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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 23.02.1994
Aktenzeichen: C-419/92
Rechtsgebiete: EWGVtr, EWGV 1612/68


Vorschriften:

EWGVtr Art. 48
EWGVtr Art. 7
EWGV 1612/68 Art. 1
EWGV 1612/68 Art. 3
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 48 EWG-Vertrag verbietet nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen. Deswegen ist er dahin auszulegen, daß eine öffentliche Einrichtung eines Mitgliedstaats, wenn sie bei der Einstellung von Personal für Stellen, die nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 48 Absatz 4 EWG-Vertrag fallen, die Berücksichtigung der früheren Berufstätigkeiten der Bewerber innerhalb einer öffentlichen Verwaltung vorsieht, gegenüber den Gemeinschaftsbürgern nicht danach unterscheiden darf, ob diese Tätigkeiten im öffentlichen Dienst dieses Mitgliedstaats oder in dem eines anderen Mitgliedstaats ausgeuebt wurden.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 23. FEBRUAR 1994. - INGETRAUT SCHOLZ GEGEN OPERA UNIVERSITARIA DI CAGLIARI UND CINZIA PORCEDDA. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNALE AMMINISTRATIVO REGIONALE PER LA SARDEGNA - ITALIEN. - FREIZUEGIGKEIT DER ARBEITNEHMER - AUSWAHLVERFAHREN FUER EINE STELLE IN DER OEFFENTLICHEN VERWALTUNG - IN EINEM ANDEREN MITGLIEDSTAAT ERWORBENE BERUFSERFAHRUNG. - RECHTSSACHE C-419/92.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunale amministrativo regionale per la Sardegna hat mit Urteil vom 10. Juni 1992, in das Register der Kanzlei des Gerichtshofes eingetragen am 18. Dezember 1992, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Artikel 7 und 48 EWG-Vertrag sowie der Artikel 1 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 des Rates vom 15. Oktober 1968 über die Freizuegigkeit der Arbeitnehmer innerhalb der Gemeinschaft (ABl. L 257, S. 2) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit über die Einstufung der Bewerber, mit der ein allgemeines Auswahlverfahren aufgrund von Befähigungsnachweisen und Prüfungen zur Besetzung von Stellen für Kantinenbedienstete an der Universität Cagliari abgeschlossen wurde.

3 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens, eine gebürtige Deutsche, die durch Eheschließung die italienische Staatsangehörigkeit erworben hat, erhob gegen ihre Einstufung im Rahmen des vorgenannten Auswahlverfahrens eine Klage, die sie mit der Rechtswidrigkeit der Weigerung des Prüfungsausschusses für das Auswahlverfahren begründete, die Berufstätigkeit, die sie vor ihrer Eheschließung in der deutschen Postverwaltung ausgeuebt hatte, zu berücksichtigen, wie dies in der Ausschreibung des Auswahlverfahrens vorgesehen gewesen sei.

4 Die Ausschreibung des Auswahlverfahrens sah insbesondere vor, daß im Hinblick auf die abschließende Einstufung der Bewerber eine bestimmte Anzahl von Punkten für die Befähigungsnachweise und Dienste vergeben wurde. Sie enthielt keine näheren Angaben zur Art der früheren Berufserfahrung.

5 Das Tribunale amministrativo regionale per la Sardegna, bei dem die Klage anhängig ist, hat dem Gerichtshof daraufhin folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Sind die Artikel 7 und 48 EWG-Vertrag sowie die Artikel 1 und 3 der Verordnung (EWG) Nr. 1612/68 dahin auszulegen, daß sie es verbieten, daß bei einem öffentlichen Auswahlverfahren zur Besetzung von Stellen, die nicht zu denjenigen gehören, für die der Vorbehalt des Artikels 48 Absatz 4 EWG-Vertrag gilt, der Berufstätigkeit in einer öffentlichen Verwaltung eines anderen Mitgliedstaats jede Bedeutung abgesprochen wird, wenn die Berufstätigkeit in einer Verwaltung des Staates, in dem das Auswahlverfahren ausgeschrieben wird, als brauchbarer Befähigungsnachweis für die endgültige Einstufung in dem Auswahlverfahren berücksichtigt wird?

6 Zunächst ist daran zu erinnern, daß Artikel 7 EWG-Vertrag, der jede Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit verbietet, nicht selbständig gilt, wenn der EWG-Vertrag, wie es in Artikel 48 Absatz 2 hinsichtlich der Freizuegigkeit der Arbeitnehmer der Fall ist, ein besonderes Diskriminierungsverbot enthält (vgl. Urteil vom 30. Mai 1989 in der Rechtssache 305/87, Kommission/Griechenland, Slg. 1989, 1461, Randnrn. 12 und 13). Ausserdem verdeutlichen die Artikel 1 und 3 der Verordnung Nr. 1612/68 nur die bereits aus Artikel 48 EWG-Vertrag folgenden Rechte und führen sie durch. Daher ist nur diese Vorschrift in der vorliegenden Rechtssache einschlägig.

7 Nach ständiger Rechtsprechung (vgl. insbesondere Urteil vom 10. März 1993 in der Rechtssache C-111/91, Kommission/Luxemburg, Slg. 1993, I-817, Randnr. 9) verbietet Artikel 48 EWG-Vertrag nicht nur offensichtliche Diskriminierungen aufgrund der Staatsangehörigkeit, sondern auch alle versteckten Formen der Diskriminierung, die durch die Anwendung anderer Unterscheidungsmerkmale tatsächlich zu dem gleichen Ergebnis führen.

8 Bezueglich des Falles, um den es im Ausgangsverfahren geht, ist zunächst darauf hinzuweisen, daß sich der Umstand, daß die Klägerin die italienische Staatsangehörigkeit erworben hat, nicht auf die Anwendung des Grundsatzes der Nichtdiskriminierung auswirkt.

9 Jeder Gemeinschaftsbürger, der von seinem Recht auf Freizuegigkeit der Arbeitnehmer Gebrauch gemacht und in einem anderen Mitgliedstaat eine Berufstätigkeit ausgeuebt hat, fällt nämlich unabhängig von seinem Wohnort und seiner Staatsangehörigkeit in den Anwendungsbereich der genannten Vorschriften.

10 Sodann ist zu bemerken, daß die Bestimmungen des fraglichen Auswahlverfahrens für die endgültige Einstufung der Bewerber die Berücksichtigung von früheren Beschäftigungszeiten im öffentlichen Dienst vorsahen, ohne näher anzugeben, daß diese mit den Aufgaben eines Kantinenbediensteten in Zusammenhang stehen mussten.

11 Schließlich ist festzustellen, daß die Weigerung, die von der Klägerin des Ausgangsverfahrens im öffentlichen Dienst eines anderen Mitgliedstaats zurückgelegte Beschäftigungszeit bei der Vergabe der vorgesehenen Zusatzpunkte im Hinblick auf ihre endgültige Einstufung zu berücksichtigen, eine nicht gerechtfertigte mittelbare Diskriminierung darstellt.

12 Daher ist auf die vorgelegte Frage zu antworten, daß Artikel 48 EWG-Vertrag dahin auszulegen ist, daß, wenn eine öffentliche Einrichtung eines Mitgliedstaats bei der Einstellung von Personal für Stellen, die nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 48 Absatz 4 EWG-Vertrag fallen, die Berücksichtigung der früheren Berufstätigkeiten der Bewerber innerhalb einer öffentlichen Verwaltung vorsieht, diese Einrichtung gegenüber den Gemeinschaftsbürgern nicht danach unterscheiden darf, ob diese Tätigkeiten im öffentlichen Dienst dieses Mitgliedstaats oder in dem eines anderen Mitgliedstaats ausgeuebt wurden.

Kostenentscheidung:

Kosten

13 Die Auslagen der italienischen und der französischen Regierung sowie der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Tribunale amministrativo regionale per la Sardegna (Italien) mit Urteil vom 10. Juni 1992 vorgelegte Frage für Recht erkannt:

Artikel 48 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß, wenn eine öffentliche Einrichtung eines Mitgliedstaats bei der Einstellung von Personal für Stellen, die nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 48 Absatz 4 EWG-Vertrag fallen, die Berücksichtigung der früheren Berufstätigkeiten der Bewerber innerhalb einer öffentlichen Verwaltung vorsieht, diese Einrichtung gegenüber den Gemeinschaftsbürgern nicht danach unterscheiden darf, ob diese Tätigkeiten im öffentlichen Dienst dieses Mitgliedstaats oder in dem eines anderen Mitgliedstaats ausgeuebt wurden.

Ende der Entscheidung

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