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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 22.05.2008
Aktenzeichen: C-462/06
Rechtsgebiete: Verordnung (EG) Nr. 44/2001


Vorschriften:

Verordnung (EG) Nr. 44/2001 Art. 6 Nr. 1
Verordnung (EG) Nr. 44/2001 Kapitel II Abschn. 5
Verordnung (EG) Nr. 44/2001 Kapitel II Abschn. 2
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

URTEIL DES GERICHTSHOFS (Erste Kammer)

22. Mai 2008

"Verordnung (EG) Nr. 44/2001 - Kapitel II Abschnitt 5 - Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge - Kapitel II Abschnitt 2 - Besondere Zuständigkeiten - Art. 6 Nr. 1 - Mehrere Beklagte"

Parteien:

In der Rechtssache C-462/06

betreffend ein Vorabentscheidungsersuchen nach Art. 234 EG, eingereicht von der Cour de cassation (Frankreich) mit Entscheidung vom 7. November 2006, beim Gerichtshof eingegangen am 20. November 2006, in dem Verfahren

Glaxosmithkline,

Laboratoires Glaxosmithkline

gegen

Jean-Pierre Rouard

erlässt

DER GERICHTSHOF (Erste Kammer)

unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten P. Jann (Berichterstatter) sowie der Richter A. Tizzano, A. Borg Barthet, M. Ilesic und E. Levits,

Generalanwalt: M. Poiares Maduro,

Kanzler: C. Strömholm, Verwaltungsrätin,

aufgrund des schriftlichen Verfahrens und auf die mündliche Verhandlung vom 15. November 2007,

unter Berücksichtigung der Erklärungen

- von Glaxosmithkline und Laboratoires Glaxosmithkline, vertreten durch B. Soltner, avocat,

- von Herrn Rouard, vertreten durch C. Waquet, avocat,

- der französischen Regierung, vertreten durch G. de Bergues und A.-L. During als Bevollmächtigte,

- der deutschen Regierung, vertreten durch M. Lumma als Bevollmächtigten,

- der italienischen Regierung, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten im Beistand von W. Ferrante, avvocato dello Stato,

- der Regierung des Vereinigten Königreichs, vertreten durch Z. Bryanston-Cross als Bevollmächtigte im Beistand von A. Howard, Barrister,

- der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch A.-M. Rouchaud-Joët als Bevollmächtigte,

nach Anhörung der Schlussanträge des Generalanwalts in der Sitzung vom 17. Januar 2008

folgendes

Urteil

Entscheidungsgründe:

1 Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 6 Nr. 1 und Kapitel II Abschnitt 5 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 2001, L 12, S. 1, im Folgenden: Verordnung).

2 Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen Herrn Rouard und den Gesellschaften Glaxosmithkline mit Sitz im Vereinigten Königreich und Laboratoires Glaxosmithkline mit Sitz in Frankreich, die Herr Rouard aufgrund einer Klausel in seinem Arbeitsvertrag als seine gemeinsamen früheren Arbeitgeber ansieht und von denen er die Zahlung verschiedener Beträge als Kündigungsabfindung und als Schadensersatz wegen ungerechtfertigten Vertragsbruchs verlangt.

Rechtlicher Rahmen

3 Kapitel II Abschnitt 1 der Verordnung mit der Überschrift "Allgemeine Vorschriften" enthält Art. 2, dessen Abs. 1 vorsieht:

"Vorbehaltlich der Vorschriften dieser Verordnung sind Personen, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats haben, ohne Rücksicht auf ihre Staatsangehörigkeit vor den Gerichten dieses Mitgliedstaats zu verklagen."

4 Art. 6 der Verordnung in Kapitel II Abschnitt 2 mit der Überschrift "Besondere Zuständigkeiten" bestimmt:

"Eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann auch verklagt werden:

1. wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht des Ortes, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten;

...

3. wenn es sich um eine Widerklage handelt, die auf denselben Vertrag oder Sachverhalt wie die Klage selbst gestützt wird, vor dem Gericht, bei dem die Klage selbst anhängig ist;

..."

5 Zu den Zielen der Verordnung heißt es im 13. Erwägungsgrund:

"Bei Versicherungs-, Verbraucher- und Arbeitssachen sollte die schwächere Partei durch Zuständigkeitsvorschriften geschützt werden, die für sie günstiger sind als die allgemeine Regelung."

6 Kapitel II Abschnitt 5 der Verordnung mit der Überschrift "Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge" enthält u. a. die folgenden Bestimmungen:

"Artikel 18

(1) Bilden ein individueller Arbeitsvertrag oder Ansprüche aus einem individuellen Arbeitsvertrag den Gegenstand des Verfahrens, so bestimmt sich die Zuständigkeit unbeschadet des Artikels 4 und des Artikels 5 Nummer 5 nach diesem Abschnitt.

...

Artikel 19

Ein Arbeitgeber, der seinen Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, kann verklagt werden:

1. vor den Gerichten des Mitgliedstaats, in dem er seinen Wohnsitz hat, oder

2. in einem anderen Mitgliedstaat

a) vor dem Gericht des Ortes, an dem der Arbeitnehmer gewöhnlich seine Arbeit verrichtet oder zuletzt gewöhnlich verrichtet hat, oder

b) wenn der Arbeitnehmer seine Arbeit gewöhnlich nicht in ein und demselben Staat verrichtet oder verrichtet hat, vor dem Gericht des Ortes, an dem sich die Niederlassung, die den Arbeitnehmer eingestellt hat, befindet bzw. befand.

Artikel 20

(1) Die Klage des Arbeitgebers kann nur vor den Gerichten des Mitgliedstaats erhoben werden, in dessen Hoheitsgebiet der Arbeitnehmer seinen Wohnsitz hat.

(2) Die Vorschriften dieses Abschnitts lassen das Recht unberührt, eine Widerklage vor dem Gericht zu erheben, bei dem die Klage selbst gemäß den Bestimmungen dieses Abschnitts anhängig ist."

Ausgangsverfahren und Vorlagefrage

7 Herr Rouard wurde 1977 von der Gesellschaft Laboratoires Beecham Sévigné, die ihren satzungsmäßigen Sitz in Frankreich hatte, eingestellt und in verschiedenen afrikanischen Staaten eingesetzt.

8 Mit einem neuen, 1984 geschlossenen Arbeitsvertrag mit der Gesellschaft Beecham Research UK, einer anderen Gesellschaft der Gruppe, deren satzungsmäßiger Sitz sich im Vereinigten Königreich befand, wurde Herr Rouard von dieser Gesellschaft eingestellt und in Marokko eingesetzt. Mit diesem Arbeitsvertrag verpflichtete sich sein neuer Arbeitgeber, die von Herrn Rouard im Rahmen seines ursprünglichen Arbeitsvertrags mit der Gesellschaft Laboratoires Beecham Sévigné erworbenen vertraglichen Ansprüche aufrechtzuerhalten, insbesondere seine Ruhegehaltsansprüche sowie bestimmte Abfindungsansprüche im Fall der Kündigung.

9 Herr Rouard wurde 2001 entlassen. 2002 befasste er den Conseil de prud'hommes de Saint-Germain-en-Laye mit einer Klage gegen die Gesellschaft Laboratoires Glaxosmithkline, die Rechtsnachfolgerin der Gesellschaft Laboratoires Beecham Sévigné ist und ihren satzungsmäßigen Sitz in Frankreich hat, und gegen die Gesellschaft Glaxosmithkline, die Rechtsnachfolgerin der Gesellschaft Beecham Research UK ist und ihren satzungsmäßigen Sitz im Vereinigten Königreich hat. Herr Rouard beantragte, diese beiden Gesellschaften als Gesamtschuldner zu verurteilen, an ihn verschiedene Entschädigungen und Schadensersatz wegen Nichteinhaltung des Kündigungsverfahrens, wegen Kündigung ohne tatsächlichen und schwerwiegenden Grund und wegen ungerechtfertigten Bruchs seines Arbeitsvertrags zu zahlen.

10 Er macht geltend, dass diese beiden Gesellschaften seine gemeinsamen Arbeitgeber gewesen seien. Da die französischen Gerichte hinsichtlich der Gesellschaft Laboratoires Glaxosmithkline, deren satzungsmäßiger Sitz in Frankreich sei, zuständig seien, seien sie nach Art. 6 Nr. 1 der Verordnung auch gegenüber der Gesellschaft Glaxosmithkline zuständig.

11 Diese Gesellschaften rügten die Unzuständigkeit des Conseil de prud'hommes de Saint-Germain-en-Laye, der dieser Rüge stattgab. Die Cour d'appel de Versailles hob das erstinstanzliche Urteil mit Urteil vom 6. April 2004 auf, gegen das die Gesellschaften Kassationsbeschwerde einlegten.

12 Vor diesem Hintergrund hat die Cour de cassation das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt:

Gilt die in Art. 6 Nr. 1 der Verordnung enthaltene besondere Zuständigkeitsregel - nach der eine Person, die ihren Wohnsitz im Hoheitsgebiet eines Mitgliedstaats hat, verklagt werden kann, "wenn mehrere Personen zusammen verklagt werden, vor dem Gericht des Ortes, an dem einer der Beklagten seinen Wohnsitz hat, sofern zwischen den Klagen eine so enge Beziehung gegeben ist, dass eine gemeinsame Verhandlung und Entscheidung geboten erscheint, um zu vermeiden, dass in getrennten Verfahren widersprechende Entscheidungen ergehen könnten" - für eine Klage, die ein Arbeitnehmer vor dem Gericht eines Mitgliedstaats gegen zwei Gesellschaften erhoben hat, die zu derselben Gruppe gehören und von denen die eine, die diesen Arbeitnehmer für die Gruppe eingestellt und es dann abgelehnt hat, ihn wieder einzustellen, ihren Sitz in diesem Mitgliedstaat hat und die andere, für deren Rechnung der Betroffene zuletzt in Drittstaaten gearbeitet hat und von der ihm gekündigt worden ist, ihren Sitz in einem anderen Mitgliedstaat hat, wenn dieser Kläger sich auf eine Klausel des Arbeitsvertrags beruft, um darzutun, dass die beiden Gesellschaften seine gemeinsamen Arbeitgeber waren, von denen er eine Kündigungsabfindung verlangt, oder schließt Art. 18 Abs. 1 der Verordnung, wonach sich die Zuständigkeit bei individuellen Arbeitsverträgen nach Kapitel II Abschnitt 5 der Verordnung bestimmt, die Anwendung von Art. 6 Nr. 1 der Verordnung aus, so dass jede der beiden Gesellschaften vor dem Gericht des Mitgliedstaats zu verklagen ist, wo sie ihren Sitz hat?

Zur Vorlagefrage

13 Mit dieser Frage möchte das vorlegende Gericht wissen, ob die in Art. 6 Nr. 1 der Verordnung vorgesehene besondere Zuständigkeitsregel betreffend mehrere Beklagte auf die Klage anwendbar ist, die ein Arbeitnehmer gegen zwei Gesellschaften erhoben hat, die in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig sind und die er als seine gemeinsamen Arbeitgeber ansieht.

14 Vorab ist daran zu erinnern, dass die Verordnung in den Beziehungen der Mitgliedstaaten nun das Übereinkommen vom 27. September 1968 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Vollstreckung gerichtlicher Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1972, L 299, S. 32) in der Fassung des Übereinkommens vom 9. Oktober 1978 über den Beitritt des Königreichs Dänemark, Irlands und des Vereinigten Königreichs Großbritannien und Nordirland (ABl. L 304, S. 1 und - geänderter Text - S. 77), des Übereinkommens vom 25. Oktober 1982 über den Beitritt der Hellenischen Republik (ABl. L 388, S. 1), des Übereinkommens vom 26. Mai 1989 über den Beitritt des Königreichs Spanien und der Portugiesischen Republik (ABl. L 285, S. 1) und des Übereinkommens vom 29. November 1996 über den Beitritt der Republik Österreich, der Republik Finnland und des Königreichs Schweden (ABl. 1997, C 15, S. 1) (im Folgenden: Brüsseler Übereinkommen) ersetzt.

15 Die in der Verordnung enthaltenen Zuständigkeitsvorschriften für den Bereich der individuellen Arbeitsverträge unterscheiden sich erheblich von den auf diesem Gebiet anwendbaren Vorschriften des Brüsseler Übereinkommens.

16 In das Übereinkommen war 1989 eine einzige spezifische Vorschrift über Arbeitsverträge eingeführt worden. Diese Vorschrift war im 2. Abschnitt des Titels II des Übereinkommens über besondere Zuständigkeiten enthalten und als Sonderfall der Zuständigkeitsregel nach Art. 5 Nr. 1 des Brüsseler Übereinkommens über Ansprüche aus einem Vertrag eingefügt worden.

17 In der Verordnung ist die Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge Gegenstand eines besonderen Abschnitts, nämlich des Abschnitts 5 des Kapitels II. Dieser Abschnitt, der die Art. 18 bis 21 der Verordnung umfasst, soll für den Arbeitnehmer den im 13. Erwägungsgrund der Verordnung vorgesehenen Schutz sicherstellen.

18 Wie Glaxosmithkline und Laboratoires Glaxosmithkline, die französische, die deutsche und die italienische Regierung sowie die Regierung des Vereinigten Königreichs und die Kommission der Europäischen Gemeinschaften ausgeführt oder zumindest eingeräumt haben, ergibt sich aus dem Wortlaut der Bestimmungen in diesem Abschnitt 5, dass sie nicht nur besonderen, sondern abschließenden Charakter haben.

19 So ist Art. 18 Abs. 1 der Verordnung zum einen zu entnehmen, dass jeder Rechtsstreit über einen individuellen Arbeitsvertrag bei einem nach den in Kapitel II Abschnitt 5 der Verordnung vorgesehenen Zuständigkeitsvorschriften bestimmten Gericht anhängig zu machen ist, und zum anderen, dass diese Zuständigkeitsvorschriften nur insoweit durch andere in dieser Verordnung aufgestellte Zuständigkeitsvorschriften abgeändert oder ergänzt werden können, als in diesem Abschnitt 5 selbst ausdrücklich auf diese verwiesen wird.

20 Art. 6 Nr. 1 der Verordnung steht nicht in Abschnitt 5 des Kapitels II, sondern in dessen Abschnitt 2.

21 Auf Art. 6 Nr. 1 der Verordnung wird in Abschnitt 5 an keiner Stelle verwiesen, im Unterschied zu den Art. 4 und 5 Nr. 5 der Verordnung, deren Anwendung durch Art. 18 Abs. 1 ausdrücklich vorbehalten ist.

22 Die Zuständigkeitsregel des Art. 6 Nr. 1 hat auch keine Entsprechung innerhalb des Abschnitts 5, im Gegensatz zu Art. 6 Nr. 3 betreffend den Fall einer Widerklage, die in Art. 20 Abs. 2 der Verordnung aufgenommen worden ist.

23 Daher ist festzustellen, dass die Wortlautauslegung von Kapitel II Abschnitt 5 der Verordnung ergibt, dass dieser Abschnitt jeden Rückgriff auf Art. 6 Nr. 1 der Verordnung ausschließt.

24 Diese Auslegung wird auch durch die vorbereitenden Arbeiten gestützt. Im Vorschlag für eine Verordnung (EG) des Rates über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen (ABl. 1999, C 376 E, S. 1) heißt es zu Abschnitt 5 des Kapitels II der vorgeschlagenen Verordnung, die in dieser Fassung vom Gemeinschaftsgesetzgeber erlassen wurde, dass "[d]ie Zuständigkeiten nach diesem Abschnitt ... [an die Stelle] der Zuständigkeiten nach den Abschnitten 1 [Allgemeine Vorschriften] und 2 [Besondere Zuständigkeiten] treten".

25 In ihren schriftlichen Erklärungen machen die französische, die deutsche und die italienische Regierung jedoch geltend, dass eine teleologische, den Zielen der Regelung Rechnung tragende Auslegung der Verordnung dazu führen könne, eine Anwendung von Art. 6 Nr. 1 der Verordnung auf Arbeitsverträge zu bejahen.

26 So führt die italienische Regierung aus, dass das Ziel von Art. 6 Nr. 1 der Verordnung, das in der Vermeidung einander widersprechender Entscheidungen bestehe, impliziere, dass diese Vorschrift auf alle Arten von Streitigkeiten, einschließlich Streitigkeiten in Arbeitssachen, anwendbar sei.

27 Es trifft zu, dass die Anwendung von Art. 6 Nr. 1 der Verordnung auf Arbeitsverträge es erlauben würde, die Möglichkeit, miteinander im Zusammenhang stehende Klagen gegen mehrere Beklagte bei einem einzigen Gericht zu erheben, auf Streitigkeiten aus Arbeitsverträgen zu erstrecken. Eine solche Erstreckung entspräche wie diejenige, die der Gemeinschaftsgesetzgeber in Art. 20 Abs. 2 der Verordnung in Bezug auf die Widerklage ausdrücklich vorgenommen hat, dem allgemeinen Ziel einer geordneten Rechtspflege, das auch die Wahrung des Grundsatzes der Verfahrensökonomie einschließt.

28 Nach ständiger Rechtsprechung sind die besonderen Zuständigkeitsregeln jedoch strikt auszulegen; eine Auslegung über die ausdrücklich in der Verordnung Nr. 44/2001 vorgesehenen Fälle hinaus ist unzulässig (vgl. u. a. zu Art. 6 Nr. 1 der Verordnung Urteile vom 13. Juli 2006, Reisch Montage, C-103/05, Slg. 2006, I-6827, Randnr. 23, und vom 11. Oktober 2007, Freeport, C-98/06, Slg. 2007, I-0000, Randnr. 35). Wie in Randnr. 23 des vorliegenden Urteils festgestellt worden ist, schließt der Wortlaut der Bestimmungen von Kapitel II Abschnitt 5 der Verordnung es aus, Art. 6 Nr. 1 in einem Rechtsstreit aus einem Arbeitsvertrag anzuwenden.

29 Darüber hinaus würde eine geordnete Rechtspflege implizieren, dass die Möglichkeit, sich auf Art. 6 Nr. 1 der Verordnung zu berufen, wie im Fall der Widerklage sowohl dem Arbeitnehmer als auch dem Arbeitgeber eröffnet wäre.

30 Eine derartige Anwendung von Art. 6 Nr. 1 der Verordnung könnte Konsequenzen haben, die dem Schutzziel zuwiderliefen, das mit der Aufnahme eines besonderen Abschnitts für Arbeitsverträge in diese Verordnung speziell verfolgt wird.

31 Eine Berufung des Arbeitgebers auf Art. 6 Nr. 1 der Verordnung könnte dem Arbeitnehmer den Schutz entziehen, der ihm durch Art. 20 Abs. 1 der Verordnung garantiert ist, wonach der Arbeitnehmer nur vor den Gerichten des Mitgliedstaats verklagt werden kann, in dessen Hoheitsgebiet er seinen Wohnsitz hat.

32 Hinsichtlich der von der französischen und der deutschen Regierung vorgeschlagenen Möglichkeit, Art. 6 Nr. 1 der Verordnung dahin auszulegen, dass sich nur der Arbeitnehmer auf diese Bestimmung berufen könne, ist festzustellen, dass sie mit dem Wortlaut der Bestimmungen von Kapitel II Abschnitt 5 der Verordnung wie auch ihres Art. 6 Nr. 1 nicht in Einklang zu bringen wäre. Außerdem gäbe es keinen Grund, den Schutzgedanken einer solchen Argumentation auf Art. 6 Nr. 1 zu beschränken, und es müsste zugelassen werden, dass sich der Arbeitnehmer - und nur dieser - auf jede in der Verordnung vorgesehene besondere Zuständigkeitsregel berufen kann, die seinen Interessen als Rechtsuchendem dienen könnte. Würden die besonderen Zuständigkeitsvorschriften, die eine geordnete Rechtspflege erleichtern sollen, durch den Gemeinschaftsrichter in einseitige Zuständigkeitsvorschriften umgestaltet, die die als schwächer angesehene Partei schützen, ginge das aber über den Interessenausgleich hinaus, den der Gemeinschaftsgesetzgeber mit dem gegenwärtigen Rechtszustand geschaffen hat.

33 Daher ist angesichts der gegenwärtig geltenden Gemeinschaftsvorschriften eine Auslegung wie die von der französischen und der deutschen Regierung vorgeschlagene kaum mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit zu vereinbaren, der eines der Ziele der Verordnung ist und der u. a. verlangt, dass die Zuständigkeitsregeln so ausgelegt werden, dass sie, wie es im 11. Erwägungsgrund der Verordnung heißt, in hohem Maße vorhersehbar sind (vgl. insbesondere zu Art. 6 Nr. 1 Urteile Reisch Montage, Randnrn. 24 und 25, und Freeport, Randnr. 36).

34 Daher ist festzustellen, dass die Verordnung in ihrer gegenwärtigen Fassung ungeachtet des in ihrem 13. Erwägungsgrund genannten Schutzziels einem Arbeitnehmer in einer Situation wie der von Herrn Rouard keinen besonderen Schutz gewährt, da er als Kläger vor den nationalen Gerichten keine günstigere Zuständigkeitsvorschrift als die allgemeine Regel des Art. 2 Abs. 1 der Verordnung in Anspruch nehmen kann.

35 Unter diesen Umständen ist auf die Vorlagefrage zu antworten, dass die in Art. 6 Nr. 1 der Verordnung vorgesehene besondere Zuständigkeitsregel nicht auf einen Rechtsstreit angewandt werden kann, der unter Kapitel II Abschnitt 5 der Verordnung über die Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge fällt.

Kostenentscheidung:

Kosten

36 Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

Tenor:

Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Erste Kammer) für Recht erkannt:

Die in Art. 6 Nr. 1 der Verordnung (EG) Nr. 44/2001 des Rates vom 22. Dezember 2000 über die gerichtliche Zuständigkeit und die Anerkennung und Vollstreckung von Entscheidungen in Zivil- und Handelssachen vorgesehene besondere Zuständigkeitsregel kann nicht auf einen Rechtsstreit angewandt werden, der unter Kapitel II Abschnitt 5 der Verordnung über die Zuständigkeit für individuelle Arbeitsverträge fällt.



Ende der Entscheidung

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