte "Europäische wirtschaftliche Interessenvereinigung" oder die Abkürzung "EWIV" enthalten muß, während ihre übrigen Bestandteile durch das im Mitgliedstaat des Sitzes der Vereinigung anwendbare innerstaatliche Recht vorgeschrieben werden können.
Ende der Entscheidung
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