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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 17.05.1990
Aktenzeichen: C-66/89
Rechtsgebiete: EWGV
Vorschriften:
EWGV Art. 177 |
Die Verordnung Nr. 1203/86 zur Einreihung von Waren in die Tarifstelle 85.21 D II des Gemeinsamen Zolltarifs ist auf Siliciumscheiben, die nach ihrer Einfuhr unumgänglich umfangreichen Be - und Verarbeitungsvorgängen, insbesondere einer selektiven Diffusion durch Bestrahlung mit Elektronenbündeln und sodann einer Montage oder Verkapselung, unterzogen werden müssen, nicht anzuwenden. Solchen Scheiben fehlen nämlich die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale eines vollständigen oder fertigen Halbleiterbauelements im Sinne dieser Verordnung.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 17. MAI 1990. - DIRECTEUR GENERAL DES DOUANES ET DES DROITS INDIRECTS GEGEN SOCIETE POWEREX-EUROPE. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNAL D'INSTANCE DU MANS - FRANKREICH. - GEMEINSAMER ZOLLTARIF - TARIFSTELLE 85.21 D II - SILICIUMSCHEIBEN. - RECHTSSACHE C-66/89.
Entscheidungsgründe:
1 Das Tribunal d' instance Le Mans hat mit Urteil vom 24. Februar 1989, bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen am 6. März 1989, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung der Verordnung ( EWG ) Nr. 1203/86 der Kommission vom 23. April 1986 zur Einreihung von Waren in die Tarifstelle 85.21 D II des Gemeinsamen Zolltarifs ( ABl. L 108, S. 20 ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen dem Directeur général des douanes et des droits indirects und der Firma Powerex-Europe wegen der zolltariflichen Einreihung von Siliciumscheiben, die die Gesellschaft zwischen dem 16. Mai und dem 14. September 1986 eingeführt hat.
3 Die Firma Powerex-Europe führte aus den Vereinigten Staaten Siliciumscheiben nach Frankreich ein, die zu Halbleitern be - und verarbeitet werden sollten. Die eingeführten Stücke weisen zwei Typen, A und B, auf, die unterschiedlichen Bearbeitungsstufen entsprechen und zu unterschiedlichen Zeitpunkten in das von dieser Firma eingerichtete Fertigungsverfahren eingeschleust werden. Diese Scheiben sind in den Vereinigten Staaten thermisch diffundiert und sodann auf einen Molybdänträger aufgebracht worden. Die Stücke des Typs B weisen ferner eine Abfasung auf, die durch eine Glättung der Oberfläche der Siliciumscheibe erzielt wird. Diese Abfasung wiederum ist ebenfalls vor ihrer Einfuhr nach Frankreich mit einem Isolierlack überzogen worden.
4 Die Firma meldete diese Waren bei der Einfuhr gegenüber der Zollverwaltung als Teile von Halbleitern nach der Tarifstelle 85.12 E des Gemeinsamen Zolltarifs an, für die ein Zoll von 5,8 % erhoben wird. Die französische Zollverwaltung stellte sich unter Berufung auf die Verordnung Nr. 1203/86 auf den Standpunkt, die eingeführten Waren seien der Tarifstelle 85.21 D II "Dioden, Transistoren und ähnliche Halbleiter" zuzuordnen, für die ein Zollsatz von 17 % gilt, weil diese Waren nicht Teile, sondern nahezu fertige Stücke seien, die die wesentlichen Merkmale des fertigen Erzeugnisses aufwiesen. Auf dieser Grundlage machte sie Zollabgaben geltend, die dem Unterschied zwischen den nach ihrer Meinung zu entrichtenden und den tatsächlich gezahlten Abgaben entsprachen.
5 Gegen diese Tarifierung wandte sich die Importeurin mit einer Klage beim Tribunal d' instance Le Mans, das zunächst ein Sachverständigengutachten eingeholt und sodann angesichts fortbestehender Zweifel bezueglich der Tarifierung der betreffenden Waren das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt hat :
"1)Fallen die beiden Typen der von der Firma Powerex-Europe eingeführten Gegenstände - deren Eigenschaften und besonderen Merkmale der Sachverständige Camus in seinem kontradiktorischen Gutachten vom 29. Dezember 1988 beschrieben hat - in den Anwendungsbereich der Gemeinschaftsverordnung Nr. 1203/86 vom 23. April 1986?
2)Ist, falls die erste Frage zu bejahen ist, diese Verordnung aus den von der Firma Powerex-Europe angeführten Gründen für ungültig zu erklären?
3)Wirkt sich, falls die zweite Frage bejahrt wird, die Ungültigerklärung auch auf die Einfuhren vor ihrer Verkündung aus?"
6 Wegen weiterer Einzelheiten des Ausgangsverfahrens, der anwendbaren Regelung sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.
7 Mit der ersten Frage möchte das vorliegende Gericht im wesentlichen wissen, ob die Verordnung Nr. 1203/86 dahin auszulegen ist, daß sie auf die beiden Typen der von der Firma Powerex-Europe eingeführten Gegenstände Anwendung findet.
8 Die streitige Verordnung betrifft nach Aussage ihrer ersten und vierten Begründungserwägung Siliciumscheiben, bei denen durch selektive Diffusion diskrete Zonen geschaffen wurden und die auf einem Träger aus Molybdän angebracht sind und, obwohl sie nicht mit einem Gehäuse und Anschlüssen ausgestattet sind, bereits in ihrer vorliegenden Beschaffenheit Halbleiterbauelemente darstellen. Gemäß Artikel 1 dieser Verordnung werden Siliciumscheiben mit diesen Merkmalen der Tarifstelle 85.21 D II zugeordnet.
9 Die allgemeine Vorschrift 2 a zur Auslegung des Schemas des Gemeinsamen Zolltarifs bestimmt : "Jede Anführung einer Ware in einer Tarifnummer gilt auch für die unvollständige oder unfertige Ware, wenn sie die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale einer vollständigen oder fertigen Ware hat."
10 Somit sind zunächst die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale eines Halbleiterbauelements zu bestimmen. Aus dem Gutachten des gerichtlichen Sachverständigen sowie aus den Stellungnahmen in der mündlichen Verhandlung geht hervor, daß diese Bauelemente zwei wesentliche Beschaffenheitsmerkmale haben. Das erste besteht darin, daß es eine Fließ - und eine Sperrichtung gibt, d. h. daß ein elektrischer Strom von der einen zur anderen Seite fließt, nicht hingegen in der entgegengesetzten Richtung. Das zweite Merkmal besteht darin, daß der Benutzer die in einer Richtung fließenden elektrischen Ströme nach Intensität und Stärke kontrollieren und sie ebenfalls beenden können muß.
11 Ferner ist festzustellen, von welchem Zeitpunkt an eine Siliciumscheibe die wesentlichen elektronischen Funktionen eines fertigen oder im vorstehend beschriebenen Fertigungszustand befindlichen Halbleiterbauelements erfuellt.
12 Eine Siliciumscheibe ist, wie aus dem Sachverständigengutachten hervorgeht, ein Stoff, der nur durch die Beifügung von Verunreinigungen die Eigenschaft eines Leiters erhält. Diese Verunreinigungen oder Dotierstoffe gestatten das Fließen eines elektrischen Stroms von der einen zur anderen Seite. Für die Beifügung dieser Verunreinigungen gibt es zwei Methoden : die thermische Diffusion und die Diffusion durch Bestrahlung mit Elektronenbündeln ( Dotierung ).
13 Mit der ersten Methode wird der Hauptteil der Verunreinigungen in die Siliciumscheiben eingebracht. Von diesem Augenblick an lässt sich ein Strom hindurchführen, freilich in schlecht kontrollierbarer Weise, weil weder die Stromstärke noch der Zeitpunkt bestimmt werden kann, zu dem kein Strom mehr fließt. Die zweite Methode besteht in dem selektiven Aufbringen eines geeigneten Dotierstoffes. Bei dieser Methode wird das Silicium mit Elektronen sehr hoher Geschwindigkeit beschossen. Dieses Verfahren gestattet eine genaue Kontrolle von Energie und Fluß der Elektronen sowie eine Anpassung der Dotierwirkung, was mit der thermischen Diffusion allein nicht erreicht werden kann.
14 Aus diesen Erwägungen folgt, daß mit selektiver Diffusion im Sinne der streitigen Verordnung die Diffusion gemeint ist, die einer Siliciumscheibe die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale eines vollständigen oder fertigen Halbleiterbauelements zu verleihen vermag, d. h. die Diffusion durch Bestrahlung mit Elektronenbündeln. Eine solche Scheibe ist daher, auch wenn sie nicht mit einem Gehäuse und Anschlüssen ausgestattet ist, nach den allgemeinen Vorschriften 1 und 2 a zur Auslegung des Schemas des Zolltarifs der Tarifstelle 85.21 D II zuzuordnen.
15 Diese Auslegung des Begriffs der selektiven Diffusion entspricht der Begrifflichkeit der Verordnung ( EWG ) Nr. 288/89 der Kommission vom 3. Februar 1989 über die Bestimmung des Ursprungs von integrierten Schaltungen ( ABl. L 33, S. 23 ), deren dritte Begründungserwägung bestimmt : "Unter Diffusion ist in diesem Zusammenhang der Vorgang zu verstehen, bei dem integrierte Schaltungen auf einem Halbleitersubstrat durch selektives Aufbringen eines geeigneten Dotierstoffes gefertigt werden."
16 Es muß daher in jedem Einzelfall festgestellt werden, ob die zur Einfügung in ein Halbleiterbauelement bestimmten Stücke bereits in der vorliegenden Beschaffenheit die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale eines vollständigen oder fertigen Halbleiterbauelements aufweisen, ob sie also bereits vor ihrer Einfuhr durch Bestrahlung mit Elektronenbündeln selektiv diffundiert wurden.
17 Siliciumscheiben, die nach ihrer Einfuhr unumgänglich umfangreichen Be - und Verarbeitungsvorgängen, insbesondere einer selektiven Diffusion durch Bestrahlung mit Elektronenbündeln und sodann einer Montage oder Verkapselung, unterzogen werden müssen, weisen nicht die wesentlichen Beschaffenheitsmerkmale von Halbleiterbauelementen im Sinne der Tarifstelle 85.21 D II auf und fallen daher nicht unter die Verordnung Nr. 1203/86.
18 Auf die erste Frage ist daher zu antworten, daß die Verordnung Nr. 1203/86 auf Siliciumscheiben, die nach ihrer Einfuhr unumgänglich umfangreichen Be - und Verarbeitungsvorgängen, insbesondere einer selektiven Diffusion durch Bestrahlung mit Elektronenbündeln und sodann einer Montage oder Verkapselung, unterzogen werden müssen, nicht anzuwenden ist.
19 Angesichts der Beantwortung der ersten Frage bedürfen die zweite und die dritte Frage keiner Antwort, da sie nur für den Fall gestellt waren, daß die streitigen Erzeugnisse unter die Verordnung Nr. 1203/86 fallen.
Kostenentscheidung:
Kosten
20 Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren vor dem Gerichtshof ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung obliegt daher diesem Gericht.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF ( Sechste Kammer )
auf die ihm von Tribunal d' instance Le Mans durch Urteil vom 24. Februar 1988 vorgelegte Frage für Recht erkannt :
Die Verordnung ( EWG ) Nr. 1203/86 der Kommission vom 23. April 1986 zur Einreihung von Waren in die Tarifstelle 85.21 D II des Gemeinsamen Zolltarifs ist auf Siliciumscheiben, die nach ihrer Einfuhr unumgänglich umfangreichen Be - und Verarbeitungsvorgängen, insbesondere einer selektiven Diffusion durch Bestrahlung mit Elektronenbündeln und sodann einer Montage oder Verkapselung, unterzogen werden müssen, nicht anzuwenden.
Ende der Entscheidung
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