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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 02.06.2005
Aktenzeichen: C-83/03
Rechtsgebiete: Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, EG
Vorschriften:
Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten Art. 4 Abs. 2 | |
Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten Art. 2 Abs. 1 | |
EG Art. 226 |
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg
Urteil des Gerichtshofes (Sechste Kammer) vom 2. Juni 2005. - Kommission der Europäischen Gemeinschaften gegen Italienische Republik. - Vertragsverletzung eines Mitgliedstaats - Umwelt - Richtlinie 85/337/EWG - Prüfung der Umweltverträglichkeit von Projekten - Bau eines Jachthafens in Fossacesia. - Rechtssache C-83/03.
Parteien:
In der Rechtssache C83/03
betreffend eine Vertragsverletzungsklage nach Artikel 226 EG, eingereicht am 26. Februar 2003,
Kommission der Europäischen Gemeinschaften, vertreten durch R. Amorosi und A. Aresu als Bevollmächtigte, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Klägerin,
gegen
Italienische Republik, vertreten durch I. M. Braguglia als Bevollmächtigten, im Beistand von M. Fiorilli, avvocato dello Stato, Zustellungsanschrift in Luxemburg,
Beklagte
erlässt
DER GERICHTSHOF (Sechste Kammer)
unter Mitwirkung des Kammerpräsidenten A. Borg Barthet sowie der Richter J.P. Puissochet (Berichterstatter) und S. von Bahr,
Generalanwalt: D. RuizJarabo Colomer,
Kanzler: R. Grass,
aufgrund des schriftlichen Verfahrens,
aufgrund des nach Anhörung des Generalanwalts ergangenen Beschlusses, ohne Schlussanträge über die Rechtssache zu entscheiden,
folgendes
Urteil
Entscheidungsgründe:
1. Mit ihrer Klageschrift beantragt die Kommission der Europäischen Gemeinschaften beim Gerichtshof die Feststellung, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten (ABl. L 175, S. 40) verstoßen hat, dass sie nicht ordnungsgemäß geprüft hat, ob das Projekt des Baus eines Jachthafens in Fossacesia (Chieti), das zu den vom Verzeichnis in Anhang II dieser Richtlinie umfassten Arten von Projekten gehört, Merkmale aufweist, die die Eröffnung eines Verfahrens zur Prüfung seiner Umweltverträglichkeit erfordern.
Rechtlicher Rahmen
Gemeinschaftsrechtliche Regelung
2. Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie 85/337 sieht in seiner zur Zeit des Sachverhalts geltenden Fassung vor:
Die Mitgliedstaaten treffen die erforderlichen Maßnahmen, damit vor der Erteilung der Genehmigung [aufgrund deren der Projektträger das Recht zur Durchführung des Projekts erhält] die Projekte, bei denen insbesondere aufgrund ihrer Art, ihrer Größe oder ihres Standortes mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer Prüfung in Bezug auf ihre Auswirkungen unterzogen werden.
Diese Projekte sind in Artikel 4 definiert.
3. Artikel 4 Absatz 2 dieser Richtlinie bestimmt:
Projekte der in Anhang II aufgezählten Klassen werden einer Prüfung gemäß den Artikeln 5 bis 10 unterzogen, wenn ihre Merkmale nach Auffassung der Mitgliedstaaten dies erfordern.
Zu diesem Zweck können die Mitgliedstaaten insbesondere bestimmte Arten von Projekten, die einer Prüfung zu unterziehen sind, bestimmen oder Kriterien und/oder Schwellenwerte aufstellen, anhand deren bestimmt werden kann, welche von den Projekten der in Anhang II aufgezählten Klassen einer Prüfung gemäß den Artikeln 5 bis 10 unterzogen werden sollen.
4. Nr. 10 des Anhangs II der Richtlinie 85/337, der mit Infrastrukturprojekte überschrieben ist, verweist auf Jachthäfen.
5. Die Richtlinie 92/43/EWG des Rates vom 21. Mai 1992 zur Erhaltung der natürlichen Lebensräume sowie der wildlebenden Tiere und Pflanzen (ABl. L 206, S. 7) sieht die Errichtung eines kohärenten europäischen ökologischen Netzes besonderer Schutzgebiete mit der Bezeichnung Natura 2000 vor.
6. Dieses Netz besteht aus Gebieten, die bestimmte natürliche Lebensraumtypen sowie die Habitate bestimmter Arten umfassen, und muss den Fortbestand oder gegebenenfalls die Wiederherstellung eines günstigen Erhaltungszustands dieser natürlichen Lebensraumtypen und Habitate der Arten in ihrem natürlichen Verbreitungsgebiet gewährleisten. Zur Errichtung dieses Netzes haben die Mitgliedstaaten nach Artikel 4 der Richtlinie 92/43 Gebiete vorzuschlagen, die als Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung bestimmt und dann als besondere Schutzgebiete (vorgeschlagene Gebiete von gemeinschaftlicher Bedeutung, im Folgenden: pSCI) ausgewiesen werden könnten.
Nationale Regelung
7. Aus der Akte geht hervor, dass die italienischen Rechtsvorschriften zur Umsetzung der Richtlinie 85/337 bei Jachthäfen zwischen solchen unterscheiden, deren Wasserfläche 10 Hektar übersteigt oder deren Umgebung mehr als 5 Hektar umfasst oder deren Kais länger als 500 Meter sind, und solchen, die diese Schwellenwerte nicht überschreiten. Nur bei Ersteren wird davon ausgegangen, dass sie Merkmale aufweisen, die automatisch das durch diese Richtlinie vorgesehene Prüfungsverfahren erforderlich machen. Letztere werden einer Ad-hoc-Kontrolle unterzogen, um festzustellen, ob es notwendig ist oder nicht, ein solches Verfahren einzuleiten.
Vorverfahren
8. Nachdem sie von Umweltschutzverbänden eingeschaltet worden war, ersuchte die Kommission die italienischen Behörden um Auskünfte über den Bau eines Jachthafens in Fossacesia in der Region Abruzzen (im Folgenden: Region). Diese Baumaßnahme war genehmigt worden, ohne Gegenstand einer Prüfung ihrer Umweltverträglichkeit oder auch nur einer Vorprüfung im Hinblick darauf gewesen zu sein, ob eine Umweltverträglichkeitsprüfung erforderlich war oder nicht.
9. Aus den von den italienischen Behörden als Antwort gegebenen Auskünften ergibt sich, dass es im vorliegenden Fall um einen Jachthafen mit 391 Plätzen und mit einer Gesamtfläche von 59 825 m 2 geht, der namentlich über einen Parkplatz mit 398 Plätzen, verschiedene Serviceeinrichtungen und ein Einkaufszentrum verfügt. Die Kommission betont, dass sich dieses Vorhaben vollständig innerhalb eines pSCI im Sinne der Richtlinie 92/43 mit dem Namen Lecceta litoranea di Torino di Sangro e foce fiume Sangro befinde, das eines der besterhaltenen Naturgebiete an der Küste der Abruzzen sei.
10. Die Kommission weist darauf hin, dass die endgültige Baugenehmigung am 9. Juni 1999 durch die Region erteilt worden sei. Nach den Angaben der italienischen Behörden habe die Region durch Regionaldekret Nr. 14/2000 vom 27. Januar 2000 bestätigt, dass das Projekt keiner Prüfung hinsichtlich seiner Umweltverträglichkeit unterzogen werden müsse, da es nicht die von den italienischen Bestimmungen festgelegten Grenzen überschreite, jenseits deren ein solches Verfahren automatisch zur Anwendung komme. Die Region sei zu dieser Beurteilung gekommen, nachdem der Ausschuss zur regionalen Koordinierung der Umweltverträglichkeitsprüfung (im Folgenden: regionaler Koordinierungsausschuss) nach Untersuchung der Merkmale des Projekts am 21. Januar 2000 in der positiven Stellungnahme Nr. 2/92 dahin gehend geäußert habe, dass eine solche Prüfung nicht erforderlich sei.
11. Da die Kommission von den Erklärungen der italienischen Regierung nicht überzeugt war, setzte sie dieser mit Schreiben vom 29. Oktober 2001 eine Frist zur Äußerung hinsichtlich der Entscheidung, das Projekt keiner Umweltverträglichkeitsprüfung zu unterziehen.
12. Nachdem sie von den italienischen Behörden keine Antwort erhalten hatte, richtete die Kommission am 27. Juni 2002 an diese eine mit Gründen versehene Stellungnahme mit der Aufforderung, dieser innerhalb einer Frist von zwei Monaten nachzukommen.
13. Da eine Antwort dieser Behörden ausblieb, hat die Kommission beschlossen, beim Gerichtshof die vorliegende Klage zu erheben.
Zur Klage
Vorbringen der Verfahrensbeteiligten
14. Die Kommission ist der Auffassung, dass die zuständigen Behörden nicht ordnungsgemäß entsprechend der nationalen Regelung zur Umsetzung der Richtlinie 85/337 geprüft hätten, ob der Bau des Jachthafens eine Prüfung hinsichtlich seiner Umweltverträglichkeit erfordert habe. Die fehlende oder unzureichende Begründung für die Verneinung dieser Frage sowie die Tatsache, dass diese Beurteilung erst nach Erteilung der Baugenehmigung erfolgt sei, hätten die Kommission zu der Annahme veranlasst, dass Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie nicht ordnungsgemäß angewendet worden sei.
15. Die italienische Regierung bestätigt, dass die Begründung der positiven Stellungnahme, die der regionale Koordinierungsausschuss am 21. Januar 2000 abgegeben habe, sowie das Regionaldekret vom 27. Januar 2000, mit dem die Notwendigkeit eines Verfahrens zur Prüfung der Umweltverträglichkeit des Projekts verneint worden sei, unzureichend seien. Sie bestätigt ebenfalls, dass diese Rechtshandlungen nach Erteilung der Baugenehmigung vorgenommen worden seien.
16. Sie beruft sich jedoch auf eine spätere eingehende positive Stellungnahme des regionalen Koordinierungsausschusses, die mit Vorschlägen versehen gewesen sei, die u. a. darauf abzielten, bestimmte Auswirkungen der bereits ausgeführten Arbeiten auszugleichen. Sie habe außerdem die Region darauf hingewiesen, dass die Möglichkeit einer Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands geprüft werden müsse, wenn das Verfahren zur Prüfung der Umweltverträglichkeit des Projekts negativ ausgehen sollte. Die italienische Regierung fügt hinzu, wie auch immer das Prüfungsverfahren ausgehe, müssten Maßnahmen hinsichtlich des betroffenen pSCI getroffen werden, um das, was im Gebiet des Jachthafens verloren gegangen sei, anderswo zu bewahren oder wiederzufinden.
17. Die italienische Regierung ist dennoch der Auffassung, dass eine Prüfung der Umweltverträglichkeit des Jachthafenprojekts nur hinsichtlich seiner Auswirkungen auf das pSCI Lecceta litoranea di Torino di Sangro e foce fiume Sangro erforderlich gewesen sei. Diese Prüfung sei im Nachhinein im Rahmen der zweiten Stellungnahme des regionalen Koordinierungsausschusses erfolgt.
Würdigung durch den Gerichtshof
18. Die Richtlinie 85/337 hat zum Ziel, wie aus ihrer fünften Begründungserwägung hervorgeht, zur Ergänzung und Koordinierung der Genehmigungsverfahren für öffentliche und private Projekte, die möglicherweise erhebliche Auswirkungen auf die Umwelt haben, allgemeine Grundsätze für Umweltverträglichkeitsprüfungen aufzustellen.
19. Bei bestimmten Arten von Projekten lässt Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 85/337 den Mitgliedstaaten einen Ermessensspielraum, um zu bestimmen, ob die Merkmale eines Projekts erfordern, dieses einer Prüfung im Hinblick auf seine Umweltverträglichkeit zu unterziehen. Dieser Ermessensspielraum wird jedoch durch die in Artikel 2 Absatz 1 dieser Richtlinie festgelegte Pflicht begrenzt, die Projekte, bei denen mit erheblichen Auswirkungen auf die Umwelt zu rechnen ist, einer solchen Prüfung zu unterziehen (vgl. in diesem Sinne Urteil vom 24. Oktober 1996 in der Rechtssache C72/95, Kraaijeveld u. a., Slg. 1996, I5403, Randnr. 50).
20. Macht ein Mitgliedstaat von der in Artikel 4 Absatz 2 Unterabsatz 2 der Richtlinie 85/337 vorgesehenen Möglichkeit Gebrauch und stellt allgemeine Regeln für die Beurteilung auf, ob Projekte, die von Artikel 4 Absatz 2 erfasst werden, vor ihrer Genehmigung einer Prüfung hinsichtlich ihrer Umweltverträglichkeit unterzogen werden müssen, so bedeutet ein Verstoß gegen diese Regeln zwangsläufig eine Verletzung der Vorschriften des Artikels 2 Absatz 1 in Verbindung mit Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 85/337.
21. Im vorliegenden Fall steht fest, dass die Region den Bau des Jachthafens genehmigt hat, bevor sie die durch das italienische Recht vorgeschriebene Ad-hoc-Kontrolle vorgenommen hat, mit der die Notwendigkeit einer Umweltverträglichkeitsprüfung für dieses Projekt geprüft werden sollte. Folglich ist - ohne dass es einer Entscheidung über die Anforderungen an die Begründung einer eine solche Notwendigkeit bejahenden oder verneinenden Entscheidung bedarf - festzustellen, dass die Region Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 85/337 in Verbindung mit deren Artikel 2 Absatz 1 verletzt hat.
22. Auch wenn es zutrifft, dass ein Verstoß gegen das Gemeinschaftsrecht im vorliegenden Fall ebenfalls einen Verstoß gegen das nationale Recht darstellt, das der Mitgliedstaat, in dessen Hoheitsgebiet sich dieser Verstoß ereignet hat, in Anwendung des Gemeinschaftsrechts erlassen hat, und dass sich der Verstoß sehr wahrscheinlich mittels eines nationalen Rechtsbehelfs hätte feststellen lassen, so stellt dieser Verstoß durch eine öffentlich-rechtliche Körperschaft des Mitgliedstaats dennoch eine Vertragsverletzung durch diesen Staat im Sinne von Artikel 226 EG dar.
23. Aus dem Vorstehenden ergibt sich, dass die Italienische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 85/337 verstoßen hat, dass die Region nicht ordnungsgemäß geprüft hat, ob das Projekt des Baus eines Jachthafens in Fossacesia, das zu den vom Verzeichnis in Anhang II dieser Richtlinie umfassten Arten von Projekten gehört, Merkmale aufweist, die die Eröffnung eines Verfahrens zur Prüfung seiner Umweltverträglichkeit erfordern.
Kosten
24. Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission die Verurteilung der Italienischen Republik beantragt hat und diese mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.
Tenor:
Aus diesen Gründen hat der Gerichtshof (Sechste Kammer) für Recht erkannt und entschieden:
1. Die Italienische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 4 Absatz 2 der Richtlinie 85/337/EWG des Rates vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten verstoßen, dass die Region Abruzzen nicht ordnungsgemäß geprüft hat, ob das Projekt des Baus eines Jachthafens in Fossacesia (Chieti), das zu den vom Verzeichnis in Anhang II dieser Richtlinie umfassten Arten von Projekten gehört, Merkmale aufweist, die die Eröffnung eines Verfahrens zur Prüfung seiner Umweltverträglichkeit erfordern.
2. Die Italienische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.
Ende der Entscheidung
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