Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 26.11.1991
Aktenzeichen: T-146/89
Rechtsgebiete: EWG/EAG BeamtStat


Vorschriften:

EWG/EAG BeamtStat Art. 12
EWG/EAG BeamtStat Art. 21
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Der Umstand, daß der Vorsitzende des Disziplinarrats, der für das Jahr bestellt war, in dem das Disziplinarverfahren eingeleitet wurde, den Vorsitz beibehalten hat, bis die in Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts vorgesehene Stellungnahme abgegeben wurde, obwohl kurz vor der Abgabe dieser Stellungnahme ein neuer Vorsitzender bestellt worden war, stellt nicht nur keinen Verfahrensfehler, sondern im Gegenteil eine korrekte Anwendung des Grundsatzes der ordnungsgemässen Verwaltung dar. Eine solche Lösung gewährleistet nämlich die Rechte des Beamten, der sich der disziplinarischen Verfolgung ausgesetzt sieht, insoweit, als sie es ermöglicht, daß die Personen, die die Unterlagen geprüft, die Zeugen gehört und allgemein alle Schritte im Rahmen der Ermittlungen zur Feststellung des Sachverhalts und der Verantwortlichkeit des betroffenen Beamten unternommen haben, die gleichen sind, die die betreffende Stellungnahme abgeben.

2. Die in Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts für den Ablauf des Verfahrens vor dem Disziplinarrat vorgesehenen Fristen sind keine Ausschlußfristen, die zur Nichtigkeit der nach ihrem Ablauf getroffenen Maßnahmen führen würden, sondern stellen Regeln guter Verwaltungsführung dar.

Insbesondere kann der Disziplinarrat einen längeren als den in Artikel 7 vorgeschriebenen Zeitraum benötigen, um ausreichend vollständige Ermittlungen durchzuführen, die für den Betroffenen alle vom Statut gewollten Garantien enthalten.

3. Die Beachtung der Treuepflicht, die jedem Beamten gegenüber dem Organ, dem er angehört, und seinen Vorgesetzten obliegt und die in Artikel 21 des Statuts eine besondere Ausprägung findet, ist nicht nur bei der Durchführung der dem Beamten übertragenen speziellen Aufgaben geboten, sondern gilt auch für den gesamten Bereich der Beziehungen zwischen dem Beamten und dem Organ, dem er angehört. Aufgrund dieser Pflicht hat der Beamte ganz allgemein Verhaltensweisen zu unterlassen, die die Würde des Organs und seiner Funktionsträger sowie den Respekt ihnen gegenüber beeinträchtigen.

4. Übermittelt ein Beamter seinen Vorgesetzten Noten, die ihrem Wesen nach dem Ansehen seines Amtes abträglich sind, so stellt dies bereits als solches einen Verstoß gegen die in Artikel 12 Absatz 1 des Statuts genannte Pflicht dar, unabhängig von der diesen Noten etwa verliehenen Öffentlichkeit, die auch nicht dadurch ausgeschlossen wurde, daß sie Verwaltungsbeschwerden darstellten.

5. Sind die einem Beamten zur Last gelegten Handlungen festgestellt, so kann die Anstellungsbehörde die angemessene Disziplinarstrafe wählen. Da die Artikel 86 bis 89 des Statuts das Verhältnis zwischen den dort genannten Disziplinarstrafen und den verschiedenen Arten von Pflichtverletzungen der Beamten nicht festlegen, muß die Strafe auf der Grundlage einer Gesamtwürdigung aller konkreten Tatsachen und aller Umstände des jeweiligen Falles durch die Anstellungsbehörde festgelegt werden. Das Gericht kann die Beurteilung dieser Behörde nicht durch seine eigene Beurteilung ersetzen, es sei denn, es läge ein offensichtlicher Fehler oder ein Ermessensmißbrauch vor.

6. Der Begriff des Ermessensmißbrauchs betrifft den Fall, daß eine Verwaltungsbehörde ihre Befugnisse zu einem anderen Zweck als demjenigen ausgeuebt hat, zu dem sie ihr übertragen worden sind.

Eine Entscheidung ist nur dann ermessensmißbräuchlich, wenn aufgrund objektiver, schlüssiger und übereinstimmender Indizien anzunehmen ist, daß sie zu anderen als den angegebenen Zwecken getroffen wurde.


URTEIL DES GERICHTS ERSTER INSTANZ (VIERTE KAMMER) VOM 26. NOVEMBER 1991. - CALVIN WILLIAMS GEGEN RECHNUNGSHOF DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - BEAMTE - VERPFLICHTUNGEN DES BEAMTEN - DER WUERDE DES OEFFENTLICHEN DIENSTES WIDERSPRECHENDE HANDLUNGEN - LOYALITAETSPFLICHT - DISZIPLINARORDNUNG - STRAFE. - RECHTSSACHE T-146/89.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Calvin Williams wurde im Oktober 1974 von der Kontrollkommission, einer dem Rat der Europäischen Gemeinschaften zugeordneten Einrichtung der Finanzkontrolle, als Bediensteter auf Zeit der Besoldungsgruppe A 7 eingestellt und sodann mit Verfügung des Rates vom 16. Dezember 1976 mit Wirkung vom 1. Oktober 1976 unter Einstufung in die Besoldungsgruppe A 7 zum Beamten auf Lebenszeit bei diesem Ausschuß ernannt. Mit Wirkung vom 1. Mai 1978 wurde Herr Williams von dem neugeschaffenen Rechnungshof der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Rechnungshof) in dieser Besoldungsgruppe übernommen. Herr Williams wurde dann mit Wirkung vom 1. Mai 1979 nach Besoldungsgruppe A 6 befördert. Im Anschluß an das interne Auswahlverfahren CC/A/17/82 und das Urteil des Gerichtshofes der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Gerichtshof) vom 16. Oktober 1984 in der Rechtssache 257/83 (Williams/Rechnungshof, Slg. 1984, 3547) wurde Herr Williams mit Verfügung des als Anstellungsbehörde handelnden Präsidenten des Rechnungshofes vom 18. Oktober 1984 zum Hauptverwaltungsrat ernannt und in die Besoldungsgruppe A 5, Dienstaltersstufe 3, eingestuft.

2 Am 3. Februar 1987 übersandte Herr Williams einem Mitglied des Rechnungshofes, Herrn Carey, sowie der Premierministerin des Vereinigten Königreichs, Frau Thatcher, ein Fernschreiben mit schweren Anschuldigungen gegen den Präsidenten und andere Mitglieder des Rechnungshofes. Eine Abschrift dieses Fernschreibens ließ Herr Williams mindestens einer luxemburgischen Tageszeitung zukommen und unter dem Personal des Rechnungshofes verteilen. Am 16. Februar 1987 beschloß der Präsident des Rechnungshofes als Anstellungsbehörde, gegen Herrn Williams ein Disziplinarverfahren gemäß Artikel 87 Absatz 2 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften (im folgenden: Statut) zu eröffnen. Da er das Verhalten des Herr Williams gemäß Artikel 88 des Statuts als schwere Verfehlung betrachtete, enthob der Präsident des Rechnungshofes ihn sofort mit Verfügung vom gleichen Tag vorläufig seines Dienstes und ordnete die Einbehaltung von 50 % seines Grundgehalts an. Gegen diese Verfügung legte Herr Williams am 28. Februar 1987 eine Beschwerde im Sinne des Artikels 90 Absatz 2 des Statuts ein und erhob am 24. März 1987 gleichzeitig mit einem Antrag auf einstweilige Anordnung der Aussetzung des Vollzugs dieser Verfügung Anfechtungsklage beim Gerichtshof. Mit Beschluß vom 13. April 1987 in der Rechtssache 90/87 R (W./Rechnungshof, Slg. 1987, 1801) setzte der Präsident der Vierten Kammer des Gerichtshofes den Vollzug der angefochtenen Verfügung teilweise aus, indem er die Einbehaltung auf 25 % des Grundgehalts des Antragstellers herabsetzte, und wies den Antrag auf einstweilige Anordnung im übrigen zurück. Die Rechtssache wurde am 8. Dezember 1987 im Register des Gerichtshofes gestrichen.

3 Beim Abschluß des am 16. Februar 1987 eingeleiteten Disziplinarverfahrens beschloß der Präsident des Rechnungshofes im Hinblick auf die ihm vorliegenden medizinischen Gutachten, keinerlei Disziplinarmaßnahme gegen den Kläger zu verhängen. In der Zeit vom 12. Juni 1987 bis 12. Juni 1988 war der Kläger gemäß Artikel 59 Absatz 2 des Statuts wegen seines Gesundheitszustandes von Amts wegen beurlaubt.

4 Am 29. Februar 1988 erstellte Herr Cüsta de la Fünte, der Vorgesetzte des Klägers, dessen Beurteilung für den Zeitraum vom 1. Januar 1986 bis 31. Dezember 1987. Mit Note vom 20. Juni 1988 bat der Kläger den Beurteiler um eine Unterredung hierüber.

5 Mit Note vom 24. August 1988 befasste der Kläger Herrn Angioi, Mitglied des Rechnungshofes, mit einer Berufung gegen seine Beurteilung, wie sie am 29. Februar 1988 erstellt worden war. In dem Abschnitt "Veröffentlichungen" dieser Beurteilung, der von dem zu beurteilenden Beamten auszufuellen ist, hatte Herr Williams "ein Fernschreiben" eingetragen.

6 Am 2. September 1988 legte der Kläger beim Präsidenten des Rechnungshofes als Anstellungsbehörde eine Beschwerde gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Statuts ein mit dem Antrag, ihn gemäß Artikel 3 des Beschlusses Nr. 81-5 des Rechnungshofes vom 3. Dezember 1981 über die Kriterien, die bei der Ernennung der Bediensteten in einer bestimmten Besoldungsgruppe und bei ihrer Einstufung in eine bestimmte Dienstaltersstufe anzuwenden sind, in die Besoldungsgruppe A 4 einzustufen. Er machte im wesentlichen geltend, angesichts der abweichenden Kriterien, die bei der Einstufung anderer Beamter des Rechnungshofes, insbesondere von Herrn Ruppert und Herrn B., bei deren Beförderung angewandt worden seien, sei seine eigene Einstufung, so wie sie in der Ernennungsverfügung vom 18. Oktober 1984 erfolgt sei, unkorrekt. Dies ergänzte er durch eine Reihe von Erwägungen zur Ordnungsmässigkeit der Verfahren innerhalb des Rechnungshofes.

7 Mit Antwortschreiben vom 13. September 1988 wies die Anstellungsbehörde den Antrag des Klägers zurück und behielt sich Disziplinarmaßnahmen vor, zu denen die vom Kläger in seiner Note gegen das Kollegium des Rechnungshofes und dessen Bedienstete erhobenen Anschuldigungen ihrer Meinung nach Anlaß gaben.

8 Mit Klageschrift, die am 13. November 1988 bei der Kanzlei des Gerichtshofes einging, erhob Herr Williams Klage auf Aufhebung der seinen Antrag zurückweisenden Entscheidung. Diese Rechtssache wurde an das Gericht erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften verwiesen, das mit Urteil vom 7. Februar 1991 in der Rechtssache T-58/89 (Williams/Rechnungshof, Slg. 1991, II-77) die Klage als unzulässig abwies.

9 Mit Entscheidung Nr. 88-26 vom 5. Oktober 1988 ernannte die Anstellungsbehörde Herrn Hedderich zum Vorsitzenden des Disziplinarrats für das Jahr 1988 und mit Entscheidung Nr. 89-4 vom 24. Januar 1989 Herrn Muller zum Vorsitzenden für das Jahr 1989.

10 Mit Note vom 13. Oktober 1988, die dem Vorsitzenden des Disziplinarrats am 17. Oktober 1988 übermittelt wurde, teilte der Präsident des Rechnungshofes als Anstellungsbehörde dem Vorsitzenden des Disziplinarrats mit, daß er beschlossen habe, gegen den Kläger das Disziplinarverfahren nach Anhang IX des Statuts zu eröffnen. Bei der Darstellung der dem Kläger zur Last gelegten Handlungen verwies die Anstellungsbehörde insbesondere erstens auf drei vom Kläger verfasste Noten, zweitens auf einen Erpressungsversuch, den der Kläger angeblich gegenüber der Anstellungsbehörde unternommen habe, und drittens auf angebliche öffentliche Äusserungen über einen Beamten des Rechnungshofes.

(nicht wiedergegeben)

16 In ihrem Bericht vertrat die Anstellungsbehörde die Auffassung, der Inhalt der drei vom Kläger verfassten Noten sowie alle ihm zur Last gelegten Handlungen - einschließlich der Anführung des Fernschreibens vom 3. Februar 1987 in dem Abschnitt "Veröffentlichungen" seiner Beurteilung - stellten einen Verstoß gegen seine statutarischen Pflichten, insbesondere gegen die aus Artikel 12 Absatz 1 (Verpflichtung zu einem dem Ansehen des Amtes entsprechenden Verhalten) und aus Artikel 21 Absatz 1 des Statuts (Beratung und Unterstützung der Vorgesetzten), dar.

17 Nach Durchführung der Ermittlungen gemäß Artikel 7 Absatz 1 des Anhangs IX des Statuts gab der Disziplinarrat am 16. Januar 1989 mit Stimmenmehrheit eine mit Gründen versehene Stellungnahme dahin gehend ab, daß die dem Kläger zur Last gelegten Handlungen eine bis zum 16. Oktober 1995 dauernde Versagung des Aufsteigens in den Dienstaltersstufen rechtfertigten. Den Vorsitz im Disziplinarrat führte weiterhin Herr Hedderich, obwohl dieser am 31. Dezember 1988 wegen Invalidität in den vorzeitigen Ruhestand getreten war.

18 In seiner Stellungnahme zu den Handlungen und den dem Kläger zur Last gelegten Verstössen gegen das Statut schloß sich der Disziplinarrat der Auffassung der Anstellungsbehörde in deren Bericht an, mit Ausnahme folgender Punkte:

- Bezueglich des Hinweises des Klägers auf das Fernschreiben vom 3. Februar 1987 in seiner Note vom 24. August 1988 sowie in seiner Beurteilung vertrat der Disziplinarrat die Auffassung, dies könne dem Kläger nicht vorgeworfen werden, da es sich nur um eine blosse Anspielung handele;

- bezueglich des dem Kläger vorgeworfenen Erpressungsversuchs ging der Disziplinarrat davon aus, er sei nicht nachgewiesen, weil keine unmittelbare Drohung gegen den Rechnungshof, seine Mitglieder oder seinen Präsidenten ausgesprochen worden sei; Herr Carey habe ferner dem Disziplinarrat eine schriftliche Aussage zugeleitet, in der er erklärt habe, die dem Kläger vorgeworfene Äusserung bezueglich der Fortführung seiner Angriffe gegen den Rechnungshof und seine Mitglieder, insbesondere den Präsidenten, sei vom Kläger nicht gemacht worden;

- bezueglich des Verstosses gegen Artikel 21 des Statuts vertrat der Disziplinarrat die Auffassung, er sei dem Kläger nicht zur Last zu legen, weil die ihm vorgeworfenen Schriftstücke nicht zur normalen Erfuellung der ihm übertragenen Aufgaben gehörten.

19 Der Disziplinarrat vertrat die Auffassung, die Verteilung der drei vom Kläger am 20. Juni, 24. August und 2. September 1988 verfassten Noten könne als sicher betrachtet werden und habe "den darin genannten Personen in ganz schwerwiegender Weise Beeinträchtigungen und Schaden zufügen können", denn "wenn Herr Williams sie wirklich hätte vertraulich behandeln wollen, hätte er nicht darauf bestanden, daß sie im Sekretariat der Abteilung, der er angehörte, getippt und eingetragen werden, sondern in jedem Abschnitt des Verfahrens handgeschriebene Vermerke in verschlossenem Umschlag eingereicht".

20 Herr Williams wurde am 7. Februar 1989 vom Präsidenten des Rechnungshofes als Anstellungsbehörde angehört.

21 Mit Entscheidung vom 13. Februar 1989 verhängte die Anstellungsbehörde gegen den Kläger die Disziplinarstrafe des Versagens des Aufsteigens in den Dienstaltersstufen für die Zeit vom 13. Februar 1989 bis 16. Oktober 1995.

22 Die Anstellungsbehörde folgte der Stellungnahme des Disziplinarrats mit Ausnahme von dessen Einschätzung der Erwähnung des Fernschreibens vom 3. Februar 1987 in der Note vom 24. August 1988 und in der Beurteilung sowie der Feststellung, daß kein Verstoß gegen Artikel 21 des Statuts vorliege. Bezueglich des Fernschreibens wies die Anstellungsbehörde zum einen darauf hin, daß Herr Williams in der genannten Note vom 24. August 1988 die Behauptung aufgestellt habe, mit dessen Absendung eine ausgezeichnete Initiative ergriffen zu haben, und zum anderen darauf, daß die blosse Erwähnung eines solchen Schriftstücks mit der Würde eines europäischen Beamten offensichtlich unvereinbar sei und besonders schwerwiegende Behauptungen - diesmal in voller Kenntnis der Dinge - bekräftige und sich zu eigen mache. In der Frage, ob ein Verstoß gegen Artikel 21 des Statuts vorliege, vertrat die Anstellungsbehörde die Meinung, die Pflicht zur Unterstützung und Beratung der Vorgesetzten sei Ausdruck einer Treuepflicht, die dem Beamten auch dann obliege, wenn er Schriftstücke in bezug auf seine Beurteilung oder seine Laufbahn verfasse. Die Anstellungsbehörde betonte, angesichts der Schwere der Herrn Williams zur Last gelegten Verfehlungen und angesichts der Tatsache, daß er den Rang eines Hauptverwaltungsrats habe, seien die Strafen der schriftlichen Verwarnung und des Verweises nicht angemessen und unzureichend.

23 Mit Note vom 23. März 1989, die seinem Vorgesetzten am 28. März 1989 übermittelt wurde, legte der Kläger gegen die Entscheidung vom 13. Februar 1989 eine Beschwerde gemäß Artikel 90 Absatz 2 des Statuts ein.

24 Der Präsident des Rechnungshofes als Anstellungsbehörde vertrat die Auffassung, daß diese Beschwerde erneut abträgliche Äusserungen enthalte, und beschloß, sie nicht ausdrücklich zu bescheiden. Mit Note vom 13. Juli 1989 teilte die Anstellungsbehörde dies dem Kläger mit.

Verfahren

25 Unter diesen Umständen hat Herr Williams mit Klageschrift, die am 27. November 1989 beim Gerichtshof eingegangen ist, die vorliegende Klage gegen den Rechnungshof erhoben. Die Klage ist unter der Nummer 323/89 eingetragen worden.

26 Der Gerichtshof hat mit Beschluß vom 15. November 1989 die Rechtssache gemäß Artikel 14 Absatz 1 des Beschlusses des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften an das Gericht verwiesen, bei dem sie unter der Nummer T-146/89 eingetragen worden ist.

27 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Vierte Kammer), da es die sich aus den Akten ergebenden Angaben für ausreichend hielt, beschlossen, die mündliche Verhandlung ohne vorherige Beweisaufnahme zu eröffnen.

28 Die mündliche Verhandlung hat am 28. November 1990 stattgefunden. Die Vertreter der Parteien haben Ausführungen gemacht und Fragen des Gerichts beantwortet.

29 Der Kläger beantragt,

- die Klage für zulässig zu erklären;

- sämtliche Verfahrensmaßnahmen des Disziplinarrats wegen Verletzung von Formvorschriften, Verletzung der Rechte der Verteidigung und fehlerhafter Auslegung des Artikels 12 des Statuts aufzuheben;

- die Entscheidung der Anstellungsbehörde vom 13. Februar 1989 nach Form und Inhalt wegen Verletzung der Artikel 12 und 21 des Statuts aufzuheben;

- die stillschweigende Zurückweisung der am 28. März 1989 eingereichten Beschwerde aufzuheben;

- im Fall der Aufhebung die sich nach Rechtslage ergebenden Pflichten festzulegen;

- hilfsweise, die verhängte Disziplinarstrafe auf eine blosse schriftliche Verwarnung herabzusetzen;

- in jedem Fall dem Beklagten sämtliche Kosten aufzuerlegen.

30 Der Beklagte beantragt,

- die Klage insoweit für unzulässig zu erklären, als mit ihr hilfsweise eine Herabsetzung der Disziplinarstrafe begehrt wird;

- im übrigen die Klage als unbegründet abzuweisen;

- jeder Partei die eigenen Kosten aufzuerlegen.

Zur Zulässigkeit

31 Der Beklagte zieht die Zulässigkeit der Klage insgesamt nicht in Zweifel, erhebt jedoch gegenüber dem Hilfsantrag, mit dem die Herabsetzung der von der Anstellungsbehörde verhängten Disziplinarstrafe auf eine schriftliche Verwarnung durch das Gericht betrieben wird, eine Einrede der Unzulässigkeit. Er beruft sich insoweit auf die Rechtsprechung des Gerichtshofes, wonach die Wahl der angemessenen Disziplinarstrafe Sache der Anstellungsbehörde sei, sofern die dem Beamten zur Last gelegten Handlungen bewiesen seien. Der Beklagte folgert hieraus, daß die Klage insoweit als unzulässig abzuweisen sei, als der Kläger die Abänderung der streitigen Entscheidung beantrage.

32 Der Kläger entgegnet, er halte diese Rechtsprechung nicht für anwendbar, erstens weil die Tatsachen, die der Disziplinarstrafe zugrunde lägen, nicht erwiesen seien, zweitens weil, selbst wenn man davon ausgehen würde, daß dies der Fall sei, die Strafe im Verhältnis zu den ihm zur Last gelegten Handlungen so ungewöhnlich hoch sei, daß ihre Wahl schon für sich genommen einen Ermessensmißbrauch oder jedenfalls eine Überschreitung von Befugnissen darstelle, und weil sie mehr eine Abrechnung als eine Strafmaßnahme sei.

33 In dieser Hinsicht ist daran zu erinnern, daß der Gerichtshof mehrmals entschieden hat, daß die Wahl der angemessenen Disziplinarstrafe Sache der Anstellungsbehörde ist, sofern die dem Beamten zur Last gelegten Handlungen bewiesen sind. Das Gericht kann die Beurteilung der Disziplinarbehörde nicht durch seine eigene Beurteilung ersetzen, es sei denn, es liege ein offensichtlicher Fehler oder ein Ermessensmißbrauch vor (Urteile vom 19. April 1988 in den verbundenen Rechtssachen 175/86 und 209/86, M./Rat, Slg. 1988, 1891, Randnr. 9, und vom 29. Januar 1985 in der Rechtssache 228/83, F./Kommission, Slg. 1985, 275, Randnr. 34). Das Gericht kann zwar bei der Ausübung dieser Kontrolle gegebenenfalls die Entscheidung der Anstellungsbehörde aufheben, es darf sie aber nicht durch seine eigene Entscheidung ersetzen. Hieraus folgt, daß der Hilfsantrag des Klägers, die gegen ihn verhängte Disziplinarstrafe auf eine blosse schriftliche Verwarnung herabzusetzen, als unzulässig abgewiesen werden muß.

Zur Begründetheit

34 Zur Stützung seines Aufhebungsantrags führt der Kläger eine Reihe von Klagegründen an, die einmal mit der Ordnungsmässigkeit des Disziplinarverfahrens, zum anderen mit der Begründetheit der Entscheidung vom 13. Februar 1989 zusammenhängen und die sich im wesentlichen wie folgt zusammenfassen lassen:

- Der Disziplinarrat sei nicht ordnungsgemäß zusammengesetzt gewesen;

- die Aussage eines der vom Disziplinarrat gehörten Zeugen sei voreingenommen gewesen;

- der Disziplinarrat habe seine Stellungnahme verspätet abgegeben;

- das Disziplinarverfahren sei abgelaufen und die Entscheidung getroffen worden unter Missachtung des Grundsatzes der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Richters;

- die Entscheidung sei unter Verstoß gegen den Grundsatz "ne bis in idem" getroffen worden;

- die Entscheidung beruhe auf einer unangemessenen Qualifikation des Sachverhalts im Hinblick auf das Strafrecht;

- die Entscheidung weise Rechtsfehler hinsichtlich der rechtlichen Qualifikation des Sachverhalts unter dem Blickwinkel der Artikel 12 und 21 des Statuts auf;

- die Entscheidung sei unter Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit getroffen worden;

- die Entscheidung sei wegen Ermessensmißbrauchs fehlerhaft.

Zum Klagegrund der nicht ordnungsgemässen Zusammensetzung des Disziplinarrats

35 Der Kläger trägt vor, da zum Zeitpunkt der Abgabe der mit Gründen versehenen Stellungnahme des Disziplinarrats dessen Vorsitzender, Herr Hedderich, seit dem 1. Januar 1989 nicht mehr Beamter im aktiven Dienst gewesen sei - weil er mit Wirkung vom 31. Dezember 1988 wegen Invalidität in den Ruhestand versetzt worden sei - und im übrigen aufgrund der Entscheidung Nr. 89-4 des Rechnungshofes Vorsitzender des Disziplinarrats für das ganze Jahr 1989 Herr Muller hätte sein müssen, sei die Zusammensetzung des Disziplinarrats nicht ordnungsgemäß gewesen.

36 Der Beklagte erinnert daran, daß sich ein Disziplinarrat gemäß Artikel 4 des Anhangs II des Statuts aus einem Vorsitzenden und vier Mitgliedern zusammensetze. Der Vorsitzende dieses Rates werde alljährlich durch die Anstellungsbehörde bestellt (Artikel 5 Absatz 1 des Anhangs II des Statuts). An der Beschlußfassung des Rates nehme er - ausgenommen bei Verfahrensfragen und bei Stimmgleichheit - nicht teil (Artikel 8 Absatz 1 des Anhangs IX des Statuts). Da vorliegend die Stellungnahme des Disziplinarrats mit Stimmenmehrheit ohne Beteiligung des Vorsitzenden beschlossen worden sei, reiche, selbst wenn man einräume, daß hier in der Person des Vorsitzenden eine Regelwidrigkeit vorgelegen habe, diese nicht aus, um die Gültigkeit der später von der Anstellungsbehörde getroffenen Entscheidung zu beeinträchtigen.

37 Der Beklagte macht ferner geltend, im Statut sei nirgendwo festgelegt, daß der Vorsitzende des Disziplinarrats ein im aktiven Dienst stehender Beamter sein müsse. Aus diesem Grund sei der Umstand, daß Vorsitzender des Disziplinarrats ein Beamter gewesen sei, der sechzehn Tage vor Abgabe der Stellungnahme des Disziplinarrats in den Ruhestand getreten sei, nicht geeignet, die Ordnungsmässigkeit des Verfahrens zu gefährden.

38 Der Kläger erwidert, das Argument des Beklagten laufe, wenn man es zu Ende denke, auf die Behauptung hinaus, daß die Anstellungsbehörde als Vorsitzenden des Disziplinarrats nicht nur einen im Ruhestand befindlichen Beamten, sondern sogar eine Person bestellen könne, die niemals Beamter gewesen sei.

39 Bezueglich der Bestellung eines neuen Vorsitzenden für das Jahr 1989 macht der Beklagte geltend, aus den von ihm festgelegten Vorschriften ergebe sich, daß bei Eröffnung eines Disziplinarverfahrens im Jahr 1988 der Disziplinarrat bis zur Abgabe seiner Stellungnahme unter dem Vorsitz des für dieses Jahr bestellten Vorsitzenden, d. h. des Herrn Hedderich, verbleibe, ebenso wie bei einem im Jahr 1989 eröffneten Disziplinarverfahren beim Disziplinarrat bis zur Abgabe der Stellungnahme Herr Muller den Vorsitz führe. Diese Auslegung sei durch den Grundsatz der ordnungsgemässen Verwaltung, der es nicht zulasse, im Lauf des Verfahrens den Vorsitzenden eines paritätischen Organs ohne Not zu ersetzen, sowie durch die allgemeinen Grundsätze der zeitlichen Geltung des Verfahrensrechts geboten.

40 Das Gericht ist der Auffassung, daß vorliegend der Umstand, daß die Person, die während des Jahres 1988 den Vorsitz des Disziplinarrats innegehabt hatte, während der ersten sechzehn Tage des Januar 1989 den Vorsitz beibehalten hat, keinen Fehler darstellt, der die Zusammensetzung des Disziplinarrats als nicht ordnungsgemäß erscheinen lassen könnte. Der Disziplinarrat hat nämlich den Bericht der Anstellungsbehörde am 17. Oktober 1988 erhalten, und nahezu das gesamte Verfahren ist während des Jahres 1988 und unter dem Vorsitz ein und derselben Person abgelaufen. Daß diese Person den Vorsitz des Disziplinarrats beibehalten hat, bis der Disziplinarrat seine Stellungnahme am 16. Januar 1989 abgab, stellt nicht nur keinen Verfahrensfehler, sondern im Gegenteil eine korrekte Anwendung des Grundsatzes der ordnungsgemässen Verwaltung dar. Eine solche Lösung gewährleistet nämlich die Rechte des Beamten, der sich der disziplinarischen Verfolgung ausgesetzt sieht, insoweit, als sie es ermöglicht, daß die Personen, die die Unterlagen geprüft, die Zeugen gehört und allgemein alle Schritte im Rahmen der Ermittlungen zur Feststellung des Sachverhalts und der Verantwortlichkeit des betroffenen Beamten unternommen haben, die gleichen sind, die auch die mit Gründen versehene Stellungnahme nach Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts abgeben. Im übrigen hat die Identität des Vorsitzenden vorliegend auf jeden Fall keine entscheidende Rolle bei der Abgabe der Stellungnahme des Disziplinarrats gespielt. Da die Stellungnahme mit Stimmenmehrheit der Mitglieder des Disziplinarrats abgegeben wurde, war der Vorsitzende an dieser Entscheidung nicht beteiligt.

41 Dieser Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Zum Klagegrund der Voreingenommenheit eines Zeugen

42 Der Kläger macht geltend, der Disziplinarrat habe sich seine Überzeugung weitgehend aufgrund der Aussagen von Herrn B. gebildet, der, weil am Ausgang des Verfahrens interessiert, ein fragwürdiger Zeuge sei. Dieses Interesse habe darauf beruht, daß dieser Zeuge, der in die gleiche Besoldungsgruppe wie der Kläger eingestuft sei, auf eine Beförderung habe hoffen können und heute noch hoffen könne, die dem Kläger möglicherweise versagt bleibe.

43 Nach Meinung des Beklagten lässt es dieser Umstand mangels jeden anderen Anhaltspunkts nicht zu, diesen Zeugen der Voreingenommenheit zu bezichtigen, und erst recht nicht, eine Beeinträchtigung der Ordnungsmässigkeit des Disziplinarverfahrens zu behaupten.

44 Das Gericht stellt fest, daß für den Klagegrund der angeblichen Voreingenommenheit eines Zeugen, wie er vom Kläger geltend gemacht wird, nichts vorgetragen worden ist, was es gestatten würde, seine Stichhaltigkeit zu beurteilen. Er stützt sich nämlich allein auf die Feststellung, daß der betreffende Zeuge derselben Besoldungsgruppe angehört wie der Kläger. Dieser Umstand kann für sich allein nicht ausreichen, um darzutun, daß dieser Zeuge ein persönliches Interesse hat, das mit der erforderlichen Unparteilichkeit jedes Zeugen unvereinbar wäre. Darüber hinaus war es, selbst wenn man annehmen würde, daß dieser Umstand die Aussage des betreffenden Zeugen beeinflusst haben könnte, Sache des Disziplinarrats, diese Aussage nach den Regeln einer vernünftigen Kritik zu würdigen.

45 Dieser Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Zum Klagegrund der verspäteten Abgabe der Stellungnahme des Disziplinarrats

46 Der Kläger bringt vor, die Stellungnahme des Disziplinarrats sei offensichtlich verspätet abgegeben worden, da der Bericht der Anstellungsbehörde dem Disziplinarrat am 13. Oktober 1988 vorgelegt worden sei und dieser erst am 17. Januar 1989 eine auf den 16. Januar 1989 rückdatierte Stellungnahme abgegeben habe. Damit sei gegen Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts verstossen worden, wonach der Disziplinarrat seine Stellungnahme binnen Monatsfrist nach dem Tag, an dem der Fall bei ihm anhängig geworden sei, abzugeben habe.

47 Der Beklagte entgegnet, die Frist betrage, wenn der Disziplinarrat die Durchführung von Ermittlungen veranlasse, drei Monate und vorliegend habe der Disziplinarrat solche Ermittlungen veranlasst. Im übrigen sei der in Artikel 1 des Anhangs IX des Statuts genannte Bericht der Anstellungsbehörde vom 13. Oktober 1988 (einem Donnerstag) dem Vorsitzenden des Disziplinarrats am 17. Oktober 1988 (einem Montag) vorgelegt worden, und folglich liege, selbst wenn die Stellungnahme wirklich am 17. Januar 1989 abgegeben worden sei, dieser Tag immer noch innerhalb der Frist des Statuts.

48 Dieser Klagegrund ist offensichtlich nicht stichhaltig. Der Disziplinarrat hat seine Stellungnahme innerhalb der Frist nach Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts abgegeben. Denn diese Frist belief sich, da der Disziplinarrat die Durchführung von Ermittlungen veranlasst hatte, auf drei Monate. Nach der Angabe in den Bezugsvermerken der Stellungnahme ist der Bericht der Anstellungsbehörde dem Vorsitzenden des Disziplinarrats am 17. Oktober 1988 vorgelegt worden, was unter Berücksichtigung der Erklärungen des Beklagten einer angemessenen Übermittlungsfrist entspricht. Die Dreimonatsfrist ist daher am 17. Januar 1989 abgelaufen, an dem Tag also, an dem nach dem Vorbringen des Klägers die Stellungnahme abgegeben wurde.

49 Darüber hinaus ist daran zu erinnern, daß nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes die Fristen nach Artikel 7 des Anhangs IX des Statuts keine Ausschlußfristen sind, die zur Nichtigkeit der nach ihrem Ablauf getroffenen Maßnahmen führen würden, sondern Regeln guter Verwaltungsführung darstellen. Der Gerichtshof hat ausdrücklich anerkannt, daß der Disziplinarrat einen längeren als den in Artikel 7 vorgeschriebenen Zeitraum benötigen kann, um ausreichend vollständige Ermittlungen durchzuführen, die für den Betroffenen alle vom Statut gewollten Garantien enthalten (Urteile vom 19. April 1988 in den verbundenen Rechtssachen 175/86 und 209/86, M./Rat, Slg. 1988, 1891, Randnr. 16, und vom 29. Januar 1985 in der Rechtssache 228/83, F./Kommission, Slg. 1985, 275, Randnr. 30).

50 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß dieser Klagegrund zurückzuweisen ist.

Zum Klagegrund der Verletzung des Grundsatzes der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Richters

51 Nach Darstellung des Klägers trafen in der Person des die Aufgaben der Anstellungsbehörde wahrnehmenden Präsidenten des Rechnungshofes zur Zeit der streitigen Vorkommnisse, Herrn Mart, die folgende vier Eigenschaften zusammen:

- die eines angeblichen Opfers einer der dem Kläger zur Last gelegten Handlungen, nämlich der Bezugnahme auf das Fernschreiben vom 3. Februar 1987;

- die des "Anklägers", der den Disziplinarrat angerufen habe;

- die der Stelle, die die Disziplinarstrafe verhängt habe;

- die des erstinstanzlichen Gerichts nach Artikel 90 des Statuts.

52 Der Kläger ist, ohne so weit gehen zu wollen, die Gültigkeit des Disziplinarverfahrens nach der Regelung des Statuts in Frage zu stellen, und obwohl er einräumt, daß ein Disziplinarverfahren kein Strafverfahren im Sinne des Artikels 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention sei, doch der Auffassung, daß dieses Zusammentreffen gegen einen der allgemeinen, auch für Disziplinarverfahren geltenden Rechtsgrundsätze dieser Konvention verstosse, der das Erfordernis eines unabhängigen und unparteilichen Gerichtes aufstelle.

53 Der Beklagte entgegnet, daß das Zusammentreffen der Funktionen der Anstellungsbehörde, nämlich des Initiators der Disziplinarmaßnahmen und der die Disziplinarentscheidung treffenden Stelle, vom Statut gewollt sei; im übrigen sei die Disziplinargewalt als Teil der Dienstherrengewalt ein Kennzeichen des Rechts des internationalen öffentlichen Dienstes. Der Beklagte unterstreicht, es sei zwar richtig, daß vorliegend die Person, die die Befugnisse der Anstellungsbehörde ausgeuebt habe, zugleich die Person gewesen sei, der die "Angriffe" des Klägers gegolten hätten, doch stehe es gerade dem Kläger schlecht an, sich auf dieses Zusammentreffen von Eigenschaften in der Person des Präsidenten des Rechnungshofes zu berufen, weil nämlich er es gewesen sei, der es für zweckmässig gehalten habe, die Anstellungsbehörde in seine Angriffe einzubeziehen, und damit das Zusammentreffen von Eigenschaften hervorgerufen habe, das er jetzt bekämpfen wolle.

54 In seiner Erwiderung vertritt der Kläger die Auffassung, die Anstellungsbehörde hätte den Anstand besitzen müssen, eine beauftragte Behörde mit der Durchführung des Disziplinarverfahrens zu betrauen, und das in der Klageschrift dargestellte vierfache Zusammentreffen sei sicher nicht "vom Statut gewollt".

55 Der Beklagte weist darauf hin, daß der Klagegrund der Verletzung des Grundsatzes der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Richters jedenfalls als neues Vorbringen zu bewerten sei, weil er in der vorprozessualen Beschwerde nicht angeführt worden sei, und daher als unzulässig zurückgewiesen werden müsse.

56 Wie der Beklagte zu Recht vorträgt, ist der vorliegende Klagegrund in der Verwaltungsbeschwerde nicht geltend gemacht worden, und der Kläger hat sich zum ersten Mal im Lauf des schriftlichen Verfahrens vor dem Gericht auf ihn berufen. Nach ständiger Rechtsprechung müssen aber bei den Beamtenklagen die Anträge vor dem Gerichtshof denselben Gegenstand haben wie die in der Beschwerde gestellten Anträge und dürfen nur solche Rügen enthalten, die auf demselben Grund beruhen wie die in der Beschwerde genannten Rügen. Diese Rügen können vor dem Gerichtshof durch die Darlegung neuer Gründe und Argumente entwickelt werden, die nicht notwendigerweise in der Beschwerde genannt sind, sich aber eng an diese anlehnen (Urteile des Gerichtshofes vom 20. Mai 1987 in der Rechtssache 242/85, Geist/Kommission, Slg. 1987, 2181, Randnr. 9, vom 26. Januar 1989 in der Rechtssache 224/87, Koutchoumoff/Kommission, Slg. 1989, 99, Randnr. 10, und vom 14. März 1989 in der Rechtssache 133/88, Casto del Amo Martínez/Parlament, Slg. 1989, 689, Randnr. 10; vgl. auch Urteil vom 7. Mai 1986 in der Rechtssache 52/85, Rihoux u. a./Kommission, Slg. 1986, 1555, Randnr. 13).

57 Hierzu ist festzustellen, daß sich vorliegend die Verwaltungsbeschwerde nicht nur nicht auf diesen Klagegrund bezieht, sondern daß sie auch keinen Gesichtspunkt enthält, dem der Beklagte selbst bei weiter Auslegung des Wortlauts der Beschwerde hätte entnehmen können, daß sich der Kläger auf eine Verletzung des Grundsatzes der Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Richters berufen wollte.

58 Unter diesen Umständen ist dieser Klagegrund als unzulässig zurückzuweisen.

59 Ferner ist festzustellen, daß ein Zusammentreffen von Funktionen bei der Anstellungsbehörde vom Statut ausdrücklich gewollt ist. Artikel 87 des Statuts und Artikel 1 des Anhangs IX des Statuts bestimmen nämlich, daß die Anstellungsbehörde den Disziplinarrat durch den Bericht, mit dem das Disziplinarverfahren beginnt, zu befassen hat. Nach Artikel 87 des Statuts und Artikel 7 Absatz 3 des Anhangs IX des Statuts fasst die Anstellungsbehörde den Beschluß, eine Disziplinarstrafe zu verhängen, und schließlich bestimmt Artikel 90 Absatz 2 des Statuts, daß die Anstellungsbehörde die Beschwerde zu beantworten hat. Vorliegend ergibt sich, daß die mit den Aufgaben der Anstellungsbehörde betraute Person zugleich die war, gegen die sich die Herrn Williams zur Last gelegten Äusserungen richteten; doch ist darauf hinzuweisen, daß sie nicht allein von diesen Äusserungen betroffen war, weil diese den Rechnungshof als Organ, seine Mitglieder und deren Kabinettchefs, seinen Generalsekretär und einige seiner Beamten in Mitleidenschaft zogen. Hieraus folgt, daß der Kläger der Anstellungsbehörde nicht zum Vorwurf machen kann, die ihr vom Statut verliehenen Vorrechte ausgeuebt zu haben, und daß diese in uneingeschränkter Wahrnehmung ihrer Aufgaben korrekt gehandelt hat.

Zum Klagegrund der Verletzung des Grundsatzes "ne bis in idem"

60 Der Kläger beanstandet die Entscheidung vom 13. Februar 1989 als Verstoß gegen den Grundsatz "ne bis in idem", weil sie ein zweites Mal für die mit dem Fernschreiben vom 3. Februar 1987 zusammenhängenden Handlungen eine Strafe verhänge, obwohl sich der Disziplinarrat in seiner Stellungnahme gerade geweigert habe, ihm seine Bezugnahmen auf dieses Fernschreiben zur Last zu legen.

61 Der Beklagte erläutert, was dem Kläger ganz genau vorgeworfen werde, sei die Behauptung, am 3. Februar 1987 eine ausgezeichnete Initiative ergriffen zu haben, "um unser im Sterben liegendes Organ vor dem völligen moralischen Bankrott zu retten", d. h. die Bekräftigung dieses Fernschreibens in seiner Note vom 24. August 1988 und in seiner Beurteilung, wo er es im Abschnitt "Veröffentlichungen" angeführt habe. Der Grundsatz "ne bis in idem" sei vorliegend nicht anwendbar, weil sich die zur Last gelegten Handlungen klar von denen unterschieden, die Anlaß zur Eröffnung des vorangegangenen Disziplinarverfahrens gewesen seien.

62 Weiter macht der Beklagte geltend, daß der Klagegrund der Verletzung des Grundsatzes "ne bis in idem" in der vorprozessualen Beschwerde nicht aufgeführt sei, sondern erstmals in der Klageschrift auftauche. Unter diesen Umständen müsse dieser Klagegrund als unzulässig zurückgewiesen werden.

63 Hierzu ist festzustellen, daß sich vorliegend die Verwaltungsbeschwerde, wie der Beklagte zu Recht vorgetragen hat, nicht nur nicht auf die Verletzung des Grundsatzes "ne bis in idem" bezieht, sondern auch keinen Gesichtspunkt enthält, dem der Beklagte selbst bei weiter Auslegung des Wortlauts der Beschwerde hätte entnehmen können, daß sich der Kläger darauf berufen wollte, was er erstmals im schriftlichen Verfahren vor dem Gericht getan hat.

64 Hieraus ergibt sich, daß dieser Klagegrund aus den gleichen Erwägungen, wie sie vorstehend (Randnr. 56) angestellt wurden, als unzulässig zurückzuweisen ist.

65 Das Gericht ist darüber hinaus der Auffassung, daß der Hinweis des Klägers auf das Fernschreiben vom 3. Februar 1987 sowohl in seiner Note vom 24. August 1988 als auch in seiner Beurteilung als solcher eine von der Absendung dieses Fernschreibens eindeutig zu unterscheidende Handlung darstellt, weil sich der Kläger dessen Inhalt bewusst und zurechenbar erneut vollständig zu eigen gemacht hat, und daß folglich vorliegend keine Verletzung des Grundsatzes "ne bis in idem" stattgefunden hat.

Zum Klagegrund der unangemessenen Qualifikation des Sachverhalts im Hinblick auf das Strafrecht

66 Der Kläger ist der Meinung, der Bericht der Anstellungsbehörde, die Stellungnahme des Disziplinarrats und die angefochtene Entscheidung hätten sich damit aufgehalten, nach einer Qualifikation des Sachverhalts unter dem Blickwinkel des Strafrechts zu suchen, dessen Terminologie sie übernommen hätten (Verleumdung, Nötigung, Erpressung). Die betreffenden Stellen hätten sich damit eine Rolle angemasst, die grundsätzlich den Strafgerichten des Mitgliedstaats vorbehalten sei, in dem die zur Last gelegten Handlungen begangen worden seien, oder gegebenenfalls des Mitgliedstaats, aus dem der Urheber der Handlungen stamme, wenn das Strafrecht dieses Staates bei Straftaten seiner Staatsangehörigen im Ausland dessen Gerichte für zuständig erkläre. Es habe der Anstellungsbehörde freigestanden, die luxemburgischen Strafgerichte mit den ihm vorgeworfenen Handlungen zu befassen. Der Disziplinarrat und die Anstellungsbehörde hätten sich in der Annahme, eine Straftat stelle ipso facto eine disziplinarische Verfehlung dar, zu einer trügerischen Maßnahme verleiten lassen.

67 Der Beklagte macht geltend, er habe sich der dem Strafrecht eines Mitgliedstaats entlehnten Begriffe lediglich deshalb bedient, um die dem Kläger zur Last gelegten Handlungen aufzuklären, und die Begründung der angefochtenen Entscheidung suche eine Verletzung der Artikel 12 und 21 des Statuts und keineswegs einen Verstoß gegen das luxemburgische Strafgesetzbuch nachzuweisen.

68 In diesem Zusammenhang braucht nur daran erinnert zu werden, daß es nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes "den Disziplinarbehörden nicht verwehrt [ist], Parallelen zu strafrechtlichen Begriffen zu ziehen, um die ihrer Beurteilung unterliegenden Sachverhalte zu beschreiben und gegebenenfalls zu qualifizieren. Mit Rücksicht darauf, daß das Disziplinarverfahren und die Strafverfolgung in den Händen verschiedener Behörden liegen, besteht in dieser Hinsicht keine für den disziplinarisch verfolgten Beamten nachteilige Verwechslungsgefahr" (Urteil vom 30. Mai 1973 in der Rechtssache 46/72, De Greef/Kommission, Slg. 1973, 543, Randnrn. 30 und 31).

69 Diesem Klagegrund kann daher kein Erfolg beschieden sein.

Zum Klagegrund der unrichtigen rechtlichen Qualifizierung des Sachverhalts unter dem Blickwinkel der Artikel 12 und 21 des Statuts

70 Der Kläger stellt in Abrede, gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 21 des Statuts verstossen zu haben. Den Akten lasse sich kein Anhaltspunkt dafür entnehmen, daß er seine Vorgesetzten nicht unterstützt oder beraten oder die ihm übertragenen Aufgaben nicht durchgeführt habe. Die jedem Beamten obliegende Pflicht zur Loyalität und Zusammenarbeit sei eine Verpflichtung, die speziell mit der Durchführung seiner Aufgaben zusammenhänge und dem Organ gegenüber bestehe, und die Unterstützungspflicht sei keine Verpflichtung zur Servilität gegenüber den Vorgesetzten als Privatpersonen. Einem Beamten, der Initiativen ergreife, um das Organ, dem er angehöre, vor dem völligen moralischen Bankrott zu bewahren, könne man nicht einen Mangel an Loyalität gegenüber diesem Organ vorwerfen.

71 Der Beklagte ist der Auffassung, die Unterstützungspflicht gegenüber Vorgesetzten nach Artikel 21 des Statuts sei nur der besondere Ausdruck der allgemeinen Treuepflicht, die jedem Beamten obliege, und sie sei vom Gerichtshof zu Recht als grundlegende Treue- und Kooperationspflicht bewertet worden, die jedem Beamten gegenüber seiner Dienstbehörde obliege. Mit Recht habe die angefochtene Entscheidung dem Kläger angelastet, dadurch gegen diese Treuepflicht verstossen zu haben, daß er - ohne Zusammenhang mit dem Gegenstand der Schriftstücke, in denen sie enthalten gewesen seien, und ganz losgelöst davon - beleidigende Äusserungen über die Mitglieder und insbesondere einen ehemaligen Präsidenten des Rechnungshofes, z. B. durch die Bewertung ihres Verhaltens als "shady, disgusting and criminal", gemacht habe.

72 Das Gericht ist der Auffassung, daß die in den drei Noten, deren Verfasser der Kläger ist, sowie in dem Fernschreiben vom 3. Februar 1987 enthaltenen Wendungen, die das Organ, seine Mitglieder und bestimmte namentlich bezeichnete Beamte in Mitleidenschaft ziehen, ihrem Wesen nach eine schwere Verletzung der grundlegenden Treuepflicht darstellen, die jedem Beamten gegenüber dem Organ, dem er angehört, und seinen Vorgesetzten obliegt (Urteil des Gerichtshofes vom 14. Dezember 1966 in der Rechtssache 3/66, Alfieri/Parlament, Slg. 1966, 653) und die in Artikel 21 des Statuts eine besondere Ausprägung findet. Die Beachtung dieser Treuepflicht ist nicht nur bei der Durchführung der dem Beamten übertragenen speziellen Aufgaben geboten, sondern gilt auch für den gesamten Bereich der Beziehungen zwischen dem Beamten und dem Organ; aufgrund dieser Pflicht hat der Beamte ganz allgemein Verhaltensweisen zu unterlassen, die die Würde des Organs und seiner Funktionsträger sowie den Respekt ihnen gegenüber beeinträchtigen. Unter diesen Umständen ist das Gericht der Ansicht, daß die Anstellungsbehörde zu Recht davon ausgegangen ist, daß das Verhalten des Klägers eine Verletzung des Artikels 21 des Statuts darstellte.

73 Diese Rüge kann daher keinen Erfolg haben.

74 Der Kläger stellt ebenfalls in Abrede, daß er gegen die Pflichten aus Artikel 12 des Statuts verstossen habe, weil seine Meinungsäusserungen nicht das in diesem Artikel als Voraussetzung für einen solchen Verstoß festgelegte Merkmal der Öffentlichkeit erfuellt hätten. Die Verbreitung einer Beschwerde innerhalb der mit ihrer Behandlung befassten Dienststellen stelle keine Veröffentlichung dar. Es sei mißbräuchlich, einen vertraulichen Text wie eine öffentliche Meinungsäusserung zu behandeln, wenn sein Verfasser nur von seinem Beschwerderecht Gebrauch mache.

75 Der Beklagte macht geltend, daß gemäß Artikel 12 Absatz 1 des Statuts "der Beamte... sich jeder Handlung, insbesondere jeder öffentlichen Meinungsäusserung, zu enthalten [hat], die dem Ansehen seines Amtes abträglich sein könnte". Aus dieser Vorschrift ergebe sich, daß sich der Kläger, um jeden Verstoß gegen diese Bestimmung zu leugnen, zu Unrecht auf eine angeblich fehlende Öffentlichkeit seiner Handlungen berufe. Denn diese Bestimmung betreffe ganz allgemein "jede Handlung, die dem Ansehen seines Amtes abträglich sein könnte", und nur insbesondere jede "öffentliche" Meinungsäusserung. Die vom Kläger zum Begriff der Öffentlichkeit angestellten Erwägungen erschienen daher unerheblich, die Verbreitung dieser Noten stehe fest, und die Äusserungen von Herrn Williams seien angesichts des Gegenstands seiner Anträge nicht notwendig gewesen und könnten davon losgelöst werden, ohne daß die Noten dadurch ihren Sinn verlören.

76 Das Gericht weist darauf hin, daß Artikel 12 des Statuts allgemein dem Beamten jede Handlung, die dem Ansehen seines Amtes abträglich sein könnte, und insbesondere jede öffentliche Meinungsäusserung, die ebenfalls dem Ansehen seines Amtes abträglich sein könnte, untersagt. Vorliegend stellen die drei Noten des Klägers ihrem Wesen nach Handlungen dar, die dem Ansehen seines Amtes abträglich sind, ohne daß ihre etwaige Öffentlichkeit zu prüfen wäre. Darüber hinaus sind die drei Noten des Klägers unzweifelhaft an die Öffentlichkeit gelangt. Daß diese Noten Verwaltungsbeschwerden darstellten, bedeutet nicht, daß sie vertraulichen Charakter gehabt hätten. Vorliegend haben die Noten den üblichen Weg des Verwaltungsverfahrens genommen, und ihre Verbreitung innerhalb des Organs steht, wie in der Stellungnahme des Disziplinarrats anerkannt worden ist, fest und konnte dem Organ und den darin namentlich genannten Personen ganz ernsthaft Nachteile und Schäden zufügen. Das gleiche gilt für die öffentlich über Herrn Ruppert gemachten Äusserungen, die von denen bestätigt worden sind, die sie gehört haben.

77 Diese Rüge kann somit keinen Erfolg haben.

78 Gegen die Qualifizierung seiner Äusserungen als verleumderisch und beleidigend wendet der Kläger ein, diese Äusserungen könnten mit Sicherheit keine Verleumdung sein, weil ihr Inhalt der Wirklichkeit entspreche.

79 Der Rechnungshof ist der Meinung, die dem Kläger zur Last gelegten Verfehlungen bestuenden nicht darin, Unzutreffendes geschrieben oder gesagt zu haben, sondern darin, seine Pflicht zur Loyalität und würdigem Verhalten durch Beleidigung mehrerer Personen ausser acht gelassen zu haben.

80 Auch diese Rüge ist zurückzuweisen. Die Meinungsäusserungen des Klägers enthalten zumindest beleidigende Einzelheiten und stellen für sich betrachtet eine Verletzung der Pflichten dar, die Artikel 12 Absatz 1 und Artikel 21 Absatz 1 des Statuts jedem Beamten auferlegen. Wenn der Kläger der Meinung war, daß bestimmte Maßnahmen des Rechnungshofes unter Verstoß gegen die Vorschriften der Verträge getroffen wurden, so stand es ihm frei, von allen ihm zur Verfügung stehenden rechtlichen Möglichkeiten Gebrauch zu machen oder die geeigneten Schritte einzuleiten, jedoch unter Einhaltung der Grundsätze des Statuts, d. h. unter Beachtung der Pflicht zu der von jedem Beamten zu fordernden Zurückhaltung und Mässigung sowohl bei seinen schriftlichen als auch bei seinen mündlichen Äusserungen.

Zum Klagegrund der Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit

81 Der Kläger macht geltend, zwischen den ihm vom Disziplinarrat zur Last gelegten Handlungen und der von diesem vorgeschlagenen und von der Anstellungsbehörde verhängten Strafe bestehe ein ins Auge fallendes Mißverhältnis. Die verhängte Strafe entspreche wirtschaftlich betrachtet einem Betrag von ungefähr 6 543 150 LFR. Nach den im luxemburgischen Strafrecht angewandten Kriterien entspreche dieser Betrag einer Haftstrafe von 6 543 Tagen, d. h. von 17 Jahren, 11 Monaten und 34 Tagen.

82 Der Beklagte entgegnet, das Versagen des Aufsteigens in den Dienstaltersstufen stehe in Artikel 86 des Statuts an dritter Stelle einer Stufung, die sieben Arten von Disziplinarstrafen vorsehe, und an erster Stelle der fünf Disziplinarstrafen, die von der Anstellungsbehörde nur nach Stellungnahme des Disziplinarrats verhängt werden dürften. Nach dem Statut handele es sich um die leichteste der bei schweren Verfehlungen zu verhängenden Disziplinarstrafen. Die Schwere der dem Kläger vorzuwerfenden Verfehlungen und der Umstand, daß dieser im Range eines Hauptverwaltungsrats stehe, hätten die leichteren Disziplinarstrafen wie die schriftliche Verwarnung und den Verweis als ungeeignet und unzureichend erscheinen lassen.

83 Es ist daran zu erinnern, daß die Anstellungsbehörde nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes die angemessene Disziplinarstrafe wählen kann, wenn die dem Beamten zur Last gelegten Handlungen festgestellt sind. Das Gericht kann nicht die Beurteilung dieser Behörde durch seine eigene Beurteilung ersetzen, es sei denn, es läge ein offensichtlicher Fehler oder ein Ermessensmißbrauch vor (Urteile vom 29. Januar 1985 in der Rechtssache 228/83, F./Kommission, Slg. 1985, 275, Randnr. 34, und vom 30. Mai 1973 in der Rechtssache 46/72, De Greef/Kommission, Slg. 1973, 543, Randnrn. 44 bis 46). Was insbesondere die Frage betrifft, ob die gegen den Kläger verhängte Disziplinarstrafe unverhältnismässig ist im Hinblick auf die Schwere der ihm vorgeworfenen Handlungen, so ist darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof ebenfalls entschieden hat, daß die Bestimmung der Disziplinarstrafe auf einer Gesamtwürdigung aller konkreten Tatsachen und aller Umstände des jeweiligen Falles durch die Anstellungsbehörde beruht, da die Artikel 86 bis 89 des Statuts das Verhältnis zwischen den Strafen und den verschiedenen Arten von Pflichtverletzungen der Beamten nicht festlegen (Urteil vom 5. Februar 1987 in der Rechtssache 403/85, F./Kommission, Slg. 1987, 645, Randnr. 26). Vorliegend hat das Gericht bereits entschieden (vgl. oben Randnrn. 72 und 76), daß die in der Entscheidung festgehaltenen Tatsachen, die nicht bestritten sind, schwere Verstösse gegen grundlegende, jedem Beamten obliegende Pflichten darstellen. Unter diesen Umständen sieht sich das Gericht ausserstande, das gegen den Kläger ausgesprochene Versagen des Aufsteigens in den Dienstaltersstufen als eine offensichtlich unverhältnismässige Disziplinarstrafe anzusehen.

84 Dieser Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

Zum Klagegrund des Ermessensmißbrauchs

85 Nach Meinung des Klägers muß man sich fragen, ob es vorliegend wirklich nur die Absicht der Anstellungsbehörde gewesen sei, einen Beamten disziplinarisch zu bestrafen, und ob die überzogene Disziplinarstrafe, die gegen ihn verhängt worden sei, nicht eher Ausdruck anderer, nur schwer einzugestehender Motive gewesen sei. Er betont, daß diese Disziplinarstrafe, auch wenn er nach Beendigung des Aussetzungszeitraums wieder normal in den Dienstaltersstufen aufsteigen werde, doch den späteren Ablauf seiner Karriere in der Besoldungsgruppe A 5 blockiere.

86 Dem hält der Beklagte entgegen, daß der Kläger nichts vorgetragen habe, was den von ihm geltend gemachten Ermessensmißbrauch beweisen könnte. Er habe auch keine objektiven, schlüssigen und übereinstimmenden Indizien vorgebracht, die annehmen ließen, daß die verhängte Strafe unter Berücksichtigung der gegen ihn erhobenen Vorwürfe überzogen sei und daß sie für sich genommen einen Ermessensmißbrauch darstelle.

87 In diesem Zusammenhang ist daran zu erinnern, daß der Begriff des Ermessensmißbrauchs eine ganz präzise Bedeutung hat und den Fall betrifft, daß eine Verwaltungsbehörde ihre Befugnisse zu einem anderen Zweck als demjenigen ausgeuebt hat, zu dem sie ihr übertragen worden sind (Urteil des Gerichtshofes vom 4. Februar 1982 in der Rechtssache 817/79, Buyl/Kommission, Slg. 1982, 245, Randnr. 28, und Urteil des Gerichts vom 12. Juli 1990 in der Rechtssache T-108/89, Scheuer/Kommission, Slg. 1990, II-411, Randnr. 49).

88 Im übrigen entspricht es ständiger Rechtsprechung, daß eine Entscheidung nur dann ermessensmißbräuchlich ist, wenn aufgrund objektiver, schlüssiger und übereinstimmender Indizien anzunehmen ist, daß sie zu anderen als den angegebenen Zwecken getroffen wurde (Urteil des Gerichtshofes vom 21. Juni 1984 in der Rechtssache 69/83, Lux/Rechnungshof, Slg. 1984, 2447, und Urteil des Gerichts vom 12. Juli 1990 in der Rechtssache T-108/89, Scheuer/Kommission, Slg. 1990, II-411, Randnr. 50).

89 Insoweit ist zunächst darauf hinzuweisen, daß der Kläger zur Stützung dieses Klagegrunds im wesentlichen die gleichen Argumente entwickelt, die er bereits zur Stützung des Klagegrunds der Verletzung des Grundsatzes der Verhältnismässigkeit angeführt hat und die das Gericht zuvor zurückgewiesen hat. Im übrigen sind die in allgemeinen und ungenauen Wendungen gehaltenen Annahmen des Klägers nicht geeignet, den Nachweis zu erbringen, daß die Anstellungsbehörde bei der Verhängung der ausgesprochenen Disziplinarstrafe einen anderen Zweck als die Aufrechterhaltung der inneren Ordnung des europäischen öffentlichen Dienstes verfolgt hat.

90 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß dieser Klagegrund nicht durchgreift.

91 Aus all diesen Erwägungen folgt, daß die Klage insgesamt abzuweisen ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

92 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung des Gerichtshofes, die für das Verfahren vor dem Gericht entsprechend gilt, ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Gemäß Artikel 70 der Verfahrensordnung tragen jedoch die Organe in Rechtsstreitigkeiten mit Bediensteten der Gemeinschaften ihre Kosten selbst.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT (Vierte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1) Die Klage wird abgewiesen.

2) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

Zurück