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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäisches Gericht
Urteil verkündet am 14.05.1998
Aktenzeichen: T-348/94
Rechtsgebiete: EG, EMRK, Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrag


Vorschriften:

EG Art. 85 Abs. 1
EG Art. 190 EG
EMRK Art. 6
Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrag Art. 15 Abs. 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

18 Die Grundrechte gehören zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, deren Wahrung der Gemeinschaftsrichter zu sichern hat. Dabei lässt er sich von den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie von den Hinweisen leiten, die die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte geben, an deren Abschluß die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind. Der Europäischen Menschenrechtskonvention kommt in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu.

19 Die Kommission kann, wenn sie die Wettbewerbsvorschriften des Gemeinschaftsrechts anwendet, nicht als "Gericht" im Sinne von Artikel 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention betrachtet werden. Daher kann eine Entscheidung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft nicht allein deshalb rechtswidrig sein, weil sie im Rahmen eines Systems getroffen wurde, in dem die Kommission sowohl die Anklage vorbringt als auch die Entscheidung trifft. Die Kommission muß jedoch im Verwaltungsverfahren die durch das Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Verfahrensgarantien beachten.

Die Kommission hat nach dem Gemeinschaftsrecht eine Überwachungsaufgabe, die sich u. a. auf die Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen Artikel 85 Absatz 1 und Artikel 86 des Vertrages erstreckt. Nach der Verordnung Nr. 17 ist sie ausserdem befugt, gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, die vorsätzlich oder fahrlässig gegen diese Bestimmungen verstossen haben, durch Entscheidung Geldbussen festzusetzen.

Das Erfordernis einer wirksamen gerichtlichen Überprüfung jeder Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft festgestellt und geahndet wird, stellt einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts dar, der sich aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten ergibt. Gegen diesen Grundsatz wird nicht verstossen, wenn eine solche Überprüfung gemäß dem Beschluß 88/591 des Rates durch ein unabhängiges und unparteiisches Organ der Rechtspflege wie das Gericht vorgenommen wird, das anhand der Klagegründe, die die betroffene natürliche oder juristische Person zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung geltend macht, sowohl die rechtliche als auch die sachliche Begründetheit aller von der Kommission im Bereich des Wettbewerbs erhobenen Vorwürfe beurteilen kann und das gemäß Artikel 17 der Verordnung Nr. 17 für die Beurteilung der Frage zuständig ist, ob die verhängte finanzielle Sanktion in angemessenem Verhältnis zur Schwere der festgestellten Zuwiderhandlung steht.

20 Die Wahrung der Verteidigungsrechte stellt in allen Verfahren, die zu Sanktionen und insbesondere zu Geldbussen oder Zwangsgeldern führen können, einen tragenden Grundsatz des Gemeinschaftsrechts dar, der auch dann beachtet werden muß, wenn es sich um ein Verwaltungsverfahren handelt.

21 Die Mitteilung der Beschwerdepunkte, deren Zweck darin besteht, den Unternehmen, gegen die nach den Wettbewerbsvorschriften ermittelt wird, alle erforderlichen Angaben zur Verfügung zu stellen, damit sie sich wirksam verteidigen können, bevor die Kommission eine endgültige Entscheidung erlässt, muß, sei es auch nur in gedrängter Form, so klar abgefasst sein, daß die Beteiligten von den Verhaltensweisen, die ihnen von der Kommission zur Last gelegt werden, tatsächlich Kenntnis erlangen können.

22 Die Pflicht zur Begründung von Einzelfallentscheidungen hat den Zweck, dem Gemeinschaftsrichter die Überprüfung der Entscheidung auf ihre Rechtmässigkeit hin zu ermöglichen und den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, daß er erkennen kann, ob die Entscheidung zutreffend begründet oder eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht; dabei hängt der Umfang der Begründungspflicht von der Art des fraglichen Rechtsakts und den Umständen ab, unter denen er erlassen wurde.

Die Kommission hat zwar gemäß Artikel 190 des Vertrages die sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, von denen die Rechtmässigkeit der Entscheidung abhängt, sowie die Erwägungen anzugeben, die sie zu ihrem Erlaß veranlasst haben; sie braucht jedoch nicht auf alle sachlichen und rechtlichen Fragen einzugehen, die während des Verwaltungsverfahrens aufgeworfen wurden.

23 Gemäß Artikel 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung des Gerichts muß die Klageschrift den Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten. Diese Angaben müssen so klar und genau sein, daß dem Beklagten die Vorbereitung seiner Verteidigung und dem Gericht die Entscheidung über die Klage, gegebenenfalls auch ohne weitere Informationen, ermöglicht wird. Um die Rechtssicherheit und eine ordnungsgemässe Rechtspflege zu gewährleisten, ist es für die Zulässigkeit einer Klage erforderlich, daß die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf denen die Klage beruht, zumindest in gedrängter Form, jedenfalls aber zusammenhängend und verständlich, aus dem Wortlaut der Klageschrift selbst hervorgehen.

24 Die Tatsache, daß sich ein Unternehmen den Ergebnissen von Sitzungen mit offensichtlich wettbewerbsfeindlichem Gegenstand, an denen es teilnahm, nicht beugt, ist nicht geeignet, es von seiner vollen Verantwortlichkeit für seine Teilnahme am Kartell zu entlasten, wenn es sich nicht offen vom Inhalt der Sitzungen distanziert hat. Selbst wenn man annimmt, daß das Marktverhalten eines solchen Unternehmens nicht dem vereinbarten Verhalten entsprach, ändert dies somit nichts an seiner Verantwortlichkeit für eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages.

25 Die Kommission kann alle Unternehmen, an die sich eine Entscheidung über die Anwendung der Wettbewerbsregeln richtet, nur dann als während eines bestimmten Zeitraums für ein Gesamtkartell, das verschiedene wettbewerbswidrige Verhaltensweisen einschließt, verantwortlich ansehen, wenn sie nachweist, daß jedes von ihnen entweder der Aufstellung eines Gesamtplans zugestimmt hat, der die Bestandteile des Kartells umfasst, oder während dieses Zeitraums an all seinen Bestandteilen unmittelbar mitgewirkt hat. Ein Unternehmen kann ferner auch dann, wenn feststeht, daß es nur an einem oder mehreren Bestandteilen dieses Kartells unmittelbar mitgewirkt hat, für ein Gesamtkartell zur Verantwortung gezogen werden, sofern es wusste oder zwangsläufig wissen musste, daß die Absprache, an der es sich beteiligte, Teil eines Gesamtplans war und daß sich dieser Gesamtplan auf sämtliche Bestandteile des Kartells erstreckte. In diesem Fall kann die Tatsache, daß das betreffende Unternehmen nicht an allen Bestandteilen des Gesamtkartells unmittelbar mitgewirkt hat, es nicht von der Verantwortung für die Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages befreien. Ein solcher Umstand kann jedoch bei der Beurteilung der Schwere der ihm zur Last gelegten Zuwiderhandlung berücksichtigt werden.

26 Stellt die Kommission eine Zuwiderhandlung fest, die eine Einschränkung des Wettbewerbs auf einem bestimmten räumlichen Markt bezweckt, so erfordert die Feststellung dieser Einschränkung des Wettbewerbs keine vorherige Definition des räumlichen Marktes.

27 Die Pflicht zur Begründung von Einzelfallentscheidungen hat den Zweck, dem Gemeinschaftsrichter die Überprüfung der Entscheidung auf ihre Rechtmässigkeit hin zu ermöglichen und den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, daß er erkennen kann, ob die Entscheidung zutreffend begründet oder eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht; dabei hängt der Umfang der Begründungspflicht von der Art des fraglichen Rechtsakts und den Umständen ab, unter denen er erlassen wurde.

Handelt es sich um eine Entscheidung, mit der gegen mehrere Unternehmen wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft Geldbussen festgesetzt werden, so ist bei der Bestimmung des Umfangs der Begründungspflicht insbesondere zu berücksichtigen, daß die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln ist, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbussen gehören, ohne daß es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten.

Ausserdem verfügt die Kommission bei der Festlegung der Höhe der einzelnen Geldbussen über ein Ermessen und ist nicht verpflichtet, insoweit eine genaue mathematische Formel anzuwenden.

Schließlich muß die Begründung einer Entscheidung in der Entscheidung selbst enthalten sein; nachträgliche Erläuterungen der Kommission können nur unter aussergewöhnlichen Umständen berücksichtigt werden.

Wenn die Kommission in einer Entscheidung eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln feststellt und gegen die daran beteiligten Unternehmen Geldbussen verhängt und wenn sie systematisch bestimmte Grundelemente bei der Festlegung der Höhe der Geldbussen heranzieht, muß sie diese Elemente in der Entscheidung selbst angeben, um es deren Adressaten zu ermöglichen, die Richtigkeit der Höhe der Geldbusse zu überprüfen und festzustellen, ob eine Diskriminierung vorliegt.

28 Die Tatsache, daß die an einer Preisabsprache beteiligten Unternehmen festlegten, wie die Ankündigung abgestimmter Preiserhöhungen erfolgt, und daß Vorkehrungen gegen das Anfertigen von Notizen über Sitzungen mit diesem Gegenstand getroffen wurden, beweist, daß die Unternehmen sich der Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens bewusst waren und Maßnahmen zur Verschleierung der Absprache getroffen haben. Die Kommission kann solche Maßnahmen bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung als erschwerende Umstände behandeln.

Insoweit können das Fehlen offizieller Protokolle und das fast völlige Fehlen interner Vermerke über diese Sitzungen in Anbetracht der Zahl und der zeitlichen Dauer der Sitzungen sowie der Art der fraglichen Erörterungen einen hinreichenden Beweis dafür darstellen, daß Vorkehrungen gegen das Anfertigen von Notizen getroffen wurden.

29 Die Einstufung einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft als vorsätzlich setzt nicht voraus, daß sich das Unternehmen des Verstosses gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages bewusst war. Es genügt, daß es wissen musste, daß das ihm zur Last gelegte Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt bezweckte oder bewirkte.

30 Die Tatsache, daß sich ein Unternehmen, dessen Beteiligung an einer Preisabsprache mit seinen Konkurrenten erwiesen ist, auf dem Markt nicht in der mit ihnen vereinbarten Weise verhalten hat, ist bei der Bestimmung der Höhe der zu verhängenden Geldbusse nicht zwangsläufig als mildernder Umstand zu berücksichtigen. Ein Unternehmen, das trotz der Absprache mit seinen Konkurrenten eine mehr oder weniger unabhängige Marktpolitik verfolgt, versucht möglicherweise nur, das Kartell zu seinem Vorteil auszunutzen.

31 Bei der Bestimmung der Höhe der wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft festzusetzenden Geldbusse braucht die Kommission die schlechte Finanzlage des betreffenden Unternehmens nicht als mildernden Umstand zu berücksichtigen. Die Anerkennung einer solchen Verpflichtung würde darauf hinauslaufen, den am wenigsten den Marktbedingungen angepassten Unternehmen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil zu verschaffen.

32 Die Existenz von Maßnahmen zur Kontrolle der Umsetzung eines Kartells kann zwar bei der Festsetzung der Geldbussen wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft als erschwerender Umstand herangezogen werden; das Fehlen solcher Maßnahmen kann aber als solches keinen mildernden Umstand darstellen.

33 Setzt die Kommission wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft gegen mehrere Unternehmen Geldbussen fest, so ist sie nicht daran gehindert, deren Betrag in Ecu anzugeben, einer in Landeswährung konvertierbaren Währungseinheit. Dies erleichtert es den Unternehmen im übrigen, die Beträge der festgesetzten Geldbussen miteinander zu vergleichen. Ausserdem unterscheidet die Umrechnungsmöglichkeit des Ecu in Landeswährung diese Währungseinheit von der in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 erwähnten "Rechnungseinheit", bei der der Betrag der Geldbusse zwangsläufig in Landeswährung bestimmt werden muß, da sie keine Währung ist, in der Zahlungen vorgenommen werden können.

Die Kommission darf zur Berechnung der Geldbusse eine Methode verwenden, bei der der Umsatz der einzelnen Unternehmen im Referenzjahr auf der Grundlage der durchschnittlichen Wechselkurse dieses Jahres und nicht auf der Grundlage des zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung geltenden Wechselkurses in Ecu umgerechnet wird.

Zunächst muß die Kommission nämlich bei der Berechnung der Geldbussen gegen Unternehmen, die wegen Beteiligung an derselben Zuwiderhandlung verfolgt werden, normalerweise dieselbe Methode anwenden. Sodann muß sie, um die verschiedenen mitgeteilten Umsätze, die in den jeweiligen Landeswährungen der betreffenden Unternehmen angegeben sind, miteinander vergleichen zu können, diese Zahlen in eine einzige Währungseinheit wie den Ecu umrechnen, dessen Wert sich nach dem Wert aller Landeswährungen der Mitgliedstaaten richtet.

Im übrigen ermöglicht es die Heranziehung des von den einzelnen Unternehmen im Referenzjahr - dem letzten vollständigen in den Zeitraum der Zuwiderhandlung einbezogenen Jahr - erzielten Umsatzes der Kommission zum einen, die Grösse und die Wirtschaftskraft jedes Unternehmens sowie das Ausmaß der von jedem von ihnen begangenen Zuwiderhandlung einzuschätzen; dies sind für die Beurteilung der Schwere der von den einzelnen Unternehmen begangenen Zuwiderhandlung relevante Gesichtspunkte. Zum anderen kann sie durch die Heranziehung der durchschnittlichen Wechselkurse im Referenzjahr bei der Umrechnung der fraglichen Umsätze in Ecu verhindern, daß etwaige Währungsschwankungen seit der Beendigung der Zuwiderhandlung die Beurteilung der relativen Grösse und Wirtschaftskraft der Unternehmen sowie des Ausmasses der von jedem von ihnen begangenen Zuwiderhandlung und damit die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung beeinflussen. Diese Beurteilung muß sich nämlich auf die tatsächliche wirtschaftliche Lage zur Zeit der Begehung der Zuwiderhandlung beziehen.

Folglich erlaubt die Methode, die Geldbusse unter Heranziehung des durchschnittlichen Wechselkurses im Referenzjahr zu berechnen, den Ausschluß der zufälligen Auswirkungen von Änderungen des tatsächlichen Wertes der Landeswährungen, die zwischen dem Referenzjahr und dem Jahr des Erlasses der Entscheidung eintreten können. Diese Methode kann zwar dazu führen, daß ein bestimmtes Unternehmen einen Betrag zahlen muß, der - in Landeswährung - nominal höher oder niedriger ist als der Betrag, der bei Anwendung des Wechselkurses zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung hätte gezahlt werden müssen; dies ist jedoch nur die logische Folge der Schwankungen des tatsächlichen Wertes der einzelnen Landeswährungen.

34 Die Höhe der Geldbusse wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft hängt von der Schwere und der Dauer der Zuwiderhandlung ab. Dabei ist die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbussen gehören, ohne daß es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten.

Die Kommission darf bei ihrer Beurteilung des allgemeinen Niveaus der Geldbussen der Tatsache Rechnung tragen, daß offenkundige Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft immer noch verhältnismässig häufig sind; es steht ihr daher frei, das Niveau der Geldbussen anzuheben, um deren abschreckende Wirkung zu verstärken. Folglich ist die Kommission dadurch, daß sie in der Vergangenheit für bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen Geldbussen in bestimmter Höhe verhängt hat, nicht daran gehindert, dieses Niveau innerhalb der in der Verordnung Nr. 17 gezogenen Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen.

Im übrigen kann die Kommission bei der Festlegung des allgemeinen Niveaus der Geldbussen u. a. die lange Dauer und die Offenkundigkeit einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages berücksichtigen, die trotz der Warnung begangen wurde, die die frühere Entscheidungspraxis der Kommission hätte darstellen müssen.


Urteil des Gerichts erster Instanz (Dritte erweiterte Kammer) vom 14. Mai 1998. - Enso Española SA gegen Kommission der Europäischen Gemeinschaften. - Wettbewerb - Artikel 85 Absatz 1 Eg-Vertrag - Anspruch auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht - Verteidigungsrechte - Begründung - Geldbuße - Bestimmung der Höhe - Berechnungsmethode - Mildernde Umstände - Grundsatz der Gleichbehandlung - Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. - Rechtssache T-348/94.

Entscheidungsgründe:

Sachverhalt

1 Die vorliegende Rechtssache betrifft die Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833 - Karton, ABl. L 243, S. 1), die vor ihrer Veröffentlichung durch eine Entscheidung der Kommission vom 26. Juli 1994 (K[94] 2135 endg.) berichtigt wurde (im folgenden: Entscheidung). In der Entscheidung wurden gegen 19 Kartonhersteller und -lieferanten aus der Gemeinschaft wegen Verstössen gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages Geldbussen festgesetzt.

2 Gegenstand der Entscheidung ist das Erzeugnis Karton. In der Entscheidung werden drei Kartonsorten erwähnt, die den Qualitäten "GC", "GD" und "SBS" zugeordnet werden.

3 Karton der Qualität GD (im folgenden: GD-Karton) ist ein Karton mit einer grauen unteren Lage (Altpapier), der in der Regel für die Verpackung von Non-food-Produkten verwendet wird.

4 Karton der Qualität GC (im folgenden: GC-Karton) besitzt eine obere weisse Lage und wird gewöhnlich für die Verpackung von Nahrungsmitteln verwendet. GC-Karton ist von höherer Qualität als GD-Karton. In dem von der Entscheidung erfassten Zeitraum bestand zwischen diesen beiden Produkten im allgemeinen ein Preisunterschied von etwa 30 %. In geringerem Umfang wird hochwertiger GC-Karton auch für graphische Zwecke verwendet.

5 SBS ist die Bezeichnung für durch und durch weissen Karton (im folgenden: SBS-Karton). Sein Preis liegt etwa 20 % über dem von GC-Karton. Er dient zur Verpackung von Lebensmitteln, Kosmetika, Arzneimitteln und Zigaretten, ist aber hauptsächlich für graphische Zwecke bestimmt.

6 Mit Schreiben vom 22. November 1990 legte die British Printing Industries Federation (BPIF), eine Branchenorganisation der Mehrzahl der britischen Kartonbedrucker, bei der Kommission eine informelle Beschwerde ein. Sie machte geltend, daß die das Vereinigte Königreich beliefernden Kartonhersteller eine Reihe gleichzeitiger und einheitlicher Preiserhöhungen vorgenommen hätten, und ersuchte die Kommission, das Vorliegen eines Verstosses gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft zu prüfen. Um ihr Vorgehen publik zu machen, gab die BPIF eine Pressemitteilung heraus. Deren Inhalt wurde von der Fachpresse im Dezember 1990 verbreitet.

7 Am 12. Dezember 1990 reichte die Fédération française du cartonnage bei der Kommission ebenfalls eine informelle Beschwerde mit Behauptungen betreffend den französischen Kartonmarkt ein, die ähnlich wie die BPIF-Beschwerde lautete.

8 Am 23. und 24. April 1991 nahmen Beamte der Kommission gemäß Artikel 14 Absatz 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, Nr. 13, S. 204), in den Geschäftsräumen verschiedener Unternehmen und Branchenorganisationen des Kartonsektors ohne Vorankündigung gleichzeitig Nachprüfungen vor.

9 Im Anschluß an diese Nachprüfungen richtete die Kommission an alle Adressaten der Entscheidung Auskunftsverlangen gemäß Artikel 11 der Verordnung Nr. 17 und ersuchte um die Vorlage von Dokumenten.

10 Aufgrund der im Rahmen dieser Nachprüfungen und Ersuchen um Auskünfte und Vorlage von Dokumenten erlangten Informationen kam die Kommission zu dem Ergebnis, daß sich die betreffenden Unternehmen von etwa Mitte 1986 bis (in den meisten Fällen) mindestens April 1991 an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages beteiligt hätten.

11 Sie beschloß daher, ein Verfahren gemäß dieser Bestimmung einzuleiten. Mit Schreiben vom 21. Dezember 1992 richtete sie eine Mitteilung der Beschwerdepunkte an alle fraglichen Unternehmen. Sämtliche Adressaten antworteten darauf schriftlich. Neun Unternehmen baten um eine mündliche Anhörung. Ihre Anhörung fand vom 7. bis zum 9. Juni 1993 statt.

12 Am Ende des Verfahrens erließ die Kommission die Entscheidung, die folgende Bestimmungen enthält:

"Artikel 1

Buchmann GmbH, Cascades S.A., Enso-Gutzeit Oy, Europa Carton AG, Finnboard - the Finnish Board Mills Association, Fiskeby Board AB, Gruber & Weber GmbH & Co. KG, Kartonfabriek "De Eendracht" NV (unter der Firma BPB de Eendracht handelnd), NV Koninklijke KNP BT NV (ehemals Koninklijke Nederlandse Papierfabrieken NV), Laakmann Karton GmbH & Co. KG, Mo Och Domsjö AB (MoDo), Mayr-Melnhof Gesellschaft mbH, Papeteries de Lancey S.A., Rena Kartonfabrik A/S, Sarrió SpA, SCA Holding Ltd (ehemals Reed Paper & Board (UK) Ltd), Stora Kopparbergs Bergslags AB, Enso Española S.A. (früher Tampella Española S.A.) und Moritz J. Weig GmbH & Co. KG haben gegen Artikel 85 Absatz 1 des EG-Vertrages verstossen, indem sie sich

- im Falle von Buchmann und Rena von etwa März 1988 bis mindestens Ende 1990,

- im Falle von Enso Española von mindestens März 1988 bis mindestens Ende April 1991 und

- im Falle von Gruber & Weber von mindestens 1988 bis Ende 1990,

- in den [übrigen] Fällen von Mitte 1986 bis mindestens April 1991,

an einer seit Mitte 1986 bestehenden Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligten, durch die die Kartonanbieter in der Gemeinschaft

- sich regelmässig an einer Reihe geheimer und institutionalisierter Sitzungen zwecks Erörterung und Festlegung eines gemeinsamen Branchenplans zur Einschränkung des Wettbewerbs trafen;

- sich über regelmässige Preiserhöhungen für jede Kartonsorte in jeder Landeswährung verständigten;

- gleichzeitige und einheitliche Preiserhöhungen für die gesamte Gemeinschaft planten und durchführten;

- sich vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen über die Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden Hersteller verständigten;

- in zunehmendem Masse ab Anfang 1990 abgestimmte Maßnahmen zur Kontrolle des Kartonangebots in der Gemeinschaft trafen, um die Durchsetzung der vorerwähnten abgestimmten Preiserhöhungen sicherzustellen;

- als Absicherung der vorgenannten Maßnahmen Geschäftsinformationen (über Lieferungen, Preise, Abstellzeiten, Auftragsbestände und Kapazitätsauslastung) austauschten.

...

Artikel 3

Gegen die nachstehenden Unternehmen werden für den in Artikel 1 festgestellten Verstoß folgende Geldbussen festgesetzt:

...

xviii) gegen Enso Española SA eine Geldbusse in Höhe von 1 750 000 ECU;

..."

13 Der Entscheidung zufolge geschah die Zuwiderhandlung im Rahmen einer aus mehreren Gruppen oder Ausschüssen bestehenden Organisation namens "Produktgruppe Karton" (im folgenden: PG Karton).

14 Im Rahmen dieser Organisation sei Mitte 1986 ein Ausschuß namens "Presidents' Working Group" (PWG) eingesetzt worden, der aus hochrangigen Vertretern der (etwa acht) führenden Kartonlieferanten der Gemeinschaft bestanden habe.

15 Der PWG habe sich u. a. mit der Erörterung und Abstimmung der Märkte, Marktanteile, Preise und Kapazitäten beschäftigt. Er habe insbesondere umfassende Beschlüsse über die zeitliche Folge und die Höhe der von den Herstellern vorzunehmenden Preiserhöhungen gefasst.

16 Der PWG habe der "Präsidentenkonferenz" (PK) Bericht erstattet, an der (mehr oder weniger regelmässig) fast alle Generaldirektoren der betreffenden Unternehmen teilgenommen hätten. Die PK habe im maßgeblichen Zeitraum zweimal pro Jahr getagt.

17 Ende 1987 sei das "Joint Marketing Committee" (JMC) eingesetzt worden. Die Hauptaufgabe des JMC habe darin bestanden, zum einen zu ermitteln, ob und, wenn ja, wie sich Preiserhöhungen durchsetzen ließen, und zum anderen die vom PWG beschlossenen Preisinitiativen nach Ländern und wichtigsten Kunden im Detail auszuarbeiten, um zu einem einheitlichen Preissystem in Europa zu gelangen.

18 Schließlich habe die "Wirtschaftliche Kommission" (WK) u. a. die Preisentwicklung auf den nationalen Märkten und die Auftragslage erörtert und dem JMC oder - bis Ende 1987 - dessen Vorgänger, dem "Marketing Committee", über die Ergebnisse ihrer Arbeit berichtet. Die WK habe aus Vertriebs- und/oder Verkaufsleitern der meisten fraglichen Unternehmen bestanden und sei mehrmals pro Jahr zusammengetreten.

19 Aus der Entscheidung geht ferner hervor, daß die Tätigkeiten der PG Karton nach Ansicht der Kommission durch einen Informationsaustausch über die Treuhandgesellschaft FIDES mit Sitz in Zuerich (Schweiz) unterstützt wurden. In der Entscheidung heisst es, die meisten Mitglieder der PG Karton hätten der FIDES regelmässig Berichte über Auftragslage, Produktion, Verkäufe und Kapazitätsauslastung geliefert. Diese Berichte seien im Rahmen des FIDES-Systems bearbeitet worden, und die Teilnehmer hätten die zusammengefassten Daten erhalten.

20 Die Klägerin, die frühere Tampella Española, S.A., nahm der Entscheidung zufolge an einigen Sitzungen des JMC (zwischen Februar 1989 und April 1991), der PK (von Mai 1988 bis Mai 1989) und der WK (von Februar 1987 bis Mai 1989) teil.

Verfahren

21 Mit Klageschrift, die am 18. Oktober 1994 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die vorliegende Klage erhoben.

22 Sechzehn der achtzehn anderen für die Zuwiderhandlung verantwortlich gemachten Unternehmen haben ebenfalls Klage gegen die Entscheidung erhoben (Rechtssachen T-295/94, T-301/94, T-304/94, T-308/94, T-309/94, T-310/94, T-311/94, T-317/94, T-319/94, T-327/94, T-334/94, T-337/94, T-338/94, T-347/94, T-352/94 und T-354/94).

23 Die Klägerin in der Rechtssache T-301/94, die Laakmann Karton GmbH, hat ihre Klage mit Schreiben, das am 10. Juni 1996 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, zurückgenommen; durch Beschluß vom 18. Juli 1996 in der Rechtssache T-301/94 (Laakmann Karton/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) ist diese Rechtssache im Register des Gerichts gestrichen worden.

24 Vier finnische Unternehmen, die als Mitglieder der Wirtschaftsvereinigung Finnboard gesamtschuldnerisch für die Zahlung der gegen diese festgesetzten Geldbusse haftbar gemacht wurden, haben ebenfalls gegen die Entscheidung geklagt (verbundene Rechtssachen T-339/94, T-340/94, T-341/94 und T-342/94).

25 Schließlich hat der Verband CEPI-Cartonboard, der nicht zu den Adressaten der Entscheidung gehört, Klage erhoben. Er hat sie jedoch mit Schreiben, das am 8. Januar 1997 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, zurückgenommen; durch Beschluß vom 6. März 1997 in der Rechtssache T-312/94 (CEPI-Cartonboard/Kommission, nicht in der amtlichen Sammlung veröffentlicht) ist diese Rechtssache im Register des Gerichts gestrichen worden.

26 Mit Schreiben vom 5. Februar 1997 hat das Gericht die Parteien zu einer informellen Sitzung geladen, in der sie sich u. a. zu einer etwaigen Verbindung der Rechtssachen T-295/94, T-304/94, T-308/94, T-309/94, T-310/94, T-311/94, T-317/94, T-319/94, T-327/94, T-334/94, T-337/94, T-338/94, T-347/94, T-348/94, T-352/94 und T-354/94 zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung äussern sollten. In dieser Sitzung, die am 29. April 1997 stattfand, haben sich die Parteien mit einer solchen Verbindung einverstanden erklärt.

27 Mit Beschluß vom 4. Juni 1997 hat der Präsident der Dritten erweiterten Kammer des Gerichts die genannten Rechtssachen wegen ihres Zusammenhangs gemäß Artikel 50 der Verfahrensordnung zu gemeinsamer mündlicher Verhandlung verbunden und einem Antrag der Klägerin in der Rechtssache T-334/94 auf vertrauliche Behandlung stattgegeben.

28 Mit Beschluß vom 20. Juni 1997 hat er einem Antrag der Klägerin in der Rechtssache T-337/94 auf vertrauliche Behandlung eines in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts vorgelegten Dokuments stattgegeben.

29 Auf Bericht des Berichterstatters hat das Gericht (Dritte erweiterte Kammer) beschlossen, die mündliche Verhandlung zu eröffnen, und hat prozeßleitende Maßnahmen getroffen, indem es die Parteien ersucht hat, einige schriftliche Fragen zu beantworten und bestimmte Dokumente vorzulegen. Die Parteien sind diesen Ersuchen nachgekommen.

30 Die Parteien in den in Randnummer 26 genannten Rechtssachen haben in der Sitzung, die vom 25. Juni bis zum 8. Juli 1997 stattfand, mündlich verhandelt und Fragen des Gerichts beantwortet.

Anträge der Parteien

31 Die Klägerin beantragt,

- die Entscheidung ganz oder teilweise für nichtig zu erklären, soweit sie sich auf sie bezieht;

- hilfsweise, die gegen sie festgesetzte Geldbusse für nichtig zu erklären;

- höchst hilfsweise, die Geldbusse erheblich herabzusetzen;

- der Kommission die Kosten des Verfahrens einschließlich der durch die Stellung einer Bürgschaft oder die etwaige Zahlung der gesamten Geldbusse oder eines Teils davon entstehenden Kosten und Zinsen aufzuerlegen.

32 Die Kommission beantragt,

- die Klage abzuweisen;

- der Klägerin die Kosten aufzuerlegen.

Zum Antrag auf Nichtigerklärung der Entscheidung

A - Zum Klagegrund der Verletzung des grundlegenden Anspruchs auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht

Vorbringen der Parteien

33 Die Klägerin trägt vor, es verstosse gegen den grundlegenden Anspruch auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht, daß die Kommission sowohl die Ermittlungen anstelle als auch die Entscheidungen treffe.

34 Dieser Klagegrund besteht aus zwei Teilen. Mit dem ersten Teil macht die Klägerin geltend, der fragliche grundlegende Anspruch sei in Artikel 6 der Europäischen Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten vom 4. November 1950 (EMRK) zu finden. Mit dem zweiten Teil macht sie geltend, er sei in den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten verankert.

35 Zum ersten Teil des Klagegrundes trägt die Klägerin vor, ein Gericht, das über eine strafrechtliche Anklage im Sinne von Artikel 6 EMRK entscheide, müsse unparteiisch sein. Das Ermittlungsverfahren und die dieses Verfahren abschließende Entscheidung gehörten daher in die Hände verschiedener Instanzen oder Personen (Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte vom 1. Oktober 1982 in der Rechtssache Piersack, Serie A, Nr. 53, und vom 26. Oktober 1984 in der Rechtssache De Cubber, Serie A, Nr. 86). Die Europäische Kommission für Menschenrechte habe wettbewerbsrechtliche Entscheidungen als strafrechtliche Anklage eingestuft (Entscheidung vom 9. Februar 1990 in der Rechtssache M & Co./Deutschland, Nr. 13258/87, Band 64, S. 138, und Bericht vom 30. Mai 1991 in der Rechtssache Stenuit/Französischer Staat, Nr. 11598/85, Serie A, Nr. 232-A).

36 Die in Artikel 6 EMRK verankerten Garantien hätten aus drei Gründen beachtet werden müssen.

37 Zunächst habe die Entscheidung der Kommission strafrechtlichen Charakter (Berichte der Europäischen Kommission für Menschenrechte in den Rechtssachen Stenuit/Französischer Staat und M & Co./Deutschland). Die strafrechtliche Natur der Geldbussen folge aus ihrer repressiven Funktion, die durch die von der Kommission zum Zweck der Abschreckung vorgenommene öffentliche Bekanntmachung belegt werde.

38 Ferner hätten die strafrechtlichen Garantien, auch wenn die verhängte Sanktion keinen strafrechtlichen Charakter haben sollte, in einem mit einer Sanktion verbundenen Verwaltungsverfahren wie dem Verfahren vor der Kommission angewandt werden müssen. Die formale Einstufung der Sanktionen nach nationalem und - im vorliegenden Fall - Gemeinschaftsrecht sei insoweit unerheblich.

39 Aus Urteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (Urteile vom 8. Juni 1976 in der Rechtssache Engel u. a., Serie A, Nr. 22, vom 21. Februar 1984 in der Rechtssache Öztürk, Serie A, Nr. 73, und vom 28. Juni 1984 in der Rechtssache Campbell und Fell, Serie A, Nr. 80) gehe hervor, daß der grundlegende Anspruch auf einen gerechten Prozeß im vorliegenden Fall Anwendung finden könne, auch wenn die Kommission einem Gericht im Sinne von Artikel 6 EMRK nicht gleichgestellt worden sei (Urteile des Gerichtshofes vom 29. Oktober 1980 in den Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und 218/78, Van Landewyck u. a./Kommission, Slg. 1980, 3125, Randnrn. 79 bis 91, und vom 7. Juni 1983 in den Rechtssachen 100/80, 101/80, 102/80 und 103/80, Musique Diffusion française u. a./Kommission, Slg. 1983, 1825).

40 Die Parteilichkeit der Kommission könne schließlich durch die Möglichkeit einer späteren Klageerhebung bei einem Gericht mit unbeschränkter Nachprüfungsbefugnis geheilt werden (Urteil De Cubber). Dies sei hier jedoch nicht der Fall, weil die Nachprüfung durch das Gericht nach den Artikeln 172 und 173 des Vertrages keine unbeschränkte Nachprüfung darstelle, die im Sinne des Urteils De Cubber eine Überprüfung aller tatsächlichen und rechtlichen Feststellungen ermögliche.

41 Eine Klage gemäß Artikel 173 des Vertrages gestatte es dem Gericht nicht, den Sachverhalt oder die wirtschaftlichen Umstände zu beurteilen, die beim Erlaß streitiger Entscheidungen oder Empfehlungen herangezogen worden seien, sofern der Kommission nicht vorgeworfen werde, ihr Ermessen mißbraucht oder die Bestimmungen des Vertrages oder eine bei seiner Durchführung anzuwendende Rechtsnorm offensichtlich verletzt zu haben. Aus zwei Urteilen des Gerichtshofes (Urteile vom 11. Juli 1985 in der Rechtssache 42/84, Remia u. a./Kommission, Slg. 1985, 2545, Randnr. 34, und vom 15. Juni 1993 in der Rechtssache C-225/91, Matra/Kommission, Slg. 1993, I-3203, Randnr. 23) gehe hervor, daß die gerichtliche Überprüfung der Entscheidungen der Kommission auf der Grundlage von Artikel 173 des Vertrages eine blosse Rechtmässigkeitskontrolle sei, die den Erfordernissen der unbeschränkten Nachprüfung nicht genüge.

42 Die in Artikel 172 des Vertrages vorgesehene Nachprüfung von Geldbussen sei dem Wortlaut nach eine unbeschränkte Ermessensnachprüfung und stelle eine Erweiterung der Kontrollbefugnisse des Gemeinschaftsrichters im Rahmen der Nichtigkeitsklage dar (Urteil des Gerichtshofes vom 13. Juni 1958 in der Rechtssache 9/56, Meroni & Co. Industrie Metallurgiche/Hohe Behörde, Slg. 1958, 11).

43 Diese Kontrolle sei indessen keine unbeschränkte Nachprüfung im Sinne der EMRK, weil das Gericht zu ihrer Ausübung nur bei offensichtlicher Unbilligkeit (Urteil des Gerichtshofes vom 10. Dezember 1957 in der Rechtssache 8/56, ALMA/Hohe Behörde, Slg. 1957, 191, 202) oder bei einem wesentlichen Rechts- oder Tatsachenirrtum befugt sei (Schlussanträge von Generalanwalt Warner zum Urteil des Gerichtshofes vom 12. Juli 1979 in den Rechtssachen 32/78 und 36/78 bis 82/78, BMW Belgium u. a./Kommission, Slg. 1979, 2435, 2484).

44 Selbst wenn diese Kontrolle als unbeschränkte Nachprüfung anzusehen wäre, würde sie nicht für alle Bestandteile der angefochtenen Entscheidung gelten, wie es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte fordere. Die einzige mögliche Folge dieser Kontrolle sei nämlich die Änderung der verhängten Sanktion, ohne daß die Tatsachen und ihre Würdigung, auf die sich die Kommission bei der Ermittlung der Rechtsgrundlage für diese Sanktion gestützt habe, geprüft worden seien.

45 Mit dem zweiten Teil des Klagegrundes macht die Klägerin geltend, daß das Grundrecht auf ein unabhängiges und unparteiisches Gericht in den Mitgliedstaaten von jeher anerkannt werde.

46 Artikel F Absatz 2 des Vertrages über die Europäische Union schreibe die Anwendung der Grundrechte vor, wie sie sich aus den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten ergäben. Das Grundrecht auf ein unparteiisches Gericht werde aber in den Mitgliedstaaten bei den beiden im Urteil De Cubber unterschiedenen Verfahrensarten zur Kontrolle von Verstössen gegen das Wettbewerbsrecht anerkannt.

47 Bei der ersten Verfahrensart werde die Ermittlungsphase von Anfang an von der Entscheidung getrennt. Verschiedene nationale Systeme zur Kontrolle des Wettbewerbs, nämlich das französische, das griechische, das belgische, das portugiesische, das spanische, das dänische, das österreichische, das finnische und das schwedische System, führten diese Trennung von Ermittlung und Entscheidung durch. Einige, und zwar das belgische, das portugiesische, das spanische, das dänische und das schwedische System, gestatteten sogar in einer späteren Phase eine unbeschränkte Nachprüfung. Demgegenüber erlaube das Verfahren zur Anwendung des Wettbewerbsrechts im Vereinigten Königreich, in Irland, in Luxemburg und in den Niederlanden den mit dem Schutz des freien Wettbewerbs betrauten Stellen nicht die Verhängung von Geldbussen.

48 Die zweite Verfahrensart, die es in Deutschland und in Italien gebe, unterscheide nicht zwischen den Phasen der Ermittlung und der Entscheidung, sehe dann aber eine Klage mit wirklich unbeschränkter Nachprüfung vor, deren Merkmale sie mit Artikel 6 EMRK vereinbar machten.

49 In Anbetracht dessen schützten die Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten das Recht auf ein unparteiisches Gericht besser als die enge Auslegung von Artikel 6 EMRK durch den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte. Wenn daher das Gericht der Auffassung sein sollte, daß die Entscheidung das Recht auf ein unparteiisches Gericht nach Maßgabe der vom Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte aufgestellten Grundsätze beachte, könne es daraus nicht ableiten, daß sie das in den Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten verankerte und in den von ihnen geschaffenen Verfahren zur Anwendung des Wettbewerbsrechts zum Ausdruck kommende Recht auf ein unparteiisches Gericht gewährleiste.

50 Die Kommission ist erstens der Meinung, daß das gemeinschaftliche Wettbewerbsrecht nicht dem Strafrecht zuzuordnen sei und folglich nicht unter Artikel 6 Absatz 1 EMRK falle.

51 Zweitens könne sie nicht als Gericht im Sinne von Artikel 6 EMRK eingestuft werden.

52 Drittens lege die Klägerin Artikel 173 des Vertrages und die einschlägige Rechtsprechung falsch aus, wenn sie behaupte, daß das Urteil De Cubber des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte im Rahmen der Gemeinschaft nicht angewandt werden könne, weil es keine spätere Klagemöglichkeit vor einem Gericht gebe, das alle tatsächlichen Bestandteile der Entscheidung sowie deren Würdigung durch die Kommission heranziehe und überprüfe.

53 Artikel 173 ermächtige nämlich den Gemeinschaftsrichter, durch die Prüfung von Tatsachen- und Rechtsfehlern sowohl die Feststellung als auch die Beurteilung des Sachverhalts seitens der Kommission umfassend zu würdigen. Sodann müsse die Kommission, auch wenn der Gemeinschaftsrichter das Ermessen des Urhebers der Entscheidung nicht durch sein eigenes ersetzen könne, doch gemäß Artikel 176 des Vertrages die sich aus einer etwaigen Nichtigerklärung ergebenden Maßnahmen ergreifen (Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in den Rechtssachen T-68/89, T-77/89 und T-78/89, SIV u. a./Kommission, Slg. 1992, II-1403). Ausserdem habe die Europäische Kommission für Menschenrechte selbst die Auffassung vertreten, daß Artikel 173 ein Beispiel für eine begrenzte, aber doch übliche Kontrolle im Sinne von Artikel 6 EMRK darstelle (Bericht vom 17. Juli 1980 in der Rechtssache Kaplan, DR, Band 21, S. 66).

54 Bei der in Artikel 172 des Vertrages vorgesehenen Nachprüfung der Sanktion gehe der Gemeinschaftsrichter in der Praxis über die Kontrolle offenbarer Unbilligkeit (Urteil ALMA/Hohe Behörde) oder eines wesentlichen Irrtums (Schlussanträge von Generalanwalt Warner zum Urteil BMW Belgium u. a./Kommission) hinaus, denn er prüfe ferner u. a., ob die Geldbusse der Schwere der Zuwiderhandlung entspreche (Urteile des Gerichtshofes vom 12. Juli 1962 in der Rechtssache 16/61, Acciaierie Ferriere e Fonderie di Modena/Hohe Behörde, Slg. 1962, 583, 612 und 617, und vom 6. März 1974 in den Rechtssachen 6/73 und 7/73, Istituto Chemioterapico Italiano und Commercial Solvents/Kommission, Slg. 1974, 223, 260).

Würdigung durch das Gericht

55 Nach ständiger Rechtsprechung gehören die Grundrechte zu den allgemeinen Rechtsgrundsätzen, deren Wahrung der Gemeinschaftsrichter zu sichern hat (vgl. u. a. Gutachten 2/94 des Gerichtshofes vom 28. März 1996, Slg. 1996, I-1759, Randnr. 33, und Urteil des Gerichtshofes vom 29. Mai 1997 in der Rechtssache C-299/95, Kremzow, Slg. 1997, I-2629, Randnr. 14). Dabei lassen sich der Gerichtshof und das Gericht von den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten sowie von den Hinweisen leiten, die die völkerrechtlichen Verträge über den Schutz der Menschenrechte geben, an deren Abschluß die Mitgliedstaaten beteiligt waren oder denen sie beigetreten sind. Der EMRK kommt in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu (vgl. Urteile des Gerichtshofes vom 15. Mai 1986 in der Rechtssache 222/84, Johnston, Slg. 1986, 1651, Randnr. 18, und in der Rechtssache Kremzow, Randnr. 14). Ferner achtet die Union gemäß Artikel F Absatz 2 des Vertrages über die Europäische Union "die Grundrechte, wie sie in der [EMRK] gewährleistet sind und wie sie sich aus den gemeinsamen Verfassungsüberlieferungen der Mitgliedstaaten [ergeben,] als allgemeine Grundsätze des Gemeinschaftsrechts..."

56 Ferner kann die Kommission nach ständiger Rechtsprechung nicht als "Gericht" im Sinne von Artikel 6 EMRK betrachtet werden (Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 7). Daher ist das Vorbringen der Klägerin unerheblich, daß die Entscheidung allein deshalb rechtswidrig sei, weil sie im Rahmen eines Systems getroffen worden sei, in dem die Kommission sowohl die Anklage vorbringe als auch die Entscheidung treffe. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, daß die Kommission im Verwaltungsverfahren die durch das Gemeinschaftsrecht vorgesehenen Verfahrensgarantien beachten muß.

57 Die Klägerin trägt ausserdem vor, beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts könne die Parteilichkeit der Kommission nicht dadurch behoben werden, daß gegen die von ihr getroffene Entscheidung Klage vor einem Gericht erhoben werden könne, das zu unbeschränkter Nachprüfung befugt sei; dies stehe nicht im Einklang mit den Erfordernissen der EMRK.

58 Die Kommission hat nach dem Gemeinschaftsrecht eine Überwachungsaufgabe, die sich u. a. auf die Verfolgung von Zuwiderhandlungen gegen Artikel 85 Absatz 1 und Artikel 86 des Vertrages erstreckt.

59 Nach der Verordnung Nr. 17 ist sie ausserdem befugt, gegen Unternehmen und Unternehmensvereinigungen, die vorsätzlich oder fahrlässig gegen diese Bestimmungen verstossen haben, durch Entscheidung Geldbussen festzusetzen.

60 Das Erfordernis einer wirksamen gerichtlichen Überprüfung jeder Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung gegen die oben erwähnten Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft festgestellt und geahndet wird, stellt einen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts dar, der sich aus den gemeinsamen Verfassungstraditionen der Mitgliedstaaten ergibt (in diesem Sinne Urteil des Gerichts vom 27. Juni 1995 in der Rechtssache T-186/94, Guérin automobiles/Kommission, Slg. 1995, II-1753, Randnr. 23).

61 Vorliegend wurde nicht gegen diesen allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts verstossen.

62 Erstens ist das Gericht ein durch den Beschluß 88/591/EGKS, EWG, Euratom des Rates vom 24. Oktober 1988 zur Errichtung eines Gerichts erster Instanz der Europäischen Gemeinschaften (ABl. L 319, S. 1, berichtigt im ABl. 1989, L 241, S. 4) geschaffenes unabhängiges und unparteiisches Organ der Rechtspflege. Nach der dritten Begründungserwägung dieses Beschlusses wurde es u. a. zur Verbesserung des Rechtsschutzes des einzelnen bei Klagen errichtet, deren Entscheidung eine eingehende Prüfung komplexer Sachverhalte erfordert.

63 Zweitens übt das Gericht gemäß Artikel 3 Absatz 1 Buchstabe c dieses Beschlusses die Zuständigkeiten, die dem Gerichtshof durch die Verträge zur Gründung der Gemeinschaften und die zur Durchführung dieser Verträge erlassenen Rechtsakte übertragen worden sind, u. a. bei Klagen aus, "die von natürlichen oder juristischen Personen gemäß Artikel 173 Absatz 2... EWG-Vertrag gegen ein Organ der Gemeinschaften erhoben werden und die Anwendung der für Unternehmen geltenden Wettbewerbsvorschriften zum Gegenstand haben". Im Rahmen dieser auf Artikel 173 des Vertrages gestützten Klagen ist die Prüfung der Rechtmässigkeit einer Entscheidung der Kommission, mit der eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln festgestellt und aus diesem Grund gegen die betreffende natürliche oder juristische Person eine Geldbusse verhängt wird, als wirksame gerichtliche Überprüfung des fraglichen Rechtsakts anzusehen.Die Klagegründe, die die betreffende natürliche oder juristische Person zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung geltend machen kann, sind nämlich geeignet, dem Gericht die Beurteilung sowohl der rechtlichen als auch der sachlichen Begründetheit aller von der Kommission im Bereich des Wettbewerbs erhobenen Vorwürfe zu ermöglichen.

64 Drittens hat das Gericht gemäß Artikel 17 der Verordnung Nr. 17 bei "Klagen gegen Entscheidungen der Kommission, in denen eine Geldbusse oder ein Zwangsgeld festgesetzt ist,... die Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Entscheidung im Sinne von Artikel 172 des Vertrages... [und] kann die festgesetzte Geldbusse oder das festgesetzte Zwangsgeld aufheben, herabsetzen oder erhöhen". Folglich ist es für die Beurteilung der Frage zuständig, ob die verhängte finanzielle Sanktion in angemessenem Verhältnis zur Schwere der festgestellten Zuwiderhandlung steht.

65 Nach alledem ist der Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

B - Zum Klagegrund einer Verletzung der Verteidigungsrechte

Vorbringen der Parteien

66 Die Klägerin macht geltend, die Mitteilung der Beschwerdepunkte enthalte keine Beschreibung des räumlichen Marktes, innerhalb dessen ihr Zuwiderhandlungen gegen das Wettbewerbsrecht vorgeworfen würden. In diesem Schriftstück würden der spanische Markt nur einmal und der irische, der portugiesische und der griechische Markt überhaupt nicht erwähnt.

67 Sie habe dem entnommen, daß der spanische, der irische, der portugiesische und der griechische Markt von der Untersuchung nicht erfasst worden seien. Sie habe es daher nicht für notwendig gehalten, sich wegen der von der Kommission behaupteten Verstösse auf diesen räumlichen Märkten zu verteidigen.

68 Entgegen den Behauptungen der Kommission in ihren dem Gericht eingereichten Schriftsätzen habe die Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht "klar den spanischen und den irischen und teilweise den portugiesischen und den griechischen Markt (zumindest bezueglich des Informationsaustauschsystems)" erfasst. Mit dieser Erklärung erkenne die Kommission übrigens mittelbar an, daß sich das Kartell nicht auf den griechischen und den portugiesischen Markt erstreckt habe.

69 Genauer gesagt sei bezueglich der Erfassung des spanischen und des irischen Marktes der Hinweis der Kommission auf bestimmte Anlagen der Mitteilung der Beschwerdepunkte (Anlagen 5, 6, 18, 20 bis 22, 55, 56, 60, 71, 80, 81, 109, 110, 111 und 118) unerheblich, denn keine dieser Anlagen enthalte den geringsten Anhaltspunkt dafür, daß sich die gerügte Zuwiderhandlung auf die betreffenden Märkte erstreckt habe. Insbesondere bezögen sich die Anlagen 5, 6, 55, 56, 60 und 71 nicht auf Irland.

70 Hinsichtlich der angeblichen teilweisen Erfassung des portugiesischen und des griechischen Marktes erkenne die Kommission selbst an, daß in den Sitzungen der PG Karton nicht auf Fragen zum portugiesischen und zum griechischen Markt eingegangen worden sei. Darüber hinaus beträfen zahlreiche von der Kommission angeführte Anlagen diese Märkte nicht.

71 Die Indizien, die belegten, daß der spanische, der irische, der griechische und der portugiesische Markt von der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht erfasst worden seien, seien jedenfalls viel beweiskräftiger als die gegenteiligen Indizien, insbesondere und vor allem deshalb, weil die Kommission keines dieser vier Länder in ihre sehr eingehende Analyse der sieben Preisinitiativen in der Mitteilung der Beschwerdepunkte aufgenommen habe.

72 Ein Vergleich der zusammenfassenden Tabellen der Preisinitiativen im Anhang der Mitteilung der Beschwerdepunkte und der Entscheidung zeige, daß den Tabellen im Anhang der Entscheidung zwei kurze Fußnoten über die Preiserhöhungen in Spanien bei den Initiativen im Oktober 1989 (Initiative E) und im Januar 1991 (Initiative G) hinzugefügt worden seien. Nur die zweite dieser Fußnoten betreffe die Klägerin.

73 Keiner der vier genannten Märkte werde in der Entscheidung als Beispiel für die Umsetzung der Preisbeschlüsse der PG Karton auf den nationalen Märkten angeführt.

74 Da eine klare Angabe des relevanten räumlichen Marktes fehle, habe die Kommission ihre Pflicht zur angemessenen Festlegung des relevanten Marktes verletzt, obwohl das Gericht sie als allgemeinen Grundsatz bezeichnet habe (Urteil SIV u. a./Kommission, Randnr. 159).

75 In der Entscheidung heisse es, daß sich die Untersuchung und die Zuwiderhandlung auf die gesamte Gemeinschaft mit Ausnahme Portugals und Griechenlands erstreckt hätten (Randnr. 138 der Entscheidung), während die Mitteilung der Beschwerdepunkte zu der Annahme verleitet habe, daß auch Spanien und Irland nicht von den erhobenen Vorwürfen erfasst würden. Da in der Entscheidung Vorwürfe erhoben worden seien, zu denen die Klägerin nicht habe Stellung nehmen können, habe die Kommission gegen Artikel 4 der Verordnung Nr. 99/63/EWG der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze (1) und (2) der Verordnung Nr. 17 des Rates (ABl. 1963, Nr. 127, S. 2268; im folgenden: Verordnung Nr. 99/63) verstossen.

76 Die Kommission vertritt den Standpunkt, daß die Mitteilung der Beschwerdepunkte, worunter sowohl die Mitteilung an sich als auch ihre Anlagen zu verstehen seien, eindeutig den spanischen und den irischen Markt wegen aller Aspekte der Zuwiderhandlung und teilweise den portugiesischen und den griechischen Markt erfasse, weil die Beweisstücke für die Absprache in bezug auf diese beiden Märkte allein das Informationsaustauschsystem beträfen. Dem letzteren Umstand könne indessen nicht entnommen werden, daß sich das Kartell nicht auf die gesamte Gemeinschaft erstreckt habe. Einzuräumen sei lediglich, daß keine förmlichen Beweise dafür vorlägen, daß sich das Kartell auf diese Märkte erstreckt habe.

77 Wegen der räumlichen Ausdehnung der Zuwiderhandlung verweist die Kommission auf die Anlagen 5, 6, 18, 20 bis 22, 49, 55, 56, 60, 65, 71, 80, 81, 86, 88, 109, 110, 111, 117 und 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte. Angesichts dieser Schriftstücke sei ihr die Entscheidung der Klägerin, sich in diesem Punkt im Verwaltungsverfahren nicht zu verteidigen, nicht anzulasten.

78 Zu den Preisinitiativen macht die Kommission geltend, die vergleichende Analyse der zusammenfassenden Tabellen, die die Klägerin in ihren Schriftsätzen vorgelegt habe, sei offensichtlich unzutreffend, weil ihr die Informationen über die Preiserhöhungen vom Oktober 1989 und vom Januar 1991 vor dem Erlaß der Entscheidung mitgeteilt worden seien.

79 Die Definition des räumlich relevanten Marktes vor der Prüfung der Rechtmässigkeit eines bestimmten Verhaltens im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages sei im Rahmen der Beurteilung einer Wettbewerbsbeschränkung nicht erforderlich, wenn es wie im vorliegenden Fall auf der Hand liege, daß die Beteiligung fast aller im Gebiet der Gemeinschaft auf dem betreffenden Markt tätigen Unternehmen jede Anwendung der Geringfügigkeitsregel auf die Zuwiderhandlung ausschließe. Dem stehe das Urteil SIV u. a./Kommission nicht entgegen.

Würdigung durch das Gericht

80 Die Wahrung der Verteidigungsrechte stellt in allen Verfahren, die zu Sanktionen und insbesondere zu Geldbussen oder Zwangsgeldern führen können, einen tragenden Grundsatz des Gemeinschaftsrechts dar, der auch dann beachtet werden muß, wenn es sich um ein Verwaltungsverfahren handelt (Urteil des Gerichtshofes vom 13. Februar 1979 in der Rechtssache 85/76, Hoffmann-La Roche/Kommission, Slg. 1979, 461, Randnr. 9).

81 In Anwendung dieses Grundsatzes schreiben Artikel 19 Absatz 1 der Verordnung Nr. 17 und Artikel 4 der Verordnung Nr. 99/63 der Kommission vor, in ihrer Endentscheidung nur die Beschwerdepunkte in Betracht zu ziehen, zu denen sich die betroffenen Unternehmen äussern konnten.

82 In Artikel 1 siebter Gedankenstrich der Entscheidung wird den dort genannten Unternehmen vorgeworfen, gleichzeitige und einheitliche Preiserhöhungen "für die gesamte Gemeinschaft" geplant und durchgeführt zu haben.

83 Da die Klägerin vorträgt, daß in der Mitteilung der Beschwerdepunkte vier Mitgliedstaaten der Gemeinschaft, und zwar Spanien, Irland, Griechenland und Portugal, im Zusammenhang mit einer solchen Preisabsprache nicht erwähnt würden, ist zu prüfen, ob die Beschwerdepunkte im vorliegenden Fall, sei es auch nur in gedrängter Form, so klar abgefasst waren, daß die Klägerin die räumliche Ausdehnung dieser Absprache tatsächlich erkennen konnte. Nur unter dieser Voraussetzung konnte die Mitteilung der Beschwerdepunkte nämlich den ihr durch die Gemeinschaftsverordnungen zugewiesenen Zweck erfuellen, der darin besteht, den Unternehmen alle erforderlichen Angaben zur Verfügung zu stellen, damit sie sich sachgerecht verteidigen können, bevor die Kommission eine endgültige Entscheidung erlässt (vgl. u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 31. März 1993 in den Rechtssachen C-89/85, C-104/85, C-114/85, C-116/85, C-117/85 und C-125/85 bis C-129/85, Ahlström Osakeyhtiö u. a./Kommission, Slg. 1993, I-1307, Randnr. 42).

84 Die an die Klägerin gerichtete Mitteilung der Beschwerdepunkte besteht aus dem Grunddokument, den Anlagen und der Einzeldarstellung in bezug auf die Klägerin. Das Grunddokument enthält keinen verfügenden Teil, aber eine "Zusammenfassende Darstellung des Verstosses". Darin heisst es u. a., die Kartonhersteller und -lieferanten in der Gemeinschaft hätten in Absprache und Mittäterschaft unter Verletzung von Artikel 85 des Vertrages "gleichzeitige und einheitliche Preiserhöhungen in der gesamten Gemeinschaft geplant und vorgenommen". Es wird ausdrücklich darauf hingewiesen, daß die Zusammenfassung zusammen mit den detaillierten Beschwerdepunkten im übrigen Dokument gelesen werden müsse.

85 Eine Gesamtbetrachtung der Mitteilung der Beschwerdepunkte bestätigt, daß sich die gerügte Zuwiderhandlung nach Ansicht der Kommission auf die gesamte Gemeinschaft erstreckte. Insoweit kann die Prüfung der in der Mitteilung der Beschwerdepunkte enthaltenen Behauptungen in bezug auf die räumliche Ausdehnung der wettbewerbswidrigen Handlungen nicht auf die Preisabsprache beschränkt werden, denn aus der Mitteilung der Beschwerdepunkte (S. 83 bis 88) geht hervor, daß die wesentlichen Bestandteile des angeblichen "Preis-vor-Menge"-Systems eine Einschränkung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckt haben sollen.

86 Was die Prüfung des Sachverhalts anbelangt, so heisst es in der Mitteilung der Beschwerdepunkte (S. 37) zur Rolle des JMC bei der Preisabsprache:

"Das JMC erörterte Markt für Markt die detaillierte Durchführung der Preisbeschlüsse des Präsidentenausschusses. Seine Hauptaufgabe bestand darin, "herauszufinden, ob und wie Preiserhöhungen durchgesetzt werden können, und auf ein äquivalentes (d. h. einheitliches) Preissystem in Europa hinzuarbeiten"."

87 In bezug auf die Absprache über die Marktanteile wird ausgeführt (S. 51), sie habe sich "auf die Anteile, die jede der führenden Herstellergruppen in Westeuropa insgesamt innehatte", bezogen.

88 In diesem Punkt wird auf die Aussagen von Stora Bezug genommen, in denen es heisst (Anlage 43 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 1.1):

"Im PWG wurden die Marktanteile in Tonnagen erörtert. Primärfasersorten (GC- und UC-Sorten) und Sorten aus wiederverwendeten Fasern (GD- und UD-Sorten) wurden getrennt behandelt. Die Niveaus für Europa als Ganzes und für einzelne Länder wurden erörtert. "Europa" im Sinne der Erörterungen bedeutete EG- und EFTA-Länder."

89 Zur Preisabsprache enthält die Mitteilung der Beschwerdepunkte folgende Feststellungen (S. 69):

"Aus der verfügbaren Dokumentation geht... hervor, daß das sogenannte "System der äquivalenten oder europäischen Preise", mit dem überall in Europa gleichzeitig ähnliche Listenpreisniveaus eingeführt wurden, von den Herstellern befolgt wurde."

90 Im Rahmen der rechtlichen Würdigung wird in dem mit "Die Art des Verstosses im vorliegenden Fall" überschriebenen Abschnitt u. a. ausgeführt (S. 83):

"Hauptmerkmale dieses "Preis-vor-Menge-Systems" waren:

...

- periodische Durchführung abgesprochener Preisinitiativen mit gleichzeitigen und einheitlichen Preiserhöhungen seitens aller Hersteller auf jedem nationalen Markt;

- Einführung eines einheitlichen Preisfestsetzungssystems auf europaweiter Basis;

..."

91 Schließlich heisst es in dem mit "Wirkungen auf den Handel zwischen Mitgliedstaaten" überschriebenen Abschnitt der Mitteilung der Beschwerdepunkte (S. 88):

"Im vorliegenden Fall mussten die Absprachen, die sich praktisch auf den gesamten Handel der Gemeinschaft (und anderer westeuropäischer Länder) mit einem wichtigen Industrieprodukt erstreckten, angesichts ihrer allumfassenden Natur zwangsläufig dazu führen, daß sich die Handelsströme anders entwickelten, als dies ohne die Absprachen der Fall gewesen wäre..."

92 Die im Text der Mitteilung der Beschwerdepunkte selbst enthaltenen Angaben zur räumlichen Ausdehnung der gerügten Zuwiderhandlung werden in diesem Dokument durch die wichtigsten Beweismittel der Kommission - die Aussagen von Stora - bestätigt. Nach diesen Aussagen erstreckte sich das wettbewerbswidrige Preisverhalten zumindest auf die gesamte Gemeinschaft. So führt Stora z. B. in bezug auf zwei 1988 beschlossene Preiserhöhungsinitiativen aus: "Es wurde Einigkeit über die Vornahme (im Jahr 1988) von zwei Preiserhöhungen auf dem gesamten EG-Markt erzielt" (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 4). Des weiteren hat Stora, wie bereits dargelegt (siehe oben, Randnr. 88), angegeben, daß sich die Absprache über die Marktanteile auf ganz Europa bezogen habe.

93 Unter diesen Umständen ist davon auszugehen, daß die Mitteilung der Beschwerdepunkte in bezug auf die Erstreckung der Absprachen auf die gesamte Gemeinschaft der oben erwähnten Verpflichtung zur Klarheit genügt. Somit ist die blosse Tatsache, daß einige Länder der Gemeinschaft nicht ausdrücklich genannt wurden, unerheblich.

94 Die Kommission war im vorliegenden Fall auch nicht verpflichtet, vor der Feststellung der Wettbewerbsbeschränkung den räumlichen Markt zu definieren, auf dem diese stattfand (siehe unten, Randnrn. 231 ff.).

95 Da nach den Angaben der Klägerin, die sie in Beantwortung einer schriftlichen Frage des Gerichts gemacht hat, der spanische Markt ihr Hauptabsatzgebiet war, ist jedoch darauf hinzuweisen, daß sich mehrere der in der Mitteilung der Beschwerdepunkte erwähnten und ihr als Anlage beigefügten Schriftstücke ausdrücklich auf den spanischen Markt beziehen (Anlagen 109, 110, 111, 117 und Schemata E und G).

96 Insbesondere Anlage 109 wird in der Mitteilung der Beschwerdepunkte (S. 55) mit folgenden Worten erläutert:

"Die auf dem Meeting [des JMC vom 16. Oktober 1989] anwesenden Hersteller... berichteten über die Durchsetzung der (für die meisten Länder) zum 1. Oktober 1989 angekündigten Preiserhöhung."

97 Der spanische Markt gehört aber zu den in Anlage 109 ausdrücklich erwähnten nationalen Märkten:

"c) Spanien

Preiserhöhung ist angekündigt und kann ohne grössere Probleme durchgeführt werden."

98 Ausserdem wird in Schema E, das die Preisinitiativen vom Oktober 1989 betrifft, Anlage 111 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, eine von Rena erlangte Preisliste, kommentiert und teilweise wiedergegeben. Diese Liste wird zwar als Anlage 110 der Mitteilung der Beschwerdepunkte bezeichnet, aber ein aufmerksamer Leser musste erkennen, daß es sich in Wirklichkeit um Anlage 111 handelt.

99 Die wiedergegebenen Angaben betreffen die Preise pro Kartonsorte und Land sowie den Zeitpunkt der Ankündigung der Preiserhöhung; das Schriftstück enthält ausdrückliche Angaben zum nationalen spanischen Markt

100 Schließlich heisst es in Schema E:

"Einzelheiten der Preiserhöhungen der einzelnen Hersteller sind der Tabelle E zu entnehmen.

(N. B.: Finnboard, Feldmühle und Kopparfors haben ihre Preise in Spanien um die in Anlage 117 genannten Beträge erhöht.)"

101 Auch wenn die Verweisung auf Anlage 117 der Mitteilung der Beschwerdepunkte ein bedauerlicher Fehler ist, da es sich bei der fraglichen Anlage in Wirklichkeit um Anlage 111 handelt, ist festzustellen, daß der nationale spanische Markt in Schema E ausdrücklich erwähnt wird.

102 Schließlich enthält Schema G (S. 4), das die Preisinitiativen vom Januar 1991 betrifft, folgenden Hinweis:

"Über die Preiserhöhungen der einzelnen Hersteller gibt Tabelle G Aufschluß.

N. B.: Man achte darauf, daß die wesentlichen, den spanischen Markt beliefernden Hersteller (Cascades, Finnboard, Iggesund, Tampella Española, Feldmühle) alle eine Steigerung von 5 Ptas je kg angekündigt haben."

103 Im Ergebnis kann die Klägerin in Anbetracht dessen keine Verletzung ihrer Verteidigungsrechte geltend machen.

104 Der Klagegrund ist daher zurückzuweisen.

C - Zum Klagegrund eines Verstosses gegen Artikel 190 des Vertrages

Vorbringen der Parteien

105 Unter Hinweis auf die Relativität des Begründungserfordernisses (Schlussanträge von Generalanwalt Van Gerven zum Urteil des Gerichtshofes vom 15. Juni 1994 in der Rechtssache C-137/92 P, Kommission/BASF, Slg. 1994, I-2555, I-2559, I-2572) macht die Klägerin geltend, daß die Pflicht zur Begründung einer Entscheidung, mit der Geldbussen festgelegt würden, eng auszulegen sei, insbesondere wenn die Entscheidung der Kommission erheblich weiter gehe als frühere Entscheidungen (Urteil des Gerichtshofes vom 26. November 1975 in der Rechtssache 73/74, Groupement des fabricants de papiers peints de Belgique u. a./Kommission, Slg. 1975, 1491).

106 Im vorliegenden Fall habe die Kommission in der Entscheidung die tatsächlichen und rechtlichen Erwägungen, die sie zu deren Erlaß bewogen hätten, in bezug auf die Klägerin nicht klar und schlüssig dargelegt. Weder die Klägerin noch das Gericht sei daher in der Lage, ihre Argumentation im einzelnen nachzuvollziehen. Dies gelte insbesondere für die Definition des räumlich relevanten Marktes und die Beurteilung der Beteiligung der Klägerin an den angeblichen Zuwiderhandlungen.

107 Schließlich habe die Kommission ihre Begründungspflicht bezueglich der Bestimmung der Höhe der Geldbussen verletzt.

108 Die Kommission macht geltend, daß der Klagegrund zurückzuweisen sei, weil er sich nur auf eine allgemeine Berufung auf Artikel 190 des Vertrages stütze. Er entbehre jedenfalls der Grundlage, da die Entscheidung ausreichend begründet sei.

Würdigung durch das Gericht

109 Nach ständiger Rechtsprechung hat die Pflicht zur Begründung von Einzelfallentscheidungen den Zweck, dem Gemeinschaftsrichter die Überprüfung der Entscheidung auf ihre Rechtmässigkeit hin zu ermöglichen und den Betroffenen so ausreichend zu unterrichten, daß er erkennen kann, ob die Entscheidung zutreffend begründet oder eventuell mit einem Mangel behaftet ist, der ihre Anfechtung ermöglicht; dabei hängt der Umfang der Begründungspflicht von der Art des fraglichen Rechtsakts und den Umständen ab, unter denen er erlassen wurde (vgl. u. a. Urteil des Gerichts vom 11. Dezember 1996 in der Rechtssache T-49/95, Van Megen Sports/Kommission, Slg. 1996, II-1799, Randnr. 51). Die Kommission hat zwar gemäß Artikel 190 des Vertrages die sachlichen und rechtlichen Gesichtspunkte, von denen die Rechtmässigkeit der Entscheidung abhängt, sowie die Erwägungen anzugeben, die sie zu ihrem Erlaß veranlasst haben; sie braucht jedoch nicht auf alle sachlichen und rechtlichen Fragen einzugehen, die während des Verwaltungsverfahrens aufgeworfen wurden (vgl. u. a. Urteil Van Landewyck u. a./Kommission, Randnr. 66).

110 Im vorliegenden Fall wird in der Entscheidung im Zusammenhang mit der Beschreibung der abgestimmten Preiserhöhungen (Randnrn. 77 und 89) unmittelbar auf die Klägerin Bezug genommen. Ausserdem beziehen sich die Randnummern der Entscheidung, in denen die wettbewerbsfeindlichen Gespräche im JMC beschrieben werden (insbesondere Randnrn. 44 bis 46, 58, 71, 73, 84, 85 und 87), zwangsläufig auf die Klägerin, die ihre Teilnahme an den Sitzungen dieses Gremiums nicht leugnet. Schließlich werden in der Entscheidung die Erwägungen, aus denen die Kommission von ihrer Mitwirkung an einem Gesamtkartell ausging, klar dargestellt (Randnrn. 116 bis 119).

111 Unter diesen Umständen enthält die Begründung der Entscheidung hinreichende Anhaltspunkte, denen die Klägerin die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte entnehmen konnte, die die Kommission dazu veranlassten, sie für eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verantwortlich zu machen.

112 Was die Begründung anbelangt, die sich auf den von der Entscheidung erfassten räumlichen Markt bezieht, so genügt die Feststellung, daß nicht nur im verfügenden Teil (Artikel 1), sondern auch in ihren Gründen (u. a. in Randnr. 2, dritter und fünfter Gedankenstrich, Randnr. 44 Absatz 2, zweiter Gedankenstrich, Randnr. 52 und Randnr. 76 Absatz 1) von wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen in der gesamten Gemeinschaft die Rede ist.

113 Unter diesen Umständen kann dem Vorbringen der Klägerin, daß die Begründung in diesem Punkt unzureichend sei, nicht gefolgt werden.

114 Schließlich ist hinsichtlich der angeblichen Verletzung der Begründungspflicht bei der Bestimmung der Höhe der Geldbussen festzustellen, daß eine solche Verletzung, selbst wenn sie erwiesen wäre, die Rechtmässigkeit von Artikel 3 der Entscheidung, in dem gegen die Klägerin eine Geldbusse festgesetzt wird, nicht beeinträchtigen könnte. Das fragliche Vorbringen ist daher zusammen mit den Klagegründen zu prüfen, die zur Stützung des Antrags auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbusse geltend gemacht werden (siehe unten, Randnrn. 238 ff.).

115 Folglich ist der Klagegrund als unbegründet zurückzuweisen.

D - Zum Klagegrund einer falschen Anwendung von Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages auf die Handlungen der Klägerin

Vorbringen der Parteien

116 Dieser Klagegrund gliedert sich in vier Teile.

117 Mit dem ersten Teil bestreitet die Klägerin jegliche Beteiligung an einem Gesamtplan zur Einschränkung des Wettbewerbs.

118 Sie habe in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte eingeräumt, Mitglied der PG Karton gewesen zu sein und an den Sitzungen einiger Gremien der PG Karton sowie am Informationsaustauschsystem der FIDES teilgenommen zu haben. Die wettbewerbsbeschränkende Wirkung der gelieferten Informationen sei ihr indessen nicht bewusst gewesen.

119 Ihre Beteiligung an einem Gesamtplan zur Einschränkung des Wettbewerbs könne nicht aus ihrer begrenzten Mitwirkung in Gremien der PG Karton und am Informationsaustausch in diesem Rahmen abgeleitet werden. Im übrigen stelle die Kommission ihre Mitwirkung in Gremien der PG Karton zu Unrecht einer Beteiligung am Kartell selbst gleich, indem sie in ihrer Klagebeantwortung von "Kartellgremien" spreche.

120 Die Kommission habe keine glaubwürdigen und schlüssigen Beweise für die Verbindung zwischen der Klägerin und dem gemeinsamen System geliefert. Da die Klägerin in keinem der in der Entscheidung als Beweis angeführten Schriftstücke erwähnt werde, könnten nur der Besuch von Sitzungen und die Beteiligung an einem Informationsaustausch als erwiesen betrachtet werden. Insoweit bestehe ein Unterschied zwischen einer Beteiligung an einem Gesamtplan zur Einschränkung des Wettbewerbs und der Teilnahme an bestimmten Handlungen, die im Rahmen dieses Planes weniger schwerwiegende Zuwiderhandlungen darstellen könnten (Besuch von Sitzungen und Beteiligung am Informationsaustausch).

121 Die von der Kommission zum Nachweis der Beteiligung jedes einzelnen Adressaten der Entscheidung am Kartell herangezogene Methode (Randnrn. 116 bis 121 der Entscheidung) führe bei einer Anwendung auf den Fall der Klägerin zu dem Ergebnis, daß sie an dem angeblichen gemeinsamen System nicht teilgenommen habe. Keines der in der Entscheidung angeführten Beweisstücke könne eine Verbindung zwischen ihr und der Absprache belegen.

122 Mit dem zweiten Teil des Klagegrundes macht die Klägerin geltend, sie habe sich nicht an den auf der Sitzung des JMC vom 6. September 1990 vereinbarten Preiserhöhungen (Randnr. 89 der Entscheidung) beteiligt. Wie in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte (Abschnitt 5.2.2, insbesondere 5.2.2.1) dargelegt, sei ihre Beteiligung an Preisabsprachen und deren Durchführung nicht bewiesen.

123 Darüber hinaus enthalte weder die Entscheidung noch die Mitteilung der Beschwerdepunkte das geringste Indiz für ihre Beteiligung an der Kontrolle der Durchführung von Preiserhöhungen.

124 In ihrer Erwiderung stellt die Klägerin klar, daß zunächst ihre Behauptung, nicht an Preisabsprachen beteiligt gewesen zu sein, so verstanden werden müsse, daß sie keine Verpflichtung übernommen habe, ein bestimmtes Preisniveau einzuhalten, was aber nicht bedeute, daß ihr die Absprachen, die insoweit von den grossen Herstellern vermutlich auf Sitzungen des PWG getroffen worden seien, nicht bekannt gewesen seien. Ferner müsse berücksichtigt werden, daß sie stets eine andere Geschäftspolitik als ihre Konkurrenten verfolgt habe.

125 Mit dem dritten Teil des Klagegrundes macht die Klägerin geltend, sie habe sich weder an einer Absprache über die Kontrolle der Produktionsmengen noch an einer Absprache über die Marktanteile beteiligt.

126 Der Entscheidung zufolge (Randnrn. 51 ff.) sei in der PG Karton ein Mechanismus zur Kontrolle der Preise und Produktionsmenge geschaffen worden, der auf einer angeblichen "Preis-vor-Menge"-Politik beruht haben solle. Ferner heisse es dort (Randnr. 58), daß den kleineren Kartonherstellern, obgleich sie nicht im einzelnen über die Gespräche im PWG betreffend die Marktanteile unterrichtet gewesen seien, im Rahmen der "Preis-vor-Menge"-Politik, an die sie sich alle gehalten hätten, sehr wohl bekannt gewesen sei, daß sich die führenden Hersteller darauf verständigt hätten, das Angebot auf einem konstanten Niveau zu halten, und daß ihnen auch die Notwendigkeit bewusst gewesen sei, ihr eigenes Verhalten entsprechend anzupassen.

127 Es gebe jedoch bezueglich der Klägerin keinen Beweis für diese Behauptung. Ihre Geschäftspolitik habe, wie in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte dargelegt, im Gegenteil stets darin bestanden, die Menge der Erzeugnisse auf dem Markt zu vergrössern, selbst wenn dies ihre Gewinnspanne bei den erzielten Preisen geschmälert habe.

128 Ausserdem lege ihr die Kommission zu Unrecht eine Beteiligung an den Absprachen über die Abstellzeiten und die Marktanteile zur Last. Wie die Kommission in Randnummer 116 der Entscheidung einräume, hätten nur die grossen Hersteller Absprachen über Produktionsmengen und Marktanteile getroffen.

129 Auch für den Vorwurf der Marktaufteilung gebe es in der Entscheidung weder einen Beweis noch auch nur eine Stütze. Im übrigen belege schon allein die Entwicklung ihres Absatzes auf den Gemeinschaftsmärkten, daß dieser Vorwurf in bezug auf sie unbegründet sei.

130 Mit dem vierten Teil des Klagegrundes macht die Klägerin schließlich geltend, daß nähere Angaben zum räumlich relevanten Markt nicht nur in der Mitteilung der Beschwerdepunkte (siehe oben, Randnrn. 66 ff.), sondern auch in der Entscheidung fehlten. Auf die Grenzen dieses räumlichen Marktes werde lediglich in Randnummer 138 der Entscheidung eingegangen, in der eingeräumt werde, daß auf dem portugiesischen und dem griechischen Markt keine Zuwiderhandlungen begangen worden seien. Diese Randnummer stehe indessen in Widerspruch zu Randnummer 61, in der es heisse, daß das Informationsaustauschsystem der FIDES ganz Europa abgedeckt habe.

131 Die Frage der Definition des räumlich relevanten Marktes sei für das Vorliegen oder Nichtvorliegen einer Zuwiderhandlung und für deren Schwere und Tragweite von wesentlicher Bedeutung. Die Klägerin sei nur geringfügig an der Zuwiderhandlung beteiligt gewesen, weil der spanische, der portugiesische, der griechische und der irische Markt, auf denen sie überwiegend tätig sei, nicht in das Verfahren einbezogen seien.

132 Ausserdem würden der spanische und der irische Markt anscheinend als Teil des räumlich relevanten Marktes angesehen (Randnr. 72 der Entscheidung), obwohl die meisten in der Entscheidung angeführten Beweise sich überhaupt nicht auf diese nationalen Märkte bezögen. Insbesondere bezögen sich die von der Kommission für das Vorliegen einer Absprache über die Preiserhöhungen vorgelegten Beweise nur bei den Preiserhöhungen vom Oktober 1989, April 1990 und Januar 1991 auf den spanischen und den irischen Markt.

133 Die Kommission bestreitet die Zulässigkeit des Vorbringens der Klägerin in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte, weil dessen Erheblichkeit für die Anfechtung der Entscheidung nicht feststehe.

134 Sodann führt sie zum ersten Teil des Klagegrundes aus, das richtige Vorgehen bestehe in einem Fall wie dem vorliegenden darin, zuerst die Existenz und das Funktionieren sowie die wesentlichen Merkmale des Kartells als Ganzes zu ermitteln und dann zu bestimmen, ob es glaubwürdige und überzeugende Nachweise gebe, um jeden einzelnen Hersteller mit dem gemeinsamen Plan in Verbindung zu bringen und bei jedem die Dauer der Beteiligung festzustellen. Gemäß Randnummer 116 Absatz 2 der Entscheidung seien die Preisabsprachen und die Produktionskontrollen untrennbar miteinander verbundene Aspekte ein und desselben Gesamtplans gewesen.

135 Es sei zu vermuten, daß sich jeder Hersteller, der Mitglied der PG Karton und in deren verschiedenen Ausschüssen vertreten gewesen sei, am Kartell beteiligt habe, weil die PG Karton als solche einen grundsätzlich rechtswidrigen Zweck verfolgt habe. PWG und JMC hätten sich fast ausschließlich mit der Preisfestsetzung und der Marktaufteilung befasst.

136 Im übrigen gebe es zahlreiche unmittelbare Beweise für die Beteiligung der Klägerin an der Zuwiderhandlung, wie die Entscheidung und die Anlagen der Mitteilung der Beschwerdepunkte zeigten. Die Klägerin werde in den wichtigsten Schriftstücken genannt, die die Existenz des Kartells als Ganzes oder seiner einzelnen Erscheinungsformen belegten.

137 Zum zweiten Teil des Klagegrundes trägt die Kommission vor, die Beteiligung der Klägerin an einer Preisabsprache sei erwiesen. Durch ihre Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte werde ihre Beteiligung an der Preisabsprache nur bestätigt, weil ihre Teilnahme an den Gremien des Kartells es ihr unmöglich mache, die angebliche Verzögerung bei der Ankündigung der Preise mit einer klugen Anpassung an die Marktbedingungen zu rechtfertigen.

138 Zum dritten Teil des Klagegrundes führt die Kommission aus, die Klägerin leugne ihre Beteiligung an den Hauptgremien des Kartells mit Ausnahme des PWG nicht, und in bezug auf diese Organe sei das Vorliegen der der Klägerin zur Last gelegten Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise nachgewiesen worden (vgl. u. a. Randnrn. 111 bis 113 der Entscheidung). Es bedürfe somit nicht unbedingt direkter Beweise dafür, daß jeder mutmaßliche Teilnehmer jedem einzelnen Aspekt oder jeder einzelnen Handlung des Kartells während dessen Existenz ausdrücklich zugestimmt oder entsprechend gehandelt habe (Randnr. 116 der Entscheidung). Materiell-rechtliche und praktische Gründe sprächen gegen ein solches Einzelvorgehen, da der Verstoß im wesentlichen in einem mehrere Jahre dauernden Zusammengehen der Hersteller bei einem gemeinsamen gesetzwidrigen Vorhaben nach einem gemeinsamen Plan bestehe (a. a. O.).

139 Auch wenn die grossen Hersteller insbesondere die Marktanteile und Produktionsunterbrechungen im PWG untereinander erörtert hätten, bedeute das nicht, daß die kleinen Hersteller in diesen Teil der Zuwiderhandlung nicht verwickelt gewesen seien. Die Politik der Marktaufteilung innerhalb des PWG sei ihnen nämlich bekannt gewesen und von ihnen gebilligt worden (Randnr. 58 der Entscheidung), sie hätten die praktische Durchführung des Systems der Kontrolle der Produktionsmengen und Marktanteile durch die Lieferung nützlicher Informationen an die FIDES erleichtert und seien im JMC über die geplanten Abstellzeiten informiert worden (Randnr. 71 der Entscheidung).

140 Schließlich sei auch der vierte Teil des Klagegrundes zurückzuweisen.

141 Insoweit sei im wesentlichen auf bisheriges Vorbringen zu verweisen (siehe oben, Randnrn. 76 ff.). Es sei jedoch hinzuzufügen, daß es in Randnummer 138 der Entscheidung heisse, daß keine verläßlichen Beweise für Preisabsprachen in Griechenland und Portugal vorlägen, und nicht, daß es in diesen Ländern keine Zuwiderhandlungen gegeben habe. Auch der von der Klägerin behauptete Widerspruch zwischen der Erstreckung des Informationsaustauschs im Rahmen der FIDES auf ganz Europa und dem Fehlen von Beweisen für Preisabsprachen in Griechenland und Portugal bestehe nicht.

Würdigung durch das Gericht

142 Zunächst sind die ersten drei Teile des Klagegrundes, die auf die fehlende Beteiligung der Klägerin an der in Artikel 1 der Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlung gestützt werden, zusammen zu prüfen. Der vierte Teil, der darauf gestützt wird, daß der räumliche Markt nicht genau genug definiert worden sei, wird gesondert geprüft.

Zu den ersten drei Teilen des Klagegrundes, die auf die fehlende Beteiligung der Klägerin an der in Artikel 1 der Entscheidung festgestellten Zuwiderhandlung gestützt werden

143 Einleitend ist darauf hinzuweisen, daß gemäß Artikel 44 § 1 Buchstabe c der Verfahrensordnung jede Klageschrift den Streitgegenstand und eine kurze Darstellung der Klagegründe enthalten muß. Diese Angaben müssen so klar und genau sein, daß dem Beklagten die Vorbereitung seiner Verteidigung und dem Gericht die Entscheidung über die Klage, gegebenenfalls auch ohne weitere Informationen, ermöglicht wird. Um die Rechtssicherheit und eine ordnungsgemässe Rechtspflege zu gewährleisten, ist es für die Zulässigkeit einer Klage erforderlich, daß die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Umstände, auf denen die Klage beruht, zumindest in gedrängter Form, jedenfalls aber zusammenhängend und verständlich, aus dem Wortlaut der Klageschrift selbst hervorgehen (vgl. u. a. Beschluß des Gerichts vom 29. November 1993 in der Rechtssache T-56/92, Kölman/Kommission, Slg. 1993, II-1267, Randnr. 21).

144 Im vorliegenden Fall macht die Klägerin durch die Bezugnahme auf Ausführungen in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte keine Klagegründe oder Argumente geltend, die sich von den in der Klageschrift vorgetragenen unterscheiden. Die Bezugnahme in der Klageschrift auf einige Ausführungen in der Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte soll somit nur den Inhalt der Klageschrift selbst in bestimmten Punkten untermauern und vervollständigen. Unter diesen Umständen ist das Vorbringen der Klägerin im Rahmen des vorliegenden Klagegrundes als zulässig anzusehen.

145 Erstens ist zu prüfen, ob die Kommission die Beteiligung der Klägerin an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages für den Zeitraum von März 1988 bis Februar 1989, als die Klägerin nach eigenem Bekunden mit der Teilnahme an den Sitzungen des JMC begann, nachgewiesen hat. Sodann ist zu prüfen, ob die Kommission die Beteiligung der Klägerin an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages für den verbleibenden Zeitraum von Februar 1989 bis April 1991 nachgewiesen hat.

1. Zeitraum von März 1988 bis Februar 1989

146 Randnummer 162 Absatz 4 der Entscheidung lautet:

"Enso Española begann 1987, regelmässig an Sitzungen eines Ausschusses der PG Karton (Wirtschaftliche Kommission) teilzunehmen. Die erste Präsidentenkonferenz, an der sie teilnahm, war die vom 25. Mai 1988. Sie behauptet, erst ab Februar 1989 an den JMC-Sitzungen teilgenommen zu haben. Tampella Española nahm jedoch an der ersten Preisinitiative von 1988 teil, und als Beginn ihrer tatsächlichen Mitwirkung an dem Verstoß kann etwa dieser Zeitpunkt angesetzt werden."

147 Zum Beweis für die Beteiligung der Klägerin an einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft im zu prüfenden Zeitraum stützt sich die Kommission auf die Teilnahme dieses Unternehmens an den Sitzungen der PK vom 25. Mai und 17. November 1988 (Tabelle 3 im Anhang der Entscheidung), auf seine Teilnahme an der Sitzung der WK vom 3. Mai 1988 (Tabelle 6 im Anhang der Entscheidung) und schließlich auf sein tatsächliches Preisverhalten.

148 Diese Beweismittel sind in der genannten Reihenfolge zu prüfen.

a) Teilnahme der Klägerin an bestimmten Sitzungen der PK

149 Die Kommission legt keinen Beweis für den Gegenstand der zwei Sitzungen der PK vor, an denen die Klägerin teilgenommen hat. Wenn sie diese Teilnahme als Beweis für die Beteiligung des Unternehmens an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages heranzieht, stützt sie sich daher zwangsläufig auf die in der Entscheidung enthaltene allgemeine Beschreibung des Gegenstands der Sitzungen dieses Gremiums sowie auf die in der Entscheidung zur Untermauerung dieser Beschreibung angeführten Beweismittel.

150 Hierzu heisst es in der Entscheidung: "Wie Stora erläuterte, gehörte es zu den Aufgaben des PWG, der Präsidentenkonferenz zu erklären, welche Maßnahmen erforderlich waren, um den Markt in Ordnung zu bringen... Auf diese Weise wurden die an den Sitzungen der Präsidentenkonferenz teilnehmenden Direktoren über die Beschlüsse des PWG und die Anweisungen, die ihren Vertriebsabteilungen zwecks Durchführung der vereinbarten Preisinitiativen zu erteilen waren, unterrichtet" (Randnr. 41 Absatz 1). Ferner heisst es dort: "Der PWG tagte regelmässig vor den anberaumten Präsidentenkonferenzen, und da die gleiche Person den Vorsitz auf beiden Treffen führte, besteht kein Zweifel, daß sie die Ergebnisse der PWG-Sitzung anderen sogenannten "Präsidenten", die nicht Mitglied des inneren Kreises waren, mitteilte" (Randnr. 38 Absatz 2).

151 Stora gibt an, daß die Teilnehmer an den Sitzungen der PK über die vom PWG getroffenen Beschlüsse informiert worden seien (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 8). Die Richtigkeit dieser Behauptung wird jedoch von mehreren Unternehmen, die an den Sitzungen der PK teilnahmen, in Abrede gestellt. Insbesondere wird sie von der Klägerin implizit in Abrede gestellt, da diese ihre Beteiligung an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages bestreitet. Folglich können die Aussagen von Stora zur Rolle der PK ohne Untermauerung durch andere Beweismittel nicht als hinreichender Beleg für den Gegenstand der Sitzungen dieses Gremiums angesehen werden.

152 Die Akten enthalten zwar ein Schriftstück, nämlich eine Erklärung eines früheren Vorstandsmitglieds von Feldmühle (Herrn Roos) vom 22. März 1993, das auf den ersten Blick die Angaben von Stora bestätigt. Herr Roos führt u. a. aus: "Der Inhalt der in der Presidents Working Group geführten Gespräche wurde an in dieser Gruppe nicht vertretene Unternehmen in der darauffolgenden Präsidentenkonferenz oder, wenn keine Präsidentenkonferenz anschließend stattfand, über das Joint Marketing Committee übermittelt." Unabhängig davon, daß dieses Schriftstück in der Entscheidung nicht ausdrücklich zur Stützung der Behauptungen der Kommission zum Gegenstand der Sitzungen der PK herangezogen wird, kann es jedenfalls nicht als zusätzlicher Beweis angesehen werden, der zu den Aussagen von Stora hinzukommt. Da diese Aussagen nämlich eine Zusammenfassung der Antworten aller drei Unternehmen darstellen, die Stora während des Zeitraums der Zuwiderhandlung gehörten und zu denen Feldmühle zählt, war das frühere Vorstandsmitglied des letztgenannten Unternehmens zwangsläufig eine der Quellen der Aussagen von Stora selbst.

153 Die Kommission macht in der Entscheidung geltend, daß Anlage 61 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, eine beim Verkaufsagenten von Mayr-Melnhof im Vereinigten Königreich gefundene Notiz, die sich auf eine Sitzung in Wien am 12. und 13. Dezember 1986 bezieht, eine "Bestätigung für die Aussage von Stora, daß in der Präsidentenkonferenz tatsächlich über Preisabsprachen geredet wurde, liefert" (Randnrn. 41 Absatz 3 und 75 Absatz 2). Dieses Schriftstück enthält folgende Angaben:

"Preisfestsetzung VK

An der letzten FIDES-Sitzung nahm der Vertreter von Weig teil, der erklärte, daß sie 9 % für das VK für zu hoch halten und sich mit 7 % zufriedengeben!! Grosse Enttäuschung, da dies eine "Verhandlungsmarge" für alle anderen signalisiert. Die Preispolitik im VK bleibt RHU mit Unterstützung durch [Mayr-Melnhof] überlassen, selbst wenn dies eine vorübergehende Verringerung der Tonnage bedeutet, während wir versuchen (und dies auch deutlich machen), auf 9 % zu kommen. [Mayr-Melnhof/FS] behalten eine Wachstumspolitik im VK bei, aber der Rückgang der Erträge ist ernst, und wir müssen kämpfen, um die Kontrolle über die Preisfestsetzung zurückzugewinnen. [Mayr-Melnhof] räumt ein, daß es nicht hilfreich ist, daß sie bekanntermassen ihre Tonnage in Deutschland um 6 000 erhöht haben!"

FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM: 694A0348.1

154 Bei der "FIDES-Sitzung", auf die am Anfang des Zitats Bezug genommen wird, handelt es sich nach Angaben von Mayr-Melnhof (Antwort auf ein Auskunftsverlangen, Anlage 62 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) wahrscheinlich um das Treffen der PK am 10. November 1986, an dem die Klägerin nach der Tabelle 3 im Anhang der Entscheidung nicht teilnahm.

155 Das analysierte Schriftstück zeigt, daß Weig mit Angaben über ihre künftige Preispolitik im Vereinigten Königreich auf das ursprüngliche Ausmaß einer Preiserhöhung reagierte.

156 Es kann jedoch nicht als Beweis dafür angesehen werden, daß Weig auf ein bestimmtes Ausmaß einer Preiserhöhung reagierte, das zwischen den der PG Karton angehörenden Unternehmen vor dem 10. November 1986 vereinbart worden war.

157 Die Kommission beruft sich nämlich insoweit auf kein anderes Beweismittel. Ausserdem kann die Bezugnahme von Weig auf eine Preiserhöhung um "9 %" damit zu erklären sein, daß Thames Board Ltd am 5. November 1986 eine Preiserhöhung im Vereinigten Königreich ankündigte (Anlage A-12-1). Diese Ankündigung wurde innerhalb kurzer Zeit publik gemacht, wie aus einem Pressebericht hervorgeht (Anlage A-12-3). Schließlich hat die Kommission kein anderes Schriftstück vorgelegt, das einen unmittelbaren Beweis dafür darstellen könnte, daß die Preiserhöhungen auf Sitzungen der PK erörtert wurden. Unter diesen Umständen ist nicht auszuschließen, daß die in Anlage 61 der Mitteilung der Beschwerdepunkte wiedergegebenen Äusserungen von Weig am Rand der Sitzung der PK vom 10. November 1986 fielen, wie Weig in der mündlichen Verhandlung wiederholt geltend gemacht hat.

158 Ferner behauptet die Kommission in der Entscheidung: "Schriftstücke, die die Kommission bei FS-Karton (zur M-M-Gruppe gehörend) vorfand, bestätigen, daß Ende 1987 im Rahmen der beiden Präsidentengremien eine Vereinbarung über die beiden miteinander verbundenen Fragen der Mengenkontrolle und der Preisdisziplin gefunden worden war" (Randnr. 53 Absatz 1). Sie nimmt insoweit auf Anlage 73 der Mitteilung der Beschwerdepunkte Bezug, eine vertrauliche Aktennotiz des für die Verkaufsaktivitäten der Mayr-Melnhof-Gruppe in Deutschland zuständigen Verkaufsleiters (Herrn Katzner) an den Geschäftsführer von Mayr-Melnhof in Österreich (Herrn Gröller) vom 28. Dezember 1988, die die Marktsituation betrifft.

159 Der Verfasser des Schriftstücks verweist einleitend auf die engere Zusammenarbeit auf europäischer Ebene im "Präsidentenkreis"; dieser Ausdruck ist nach der Auslegung von Mayr-Melnhof eine gemeinsame Bezeichnung für PWG und PK in allgemeinem Zusammenhang, d. h. ohne Bezugnahme auf ein bestimmtes Ereignis oder Treffen (Anlage 75 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 2.a).

160 Es ist zwar im Rahmen der vorliegenden Rechtssache unstreitig, daß Anlage 73 der Mitteilung der Beschwerdepunkte einen Beweis für die Richtigkeit der Aussagen von Stora zum Vorliegen einer Absprache der zum "Präsidentenkreis" gehörenden Unternehmen über die Marktanteile und einer Absprache dieser Unternehmen über die Abstellzeiten darstellt; die Kommission legt jedoch kein weiteres Beweismittel vor, das bestätigt, daß in der PK u. a. die Absprache über die Marktanteile und die Kontrolle der Produktionsmengen erörtert wurden. Somit kann das in Anlage 73 der Mitteilung der Beschwerdepunkte verwendete Wort "Präsidentenkreis" trotz der Erläuterungen von Mayr-Melnhof nicht als Bezugnahme auf andere Gremien als den PWG ausgelegt werden.

161 Nach alledem hat die Kommission nicht nachgewiesen, daß die Sitzungen der PK neben den rechtmässigen Tätigkeiten einem wettbewerbsfeindlichen Zweck dienten. Folglich konnte sie aus den angeführten Beweismitteln nicht ableiten, daß sich die Unternehmen, die an den Sitzungen dieses Gremiums teilnahmen, an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages beteiligt haben.

162 Im Ergebnis beweist die Teilnahme der Klägerin an zwei Sitzungen der PK somit nicht, daß sie in der Zeit von März 1988 bis Februar 1989 gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstieß.

b) Teilnahme der Klägerin an einer Sitzung der WK

163 Es steht fest, daß die Klägerin in der Zeit von März 1988 bis Februar 1989 an einer einzigen Sitzung der WK teilnahm, und zwar am 3. Mai 1988. Da die Kommission kein Beweismittel angeführt hat, das sich auf diese Sitzung bezieht, ist allgemein zu prüfen, ob die Sitzungen der WK einen wettbewerbsfeindlichen Gegenstand hatten.

164 In der Entscheidung heisst es: ""Zentrales Thema" der Beratungen in der Wirtschaftlichen Kommission war die Analyse und Beurteilung der Marktlage in den einzelnen Ländern" (Randnr. 50 Absatz 1). Die WK "erörterte (u. a.) die Preisentwicklung auf den nationalen Märkten und die Auftragslage und berichtete dem JMC (oder vor Ende 1987 dessen Vorgänger, dem "Marketing Committee") über die Ergebnisse ihrer Arbeit" (Randnr. 49 Absatz 1).

165 Nach Ansicht der Kommission waren die "Erörterungen über die Marktsituation... nicht ohne konkreten Zweck; die Gespräche über die Verfassung der einzelnen nationalen Märkte müssen im Kontext der geplanten Preisinitiativen einschließlich der Notwendigkeit zeitweiliger Abstellzeiten zur Abstützung der Preisanhebungen gesehen werden" (Randnr. 50 Absatz 1 der Entscheidung). Ausserdem meint die Kommission: "Die Wirtschaftliche Kommission war möglicherweise weniger direkt mit der Preisfestsetzung als solcher befasst, doch ist nicht glaubhaft, daß ihre Mitglieder nichts von dem gesetzwidrigen Zweck gewusst hätten, zu dem die Informationen, die sie dem JMC wissentlich überließen, benutzt wurden" (Randnr. 119 Absatz 2 der Entscheidung).

166 Zur Stützung ihrer Behauptung, daß die Gespräche in der WK einen wettbewerbsfeindlichen Zweck gehabt hätten, verweist die Kommission auf ein einziges Schriftstück, und zwar auf eine vertrauliche Notiz eines Vertreters von FS-Karton (Mayr-Melnhof-Gruppe) über die "Highlights" der Sitzung der WK vom 3. Oktober 1989 (Anlage 70 der Mitteilung der Beschwerdepunkte).

167 In der Entscheidung fasst die Kommission den Inhalt dieses Schriftstücks wie folgt zusammen:

"[N]eben einer detaillierten Übersicht über Nachfrage, Produktion und Auftragsbestand auf den einzelnen nationalen Märkten [wurde] folgendes erörtert...:

- deutlicher Widerstand der Abnehmer gegen die letzte Preiserhöhung für GC-Sorten zum 1. Oktober;

- jeweiliger Auftragsbestand der GC- und GD-Hersteller einschließlich individueller Positionen;

- Berichte über tatsächliche und geplante Abstellzeiten;

- die speziellen Probleme der Durchsetzung der Preiserhöhung im Vereinigten Königreich und deren Folgen für die notwendige Preisdifferenz zwischen GC- und GD-Sorten;

- Gegenüberstellung von tatsächlichen und vorgesehenen Auftragseingängen für jede nationale Gruppe" (Randnr. 50 Absatz 2 der Entscheidung).

168 Diese Beschreibung des Inhalts des Schriftstücks trifft im wesentlichen zu. Die Kommission führt jedoch kein Beweismittel zur Stützung ihrer Behauptung an, daß Anlage 70 der Mitteilung der Beschwerdepunkte "als Hinweis auf die tatsächliche Art der Beratungen dieses Gremiums gewertet werden" könne (Randnr. 113 letzter Absatz der Entscheidung). Ausserdem macht Stora folgende Angaben: "Das JMC wurde Ende 1987 geschaffen und trat Anfang 1988 erstmals zusammen; von da an übernahm es einen Teil der Funktionen der Wirtschaftlichen Kommission. Die übrigen Funktionen der Wirtschaftlichen Kommission wurden von der Statistischen Kommission übernommen" (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 13). Zumindest für die Zeit ab Anfang 1988 - den einzigen Zeitraum, für den der Klägerin eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages zur Last gelegt wurde - enthalten die Aussagen von Stora somit keinen Beleg für den von der Kommission geltend gemachten wettbewerbsfeindlichen Zweck der Beratungen dieses Gremiums. Schließlich führt die Kommission auch keine Beweismittel an, die den Schluß zulassen, daß die Teilnehmer an den Sitzungen der WK über das genaue Wesen der Sitzungen des JMC - des Gremiums, dem die WK berichtete - informiert waren. Es ist daher nicht auszuschließen, daß Teilnehmer an den Sitzungen der WK, die nicht zugleich an den Sitzungen des JMC teilnahmen, von der genauen Verwendung der von der WK erstellten Berichte durch das JMC nichts wussten.

169 Folglich ergibt sich aus Anlage 70 der Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht, welcher Natur die Erörterungen in den Sitzungen der WK wirklich waren.

170 Hinzu kommt, daß die Kommission offenbar selbst davon ausgeht, daß die Teilnahme an Sitzungen der WK keinen ausreichenden Beweis für eine Zuwiderhandlung darstellt, denn der Klägerin, die 1987 an Sitzungen der WK teilgenommen hatte, wurde für die Zeit vor März 1988 keine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln zur Last gelegt.

171 Demnach ist die Tatsache, daß die Klägerin im fraglichen Zeitraum an einer Sitzung der WK teilnahm, kein Beweis für ihre Beteiligung an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages.

c) Tatsächliches Preisverhalten der Klägerin

172 Für den fraglichen Zeitraum (März 1988 bis Februar 1989) geht aus Tabelle B im Anhang der Entscheidung hervor, daß die Klägerin nach den Feststellungen der Kommission am 1. März und am 1. April 1988, d. h. zu den Zeitpunkten, die in den Gremien der PG Karton vereinbart worden sein sollen, in Frankreich und im Vereinigten Königreich Preiserhöhungen vornahm. Die Kommission hat nach dieser Tabelle keine Preiserhöhungen der Klägerin auf anderen nationalen Märkten anläßlich der Preiserhöhungsinitiative im März/April 1988 festgestellt.

173 Ferner verfügt die Kommission nach den Angaben in Tabelle C im Anhang der Entscheidung über keine Informationen in bezug auf etwaige Preiserhöhungen der Klägerin anläßlich der Preiserhöhungsinitiative im Oktober 1988.

174 Unter diesen Umständen stützt das von der Kommission nachgewiesene tatsächliche Preisverhalten der Klägerin nicht die Behauptung der Kommission, daß sich die Klägerin an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages beteiligt habe.

d) Ergebnis in bezug auf den fraglichen Zeitraum

175 Nach alledem belegen die von der Kommission angeführten Beweismittel auch zusammengenommen nicht, daß sich die Klägerin in der Zeit von März 1988 bis Februar 1989 an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages beteiligte.

2. Zeitraum von Februar 1989 bis April 1991

176 Gemäß Artikel 1 der Entscheidung haben die dort genannten Unternehmen gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstossen, indem sie sich - im Fall der Klägerin von mindestens März 1988 bis mindestens Ende April 1991 - an einer seit Mitte 1986 bestehenden Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligten, durch die die Kartonanbieter in der Gemeinschaft u. a. "sich über regelmässige Preiserhöhungen für jede Kartonsorte in jeder Landeswährung verständigten" und "gleichzeitige und einheitliche Preiserhöhungen für die gesamte Gemeinschaft planten und durchführten", "sich vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen über die Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden Hersteller verständigten" und "in zunehmendem Masse ab Anfang 1990 abgestimmte Maßnahmen zur Kontrolle des Kartonangebots in der Gemeinschaft trafen, um die Durchsetzung der vorerwähnten abgestimmten Preiserhöhungen sicherzustellen".

177 Demnach haben der Entscheidung zufolge alle in Artikel 1 aufgeführten Unternehmen gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstossen, indem sie sich an einer einzigen Zuwiderhandlung in Form von Absprachen beteiligten, die sich auf drei verschiedene Gegenstände bezogen, mit denen aber ein gemeinsames Ziel verfolgt wurde. Diese Absprachen sind als die Bestandteile des Gesamtkartells anzusehen.

178 Unter diesen Umständen ist gesondert zu prüfen, ob sich die Klägerin an den einzelnen Absprachen beteiligte.

a) Zur Beteiligung der Klägerin an einer Preisabsprache

179 Nach Ansicht der Kommission hatte das JMC von Anfang an folgende Hauptaufgabe:

"- zu ermitteln, ob sich Preiserhöhungen durchsetzen lassen, und falls ja, wie, und anschließend dem PWG Bericht zu erstatten;

- die vom PWG beschlossenen Preisinitiativen nach Ländern und wichtigsten Kunden im Detail auszuarbeiten, um zu einem einheitlichen Preissystem in Europa zu gelangen..." (Randnr. 44 Absatz 1 der Entscheidung).

180 Im einzelnen führt die Kommission in Randnummer 45 Absätze 1 und 2 der Entscheidung folgendes aus:

"[D]ieser Ausschuß [erörterte] für jeden einzelnen Markt, wie die vom PWG vereinbarten Preiserhöhungen von den Herstellern durchgesetzt werden sollten. Die praktischen Aspekte der Durchführung der vorgeschlagenen Preiserhöhungen wurden in "Round Table"-Gesprächen erörtert, wobei jeder Teilnehmer Gelegenheit erhielt, sich zu der vorgeschlagenen Preiserhöhung zu äussern.

Schwierigkeiten bei der Durchführung der vom PWG beschlossenen Preiserhöhungen oder gelegentliche Fälle von Verweigerung der Zusammenarbeit wurden dem PWG gemeldet, der dann (wie Stora es formulierte) "zu versuchen hatte, das erforderliche Maß an Zusammenarbeit zustande zu bringen". Das JMC erstellte stets gesonderte Berichte für GC- und für GD-Sorten. Änderte der PWG aufgrund der Berichte des JMC einen Preisfestsetzungsbeschluß, so waren die hierfür erforderlichen Schritte auf den nächsten JMC-Sitzungen zu erörtern."

181 Die Kommission verweist zur Stützung dieser Angaben zum Gegenstand der Sitzungen des JMC zu Recht auf die Aussagen von Stora (Anlagen 35 und 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte).

182 Ausserdem hat sie, auch wenn sie nicht über ein offizielles Protokoll einer Sitzung des JMC verfügt, von Mayr-Melnhof und Rena einige interne Aufzeichnungen über die Sitzungen vom 6. September 1989, 16. Oktober 1989 und 6. September 1990 erlangt (Anlagen 117, 109 und 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte). In diesen Aufzeichnungen, deren Inhalt in den Randnummern 80, 82 und 87 der Entscheidung beschrieben wird, werden die eingehenden Erörterungen wiedergegeben, die auf diesen Sitzungen über die abgestimmten Preisinitiativen stattfanden. Sie stellen somit Beweismittel dar, die die Beschreibung der Aufgaben des JMC durch Stora eindeutig bestätigen.

183 Insoweit ist als Beispiel auf die von Rena erlangten Notizen über die Sitzung des JMC vom 6. September 1990 (Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) zu verweisen, in denen es u. a. heisst:

"Preiserhöhung wird nächste Woche im September angekündigt:

Frankreich 40 FF Niederlande 14 Deutschland 12 DM Italien 80 LIT Belgien 2,50 BFR Schweiz 9 FS England 40 UKL Irland 45 IRL

Alle Sorten sollten gleich heraufgesetzt werden: GD, UD, GT, GC usw. Nur 1 Preiserhöhung pro Jahr. Für Lieferungen ab 7. Januar. Nicht später als 31. Januar. Schreiben vom 14. September mit Preiserhöhung (Mayr-Melnhof). 19. September. Brief von Feldmühle geht raus. Cascades vor Ende September. Alle Schreiben müssen vor dem 8. Oktober raus sein."

184 Wie die Kommission in den Randnummern 88 bis 90 der Entscheidung erläutert, konnte sie ferner interne Unterlagen sicherstellen, die den Schluß zuließen, daß die Unternehmen und insbesondere diejenigen, die in Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte erwähnt worden seien, die vereinbarten Preiserhöhungen tatsächlich angekündigt und vorgenommen hätten.

185 Anlage 117 der Mitteilung der Beschwerdepunkte - Notizen über die Sitzung des JMC vom 6. September 1989 - stellt nach Ansicht der Kommission einen Beweis für die Absprache über die Preiserhöhungsinitiative im Oktober 1989 dar. Sie führt u. a. aus, daß diese Notizen "Einzelheiten der in jeweiliger Landeswährung angekündigten Preiserhöhungen [enthalten] und... die Reaktionen der Kunden sowie die bisherigen Fortschritte bei der Durchsetzung der Preiserhöhungen auf den jeweiligen nationalen Märkten [kommentieren]" (Randnr. 80 Absatz 5 der Entscheidung). Die Klägerin, die an der Sitzung des JMC vom 6. September 1989 teilnahm (Tabelle 4 im Anhang der Entscheidung), bestreitet nicht, daß sich Anlage 117 der Mitteilung der Beschwerdepunkte auf diese Sitzung bezieht. Sie erhebt auch gegen die in der Entscheidung enthaltene Beschreibung des Inhalts dieses Schriftstücks keine Einwände.

186 Die Behauptung der Kommission, daß die in Artikel 1 der Entscheidung genannten Unternehmen die Durchführung der Preiserhöhungen überwacht hätten (Randnr. 82 der Entscheidung), wird von ihr auf Anlage 109 der Mitteilung der Beschwerdepunkte gestützt, die sich auf die Sitzung des JMC vom 16. Oktober 1989 bezieht. Die Klägerin erhebt gegen die in der Entscheidung enthaltene Beschreibung des Inhalts dieses Schriftstücks keine Einwände.

187 Auch wenn die von der Kommission angeführten Unterlagen nur eine kleine Zahl der Sitzungen des JMC in dem von der Entscheidung erfassten Zeitraum betreffen, bestätigen alle verfügbaren schriftlichen Beweise die Angabe von Stora, daß die Hauptaufgabe des JMC darin bestanden habe, die Durchführung der abgestimmten Preiserhöhungen festzulegen und zu planen sowie ihre tatsächliche Umsetzung zu überwachen. Insoweit ist das fast völlige Fehlen von offiziellen oder internen Protokollen der Sitzungen des JMC als hinreichender Beweis für die Behauptung der Kommission anzusehen, daß sich die an den Sitzungen teilnehmenden Unternehmen bemühten, die wahre Natur der Erörterungen in diesem Gremium zu verschleiern (vgl. u. a. Randnr. 45 der Entscheidung). Diese Umstände haben zu einer Umkehr der Beweislast geführt, und den Adressaten der Entscheidung, die an den Sitzungen dieses Gremiums teilgenommen hatten, oblag der Nachweis, daß es ein rechtmässiges Ziel verfolgte. Da sie diesen Beweis nicht erbracht haben, hat die Kommission zu Recht angenommen, daß die von den Unternehmen bei den Sitzungen dieses Gremiums geführten Gespräche einen im wesentlichen wettbewerbsfeindlichen Zweck hatten.

188 Was die individuelle Situation der Klägerin anbelangt, so ist ihre Teilnahme an neun Sitzungen des JMC, zu denen die Sitzung vom 6. September 1989 gehörte, nach dem Vorstehenden als hinreichender Beweis für ihre Beteiligung an der Preisabsprache anzusehen.

189 Dem Vorbringen der Klägerin, daß ihr tatsächliches Marktverhalten nicht den Behauptungen der Kommission zu ihrer Beteiligung an der Preisabsprache entspreche, kann nicht gefolgt werden.

190 Erstens darf das Vorliegen der Preisabsprache nicht mit der Durchführung der vereinbarten Preiserhöhungen verwechselt werden. Die von der Kommission vorgelegten Beweise haben eine solche Beweiskraft, daß Angaben über das tatsächliche Marktverhalten der Klägerin keinen Einfluß auf die Schlüsse haben können, die die Kommission in bezug auf ihre Beteiligung an der Preisabsprache gezogen hat. Die Behauptungen der Klägerin könnten allenfalls belegen, daß ihr Verhalten nicht dem entsprach, was die der PG Karton angehörenden Unternehmen vereinbart hatten.

191 Zweitens ist nach ständiger Rechtsprechung die Tatsache, daß sich ein Unternehmen den Ergebnissen von Sitzungen mit offensichtlich wettbewerbsfeindlichem Gegenstand nicht beugt, nicht geeignet, es von seiner vollen Verantwortlichkeit für seine Teilnahme am Kartell zu entlasten, wenn es sich nicht offen vom Inhalt der Sitzungen distanziert hat (vgl. z. B. Urteil des Gerichts vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-141/89, Tréfileurope/Kommission, Slg. 1995, II-791, Randnr. 85). Selbst wenn man annimmt, daß das Marktverhalten der Klägerin nicht dem vereinbarten Verhalten entsprach, ändert dies somit nichts an ihrer Verantwortlichkeit für eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages, da sie sich nicht offen vom Inhalt der Sitzungen distanzierte, an denen sie teilnahm.

192 Nach alledem hat die Kommission nachgewiesen, daß sich die Klägerin in der Zeit von Februar 1989 bis April 1991 an der Preisabsprache beteiligte.

b) Zur Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Abstellzeiten

193 Der Entscheidung zufolge beteiligten sich die an den Sitzungen des PWG teilnehmenden Unternehmen ab Ende 1987 an einer Absprache über die Abstellzeiten der Anlagen; ab 1990 sei es tatsächlich zu Abstellzeiten gekommen.

194 Gemäß Randnummer 37 Absatz 3 der Entscheidung umfasste der eigentliche Auftrag des PWG nach der Darstellung von Stora "die Erörterung und Abstimmung der Märkte, Marktanteile, Preise, Preiserhöhungen und Kapazitäten". Ferner führt die Kommission unter Bezugnahme auf die "1987 im PWG erzielte Vereinbarung" (Randnr. 52 Absatz 1 der Entscheidung) aus, sie habe u. a. dazu gedient, ""das Angebot auf einem konstanten Niveau" zu halten" (Randnr. 58 Absatz 1 der Entscheidung).

195 Zur Rolle des PWG bei der Absprache über die Lieferkontrolle, die durch die Prüfung der Abstellzeiten der Maschinen gekennzeichnet war, heisst es in der Entscheidung, daß der PWG bei der Durchsetzung der Abstellzeiten eine entscheidende Rolle gespielt habe, als ab 1990 die Produktionskapazität zugenommen habe und die Nachfrage gesunken sei: "Von Anfang 1990 an [hielt es] die Branche... für erforderlich..., sich im Rahmen des PWG über Abstellzeiten zu verständigen. Die grossen Hersteller räumten ein, daß sie die Nachfrage nicht durch Preissenkungen steigern konnten und daß die Aufrechterhaltung der vollen Produktion lediglich einen Preisrückgang bewirken würde. Theoretisch ließ sich anhand der Kapazitätsberichte errechnen, wie lange die Maschinen abgestellt werden mussten, um Angebot und Nachfrage wieder ins Gleichgewicht zu bringen" (Randnr. 70 der Entscheidung).

196 Ferner heisst es in der Entscheidung: "Der PWG wies jedoch nicht formell jedem Hersteller seine "Abstellzeiten" zu. Laut Stora bestanden praktische Schwierigkeiten, einen koordinierten Plan für Abstellzeiten für alle Hersteller aufzustellen. Aus diesen Gründen bestand laut Stora nur "ein loses System der Ermutigung"" (Randnr. 71 der Entscheidung).

197 Stora führt aus (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 24): "Mit der Einführung der Preis-vor-Menge-Politik durch den PWG und der allmählichen Anwendung eines einheitlichen Preissystems ab 1988 erkannten die Mitglieder des PWG an, daß Abstellzeiten erforderlich sein würden, um diese Preise angesichts geringerer Nachfragesteigerung zu halten. Ohne Abstellzeiten hätten die Hersteller vereinbarte Preisniveaus angesichts zunehmender Überkapazität nicht halten können."

198 Im folgenden Punkt ihrer Erklärung fügt sie hinzu: "1988 und 1989 konnte die Industrie mit nahezu voller Kapazität arbeiten. Abstellzeiten neben der normalen Schließung wegen Reparaturen und Feiertagen wurden ab 1990 erforderlich... Schließlich waren Abstellzeiten nötig, wenn der Auftragseingang stockte, um die Preis-vor-Menge-Politik aufrechtzuerhalten. Die Länge der von den Herstellern (zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Produktion und Verbrauch) einzuhaltenden Abstellzeit konnte anhand der Kapazitätsberichte errechnet werden. Der PWG nahm keine formelle Zuweisung von Abstellzeiten vor, obwohl ein loses System der Ermutigung bestand..."

199 Die Kommission stützt ihre Schlußfolgerungen ferner auf Anlage 73 der Mitteilung der Beschwerdepunkte (siehe oben, Randnr. 158).

200 Nach diesem in den Randnummern 53 bis 55 der Entscheidung behandelten Schriftstück gab es bei der 1987 beschlossenen engeren Zusammenarbeit im "Präsidentenkreis" "Gewinner und Verlierer".

201 Die vom Verfasser genannten Gründe dafür, daß er Mayr-Melnhof bei Abfassung der Aktennotiz als "Verlierer" ansah, stellen wichtige Beweise für das Vorliegen einer Absprache der Teilnehmer an den Sitzungen des PWG über die Abstellzeiten dar.

202 Der Verfasser stellt nämlich folgendes fest:

"4.) Und an dieser Stelle beginnt die unterschiedliche Auffassung der Beteiligten über das Gewollte.

...

c) Alle Aussendienstler und europäischen Vertreter wurden von ihren Mengenbudgets entbunden, und es wurde eine fast lückenlose, harte Preispolitik vertreten (die Mitarbeiter verstanden oftmals unsere geänderte Einstellung zum Markt nicht - früher wurde nur Tonnage gefordert und jetzt nur Preisdisziplin mit der Gefahr, die Maschinen abzustellen)."

203 Mayr-Melnhof macht geltend (Anlage 75 der Mitteilung der Beschwerdepunkte), daß der oben wiedergegebene Abschnitt einen unternehmensinternen Sachverhalt betreffe. Bei einer Analyse im allgemeineren Kontext der Aktennotiz lässt dieser Auszug jedoch erkennen, daß auf der Ebene des Verkaufspersonals eine im "Präsidentenkreis" beschlossene rigorose Politik durchgesetzt wurde. Das Schriftstück ist somit dahin auszulegen, daß die Teilnehmer an der Vereinbarung von 1987, d. h. zumindest die Teilnehmer an den Sitzungen des PWG, unbestreitbar die Folgen der beschlossenen Politik für den Fall erwogen haben, daß diese rigoros angewandt wird.

204 Demnach ist davon auszugehen, daß die Kommission das Vorliegen einer Absprache über die Produktionsunterbrechungen zwischen den Teilnehmern an den Sitzungen des PWG nachgewiesen hat.

205 In der Entscheidung heisst es, auch die an den Sitzungen des JMC teilnehmenden Unternehmen, darunter die Klägerin, hätten sich an dieser Absprache beteiligt.

206 Hierzu führt die Kommission u. a. folgendes aus:

"Neben den zusammengefassten Daten des FIDES-Systems pflegten die Hersteller auf den JMC-Sitzungen auch ihren individuellen Auftragsbestand offenzulegen.

Die Informationen über den Auftragsbestand (ausgedrückt in Produktionstagen) waren aus zweierlei Gründen wichtig:

- einmal für die Entscheidung darüber, ob abgestimmte Preisanhebungen vorgenommen werden können;

- zum anderen für die Entscheidung über notwendige Abstellzeiten zur Aufrechterhaltung des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage..." (Randnr. 69 Absätze 3 und 4 der Entscheidung).

207 Ferner stellt sie fest:

"Die inoffiziellen Aufzeichnungen über zwei JMC-Sitzungen im Januar 1990 (siehe Randnummer 84) und im September 1990 (Randnummer 87) wie auch andere Dokumente (Randnummern 94 und 95) bestätigen..., daß die grossen Hersteller ihre kleineren Wettbewerber in der PG Karton laufend über ihre Pläne unterrichteten, zusätzliche Abstellzeiten vorzusehen, um so einem Preisrückgang zuvorzukommen" (Randnr. 71 Absatz 3 der Entscheidung).

208 Die schriftlichen Beweise, die die Sitzungen des JMC betreffen (Anlagen 109, 117 und 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte), bestätigen, daß die Gespräche über Abstellzeiten im Zusammenhang mit der Vorbereitung von abgestimmten Preiserhöhungen stattfanden. Insbesondere werden in Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Notizen von Rena vom 6. September 1990 (siehe auch oben, Randnr. 183), der Umfang der Preiserhöhungen in mehreren Ländern, die Zeitpunkte der künftigen Ankündigungen dieser Erhöhungen sowie die in Arbeitstagen ausgedrückten Auftragsbestände mehrerer Hersteller erwähnt. Der Verfasser des Schriftstücks vermerkt, daß einige Hersteller Abstellzeiten vorsähen, die er z. B. wie folgt aufführt:

"Kopparfors 5 - 15 days 5/9 will stop for five days"

209 Ausserdem zeigen die Anlagen 117 und 109 der Mitteilung der Beschwerdepunkte - obwohl sie keine unmittelbaren Angaben zu den vorgesehenen Abstellzeiten enthalten -, daß die Auftragsbestände und die Auftragseingänge auf den Sitzungen des JMC vom 6. September 1989 und vom 16. Oktober 1989 erörtert wurden. Wie bereits ausgeführt, nahm die Klägerin aber an der Sitzung des JMC vom 6. September 1989 teil (siehe oben, Randnr. 185).

210 Diese Schriftstücke stellen zusammen mit den Aussagen von Stora einen hinreichenden Beweis für die Beteiligung der bei den Sitzungen des JMC vertretenen Hersteller an der Absprache über die Abstellzeiten dar. Den an der Preisabsprache teilnehmenden Unternehmen war nämlich zwangsläufig bewusst, daß durch die Prüfung der Auftragsbestände und der Auftragseingänge sowie die Gespräche über etwaige Abstellzeiten nicht nur festgestellt werden sollte, ob die Marktbedingungen für eine abgestimmte Preiserhöhung günstig waren, sondern auch, ob das Abstellen der Anlagen geboten war, um zu verhindern, daß das vereinbarte Preisniveau durch ein Überangebot gefährdet würde. Insbesondere geht aus Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte hervor, daß sich die Teilnehmer an der Sitzung des JMC vom 6. September 1990 auf die Ankündigung einer bevorstehenden Preiserhöhung einigten, obwohl mehrere Hersteller erklärt hatten, daß sie sich anschickten, ihre Produktion zu unterbrechen. Die Marktbedingungen gingen folglich dahin, daß die tatsächliche Durchführung einer künftigen Preiserhöhung höchstwahrscheinlich (zusätzliche) Abstellzeiten erfordern würde, so daß die Hersteller diese Auswirkung zumindest implizit gebilligt haben.

211 Auf dieser Grundlage ist, ohne daß die anderen von der Kommission in der Entscheidung angeführten Beweismittel (Anlagen 102, 113, 130 und 131 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) geprüft zu werden brauchen, davon auszugehen, daß die Kommission die Beteiligung der Unternehmen, die an den Sitzungen des JMC und an der Preisabsprache teilnahmen, an einer Absprache über die Abstellzeiten nachgewiesen hat.

212 In diesem Zusammenhang ist das Vorbringen der Klägerin zurückzuweisen, daß ihre Nichtteilnahme an der Absprache über die Abstellzeiten dadurch belegt werde, daß sie ihre Produktion nie unterbrochen habe.

213 Erstens räumt die Kommission in der Entscheidung ein, daß die führenden Hersteller die Last der Produktionsdrosselung zur Absicherung des Preisniveaus auf ihre Schultern genommen hätten (Randnr. 71 Absatz 2 der Entscheidung).

214 Zweitens könnte, selbst wenn feststehen würde, daß die Klägerin ihre Produktionskapazitäten voll genutzt hat und daß eine solche Nutzung nicht dem entsprach, was sie mit ihren Konkurrenten im JMC vereinbart hatte, dies nicht belegen, daß sie sich nicht an der Absprache über die Abstellzeiten beteiligte (vgl. u. a. Urteil des Gerichts vom 17. Dezember 1991 in der Rechtssache T-6/89, Enichem Anic/Kommission, Slg. 1991, II-1623, Randnr. 165).

215 Daher ist davon auszugehen, daß sich die Klägerin in der Zeit von Februar 1989 bis April 1991 an einer Absprache über die Abstellzeiten beteiligte.

c) Zur Beteiligung der Klägerin an einer Absprache über die Marktanteile

216 Die Klägerin bestreitet, sich an einer Absprache über die Marktanteile beteiligt zu haben, ohne aber die in der Entscheidung enthaltene Behauptung in Abrede zu stellen, daß die an den Sitzungen des PWG teilnehmenden Hersteller eine Vereinbarung getroffen hätten, die "ein "Einfrieren" der Marktanteile der führenden Hersteller in Westeuropa auf dem erreichten Niveau [umfasste], ohne daß Versuche unternommen wurden, neue Kunden zu gewinnen oder durch aggressive Preispolitik bestehende Geschäftsbeziehungen auszubauen" (Randnr. 52 Absatz 1).

217 Unter diesen Umständen ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission in bezug auf die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, folgendes ausführt:

"Obgleich die kleineren Kartonhersteller, die an den JMC-Sitzungen teilnahmen, nicht im einzelnen über die Gespräche im PWG betreffend die Marktanteile unterrichtet waren, war ihnen im Rahmen der "Preis-vor-Menge"-Politik, an die sie sich alle hielten, sehr wohl bekannt, daß sich die führenden Hersteller darauf verständigt hatten, "das Angebot auf einem konstanten Niveau" zu halten, wie ihnen sicherlich auch die Notwendigkeit bewusst war, ihr eigenes Verhalten entsprechend anzupassen" (Randnr. 58 Absatz 1 der Entscheidung).

218 Obwohl dies aus der Entscheidung nicht ausdrücklich hervorgeht, macht sich die Kommission in diesem Punkt die Aussagen von Stora zu eigen, in denen es heisst:

"Andere Hersteller, die nicht am PWG teilnahmen, wurden im allgemeinen nicht über die Einzelheiten der Gespräche über die Marktanteile informiert. Im Rahmen der Preis-vor-Menge-Politik, an der sie teilnahmen, dürfte ihnen die Übereinkunft der führenden Hersteller, die Preise durch die Beibehaltung konstanter Angebotsmengen nicht zu untergraben, jedoch bekannt gewesen sein.

In bezug auf das Angebot an GC-Sorten war der Anteil der Hersteller, die nicht am PWG teilnahmen, ohnehin so unbedeutend, daß ihre Teilnahme oder Nichtteilnahme an den Vereinbarungen über die Marktanteile so gut wie keine Auswirkungen hatte" (Anlage 43 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 1.2).

219 Die Kommission stützt sich somit - wie Stora - im wesentlichen auf die Annahme, daß die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, aber nachweislich an anderen Bestandteilen der in Artikel 1 der Entscheidung beschriebenen Zuwiderhandlung mitwirkten, von der Existenz der Absprache über die Marktanteile gewusst haben müssen, auch wenn es dafür keine unmittelbaren Beweise gibt.

220 Einer solchen Argumentation kann nicht gefolgt werden. Erstens führt die Kommission kein Beweismittel an, aus dem hervorginge, daß die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, einer allgemeinen Vereinbarung zustimmten, die u. a. das Einfrieren der Marktanteile der führenden Hersteller vorsah.

221 Zweitens ist die blosse Tatsache, daß sich diese Unternehmen an der Preisabsprache und an der Absprache über die Abstellzeiten beteiligten, kein Beleg dafür, daß sie sich auch an einer Absprache über die Marktanteile beteiligten. Insoweit ist die Absprache über die Marktanteile entgegen der offenbar von der Kommission vertretenen Ansicht nicht untrennbar mit der Preisabsprache und/oder der Absprache über die Abstellzeiten verbunden. Es genügt der Hinweis, daß die Absprache über die Marktanteile der führenden im PWG vertretenen Hersteller der Entscheidung zufolge (Randnrn. 52 ff.) darauf abzielte, vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen konstante Marktanteile aufrechtzuerhalten; dies galt selbst für Zeiträume, in denen aufgrund der Marktbedingungen und insbesondere des Gleichgewichts zwischen Angebot und Nachfrage eine Kontrolle der Produktion zur Sicherstellung der tatsächlichen Durchführung der vereinbarten Preiserhöhungen nicht erforderlich war. Folglich belegt die etwaige Beteiligung an der Preisabsprache und/oder der Absprache über die Abstellzeiten nicht, daß sich die Unternehmen, die nicht an den Sitzungen des PWG teilnahmen, an der Absprache über die Marktanteile beteiligten oder daß sie davon wussten oder zwangsläufig davon wissen mussten.

222 Drittens ist festzustellen, daß die Kommission in Randnummer 58 Absätze 2 und 3 der Entscheidung auf Anlage 102 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, eine von Rena erlangte Aufzeichnung, die der Entscheidung zufolge eine Sondersitzung des Nordic Paperboard Institute am 3. Oktober 1988 betreffen soll, als zusätzliches Beweismittel für die fragliche Behauptung verweist. Insoweit genügt die Feststellung, daß die Klägerin dem Nordic Paperboard Institute nicht angehörte und daß die Bezugnahme auf möglicherweise erforderliche Abstellzeiten in diesem Schriftstück aus den bereits genannten Gründen keinen Beweis für eine Absprache über die Marktanteile darstellen kann.

223 Die Kommission kann jedoch alle Unternehmen, an die sich eine Entscheidung der vorliegenden Art richtet, nur dann als während eines bestimmten Zeitraums für ein Gesamtkartell verantwortlich ansehen, wenn sie nachweist, daß jedes von ihnen entweder der Aufstellung eines Gesamtplans zugestimmt hat, der die Bestandteile des Kartells umfasst, oder während dieses Zeitraums an all seinen Bestandteilen unmittelbar mitgewirkt hat. Ein Unternehmen kann ferner auch dann, wenn feststeht, daß es nur an einem oder mehreren Bestandteilen dieses Kartells unmittelbar mitgewirkt hat, für ein Gesamtkartell zur Verantwortung gezogen werden, sofern es wusste oder zwangsläufig wissen musste, daß die Absprache, an der es sich beteiligte, Teil eines Gesamtplans war und daß sich dieser Gesamtplan auf sämtliche Bestandteile des Kartells erstreckte. In diesem Fall kann die Tatsache, daß das betreffende Unternehmen nicht an allen Bestandteilen des Gesamtkartells unmittelbar mitgewirkt hat, es nicht von der Verantwortung für die Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages befreien. Ein solcher Umstand kann jedoch bei der Beurteilung der Schwere der ihm zur Last gelegten Zuwiderhandlung berücksichtigt werden.

224 Im vorliegenden Fall hat die Kommission nicht nachgewiesen, daß die Klägerin wusste oder zwangsläufig wissen musste, daß ihre eigene Zuwiderhandlung Teil eines Gesamtplans war, der sich neben der Preisabsprache und der Absprache über die Abstellzeiten, an denen sie sich tatsächlich beteiligte, auf eine Absprache über die Marktanteile der führenden Hersteller erstreckte.

225 Demnach hat die Kommission nicht nachgewiesen, daß sich die Klägerin in der Zeit von März 1989 bis April 1991 an einer Absprache über die Marktanteile beteiligte.

d) Zur Mitwirkung der Klägerin an einem gemeinsamen Branchenplan zur Einschränkung des Wettbewerbs

226 Das Vorbringen der Klägerin ist so auszulegen, daß die Kommission dadurch gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstossen haben soll, daß sie es für ausreichend hielt, das Vorliegen und das Funktionieren sowie die herausragenden Merkmale des Kartells als Ganzes zu ermitteln und dann zu bestimmen, ob es glaubwürdige und überzeugende Nachweise gibt, um jeden einzelnen Hersteller mit dem gemeinsamen Plan in Verbindung zu bringen und bei jedem die Dauer der Beteiligung festzustellen (Randnr. 116 der Entscheidung).

227 Wie bereits festgestellt, hat die Kommission für den fraglichen Zeitraum die Beteiligung der Klägerin an der Preisabsprache und an der Absprache über die Abstellzeiten, nicht aber ihre Beteiligung an einer Absprache über die Marktanteile nachgewiesen.

228 Unter diesen Umständen erstreckte sich der gemeinsame Branchenplan zur Einschränkung des Wettbewerbs, an dem die Klägerin nach Artikel 1 der Entscheidung mitwirkte, bei ihr nur auf die Preisabsprache und die Absprache über die Abstellzeiten.

e) Ergebnis für die Zeit von Februar 1989 bis April 1991

229 Nach alledem ist Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung, wonach die Vereinbarung und die abgestimmte Verhaltensweise, an denen sich die Klägerin beteiligte, "vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen... [zur] Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden Hersteller" dienten, in bezug auf die Klägerin für nichtig zu erklären.

230 Im übrigen hat die Kommission nachgewiesen, daß sich die Klägerin in der Zeit von Februar 1989 bis April 1991 an der festgestellten Zuwiderhandlung beteiligte.

Zum vierten Teil des Klagegrundes, der auf das Fehlen einer Definition des betroffenen räumlichen Marktes gestützt wird

231 Gemäß Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages sind "alle Vereinbarungen zwischen Unternehmen, Beschlüsse von Unternehmensvereinigungen und aufeinander abgestimmte Verhaltensweisen, welche den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen geeignet sind und eine Verhinderung, Einschränkung oder Verfälschung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezwecken oder bewirken", verboten.

232 Im vorliegenden Fall ist die Kommission von einer Beteiligung der Klägerin an einer Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise ausgegangen, die eine Einschränkung des Wettbewerbs innerhalb des Gemeinsamen Marktes bezweckte und den Handel zwischen Mitgliedstaaten beeinträchtigte (Randnrn. 133 bis 138 der Entscheidung). Wie bereits festgestellt (siehe oben, Randnr. 112), geht aus den Gründen der Entscheidung hervor, daß sich die Absprachen der Unternehmen nach Ansicht der Kommission auf die gesamte Gemeinschaft erstreckten. Da die Kommission somit eine Zuwiderhandlung feststellte, die eine Einschränkung des Wettbewerbs in der gesamten Gemeinschaft bezweckte, erforderte die Feststellung dieser Einschränkung des Wettbewerbs keine vorherige Definition des räumlichen Marktes (in diesem Sinne auch Urteil des Gerichtshofes vom 13. Juli 1966 in den Rechtssachen 56/64 und 58/64, Consten und Grundig/Kommission, Slg. 1966, 322, 390, und Urteil des Gerichts vom 21. Februar 1995 in der Rechtssache T-29/92, SPO u. a./Kommission, Slg. 1995, II-289, Randnr. 74).

233 Die Klägerin kann sich nicht darauf berufen, daß sich die wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen nach Randnummer 138 der Entscheidung nicht auf den portugiesischen und den griechischen Markt erstreckt hätten. In dieser Randnummer der Gründe weist die Kommission auf die allumfassende Natur der Absprachen hin, die sich praktisch auf den gesamten Handel der Gemeinschaft mit einem wichtigen Industrieprodukt erstreckt hätten. Hierzu heisst es in einer Fußnote: "Die einzigen Mitgliedstaaten, für die keine verläßlichen Beweise für Preisfestsetzungsabsprachen vorliegen, waren Portugal und Griechenland, die keinen einheimischen Kartonhersteller haben." Diese Fußnote ist in Anbetracht aller Entscheidungsgründe und des verfügenden Teils der Entscheidung dahin zu verstehen, daß sich die festgestellte Zuwiderhandlung nach Ansicht der Kommission auf den gesamten Markt der Gemeinschaft erstreckte, auch wenn es in bezug auf den portugiesischen und den griechischen Markt keine unmittelbaren Beweise gab.

234 Folglich hat die Kommission nicht die Auffassung vertreten, daß sich die in der Entscheidung behaupteten wettbewerbswidrigen Verhaltensweisen nicht auf den griechischen und den portugiesischen Markt erstreckt hätten. Da der von der Klägerin gerügte innere Widerspruch in der Entscheidung (siehe oben, Randnr. 130) somit nicht besteht, geht das Vorbringen fehl.

235 Der vierte Teil des Klagegrundes ist daher zurückzuweisen.

236 Folglich ist Artikel 1 der Entscheidung in bezug auf die Klägerin für nichtig zu erklären, soweit es darin heisst, daß sich die Klägerin vor Februar 1989 an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages beteiligt habe. Ferner ist Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung, wonach die Vereinbarung und die abgestimmte Verhaltensweise, an denen sich die Klägerin beteiligte, "vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen... [zur] Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden Hersteller" dienten, in bezug auf die Klägerin für nichtig zu erklären.

237 Im übrigen ist der Klagegrund zurückzuweisen.

Zum Antrag auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbusse

A - Zum Klagegrund einer Verletzung von Artikel 190 des Vertrages in bezug auf die Geldbussen

Vorbringen der Parteien

238 Die Klägerin beruft sich auf eine Verletzung der Begründungspflicht in bezug auf die Berechnungsweise der Geldbusse, weil die Kommission insbesondere weder das für die Anwendung des Prozentsatzes des Umsatzes maßgebliche Referenzjahr noch den als Basissatz vor der Berücksichtigung mildernder und erschwerender Umstände herangezogenen Prozentsatz des Umsatzes oder auch nur den herangezogenen Umsatz selbst angegeben habe. Auch die blosse Aufzählung der Umstände, die die Kommission bei der Bestimmung der Höhe der Geldbussen angeblich berücksichtigt habe, stelle keine ausreichende Begründung dar.

239 Das Recht auf eine wirksame gerichtliche Kontrolle setze voraus, daß die Unternehmen nachprüfen könnten, ob die Unternehmen, die gemeinsam beschuldigt würden, an einer kollektiven, einheitlichen und fortgesetzten Zuwiderhandlung beteiligt gewesen zu sein, gleichbehandelt worden seien. Das Gericht habe es als unzulässig angesehen, daß die Bürger, um die Einzelheiten der Berechnungsweise der Geldbusse in Erfahrung zu bringen, Klage erheben müssten (Urteil vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-148/89, Tréfilunion/Kommission, Slg. 1995, II-1063, Randnr. 142) und damit den allgemeinen Grundsatz aufgestellt, daß den Betroffenen die zum Verständnis der angewandten Berechnungsweise erforderlichen Informationen zur Verfügung gestellt werden müssten. Solche Informationen müssten daher erst recht im gerichtlichen Verfahren geliefert werden.

240 Es müsse zwischen dem Ermessen der Kommission bei der Bestimmung der Höhe der zu verhängenden Geldbussen und der Pflicht zur Begründung ihrer Entscheidungen unterschieden werden. Das Ermessen der Kommission dürfe keinen Vorrang vor dem Anspruch auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz genießen. Die Kommission müsse daher eingehend erläutern, wie sie zu dem endgültigen Prozentsatz für die Festlegung der einzelnen Geldbussen gelangt sei; dies führe weder zur Beeinträchtigung des geheimen Charakters der Beratungen der Kommission noch zur Verbreitung von Geschäftsgeheimnissen der Unternehmen. Die Umsätze, die die Adressaten der Entscheidung erzielt hätten, seien nämlich weder geheim noch vertraulich.

241 Die Kommission tritt der Auslegung des Urteils Tréfilunion/Kommission durch die Klägerin entgegen. In diesem Urteil habe das Gericht entschieden, daß dem Vorwurf einer unzureichenden Begründung nicht gefolgt werden könne, da die Ausführungen in der betreffenden Entscheidung als ausreichend anzusehen seien. Auch im vorliegenden Fall habe die Kommission die gegen die Klägerin verhängte Geldbusse nach Maßgabe der einschlägigen Rechtsprechung des Gerichtshofes ausreichend begründet (Randnrn. 167 bis 172 der Entscheidung).

242 Zur Behauptung der Klägerin, daß die Angabe des zur Festlegung der Höhe der Geldbusse herangezogenen Prozentsatzes des Umsatzes kein Mittel darstelle, um Zugang zu vertraulichen Informationen über die am Kartell beteiligten Unternehmen zu finden, weist die Kommission darauf hin, daß solche Informationen normalerweise in zusammengefasster Form veröffentlicht würden, so daß die Konkurrenten den Umsatz des betreffenden Unternehmens in einem bestimmten Bereich seiner wirtschaftlichen Tätigkeit oder gar auf einem bestimmten Produktmarkt nicht genau in Erfahrung bringen könnten.

Würdigung durch das Gericht

243 Auf den Zweck der Pflicht zur Begründung von Einzelfallentscheidungen wurde bereits hingewiesen (siehe oben, Randnr. 109).

244 Handelt es sich um eine Entscheidung, mit der wie im vorliegenden Fall gegen mehrere Unternehmen wegen einer Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft Geldbussen festgesetzt werden, so ist bei der Bestimmung des Umfangs der Begründungspflicht insbesondere zu berücksichtigen, daß die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln ist, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbussen gehören, ohne daß es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten (Beschluß des Gerichtshofes vom 25. März 1996 in der Rechtssache C-137/95 P, SPO u. a./Kommission, Slg. 1996, I-1611, Randnr. 54).

245 Ausserdem verfügt die Kommission bei der Festlegung der Höhe der einzelnen Geldbussen über ein Ermessen und ist nicht verpflichtet, insoweit eine genaue mathematische Formel anzuwenden (in diesem Sinne auch Urteil des Gerichts vom 6. April 1995 in der Rechtssache T-150/89, Martinelli/Kommission, Slg. 1995, II-1165, Randnr. 59).

246 Die zur Ermittlung des allgemeinen Niveaus der Geldbussen und der Höhe der individuellen Geldbussen herangezogenen Kriterien finden sich in den Randnummern 168 und 169 der Entscheidung. Zudem führt die Kommission in bezug auf die individuellen Geldbussen in Randnummer 170 aus, daß die Unternehmen, die an den Sitzungen des PWG teilgenommen hätten, grundsätzlich als "Anführer" des Kartells und die übrigen Unternehmen als dessen "gewöhnliche Mitglieder" angesehen worden seien. Schließlich weist sie in den Randnummern 171 und 172 darauf hin, daß die gegen Rena und Stora festgesetzten Geldbussen erheblich niedriger auszufallen hätten, um deren aktiver Kooperation mit der Kommission Rechnung zu tragen, und daß acht andere Unternehmen, darunter die Klägerin, ebenfalls in den Genuß einer in geringerem Umfang herabgesetzten Geldbusse kommen könnten, da sie in ihren Erwiderungen auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte die vorgebrachten Tatsachenbehauptungen der Kommission in der Substanz nicht bestritten hätten.

247 In ihren beim Gericht eingereichten Schriftsätzen und in ihrer Antwort auf eine schriftliche Frage des Gerichts hat die Kommission erläutert, daß die Geldbussen auf der Grundlage des von den einzelnen Adressaten der Entscheidung auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft im Jahr 1990 erzielten Umsatzes berechnet worden seien. Gegen die als "Anführer" des Kartells angesehenen Unternehmen seien Geldbussen mit einem Basissatz von 9 % und gegen die übrigen Unternehmen Geldbussen mit einem Basissatz von 7,5 % festgesetzt worden. Schließlich habe die Kommission gegebenenfalls dem kooperativen Verhalten bestimmter Unternehmen während des Verwaltungsverfahrens Rechnung getragen. Bei zwei Unternehmen seien die Geldbussen aus diesem Grund um zwei Drittel und bei anderen Unternehmen um ein Drittel herabgesetzt worden.

248 Im übrigen ergibt sich aus einer von der Kommission vorgelegten Tabelle, die Angaben zur Festlegung der Höhe aller individuellen Geldbussen enthält, daß diese zwar nicht durch streng mathematische Anwendung allein der oben genannten Zahlen ermittelt wurden, daß diese Zahlen jedoch bei der Berechnung der Geldbussen systematisch herangezogen wurden.

249 In der Entscheidung wird aber nicht erläutert, daß die Geldbussen auf der Grundlage des von den einzelnen Unternehmen auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft im Jahr 1990 erzielten Umsatzes berechnet wurden. Auch die zur Berechnung der festgesetzten Geldbussen angewandten Basissätze von 9 % für die als "Anführer" angesehenen Unternehmen und von 7,5 % für die "gewöhnlichen Mitglieder" sind in der Entscheidung nicht zu finden. Gleiches gilt für den Umfang der Herabsetzung bei Rena und Stora einerseits und bei acht anderen Unternehmen andererseits.

250 Im vorliegenden Fall ist erstens davon auszugehen, daß die Randnummern 169 bis 172 der Entscheidung bei einer Auslegung im Licht der in der Entscheidung zu findenden eingehenden Darstellung der jedem ihrer Adressaten zur Last gelegten Sachverhalte ausreichende und sachgerechte Angaben zu den Gesichtspunkten enthalten, die bei der Beurteilung der Schwere und der Dauer der von den einzelnen Unternehmen begangenen Zuwiderhandlung herangezogen wurden (in diesem Sinne auch Urteil des Gerichts vom 24. Oktober 1991 in der Rechtssache T-2/89, Petrofina/Kommission, Slg. 1991, II-1087, Randnr. 264). Ebenso enthält Randnummer 168 der Entscheidung, die im Licht der allgemeinen Erwägungen über die Geldbussen in Randnummer 167 zu sehen ist, ausreichende Angaben zu den Gesichtspunkten, die bei der Festlegung des allgemeinen Niveaus der Geldbussen herangezogen wurden.

251 Zweitens würde, wenn die Höhe der jeweiligen Geldbussen wie hier auf der Grundlage der systematischen Heranziehung einiger ganz bestimmter Daten ermittelt wird, die Angabe all dieser Faktoren in der Entscheidung den Unternehmen die Beurteilung der Frage erleichtern, ob die Kommission bei der Festlegung der Höhe der individuellen Geldbusse Fehler begangen hat und ob die Höhe jeder individuellen Geldbusse in Anbetracht der angewandten allgemeinen Kriterien gerechtfertigt ist. Im vorliegenden Fall wäre mit der Angabe der fraglichen Faktoren - Referenzumsatz, Referenzjahr, angewandte Basissätze und Umfang der Herabsetzung der Geldbussen - in der Entscheidung keine möglicherweise gegen Artikel 214 des Vertrages verstossende implizite Preisgabe des genauen Umsatzes der Adressaten der Entscheidung verbunden gewesen. Denn der Endbetrag der individuellen Geldbussen ergibt sich, wie die Kommission selbst ausgeführt hat, nicht aus einer streng mathematischen Anwendung dieser Faktoren.

252 Die Kommission hat im übrigen in der Verhandlung eingeräumt, daß sie in der Entscheidung die systematisch berücksichtigten und in einer Pressekonferenz am Tag ihres Erlasses bekanntgegebenen Faktoren durchaus hätte aufzählen können. Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß die Begründung einer Entscheidung nach ständiger Rechtsprechung in der Entscheidung selbst enthalten sein muß und daß nachträgliche Erläuterungen der Kommission nur unter aussergewöhnlichen Umständen berücksichtigt werden können (vgl. Urteil des Gerichts vom 2. Juli 1992 in der Rechtssache T-61/89, Dansk Pelsdyravlerforening/Kommission, Slg. 1992, II-1931, Randnr. 131; in diesem Sinne auch Urteil des Gerichts vom 12. Dezember 1991 in der Rechtssache T-30/89, Hilti/Kommission, Slg. 1991, II-1439, Randnr. 136).

253 Gleichwohl ist festzustellen, daß die Begründung zur Festlegung der Höhe der Geldbussen in den Randnummern 167 bis 172 der Entscheidung mindestens ebenso detailliert ist wie die Begründung in früheren Entscheidungen der Kommission, die ähnliche Zuwiderhandlungen betrafen. Zwar ist der Klagegrund eines Begründungsmangels von Amts wegen zu berücksichtigen, doch hatte der Gemeinschaftsrichter zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung noch in keinem Fall die Praxis der Kommission bei der Begründung der festgesetzten Geldbussen gerügt. Erst im Urteil vom 6. April 1995 in der Rechtssache Tréfilunion/Kommission (Randnr. 142) und in zwei anderen Urteilen vom selben Tag in den Rechtssachen T-147/89 (Société métallurgique de Normandie/Kommission, Slg. 1995, II-1057, abgekürzte Veröffentlichung) und T-151/89 (Société des treillis et panneaux soudés/Kommission, Slg. 1995, II-1191, abgekürzte Veröffentlichung) hat es das Gericht erstmals als wünschenswert bezeichnet, daß die Unternehmen die Berechnungsweise der gegen sie verhängten Geldbusse im einzelnen in Erfahrung bringen können, ohne zu diesem Zweck gerichtlich gegen die Entscheidung der Kommission vorgehen zu müssen.

254 Folglich muß die Kommission, wenn sie in einer Entscheidung eine Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln feststellt und gegen die daran beteiligten Unternehmen Geldbussen verhängt und wenn sie systematisch bestimmte Grundelemente bei der Festlegung der Höhe der Geldbussen heranzieht, diese Elemente in der Entscheidung selbst angeben, um es deren Adressaten zu ermöglichen, die Richtigkeit der Höhe der Geldbusse zu überprüfen und festzustellen, ob eine Diskriminierung vorliegt.

255 Unter den zuvor in Randnummer 253 genannten besonderen Umständen und unter Berücksichtigung der Tatsache, daß die Kommission bereit war, im gerichtlichen Verfahren alle Auskünfte über den Berechnungsmodus der Geldbussen zu geben, kann das Fehlen einer speziellen Begründung für den Berechnungsmodus der Geldbussen in der Entscheidung im vorliegenden Fall nicht als Verstoß gegen die Begründungspflicht angesehen werden, der die völlige oder teilweise Nichtigerklärung der festgesetzten Geldbussen rechtfertigt.

256 Folglich greift der vorliegende Klagegrund nicht durch.

B - Zum Klagegrund einer falschen Würdigung der in der Entscheidung bei der Ermittlung der Geldbusse herangezogenen Kriterien

Vorbringen der Parteien

257 Die Klägerin wendet sich erstens gegen die Behauptung der Kommission, daß die Unternehmen, an die die Entscheidung gerichtet sei, bewusst eine Zuwiderhandlung begangen und versucht hätten, die Existenz des Kartells zu verschleiern (Randnr. 167 der Entscheidung). Die Schriftstücke in den Akten enthielten nicht den geringsten Beweis oder den kleinsten Anhaltspunkt dafür, daß die Klägerin darin verwickelt gewesen sei.

258 Zweitens habe die Kommission berücksichtigen müssen, daß sich die Tätigkeit der Klägerin auf den portugiesischen, den griechischen, den irischen und den spanischen Markt konzentriert habe, d. h. auf die von der Entscheidung nicht erfassten nationalen Märkte.

259 Drittens habe die Kommission der Klägerin gegenüber das Kriterium der jeweiligen Rolle der Unternehmen bei den Absprachen (Randnr. 169 Absatz 1, erster Gedankenstrich der Entscheidung) nicht ordnungsgemäß angewandt. Sie habe nämlich nicht nur vorgegeben, den genauen Grad der Beteiligung und Mitwirkung jedes Unternehmens am Kartell zu kennen, sondern sich auch auf die - zu grobe - Unterscheidung zwischen den "Anführern" und den übrigen Unternehmen beschränkt. Diese Unterscheidung sei das Kriterium für die Anwendung der beiden Bußgeldsätze von 9 % und 7,5 % gewesen. Der erstgenannte Satz sei bei den "Anführern" zugrunde gelegt worden, die nach den Angaben, die das für Wettbewerbsfragen zuständige Kommissionsmitglied gegenüber der Presse gemacht habe, die Absprachen beschlossen und durchgesetzt hätten. Der zweitgenannte Satz sei auf die übrigen Unternehmen, u. a. auf die Klägerin, angewandt worden. Diese beiden Sätze spiegelten aber die Rolle, die jedes Unternehmen bei den Absprachen gespielt habe, nicht angemessen wider. Der Unterschied zwischen den beiden Sätzen sei im Verhältnis viel geringer als in früheren ähnlichen Verfahren. Dies gehe aus einer Tabelle der in Prozent ausgedrückten Unterschiede zwischen den Geldbussen hervor, die den als "Anführer" eingestuften Unternehmen und den übrigen Unternehmen in der vorliegenden Rechtssache und in früheren ähnlichen Rechtssachen auferlegt worden seien.

260 Die Kommission führt aus, die Klägerin könne bei einem so offensichtlichen Verstoß gegen die Wettbewerbsregeln wie dem vorliegenden nicht ernsthaft behaupten, sich der Rechtswidrigkeit ihrer Handlungen nicht bewusst gewesen zu sein. Ausserdem sei die Beseitigung schriftlicher Spuren der Tätigkeiten von PWG und JMC zur Verschleierung des rechtswidrigen Verhaltens erwiesen.

261 Zu räumlichen Ausdehnung der Zuwiderhandlung nimmt die Kommission auf ihre bereits vorgebrachten Argumente Bezug (siehe oben, Randnrn. 76 ff. und 141).

262 Sie ist schließlich der Auffassung, daß sie durch die Unterteilung der Kartellteilnehmer in Gruppen (Randnr. 170 der Entscheidung) die jeweilige Rolle der einzelnen Unternehmen hinreichend berücksichtigt habe.

Würdigung durch das Gericht

263 Randnummer 167 Absatz 3 der Entscheidung lautet: "Ein besonders gravierender Aspekt des Verstosses ist der Umstand, daß die Unternehmen bei dem Bemühen, die Existenz des Kartells zu verschleiern, soweit gingen, daß sie im voraus verabredeten, zu welchem Zeitpunkt und in welcher zeitlichen Folge die einzelnen grossen Hersteller die neuen Preiserhöhungen ankündigen würden." Ferner heisst es in der Entscheidung: "[D]ie Hersteller [hätten] aufgrund dieses ausgeklügelten Systems die Serien einheitlicher, regelmässiger und branchenweiter Preiserhöhungen in der Kartonbranche dem Phänomen "oligopolistischen Verhaltens" zuschreiben können" (Randnr. 73 Absatz 3). Schließlich hat die Kommission gemäß Randnummer 168, sechster Gedankenstrich, der Entscheidung bei der Festsetzung des allgemeinen Niveaus der Geldbussen berücksichtigt, daß "aufwendige Schritte unternommen [wurden], um die wahre Natur und das wahre Ausmaß der Absprachen zu verschleiern (Fehlen jeglicher offiziellen Sitzungsniederschriften oder Dokumente für den PWG und das JMC; Vorkehrungen gegen das Anfertigen von Notizen; Maßnahmen mit dem Ziel, die Zeitpunkte und die zeitliche Reihenfolge der Preiserhöhungsankündigungen so zu inszenieren, daß die Unternehmen behaupten können, einem Preisführer zu folgen usw.)".

264 Die Kommission hat aus den gesammelten Beweisen zu Recht geschlossen, daß die Unternehmen die Zeitpunkte und die Reihenfolge der Schreiben, in denen die Preiserhöhungen angekündigt wurden, festlegten, um zu versuchen, das Vorliegen der Preisabsprache zu verschleiern. Diese Festlegung geht insbesondere aus den Aussagen von Stora hervor (Anlage 39 der Mitteilung der Beschwerdepunkte, Punkt 30): "Es gab kein Standardverfahren dafür, wer eine Preiserhöhung zuerst ankündigen und wer sich anschließen würde. Im PWG wurde erörtert und vereinbart, wer die jeweilige Preiserhöhung zuerst ankündigen würde und wann die Ankündigungen der anderen führenden Hersteller folgen. Der Ablauf war nicht immer gleich." Ihr Vorhandensein wird ferner durch die Aktennotiz von Rena über die Sitzung des JMC vom 6. September 1990 (Anlage 118 der Mitteilung der Beschwerdepunkte) bestätigt. Dieses Schriftstück enthält genaue Angaben über die Zeitpunkte der Ankündigung der Preiserhöhungen im Januar 1991 durch einige Mitgliedsunternehmen des PWG (Mayr-Melnhof, Feldmühle und Cascades), die exakt den Daten entsprechen, zu denen diese Unternehmen ihre Ankündigungsschreiben tatsächlich versandt haben (vgl. Randnrn. 87 und 88 der Entscheidung).

265 Das Fehlen offizieller Protokolle und das fast völlige Fehlen interner Vermerke über die Sitzungen des PWG und des JMC stellen in Anbetracht der Zahl und der zeitlichen Dauer dieser Sitzungen sowie der Art der fraglichen Erörterungen einen hinreichenden Beweis für die Behauptung der Kommission dar, daß Vorkehrungen gegen das Anfertigen von Notizen getroffen worden seien.

266 Nach alledem war den Unternehmen, die an den Sitzungen dieser Gremien teilnahmen, nicht nur die Rechtswidrigkeit ihres Verhaltens bewusst, sondern sie haben auch Maßnahmen zur Verschleierung der Absprache getroffen. Die Kommission hat diese Maßnahmen folglich bei der Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung zu Recht als erschwerende Umstände behandelt.

267 Zum Vorbringen der Klägerin, wonach die Kommission hätte berücksichtigen müssen, daß sich die Tätigkeit der Klägerin auf den portugiesischen, den griechischen, den irischen und den spanischen Markt konzentriert habe, genügt die Feststellung, daß diese nationalen Märkte der Entscheidung zufolge von den Absprachen der Unternehmen erfasst wurden (siehe oben, Randnr. 112). Unter diesen Umständen hat die Kommission keinen Beurteilungsfehler begangen, als sie zur Ermittlung der Höhe der Geldbusse den von den einzelnen Unternehmen im Jahr 1990 auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft erzielten Umsatz heranzog.

268 Schließlich ist zum Vorbringen der Klägerin, daß die Kommission ihre Rolle bei den Absprachen nicht korrekt gewürdigt habe, festzustellen, daß sich die Klägerin, wie die Kommission nachgewiesen hat, durch ihre Teilnahme an den Sitzungen des JMC in der Zeit von Februar 1989 bis April 1991 an der Preisabsprache und an der Absprache über die Abstellzeiten beteiligte.

269 Dagegen ist anerkannt worden, daß die Klägerin nicht für eine Absprache über die Marktanteile zur Verantwortung gezogen werden durfte.

270 Trotz dieser Feststellung ist das Gericht im Rahmen der Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung der Ansicht, daß die von der Klägerin begangene Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages so schwerwiegend bleibt, daß die Geldbusse nicht herabzusetzen ist.

271 Die Klägerin nahm nicht an den Sitzungen des PWG teil und wurde daher nicht als "Anführer" des Kartells zur Verantwortung gezogen. Da sie nach Angaben der Kommission nicht zu den "treibenden Kräften" des Kartells gehörte (Randnr. 170 Absatz 1 der Entscheidung), wurde gegen sie eine Geldbusse in Höhe von 7,5 % ihres im Jahr 1990 in der Gemeinschaft erzielten Umsatzes im Kartonbereich verhängt. Dieses von der Klägerin nicht beanstandete allgemeine Bußgeldniveau ist gerechtfertigt (siehe unten, Randnrn. 349 ff.).

272 Auch wenn die Kommission zu Unrecht angenommen hat, daß den nicht im PWG vertretenen Herstellern die Absprache über die Marktanteile "sehr wohl bekannt" gewesen sei (Randnr. 58 Absatz 1 der Entscheidung), geht zudem aus der Entscheidung selbst hervor, daß sich die dem PWG angehörenden Unternehmen über das "Einfrieren" der Marktanteile verständigten (vgl. u. a. Randnr. 52) und daß über die Marktanteile der dort nicht vertretenen Hersteller nicht gesprochen wurde. Im übrigen führt die Kommission in Randnummer 116 Absatz 3 der Entscheidung aus, "daß die Marktaufteilungsabsprachen (insbesondere das in den Randnummern 56 und 57 beschriebene Einfrieren der Marktanteile) ihrem Wesen nach in erster Linie die führenden Hersteller betrafen". Die der Klägerin fälschlich zur Last gelegte Absprache über die Marktanteile hatte somit, wie die Kommission selbst angibt, namentlich gegenüber der Preisabsprache nur ergänzenden Charakter.

273 Soweit die Klägerin geltend macht, daß die festgesetzte Geldbusse im Verhältnis zu den gegen die "Anführer" verhängten Geldbussen überhöht sei, ist festzustellen, daß die Kommission den Unternehmen, die an den Sitzungen des PWG teilnahmen, zu Recht eine besondere Verantwortung für die Zuwiderhandlung zugeschrieben hat (Randnr. 170 der Entscheidung). Sie hat sodann durch die Wahl der Basissätze von 9 % und 7,5 % des relevanten Umsatzes bei der Berechnung der gegen die "Anführer" des Kartells und gegen dessen "gewöhnliche Mitglieder" verhängten Geldbussen die Schwere der jeweiligen Zuwiderhandlung dieser beiden Gruppen von Unternehmen zutreffend bewertet.

274 In diesem Zusammenhang ist darauf hinzuweisen, daß die Klägerin keine konkreten Anhaltspunkte vorgetragen hat, die ihre Behauptung untermauern könnten, daß in den zur Berechnung der Geldbussen herangezogenen Basissätzen die besondere Verantwortung der Unternehmen, die an den Sitzungen des PWG teilgenommen hätten, nicht richtig zum Ausdruck komme.

275 In Anbetracht dessen greift der Klagegrund nicht durch. C - Zum Klagegrund, der sich darauf stützt, daß die Klägerin die Zuwiderhandlung nicht vorsätzlich oder fahrlässig begangen habe

276 Die Klägerin trägt vor, die Geldbusse müsse für rechtswidrig erklärt werden, da sie die Zuwiderhandlungen weder vorsätzlich noch durch unentschuldbare Fahrlässigkeit begangen habe. Aus dem Wortlaut von Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 sei abzuleiten, daß es eine dritte Gruppe von Verhaltensweisen gebe, bei denen keine Geldbussen verhängt werden dürften, und zwar Handlungen der Unternehmen, die in Unkenntnis oder unfreiwillig erfolgten.

277 Diesem Klagegrund kann nicht gefolgt werden. Nach ständiger Rechtsprechung setzt die Einstufung einer Zuwiderhandlung als vorsätzlich nicht voraus, daß sich das Unternehmen des Verstosses gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages bewusst war. Es genügt, daß es wissen musste, daß das ihm zur Last gelegte Verhalten eine Einschränkung des Wettbewerbs auf dem Gemeinsamen Markt bezweckte oder bewirkte (vgl. u. a. Urteil des Gerichtshofes vom 11. Juli 1989 in der Rechtssache 246/86, Belasco u. a./Kommission, Slg. 1989, 2117, Randnr. 41, und Urteil Dansk Pelsdyravlerforening/Kommission, Randnr. 157).

278 Im vorliegenden Fall hat die Kommission nachgewiesen, daß sich die Klägerin durch ihre Teilnahme an den Sitzungen des JMC in der Zeit von Februar 1989 bis April 1991 an einer Preisabsprache und an einer Absprache über die Abstellzeiten beteiligte. In Anbetracht der Art der festgestellten Verhaltensweisen musste die Klägerin wissen, daß sie die Einschränkung des Wettbewerbs bezweckten.

D - Zum Klagegrund einer falschen Berechnung der Geldbusse

Vorbringen der Parteien

279 Dieser Klagegrund gliedert sich in zwei Teile.

280 Mit dem ersten Teil macht die Klägerin geltend, die Kommission habe bei der Bußgeldberechnung den Umsatz der Klägerin auf den Märkten, die der Mitteilung der Beschwerdepunkte zufolge von der Zuwiderhandlung nicht erfasst würden, d. h. auf dem spanischen, dem irischen, dem griechischen und dem portugiesischen Markt, nicht berücksichtigen dürfen. Ausserdem sei der Klägerin nicht bekannt, ob die Kommission das der Nettoverkaufsmenge entsprechende Umsatzvolumen herangezogen habe.

281 Mit dem zweiten Teil des Klagegrundes beruft sich die Klägerin auf mehrere, die Schwere der Zuwiderhandlung angeblich mildernde Umstände, die die Kommission nicht angemessen berücksichtigt habe.

282 Erstens hätte die Kommission das Verhalten der Klägerin innerhalb des Kartells berücksichtigen müssen (Urteil des Gerichtshofes vom 15. Juli 1970 in der Rechtssache 44/69, Buchler/Kommission, Slg. 1970, 733, Randnr. 56), das durch das Fehlen einer den nationalen Markt schützenden Politik und ihr zunehmendes Vordringen auf andere Märkte gekennzeichnet gewesen sei.

283 Zweitens habe ihre begrenzte oder passive Beteiligung an der PG Karton nicht mit einer Geldbusse oder allenfalls mit einer geringen Geldbusse geahndet werden dürfen (vgl. die Entscheidung 73/109/EWG der Kommission vom 2. Januar 1973 betreffend ein Verfahren nach den Artikeln 85 und 86 des EWG-Vertrags [IV/26.918 - Europäische Zuckerindustrie, ABl. L 140, S. 17], und die Entscheidung 84/405/EWG der Kommission vom 6. August 1984 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag [IV/30.350 - Zinc Producer Group, ABl. L 220, S. 27]).

284 Ihre Rolle als "Aussenseiter" ergebe sich aus den Tabellen im Anhang der Entscheidung, die erkennen ließen, daß ihr lediglich vier der sieben angeblichen Preisinitiativen vorgeworfen würden. Die Kommission lege ihr nämlich nur zur Last, an Preisinitiativen auf einem oder zwei der sechs betroffenen Märkte beteiligt gewesen zu sein. Ausserdem werde sie nicht hinsichtlich der verschiedenen Kartonsorten beschuldigt.

285 Drittens habe sie die angeblich gefassten Beschlüsse nicht durchgeführt. Die Kommission hätte insbesondere berücksichtigen müssen, daß sie ihre Ausfuhren beträchtlich erhöht habe (Entscheidung 69/240/EWG der Kommission vom 16. Juli 1969 über ein Verfahren nach Artikel 85 des Vertrages [IV/26.623 - Internationales Chininkartell, ABl. L 192, S. 5]) und daß sie nicht an der Preiserhöhung auf einem der Märkte beteiligt gewesen sei, denen die Absprachen gegolten hätten (Entscheidung 69/243/EWG der Kommission vom 24. Juli 1969 über ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags [IV/26.267 - Farbstoffe, ABl. L 195, S. 11]).

286 Im übrigen habe die Kommission keine ausreichenden Beweise für das tatsächliche Verhalten der Klägerin beigebracht.

287 Viertens müsse der fehlende Vorsatz zur Begehung einer Zuwiderhandlung zumindest zu einer Herabsetzung der Geldbusse führen. Insbesondere hinsichtlich des Informationsaustauschsystems habe die Klägerin erst kürzlich infolge des Beitritts des Königreichs Spanien zur Gemeinschaft im Jahr 1986 Kenntnis von den Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft erlangt. Diese Kenntnis sei mit der viel früheren Kenntnis anderer Unternehmen nicht vergleichbar.

288 Fünftens sei eine Herabsetzung der Geldbusse dann gerechtfertigt, wenn bestimmte Praktiken erstmals als Verstösse gegen das Wettbewerbsrecht geahndet würden. Dies gelte im vorliegenden Fall für die ganz neue Einstufung des Informationsaustauschs als Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln.

289 Sechstens hätten Kommission und Gerichtshof eine Krisensituation oder eine dauerhafte Rezession in der betreffenden Branche stets als mildernden Umstand betrachtet.

290 Ausserdem hätte berücksichtigt werden müssen, daß sie während der Dauer des angeblichen Kartells mit Verlust gearbeitet habe.

291 Siebtens habe auch ihre geringe Unternehmensgrösse im Verhältnis zu allen europäischen Herstellern bei der Festlegung der Geldbusse nach wirtschaftlichen Kriterien berücksichtigt werden müssen. Insoweit gehe aus der blossen Bezugnahme auf Randnummer 169 der Entscheidung nicht hervor, ob dieser Gesichtspunkt bei der Ermittlung der Geldbusse tatsächlich berücksichtigt worden sei.

292 Achtens sei auch das Fehlen von Maßnahmen zur Kontrolle der Durchführung des angeblichen Kartells (Randnrn. 82 und 136 der Entscheidung) ein Grund für eine Herabsetzung der Geldbusse.

293 Schließlich entbehre der Antrag der Kommission, das Gericht möge die gegen die Klägerin verhängte Geldbusse um ein Drittel erhöhen, der Grundlage. Sie habe nämlich ihren Standpunkt im Vergleich zum Verfahren vor der Kommission nicht geändert.

294 Die Kommission vertritt die Auffassung, daß die Heranziehung des von den an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen in der Gemeinschaft erzielten Umsatzes unter das ihr nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 zustehende Ermessen falle.

295 Zu den geltend gemachten mildernden Umständen weist sie darauf hin, daß weder die Entscheidung der Klägerin, ihre Produktionskapazität im Hinblick auf eine Steigerung der Nachfrage zu erhöhen, noch ihre angeblich aggressive Ausfuhrpolitik als unvereinbar mit den Zielsetzungen des Kartells oder mit ihrer aktiven Beteiligung an diesem betrachtet werden könnten.

296 Die Rolle der Klägerin im Kartell sei zutreffend bewertet worden, indem sie nicht zu den "Anführern" gezählt worden sei. Die Handlungen der Klägerin seien auch im Hinblick auf Artikel 85 Absatz 1 zutreffend gewürdigt worden.

297 Es liege kein mildernder Umstand vor, der darin bestuende, daß ein Informationsaustausch bisher nicht als Zuwiderhandlung angesehen worden sei, denn die Nutzung eines Informationsaustauschsystems als Methode zur Stützung eines Kartells könne nicht als neuartige Zuwiderhandlung gegen das Wettbewerbsrecht betrachtet werden.

298 Die Situation der Branche rechtfertige keineswegs eine Herabsetzung der Geldbusse. Ausserdem sei die Kommission nicht gehalten, bei der Festlegung der Geldbusse die finanzielle Situation der Unternehmen zu berücksichtigen (Urteil des Gerichtshofes vom 8. November 1983 in den Rechtssachen 96/82 bis 102/82, 104/82, 105/82, 108/82 und 110/82, IAZ u. a./Kommission, Slg. 1983, 3369, Randnr. 55).

299 Bei der geringen Unternehmensgrösse der Klägerin handele es sich um einen Gesichtspunkt, der gebührende Beachtung gefunden habe, denn bei der Bestimmung der Höhe der Geldbusse sei die jeweilige Stellung der Unternehmen in der Branche berücksichtigt worden sei (Randnr. 169 der Entscheidung).

300 Schließlich ergebe sich zum angeblichen Fehlen von Maßnahmen zur Kontrolle der Durchführung des Kartells aus den Randnummern 82 und 136 der Entscheidung, daß die Kartellteilnehmer im Rahmen des JMC insbesondere die Durchführung der Initiativen bei den Preisen, dem Absatz und den Auftragsbeständen überwacht hätten, was ihnen die Kontrolle und die Maßregelung der Unternehmen erlaubt habe, die sich nicht vereinbarungsgemäß verhalten hätten.

301 Im Ergebnis entbehre dieser Klagegrund jeder Grundlage. Das Gericht solle in Ausübung seiner Befugnis zur unbeschränkten Nachprüfung von Geldbussen die gegen die Klägerin verhängte Geldbusse um mindestens ein Drittel heraufsetzen, d. h. um den Teil, um den ihre Geldbusse verringert worden sei, weil sie in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte die von der Kommission vorgebrachten Tatsachenbehauptungen in der Substanz nicht bestritten habe. Da die Klägerin vor dem Gericht sämtliche Aspekte der Zuwiderhandlung mit Ausnahme ihrer Teilnahme an den Sitzungen abgestritten habe, sei die Herabsetzung der Geldbusse sachlich nicht mehr gerechtfertigt.

Würdigung durch das Gericht

302 Wie bereits festgestellt, erstreckt sich die Entscheidung auch auf den portugiesischen, den griechischen, den irischen und den spanischen Markt, so daß die Kommission keinen Beurteilungsfehler begangen hat, als sie zur Ermittlung der Höhe der Geldbusse den Umsatz heranzog, den die einzelnen Unternehmen im Jahr 1990 auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft einschließlich der fraglichen nationalen Märkte erzielten (siehe oben, Randnr. 267).

303 Die drei ersten von der Klägerin angeführten Gesichtspunkte - ihr Verhalten im Kartell, ihre begrenzte und passive Beteiligung an den Gremien der PG Karton und die Nichtdurchführung der in der PG Karton vereinbarten Preiserhöhungen - richten sich alle gegen die Beurteilung ihrer Rolle im Kartell durch die Kommission.

304 Insoweit hat die Kommission nachgewiesen, daß sich die Klägerin in der Zeit von Februar 1989 bis April 1991 durch ihre Teilnahme an den Sitzungen des JMC an einer Preisabsprache und an einer Absprache über die Abstellzeiten beteiligte. Wie bereits festgestellt, rechtfertigt ausserdem die Tatsache, daß sich die von der Klägerin begangene Zuwiderhandlung nicht auf eine Absprache über die Marktanteile erstreckte, keine Herabsetzung der verhängten Geldbusse.

305 Die Klägerin kann sich im vorliegenden Fall nicht darauf berufen, im Kartell eine weniger aktive Rolle als die übrigen Unternehmen gespielt zu haben, die als dessen "gewöhnliche Mitglieder" angesehen wurden. Aus Tabelle 4 im Anhang der Entscheidung geht nämlich hervor, daß sie von Februar 1989 bis April 1991 regelmässig an den Sitzungen des JMC teilnahm.

306 Ausserdem ist die Tatsache, daß sich ein Unternehmen, dessen Beteiligung an einer Preisabsprache mit seinen Konkurrenten erwiesen ist, auf dem Markt nicht in der mit ihnen vereinbarten Weise verhalten hat, bei der Bestimmung der Höhe der zu verhängenden Geldbusse nicht zwangsläufig als mildernder Umstand zu berücksichtigen. Ein Unternehmen, das trotz der Absprache mit seinen Konkurrenten eine mehr oder weniger unabhängige Marktpolitik verfolgt, versucht möglicherweise nur, das Kartell zu seinem Vorteil auszunutzen.

307 Im vorliegenden Fall lassen die von der Klägerin vorgetragenen Anhaltspunkte nicht den Schluß zu, daß ihr tatsächliches Marktverhalten geeignet war, die wettbewerbswidrigen Wirkungen der festgestellten Zuwiderhandlung aufzuheben. Sie hat insbesondere in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte geltend gemacht, daß sie die Preiserhöhungen nicht den Kunden angekündigt habe, sondern nur ihren Vertretern die neuen Preislisten ausgehändigt habe, damit diese sie bei den individuellen Verhandlungen mit den Kunden verwendeten. Insoweit beruft sie sich auf Schaubilder (S. 37 und 39 ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte), die zeigten, daß die erzielten Preise unter den geforderten Preisen gelegen hätten und daß es ihr gelungen sei, ihre Marktanteile auf mehreren Exportmärkten zu erhöhen.

308 In der Entscheidung räumt die Kommission jedoch ein, daß die tatsächlichen Verkaufspreise nicht immer mit den angekündigten Preisen übereingestimmt hätten. Sie führt u. a. aus: "Selbst wenn alle Hersteller entschlossen waren, die volle Preiserhöhung durchzusetzen, bedeutete die für die Kunden bestehende Möglichkeit, auf eine billigere Qualität oder Sorte auszuweichen, daß die Hersteller unter Umständen ihren angestammten Kunden bestimmte Terminzugeständnisse machen oder zusätzliche Anreize in Form von Mengenrabatten oder Skonti für Grossaufträge geben mussten, um bei ihnen die volle Basis-Preiserhöhung durchsetzen zu können. Eine Preiserhöhung käme damit erst nach einer gewissen Zeit voll zum Tragen" (Randnr. 101 Absatz 6 der Entscheidung). Die Klägerin hat daher nicht dargetan, daß sich ihre tatsächlichen Verkaufspreise spürbar von den Preisen der übrigen Teilnehmer an der festgestellten Zuwiderhandlung unterschieden.

309 Im übrigen trägt die Klägerin nicht vor, daß die anderen am Kartell beteiligten Unternehmen Druck auf sie ausgeuebt hätten. Sie trägt auch nicht vor, daß sie sich offen von den Beschlüssen distanziert habe, die in den Sitzungen, an denen sie teilnahm, in bezug auf Preiserhöhungen getroffen wurden.

310 Unter diesen Umständen war die Kommission berechtigt, das Marktverhalten der Klägerin, das angeblich von dem in der PG Karton vereinbarten Verhalten abwich, nicht als mildernden Umstand zu berücksichtigen.

311 Die Klägerin kann sich auch nicht darauf berufen, die Zuwiderhandlung nicht absichtlich begangen zu haben. Wie bereits ausgeführt, musste die Klägerin in Anbetracht der Art der festgestellten Verhaltensweisen wissen, daß sie die Einschränkung des Wettbewerbs bezweckten (siehe oben, Randnrn. 277 und 278).

312 Die Klägerin beruft sich ferner darauf, daß die Einstufung des Informationsaustauschs als Zuwiderhandlung gegen die Wettbewerbsregeln neu sei.

313 Gemäß Artikel 1 der Entscheidung haben die darin genannten Unternehmen aber gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstossen, indem sie sich an einer Vereinbarung und abgestimmten Verhaltensweise beteiligten, durch die sie u. a. "als Absicherung der vorgenannten Maßnahmen [d. h. einer Preisabsprache, einer Absprache über die Marktanteile und einer Absprache über die Abstellzeiten] Geschäftsinformationen (über Lieferungen, Preise, Abstellzeiten, Auftragsbestände und Kapazitätsauslastung) austauschten".

314 Die Kommission sah den Verstoß des Informationsaustauschs gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages somit nur darin, daß er das festgestellte Kartell stützte. Das Vorbringen der Klägerin entbehrt folglich der Grundlage.

315 Die Klägerin hat im übrigen nicht dargetan, daß sich die Kartonbranche in dem von der Entscheidung erfassten Zeitraum in einer Krisensituation befand, die eine Herabsetzung der Geldbussen rechtfertigen würde.

316 Sie kann sich nicht darauf berufen, daß ihre schlechte Finanzlage einen mildernden Umstand hätte darstellen müssen. Die Anerkennung einer solchen Verpflichtung würde nämlich darauf hinauslaufen, den am wenigsten den Marktbedingungen angepassten Unternehmen einen ungerechtfertigten Wettbewerbsvorteil zu verschaffen (Urteil IAZ u. a./Kommission, Randnr. 55).

317 Die Tatsache, daß es sich bei der Klägerin um ein kleineres Unternehmen handelt, wurde von der Kommission dadurch berücksichtigt, daß sie zur Ermittlung der Höhe der Geldbussen auf den von den einzelnen Unternehmen im Jahr 1990 auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft erzielten Umsatz abstellte.

318 Zu dem von der Klägerin als letztem Gesichtspunkt behaupteten Fehlen von Maßnahmen zur Kontrolle der Umsetzung des Kartells ist zu sagen, daß zwar die Existenz von Maßnahmen zur Kontrolle der Umsetzung eines Kartells bei der Festsetzung der Geldbussen als erschwerender Umstand herangezogen werden kann; das Fehlen solcher Maßnahmen kann aber als solches keinen mildernden Umstand darstellen. Im übrigen verweist die Klägerin selbst u. a. auf Randnummer 136 der Entscheidung, in der es heisst (letzter Absatz dieser Randnr.): "Die vorhandenen Schriftstücke zeigen jedoch deutlich, daß die Durchsetzung der Preisinitiativen genauestens überwacht und daß jede Kooperationsunwilligkeit im JMC erörtert wurde, wobei Zauderer gedrängt wurden, die Preiserhöhungen der Marktführer zu unterstützen..." Da die Klägerin die Richtigkeit dieser Feststellung nicht bestritten hat, spricht nichts dafür, daß die Kommission das Fehlen von Maßnahmen zur Kontrolle der Umsetzung des Kartells als mildernden Umstand hätte berücksichtigen können.

319 Schließlich genügt zum Antrag der Kommission, das Gericht möge die festgesetzte Geldbusse erhöhen, der Hinweis, daß die Kommission in ihrer Antwort auf eine vom Gericht in der Verhandlung gestellte Frage nicht in der Lage war, die von der Klägerin in ihren Schriftsätzen vorgetragenen Einwände anzugeben, die in ihrer Erwiderung auf die Mitteilung der Beschwerdepunkte nicht erhoben worden sein sollen. Schon deshalb kann dem Antrag der Kommission nicht gefolgt werden.

320 In Anbetracht dessen sind der vorliegende Klagegrund und der Antrag der Kommission auf Erhöhung der gegen die Klägerin festgesetzten Geldbusse zurückzuweisen.

E - Zum Klagegrund eines Verstosses gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung

Zum ersten Teil des Klagegrundes, der sich darauf stützt, daß die Abwertung der spanischen Peseta ausser acht gelassen worden sei

Vorbringen der Parteien

321 Die Klägerin macht geltend, die Nichtberücksichtigung der Auswirkungen der Abwertung bestimmter europäischer Währungen, im vorliegenden Fall der spanischen Peseta, stelle eine Ungleichbehandlung von Personen dar, die sich in derselben Situation befänden.

322 Von Januar 1991 bis Juli 1994 habe die spanische Peseta gegenüber dem Ecu erheblich an Wert verloren. Der Wechselkurs PTA/ECU habe im Juli 1990 1 ECU für 127,29 PTA und im Juli 1994 1 ECU für 157,32 PTA betragen. Die wirtschaftliche Auswirkung der Zahlung einer in Ecu ausgedrückten Geldbusse sei daher bei den Unternehmen, die den grössten Teil ihres Umsatzes in Währungen tätigten, die gegenüber dem Ecu an Wert eingebüsst hätten, im Verhältnis wesentlich stärker.

323 In Verfahren mit gemeinsamen Sanktionen müssten Unterschiede bei den gegen die Unternehmen verhängten Geldbussen aus objektiven Gründen gerechtfertigt sein, die mit der Haltung und/oder dem individuellen Verhalten jedes von ihnen zusammenhingen. Im vorliegenden Fall enthalte die Entscheidung aber keine Rechtfertigung für die de-facto-Diskriminierung, die aus der Angabe der Geldbusse in Ecu folge. Die Kommission habe daher fahrlässig gehandelt und den Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt.

324 Zur Ermittlung der Höhe der verhängten Geldbusse habe die Kommission den Umsatz des Referenzjahrs, des Geschäftsjahrs 1990, unter Heranziehung des durchschnittlichen Kurses dieses Jahres in Ecu umgerechnet. Sie habe dann durch Anwendung des zuvor festgelegten Prozentsatzes - im Fall der Klägerin eines Basissatzes von 7,5 %, der zunächst um 33,3 % herabgesetzt worden sei, weil sie den Sachverhalt nicht bestritten habe, und dann um einen weiteren Prozentsatz, um der kurzen Dauer ihrer Beteiligung an der Zuwiderhandlung Rechnung zu tragen - die Höhe der Geldbusse bestimmt. In nationaler Währung müsste die Klägerin heute zur Begleichung der Geldbusse einen Betrag von etwa 275 Millionen PTA bezahlen. Hätte die Kommission dagegen den Kartonumsatz, den die Klägerin im Jahr 1990 in der Gemeinschaft erzielt habe, nach dem aktuellen Wechselkurs in Ecu umgerechnet, so hätte sich die Geldbusse auf 1,42 Millionen ECU oder, nach dem aktuellen Wechselkurs, etwa 225 Millionen PTA belaufen. Die Geldbusse der Klägerin habe sich somit um 50 Millionen PTA erhöht.

325 Die Erklärung der Kommission, daß man zwei in verschiedenen Währungen angegebene Umsätze in Ecu umrechnen müsse, um sie miteinander zu vergleichen und so die Gleichbehandlung sicherzustellen, sei völlig falsch. Die Umrechnung des Umsatzes in Ecu sei nicht notwendig, um den Grundsatz der Gleichbehandlung zu wahren, denn dieser Grundsatz werde eingehalten, wenn man bei zwei Unternehmen, deren Zuwiderhandlung von gleicher Schwere und Dauer sei, identische Prozentsätze auf die Umsätze desselben Geschäftsjahrs anwende. Diesem Ergebnis stehe das Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission nicht entgegen.

326 Die Diskriminierung durch die Kommission beruhe darauf, daß die Geldbussen in Ecu ausgedrückt seien, was der Rechtsprechung des Gerichtshofes zuwiderlaufe, nach der eine Umrechnung in Ecu nicht nötig sei. Eine solche Umrechnung, die auch im Hinblick auf die wirtschaftlichen Gegebenheiten nicht gerechtfertigt sei (Urteil des Gerichtshofes vom 9. März 1977 in den Rechtssachen 41/73, 43/73 und 44/73 - Auslegung, Société anonyme générale sucrière u. a./Kommission, Slg. 1977, 445, Randnrn. 12 bis 15, 25 und 26), werde von keiner Bestimmung des Primärrechts oder des abgeleiteten Rechts verlangt. In seinen Schlussanträgen zum vorgenannten Urteil habe Generalanwalt Warner ausgeführt, daß die Kommission bei der Berechnung ihrer Geldbussen in Ecu die tatsächliche Währungsentwicklung berücksichtigen müsse, um nicht unerwünschte Verzerrungen hervorzurufen. Die Kommission müsse zunächst entscheiden, in welcher Währung sie die Geldbusse zum Zweck der Zwangsvollstreckung festsetzen wolle, und dann unter Berücksichtigung des wirklichen Wertes dieser Währung den angemessenen Betrag bestimmen.

327 In anderen Bereichen habe sich der Gerichtshof dafür ausgesprochen, daß Krankheitskosten den Gemeinschaftsbeamten, die ihren Wohnsitz in verschiedenen Ländern hätten, in nationaler Währung erstattet würden, um jede Diskriminierung zwischen ihnen zu vermeiden (Urteil vom 13. Februar 1980 in der Rechtssache 256/78, Misenta/Kommission, Slg. 1980, 219). Er habe über die Beachtung des Diskriminierungsverbots in Rechtsstreitigkeiten gewacht, die sich mit den Wirkungen von Währungsschwankungen, insbesondere in den Bereichen der gemeinsamen Handelspolitik (Urteile des Gerichtshofes vom 3. Juni 1980 in der Rechtssache 135/79, Gedelfi Grosseinkauf, Slg. 1980, 1713, und vom 3. Februar 1982 in der Rechtssache 248/80, Gebrüder Glunz, Slg. 1982, 197) und der gemeinsamen Agrarpolitik (Urteile des Gerichtshofes vom 3. Juli 1985 in der Rechtssache 39/84, Maizena u. a., Slg. 1985, 2115, und vom 3. Oktober 1985 in der Rechtssache 46/84, Nordgetreide, Slg. 1985, 3127), befasst hätten.

328 Die Verordnung Nr. 17 schreibe die Verwendung des Ecu weder für die Berechnung noch für die Angabe der in Artikel 15 Absatz 2 vorgesehenen Geldbusse vor. Mit der Möglichkeit, gegen ein an der Zuwiderhandlung beteiligtes Unternehmen eine Geldbusse von bis zu 10 % des im letzten Geschäftsjahr erzielten Umsatzes zu verhängen, schaffe die Verordnung erkennbar eine Verbindung zwischen der Höhe der Geldbusse und dem Nutzen, den das Unternehmen aus der Zuwiderhandlung gezogen habe. Dieser Nutzen spiegele sich hauptsächlich im erzielten Umsatz wider, der in nationaler Währung und nicht in Ecu ermittelt werde.

329 Die Verwendung des Ecu sei schließlich unpraktisch. Die Geldbusse werde nämlich in nationaler Währung gezahlt, und bei Nichtzahlung müsse die Kommission sie in nationaler Währung vollstrecken.

FORTSETZUNG DER GRÜNDE UNTER DOK.NUM: 694A0348.2

330 Die Kommission ist der Auffassung, daß bei Geldbussen für Unternehmen, die in verschiedenen Mitgliedstaaten ansässig und deren Umsätze in verschiedenen Währungen angegeben seien, der Grundsatz der Gleichbehandlung fordere, daß sie miteinander verglichen werden könnten. Der einzige Weg, unterschiedliche Währungen miteinander zu vergleichen, sei die Umrechnung in eine einzige Währungseinheit, im vorliegenden Fall in Ecu. Der Gerichtshof habe anerkannt, daß die Geldbussen miteinander vergleichbar sein müssten. Er habe entschieden, daß der relevante Zeitraum so abgegrenzt werden müsse, daß die ermittelten Umsatzzahlen soweit wie möglich miteinander vergleichbar seien, wenn es erforderlich sei, auf den Umsatz der an ein und derselben Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen zurückzugreifen, um das Verhältnis zwischen den festzusetzenden Geldbussen zu bestimmen (Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 122).

331 Im vorliegenden Fall sei die Entscheidung der Kommission, die Geldbussen auf der Grundlage des zum durchschnittlichen Wechselkurs des Jahres 1990 in Ecu umgerechneten Umsatzes des Jahres 1990 zu ermitteln, vollauf gerechtfertigt. Diese Entscheidung entspreche nicht nur einer gefestigten und vom Gemeinschaftsrichter nicht beanstandeten Praxis der Kommission, sondern spiegele auch genau sämtliche etwaigen durch die Zuwiderhandlung erlangten Vorteile wider (Urteil des Gerichts vom 23. Februar 1994 in den Rechtssachen T-39/92 und T-40/92, CB und Europay/Kommission, Slg. 1994, II-49).

332 Das Urteil Société anonyme générale sucrière u. a./Kommission sei in einem ganz bestimmten Zusammenhang ergangen und könne daher nicht als Stütze für die Auffassung der Klägerin dienen. Aus diesem Urteil ergebe sich, wenn man es in seinem Sachzusammenhang auslege, daß die Kommission den Betrag der Geldbussen in Ecu festlegen müsse, während der Zeitpunkt der Zahlung und die zahlende Bank die Währung und den Wechselkurs bestimmten.

333 Schließlich ermögliche es die Verwendung des Ecu bei der Berechnung und Festlegung des Betrages der Geldbussen wegen der relativen Stabilität des Ecu, eine Diskriminierung zwischen Unternehmen zu vermeiden, die sich aus Währungsschwankungen ergeben könnten. Dieses System gestatte es der Kommission, dafür zu sorgen, daß die Geldbussen tatsächlich einem bestimmten Prozentsatz des wirklichen Wertes des Umsatzes eines Unternehmens im gewählten Referenzjahr entsprächen.

Würdigung durch das Gericht

334 Gemäß Artikel 4 der Entscheidung sind die festgesetzten Geldbussen in Ecu zu zahlen.

335 Die Kommission ist nicht daran gehindert, die Geldbusse in Ecu anzugeben, einer in Landeswährung konvertierbaren Währungseinheit. Dies erleichtert es den Unternehmen im übrigen, die Beträge der festgesetzten Geldbussen miteinander zu vergleichen. Ausserdem unterscheidet die Umrechnungsmöglichkeit des Ecu in Landeswährung diese Währungseinheit von der in Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 erwähnten "Rechnungseinheit", bei der nach der ausdrücklichen Feststellung des Gerichtshofes der Betrag der Geldbusse zwangsläufig in Landeswährung bestimmt werden musste, da sie keine Währung ist, in der Zahlungen vorgenommen werden können (Urteil Société anonyme générale sucrière u. a./Kommission, Randnr. 15).

336 Den Einwänden der Klägerin gegen die Methode der Kommission, den Umsatz der Unternehmen im Referenzjahr zum durchschnittlichen Wechselkurs dieses Jahres (1990) in Ecu umzurechnen, ist nicht zu folgen.

337 Zunächst muß die Kommission bei der Berechnung der Geldbussen gegen Unternehmen, die wegen Beteiligung an derselben Zuwiderhandlung verfolgt werden, normalerweise dieselbe Methode anwenden (vgl. Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnr. 122).

338 Sodann muß sie, um die verschiedenen mitgeteilten Umsätze, die in den jeweiligen Landeswährungen der betreffenden Unternehmen angegeben sind, miteinander vergleichen zu können, diese Zahlen in dieselbe Währungseinheit umrechnen. Da sich der Wert des Ecu nach dem Wert aller Landeswährungen der Mitgliedstaaten richtet, hat die Kommission die Umsätze der einzelnen Unternehmen zu Recht in Ecu umgerechnet.

339 Sie hat sich auch zu Recht auf den Umsatz im Referenzjahr (1990) gestützt und diesen Umsatz auf der Grundlage der durchschnittlichen Wechselkurse dieses Jahres in Ecu umgerechnet. Zum einen hat es ihr die Heranziehung des von den einzelnen Unternehmen im Referenzjahr - dem letzten vollständigen in den Zeitraum der Zuwiderhandlung einbezogenen Jahr - erzielten Umsatzes ermöglicht, die Grösse und die Wirtschaftskraft jedes Unternehmens sowie das Ausmaß der von jedem von ihnen begangenen Zuwiderhandlung einzuschätzen; dies sind für die Beurteilung der Schwere der von den einzelnen Unternehmen begangenen Zuwiderhandlung relevante Gesichtspunkte (vgl. Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnrn. 120 und 121). Zum anderen konnte sie durch die Heranziehung der durchschnittlichen Wechselkurse im gewählten Referenzjahr bei der Umrechnung der fraglichen Umsätze in Ecu verhindern, daß etwaige Währungsschwankungen seit der Beendigung der Zuwiderhandlung die Beurteilung der relativen Grösse und Wirtschaftskraft der Unternehmen sowie des Ausmasses der von jedem von ihnen begangenen Zuwiderhandlung und damit die Beurteilung der Schwere dieser Zuwiderhandlung beeinflussen. Die Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung muß sich nämlich auf die tatsächliche wirtschaftliche Lage zur Zeit ihrer Begehung beziehen.

340 Folglich kann dem Vorbringen, daß der Umsatz im Referenzjahr auf der Grundlage des zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung geltenden Wechselkurses in Ecu hätte umgerechnet werden müssen, nicht gefolgt werden. Die Methode, die Geldbusse unter Heranziehung des durchschnittlichen Wechselkurses im Referenzjahr zu berechnen, erlaubt es, die zufälligen Auswirkungen von Änderungen des tatsächlichen Wertes der Landeswährungen auszuschließen, die zwischen dem Referenzjahr und dem Jahr des Erlasses der Entscheidung eintreten können und im vorliegenden Fall auch eingetreten sind. Diese Methode kann zwar dazu führen, daß ein bestimmtes Unternehmen einen Betrag zahlen muß, der - in Landeswährung - nominal höher oder niedriger ist als der Betrag, der bei Anwendung des Wechselkurses zum Zeitpunkt des Erlasses der Entscheidung hätte gezahlt werden müssen; dies ist jedoch nur die logische Folge der Schwankungen des tatsächlichen Wertes der einzelnen Landeswährungen.

341 Hinzu kommt, daß mehrere Adressaten der Entscheidung Kartonwerke in mehr als einem Land besitzen (vgl. Randnrn. 7, 8 und 11 der Entscheidung). Ausserdem sind die Adressaten der Entscheidung im allgemeinen über örtliche Vertretungen in mehr als einem Mitgliedstaat tätig. Sie arbeiten folglich mit mehreren nationalen Währungen. Die Klägerin selbst erzielt mehr als ein Drittel ihres Umsatzes auf den Exportmärkten. Werden mit einer Entscheidung der in Rede stehenden Art Verstösse gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages geahndet, und sind die Adressaten der Entscheidung im allgemeinen in mehreren Mitgliedstaaten tätig, so besteht der zum durchschnittlichen Wechselkurs des Referenzjahres in Ecu umgerechnete Umsatz dieses Jahres aus der Summe der Umsätze in allen Ländern, in denen das Unternehmen tätig ist. Er trägt somit der tatsächlichen wirtschaftlichen Situation der betreffenden Unternehmen im Referenzjahr voll und ganz Rechnung.

342 Der erste Teil des Klagegrundes ist somit zurückzuweisen.

Zum zweiten Teil des Klagegrundes, der sich darauf stützt, daß das Niveau der Geldbussen höher sei als das von der Kommission in vergleichbaren Rechtssachen angewandte Niveau

Vorbringen der Parteien

343 Die Klägerin macht geltend, die Kommission müsse den Grundsatz der Gleichbehandlung hinsichtlich der Höhe der in anderen vergleichbaren Entscheidungen verhängten Geldbussen beachten, wie sie im übrigen selbst anerkannt habe (Schriftliche Anfrage Nr. 2296/85, ABl. 1986, C 123, S. 26).

344 Im vorliegenden Fall sei der Grundsatz der Gleichbehandlung verletzt worden, weil sich der Prozentsatz des Umsatzes, der bei der Bestimmung der Geldbusse herangezogen worden sei, bei den Unternehmen, die als die Hauptverantwortlichen des Kartells betrachtet worden seien, auf 9 % belaufe. Dieses Bußgeldniveau liege erheblich über dem früherer ähnlicher Entscheidungen (u. a. der Entscheidung 89/515/EWG der Kommission vom 2. August 1989 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 EWG-Vertrag [IV/31.553 - Betonstahlmatten, ABl. L 260, S. 1] und der Entscheidung 94/215/EGKS der Kommission vom 16. Februar 1994 in einem Verfahren nach Artikel 65 des EGKS-Vertrags betreffend Vereinbarungen und verabredete Praktiken von europäischen Trägerherstellern, ABl. L 116, S. 1). Insbesondere habe die Kommission im Jahr 1994 innerhalb von weniger als fünf Monaten gegenüber gleichartigen europaweiten Kartellen zwei eindeutig abweichende Entscheidungen erlassen, ohne den Wechsel in ihrer Haltung wirklich zu begründen. Daraus sei auf eine Diskriminierung oder eine Ungleichbehandlung vergleichbarer Sachverhalte zu schließen.

345 Die Kommission dürfe ihr Ermessen nicht zur Begehung offensichtlicher Verstösse gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung nutzen.

346 Auch wenn eine ordnungsgemässe Anwendung der gemeinschaftlichen Wettbewerbsregeln es nach Auffassung des Gerichtshofes erforderlich mache, daß die Kommission das Niveau der Geldbussen jederzeit den Erfordernissen der Wettbewerbspolitik anpassen könne, bedeute das nicht, daß die Kommission das allgemeine Bußgeldniveau von einer Zuwiderhandlung zur anderen herauf- oder herabsetzen dürfe, ohne hierfür ausreichende objektive Gründe anzugeben.

347 Schließlich zeige auch die Entscheidung 94/815/EWG der Kommission vom 30. November 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/33.126 und 33.322 - Zement, ABl. L 343, S. 1), daß in der vorliegenden Rechtssache eine offensichtliche Verletzung des Grundsatzes der Gleichbehandlung und ein offenkundiges Mißverhältnis bei der Festlegung des allgemeinen Prozentsatzes des der Bußgeldbemessung zugrunde gelegten Umsatzes vorlägen.

348 Die Kommission ist der Auffassung, daß das Bußgeldniveau angesichts der Schwere, der räumlichen Ausdehnung und der Dauer der festgestellten Zuwiderhandlung vollkommen gerechtfertigt sei.

Würdigung durch das Gericht

349 Nach Artikel 15 Absatz 2 der Verordnung Nr. 17 kann die Kommission gegen Unternehmen, die vorsätzlich oder fahrlässig gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages verstossen haben, durch Entscheidung Geldbussen in Höhe von 1 000 ECU bis 1 000 000 ECU oder über diesen Betrag hinaus bis zu 10 % des von dem einzelnen an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen im letzten Geschäftsjahr erzielten Umsatzes festsetzen. Die Höhe der Geldbusse richtet sich sowohl nach der Schwere als auch nach der Dauer der Zuwiderhandlung. Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ist die Schwere der Zuwiderhandlungen anhand einer Vielzahl von Gesichtspunkten zu ermitteln, zu denen u. a. die besonderen Umstände der Rechtssache, ihr Kontext und die Abschreckungswirkung der Geldbussen gehören, ohne daß es eine zwingende oder abschließende Liste von Kriterien gäbe, die auf jeden Fall berücksichtigt werden müssten (Beschluß SPO u. a./Kommission, Randnr. 54).

350 Im vorliegenden Fall hat die Kommission bei der Festsetzung des allgemeinen Niveaus der Geldbussen der Dauer der Zuwiderhandlung (Randnr. 167 der Entscheidung) und folgenden Erwägungen Rechnung getragen (Randnr. 168 der Entscheidung):

"- Preis- und Marktaufteilungsabsprachen stellen als solche schwere Wettbewerbsbeschränkungen dar;

- das Kartell erstreckte sich praktisch auf das ganze Gebiet der Gemeinschaft;

- der EG-Kartonmarkt ist ein bedeutender Industriesektor, der jedes Jahr einen Wert von bis zu 2,5 Milliarden ECU darstellt;

- die an der Zuwiderhandlung beteiligten Unternehmen repräsentieren praktisch den gesamten Markt;

- das Kartell wurde in einem System regelmässiger Sitzungen institutionalisiert, in denen der Kartonmarkt in der Gemeinschaft im einzelnen reguliert wurde;

- es wurden aufwendige Schritte unternommen, um die wahre Natur und das wahre Ausmaß der Absprachen zu verschleiern (Fehlen jeglicher offiziellen Sitzungsniederschriften oder Dokumente für den PWG und das JMC; Vorkehrungen gegen das Anfertigen von Notizen; Maßnahmen mit dem Ziel, die Zeitpunkte und die zeitliche Reihenfolge der Preiserhöhungsankündigungen so zu inszenieren, daß die Unternehmen behaupten können, einem Preisführer zu folgen usw.);

- das Kartell war, was die Erreichung seiner Ziele betrifft, weitgehend erfolgreich."

351 Es ist unstreitig, daß gegen die als "Anführer" des Kartells angesehenen Unternehmen Geldbussen mit einem Basissatz von 9 % und gegen die übrigen Unternehmen Geldbussen mit einem Basissatz von 7,5 % des von den Adressaten der Entscheidung auf dem Kartonmarkt der Gemeinschaft im Jahr 1990 erzielten Umsatzes festgesetzt wurden.

352 Erstens ist darauf hinzuweisen, daß die Kommission bei ihrer Beurteilung des allgemeinen Niveaus der Geldbussen der Tatsache Rechnung tragen darf, daß offenkundige Zuwiderhandlungen gegen die Wettbewerbsregeln der Gemeinschaft immer noch verhältnismässig häufig sind, und daß es ihr daher freisteht, das Niveau der Geldbussen anzuheben, um deren abschreckende Wirkung zu verstärken. Folglich ist die Kommission dadurch, daß sie in der Vergangenheit für bestimmte Arten von Zuwiderhandlungen Geldbussen in bestimmter Höhe verhängt hat, nicht daran gehindert, dieses Niveau innerhalb der in der Verordnung Nr. 17 gezogenen Grenzen anzuheben, wenn dies erforderlich ist, um die Durchführung der gemeinschaftlichen Wettbewerbspolitik sicherzustellen (vgl. u. a. Urteil Musique Diffusion française u. a./Kommission, Randnrn. 105 bis 108, und Urteil des Gerichts vom 10. März 1992 in der Rechtssache T-13/89, ICI/Kommission, Slg. 1992, II-1021, Randnr. 385).

353 Zweitens hat die Kommission in der Verhandlung zu Recht geltend gemacht, daß aufgrund der Besonderheiten des vorliegenden Falles kein direkter Vergleich zwischen dem allgemeinen Niveau der Geldbussen in der streitigen Entscheidung und dem Niveau nach der früheren Entscheidungspraxis der Kommission - insbesondere in der Entscheidung 86/398/EWG der Kommission vom 23. April 1986 betreffend ein Verfahren nach Artikel 85 des EWG-Vertrags (IV/31.149 - Polypropylen, ABl. L 230, S. 1; im folgenden: Polypropylen-Entscheidung), die die Kommission selbst als die mit dem vorliegenden Fall am besten vergleichbare Entscheidung ansieht - vorgenommen werden kann. Im Gegensatz zu dem Fall, der Gegenstand der Polypropylen-Entscheidung war, wurde hier nämlich bei der Festlegung des allgemeinen Niveaus der Geldbussen kein genereller mildernder Umstand berücksichtigt. Im übrigen bilden, wie das Gericht bereits festgestellt hat, die aufwendigen Maßnahmen der Unternehmen zur Verschleierung der Existenz der Zuwiderhandlung einen besonders schwerwiegenden Aspekt der Zuwiderhandlung, der sie von den früheren von der Kommission aufgedeckten Zuwiderhandlungen unterscheidet.

354 Drittens ist auf die lange Dauer und die Offenkundigkeit der Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages hinzuweisen, die trotz der Warnung begangen wurde, die die frühere Entscheidungspraxis der Kommission und insbesondere die Polypropylen-Entscheidung hätte darstellen müssen.

355 Aufgrund dieser Gesichtspunkte rechtfertigen die in Randnummer 168 der Entscheidung wiedergegebenen Kriterien das von der Kommission festgelegte allgemeine Niveau der Geldbussen.

356 Schließlich ist die Kommission bei der hier erfolgten Festlegung des allgemeinen Niveaus der Geldbussen nicht derart von ihrer früheren Entscheidungspraxis abgewichen, daß sie ihre Beurteilung der Schwere der Zuwiderhandlung ausführlicher hätte begründen müssen (vgl. u. a. Urteil Groupement des fabricants de papiers peints de Belgique u. a./Kommission, Randnr. 31).

357 Der zweite Teil des Klagegrundes ist daher ebenfalls zurückzuweisen.

358 Nach alledem ist der Klagegrund in vollem Umfang zurückzuweisen.

F - Zum Klagegrund eines Verstosses gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit

359 Die Klägerin trägt vor, im vorliegenden Fall sei gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit verstossen worden, da die Krisensituation, in der sich die Branche derzeit befinde, bei der Bestimmung der Sanktion völlig ausser acht gelassen worden sei. Gleiches gelte für die hier festzustellende unterschiedliche Behandlung gegenüber anderen Unternehmen in ähnlichen Verfahren vor der Kommission.

360 Die gegen die Firma Tetra Pak wegen einer besonders schwerwiegenden und langen Zuwiderhandlung festgesetzte Geldbusse in Höhe von 2,2 % des Umsatzes (Entscheidung 92/163/EWG der Kommission vom 24. Juli 1991 in einem Verfahren nach Artikel 86 EWG-Vertrag [Sache IV/31.043 - Tetra Pak II, ABl. 1992, L 72, S. 1]) sei wesentlich niedriger als die gegen sie verhängte Geldbusse, obwohl die ihr zur Last gelegten Zuwiderhandlungen von deutlich geringerer Dauer und Schwere seien als die der Firma Tetra Pak vorgeworfenen.

361 Ein weiterer offensichtlicher Verstoß gegen den Grundsatz der Verhältnismässigkeit liege in dem Mißverhältnis zwischen den bei den "Anführern" des Kartells und dessen "gewöhnlichen Mitgliedern" angewandten Basissätzen.

362 Die Klägerin hat nicht nachgewiesen, daß sich die Kartonbranche derzeit in einer Krisensituation befindet. Sie hat auch nicht erläutert, weshalb eine solche Situation, wenn sie vorliegen würde, bei der Festsetzung der Geldbussen berücksichtigt werden müsste.

363 Im übrigen wiederholt sie zur Stützung des vorliegenden Klagegrundes lediglich Argumente, die bereits zur Stützung anderer, auf die Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbusse gerichteter Klagegründe vorgetragen wurden.

364 Da diese Argumente zurückgewiesen worden sind, kann dem vorliegenden Klagegrund nicht gefolgt werden.

365 Nach alledem ist Artikel 1 der Entscheidung in bezug auf die Klägerin für nichtig zu erklären, soweit es darin heisst, daß sich die Klägerin vor Februar 1989 an einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages beteiligt habe. Ferner ist Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung, wonach die Vereinbarung und die abgestimmte Verhaltensweise, an denen sie sich beteiligte, "vorbehaltlich gelegentlicher Änderungen... [zur] Aufrechterhaltung konstanter Marktanteile der führenden Hersteller" dienten, in bezug auf sie für nichtig zu erklären.

366 Hinsichtlich der Höhe der festgesetzten Geldbusse ist zu berücksichtigen, daß die Klägerin nur für eine Zuwiderhandlung gegen Artikel 85 Absatz 1 des Vertrages in der Zeit von Februar 1989 bis April 1991 zur Verantwortung gezogen werden kann. Wie bereits festgestellt (siehe oben, Randnrn. 269 ff.), rechtfertigt die Tatsache, daß sich die von der Klägerin begangene Zuwiderhandlung nicht auf eine Absprache über die Marktanteile erstreckte, dagegen keine Herabsetzung der verhängten Geldbusse.

367 Da die anderen von der Klägerin zur Stützung ihres Antrags auf Nichtigerklärung oder Herabsetzung der Geldbusse geltend gemachten Klagegründe zurückgewiesen worden sind, setzt das Gericht diese in Ausübung seiner Befugnis zu unbeschränkter Nachprüfung auf 1 200 000 ECU fest.

368 Im übrigen ist die Klage abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

369 Gemäß Artikel 87 § 3 der Verfahrensordnung kann das Gericht die Kosten teilen oder beschließen, daß jede Partei ihre eigenen Kosten trägt, wenn jede Partei teils obsiegt, teils unterliegt. Da der Klage nur teilweise stattgegeben wurde, hält es das Gericht bei angemessener Berücksichtigung der Umstände des Falles für geboten, jeder Partei ihre eigenen Kosten aufzuerlegen.

370 Die Klägerin hat beantragt, der Kommission die Kosten des Verfahrens einschließlich der mit der Stellung einer Bürgschaft oder der etwaigen Zahlung der Geldbusse verbundenen Kosten und Zinsen aufzuerlegen. Nach ständiger Rechtsprechung sind die durch die Stellung einer Bürgschaft zur Vermeidung der Zwangsvollstreckung der Entscheidung entstandenen Kosten jedoch keine Aufwendungen für das Verfahren im Sinne von Artikel 91 Buchstabe b der Verfahrensordnung (vgl. Beschluß des Gerichtshofes vom 20. November 1987 in der Rechtssache 183/83, Krupp/Kommission, Slg. 1987, 4611, Randnr. 10, und Urteil des Gerichts vom 14. Juli 1994 in der Rechtssache T-77/92, Parker Pen/Kommission, Slg. 1994, II-549, Randnr. 101). Gleiches gilt für die durch die etwaige Zahlung der Geldbusse entstehenden Kosten.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DAS GERICHT

(Dritte erweiterte Kammer)

für Recht erkannt und entschieden:

1. Artikel 1 der Entscheidung 94/601/EG der Kommission vom 13. Juli 1994 in einem Verfahren nach Artikel 85 EG-Vertrag (IV/C/33.833 - Karton) wird in bezug auf die Klägerin für nichtig erklärt, soweit ein vor Februar 1989 liegender Zeitpunkt als Beginn der ihr zur Last gelegten Zuwiderhandlung angesetzt wurde.

2. Artikel 1 achter Gedankenstrich der Entscheidung 94/601 wird in bezug auf die Klägerin für nichtig erklärt.

3. Die Höhe der in Artikel 3 der Entscheidung 94/601 gegen die Klägerin verhängten Geldbusse wird auf 1 200 000 ECU festgesetzt.

4. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

5. Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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