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Gericht: Europäisches Gericht
Beschluss verkündet am 16.10.1995
Aktenzeichen: T-561/93
Rechtsgebiete: EG-Vertrag, VerfO
Vorschriften:
EG-Vertrag Art. 173 | |
VerfO Art. 87 § 5 Abs. 1 S. 1 |
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg
BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DER ZWEITEN ERWEITERTEN KAMMER DES GERICHTS ERSTER INSTANZ VOM 16. OKTOBER 1995. - TIERCE LADBROKE SA GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - STREICHUNG. - RECHTSSACHE T-561/93.
Entscheidungsgründe:
Sachverhalt, Verfahren und Vorbringen der Parteien
1 Die Tiercé Ladbroke SA (im folgenden: Ladbroke) hat mit Klageschrift, die am 5. November 1993 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, gemäß Artikel 173 EG-Vertrag die Nichtigerklärung der Entscheidung der Kommission vom 3. September 1993, mit der die von ihr am 18. Mai 1992 aufgrund von Artikel 3 der Verordnung Nr. 17 des Rates vom 6. Februar 1962, Erste Durchführungsverordnung zu den Artikeln 85 und 86 des Vertrages (ABl. 1962, 13, S. 204), eingelegte Beschwerde zurückgewiesen wurde, beantragt. In dieser Beschwerde rügte sie einen Verstoß der Société coopérative auxiliaire PMU belge und des Pari mutül unifié belge (im folgenden: PMUB) gegen Artikel 86 des Vertrages, bestehend in der Weigerung dieser Organisationen, die für die in Belgien stattfindenden Pferderennen Wetten ausserhalb des Rennplatzes veranstalteten, sie zu ihrem Bevollmächtigten für die Annahme von Totalisatorwetten für die belgischen Rennen zu bestellen.
2 Durch Beschluß des Präsidenten der Zweiten Kammer des Gerichts vom 8. August 1994 sind die Société coopérative auxiliaire PMU belge und der PMUB als Streithelfer zur Unterstützung der Anträge der Kommission zugelassen worden.
3 Mit Schreiben, das am 27. Juli 1995 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, hat die Klägerin die Streichung der Rechtssache im Register beantragt und zur Begründung ausgeführt, da sie mit dem PMUB eine Vereinbarung getroffen habe, nach der sie zum Bevollmächtigten des PMUB für die Annahme von Totalisatorwetten für die in Belgien veranstalteten Pferderennen bestellt worden sei, bestehe die in ihrer Beschwerde, aufgrund der die angefochtene Entscheidung erlassen worden sei, gerügte Zuwiderhandlung nicht mehr, und deshalb nehme sie die Klage zurück.
4 Im selben Schreiben hat die Klägerin beantragt, die Kosten in Anwendung von Artikel 87 § 5 Absatz 1 Satz 2 der Verfahrensordnung der Kommission aufzuerlegen.
5 Zur Stützung dieses Antrags macht sie geltend, die Klageerhebung sei wegen des Verhaltens der Kommission gerechtfertigt gewesen, da diese in der angefochtenen Entscheidung keine Sachprüfung der in der Beschwerde aufgeworfenen Fragen vorgenommen, sondern sich darauf beschränkt habe, allein die in ihrer Antwort auf das Schreiben, das die Kommission zuvor, am 23. Februar 1993, gemäß Artikel 6 der Verordnung Nr. 99/63/EWG der Kommission vom 25. Juli 1963 über die Anhörung nach Artikel 19 Absätze (1) und (2) der Verordnung Nr. 17 des Rats (ABl. 1963, Nr. 127, S. 2268) an sie gerichtet habe (im folgenden: Schreiben gemäß Artikel 6), aufgeworfenen Fragen zu behandeln.
6 Dieses Verhalten der Kommission habe ihr keine andere Wahl gelassen, als die Entscheidung über die Zurückweisung ihrer Beschwerde mit einer Nichtigkeitsklage gemäß Artikel 173 des Vertrages anzufechten, um die genauen Gründe für diese Entscheidung zu erfahren.
7 Mit Schreiben des Kanzlers vom 28. Juli 1995 hat das Gericht die Beklagte und die Streithelfer aufgefordert, zu dem Streichungsantrag Stellung zu nehmen.
8 Die Kommission beantragt in ihrer Stellungnahme, die am 4. August 1995 bei der Kanzlei des Gerichts eingegangen ist, die Kosten gemäß Artikel 87 § 5 Absatz 1 Satz 1 der Verfahrensordnung der Klägerin aufzuerlegen. Sie macht geltend, daß ihr Verhalten die Klageerhebung nicht gerechtfertigt habe, daß folglich Artikel 87 § 5 Absatz 1 Satz 2 der Verfahrensordnung im vorliegenden Fall nicht anzuwenden sei und daß stattdessen die Klägerin zur Tragung der Kosten zu verurteilen sei.
9 Hierzu führt die Kommission aus, entgegen dem Vorbringen der Klägerin könne nicht davon ausgegangen werden, daß die Klage erhoben worden sei, um es der Klägerin zu ermöglichen, die Gründe für die Zurückweisung ihrer Beschwerde zu erfahren. Im Anschluß an ihr Schreiben gemäß Artikel 6, in dem sie die Gründe dargelegt habe, aus denen sie die Beschwerde zurückzuweisen gedenke, habe sich die Klägerin zu verschiedenen Punkten dieses Schreibens geäussert; sie habe ihrerseits zu diesen Äusserungen der Klägerin in ihrem Schreiben vom 3. September 1993 Stellung genommen, mit dem die Beschwerde endgültig zurückgewiesen worden sei. Daraus folge, daß die Gründe für die Zurückweisung der Beschwerde sowohl für die Klägerin als auch für das Gericht ganz klar erkennbar seien, daß die Klägerin die Klage erhoben habe, um die Nichtigerklärung der Entscheidung über die Zurückweisung ihrer Beschwerde und auf diesem Weg vom PMUB einen geschäftlichen Vorteil zu erreichen, und daß, da dieser Vorteil durch Verhandlungen zwischen den betroffenen Parteien erreicht worden sei, Ladbroke kein Interesse mehr daran habe, die Zurückweisung ihrer Beschwerde anzufechten.
10 Die Streithelfer weisen in ihrer Stellungnahme vom 6. September 1995 darauf hin, daß in der im Streichungsantrag vom 27. Juli 1995 enthaltenen Behauptung, wonach die in der Beschwerde gerügte Zuwiderhandlung jetzt nicht mehr bestehe, da die Klägerin und der PMUB eine Vereinbarung getroffen hätten, anklinge, daß es diese Zuwiderhandlung zuvor gegeben habe. Sie bestreiten, daß dies der Fall gewesen sei, und tragen vor, die erwähnte Vereinbarung zwischen der Klägerin und dem PMUB bedeute nicht, daß sie einräumten, daß ihre ursprüngliche Weigerung, Ladbroke zu ihrem Bevollmächtigten zu bestellen, eine Zuwiderhandlung dargestellt habe.
11 Die Streithelfer sind der Ansicht, daß die Klägerin für ihre Behauptungen, wonach die Klageerhebung wegen des Verhaltens der Beklagten gerechtfertigt gewesen sei, keinen Nachweis erbracht habe, und beantragen, Ladbroke gemäß Artikel 87 § 5 der Verfahrensordnung die durch ihre Streithilfe entstandenen Kosten aufzuerlegen.
Würdigung durch das Gericht
12 Gemäß Artikel 99 der Verfahrensordnung ist die Streichung der Rechtssache im Register anzuordnen und über die Kosten zu entscheiden.
13 Insoweit ist daran zu erinnern, daß gemäß Artikel 87 § 5 Absatz 1 der Verfahrensordnung eine Partei, die die Klage oder einen Antrag zurücknimmt, auf Antrag der Gegenpartei zur Tragung der Kosten verurteilt wird. Die Kosten werden jedoch auf Antrag der Partei, die die Rücknahme erklärt, der Gegenpartei auferlegt, wenn dies wegen des Verhaltens dieser Partei gerechtfertigt erscheint.
14 Im vorliegenden Fall ist erstens festzustellen, daß die Kommission der Klägerin durch ihr Schreiben gemäß Artikel 6 mitgeteilt hat, daß die von ihr ermittelten Informationen es nicht rechtfertigten, ihrer auf die Feststellung einer Zuwiderhandlung gegen Artikel 86 des Vertrages gerichteten Beschwerde stattzugeben. Nach Ansicht der Kommission nahmen der PMUB und der Tiercé franco-belge, ein vom PMUB erworbenes Konkurrenzunternehmen von Ladbroke, auf dem relevanten Markt, definiert als der belgische Markt für die Annahme von Totalisator- oder Buchmacherwetten für belgische und ausländische Pferderennen, keine beherrschende Stellung ein; überdies habe ihr Marktanteil unter dem der Klägerin gelegen. Die Kommission führte ferner aus, selbst wenn man davon ausginge, daß der PMUB als Inhaber einer beherrschenden Stellung auf dem betreffenden Markt angesehen werden könne und daß seine Weigerung, Ladbroke die Genehmigung zu erteilen, als Bevollmächtigte Wetten anzunehmen, einen Mißbrauch darstelle, würde dieser mit den nationalen belgischen Rechtsvorschriften zusammenhängen und könne den Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht beeinträchtigen und damit nicht in den Anwendungsbereich von Artikel 86 des Vertrages fallen.
15 Zweitens ist festzustellen, daß Ladbroke in ihrer Antwort vom 12. Mai 1993 auf das Schreiben gemäß Artikel 6 vortrug, daß die Schlußfolgerungen der Kommission auf tatsächlich und rechtlich fehlerhaften Einschätzungen in bezug auf den relevanten Markt, das Vorliegen einer beherrschenden Stellung des PMUB auf diesem Markt, das Verhalten des PMUB sowie die Beeinträchtigung des Handelsverkehrs zwischen Mitgliedstaaten durch dieses Verhalten des PMUB beruhten.
16 Ladbroke griff nämlich in ihrem Schreiben vom 12. Mai 1993 die Gründe, die nach dem Schreiben gemäß Artikel 6 die Zurückweisung ihrer Beschwerde rechtfertigten, in der Sache an, ohne geltend zu machen, daß sie diese Gründe nicht verstanden habe. Sie trug vor, entgegen den Schlußfolgerungen der Kommission gebe es im Marktsektor für Pferderennwetten in Belgien zwei unterschiedliche Märkte. Der erste sei der Markt für Wetten für belgische Rennen und der zweite der Markt für Wetten für ausländische Rennen. Folglich müssten das Vorliegen sowohl einer beherrschenden Stellung als auch eines Mißbrauchs im Hinblick auf jeden dieser Märkte und auf die Wechselbeziehung zwischen ihnen untersucht werden.
17 Darüber hinaus griff die Klägerin in dem genannten Schreiben die Schlußfolgerung der Kommission an, daß der in der Beschwerde gerügte Mißbrauch, selbst wenn er tatsächlich begangen worden sei, mit der Anwendung der nationalen belgischen Rechtsvorschriften zusammengehängt habe und den Handel zwischen Mitgliedstaaten nicht habe beeinträchtigen können, wobei sie vortrug, da von ihr und von Unternehmen, die mit dem PMUB verbunden seien, von Belgien aus Wetten für ausländische Rennen angenommen würden, gebe es in der betreffenden Branche sehr wohl Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten, so daß die Weigerung, ihr die Genehmigung zu erteilen, als Bevollmächtigte des PMUB Wetten für die belgischen Rennen anzunehmen, ihre rechtliche und wirtschaftliche Stellung beeinträchtigt habe und geeignet gewesen sei, auch den Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.
18 Schließlich ist festzustellen, daß in der angefochtenen Entscheidung vom 3. September 1993, mit der die Beschwerde der Klägerin zurückgewiesen wurde, zum einen klargestellt wird, daß die Antwort der Klägerin auf das ihr gemäß Artikel 6 übersandte Schreiben keine neuen tatsächlichen oder rechtlichen Gesichtspunkte enthielt, die den Standpunkt der Kommission hätten ändern können, und zum anderen die im Schreiben gemäß Artikel 6 enthaltene Einschätzung der Kommission hinsichtlich der oben genannten Punkte ° relevanter Markt, Vorliegen einer beherrschenden Stellung des PMUB auf diesem Markt, Vorliegen eines etwaigen Mißbrauchs und die Möglichkeit, daß dadurch der Handelsverkehr zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigt werden könnte ° wiederholt wird.
19 Nach alledem hatte die Klägerin im vorliegenden Fall Kenntnis von den Gründen, aus denen die Kommission ihre Beschwerde zurückgewiesen hat, da ihr diese Gründe sowohl in dem Schreiben gemäß Artikel 6, zu dem sie sich in der Sache äussern konnte, als auch in der angefochtenen Entscheidung selbst mitgeteilt wurden.
20 Unter diesen Umständen und in Anbetracht der Tatsache, daß die Kommission in ihren Entscheidungen nicht auf alle tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte einzugehen braucht, die von den Beteiligten während des Verwaltungsverfahrens vorgebracht wurden (Urteil des Gerichtshofes vom 29. Oktober 1980 in den Rechtssachen 209/78 bis 215/78 und 218/78, Van Landewyck u. a./Kommission, Slg. 1980, 3125, Randnr. 66), kann das Gericht folglich nicht feststellen, daß die Erhebung der vorliegenden Klage wegen des Verhaltens der Kommission gerechtfertigt war.
21 Somit ist in Anwendung von Artikel 87 § 5 Absatz 1 Satz 1 der Verfahrensordnung die Klägerin zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Hinsichtlich der Kosten der Streithelfer ist hinzuzufügen, daß eine Anwendung von Artikel 87 § 4 Absatz 3 der Verfahrensordnung in der Fassung vom 28. Februar 1995 im vorliegenden Fall nicht angebracht erscheint.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER PRÄSIDENT DER ZWEITEN ERWEITERTEN KAMMER DES GERICHTS
beschlossen:
1) Die Rechtssache T-561/93 wird im Register gestrichen.
2) Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Streithelfer.
Luxemburg, den 16. Oktober 1995
Ende der Entscheidung
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