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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 28.02.1989
Aktenzeichen: 100/87
Rechtsgebiete: Verfahrensordnung
Vorschriften:
Verfahrensordnung § 69 |
1. Um den praktischen Schwierigkeiten Rechnung zu tragen, die bei einem Auswahlverfahren mit hoher Teilnehmerzahl auftreten, ist der Prüfungsausschuß für ein derartiges Auswahlverfahren berechtigt, in einem ersten Stadium den Bewerbern lediglich die Kriterien und das Ergebnis der Auswahl mitzuteilen, wenn er nur später den Bewerbern, die dies ausdrücklich verlangen, individuelle Erklärungen gibt.
Diesem Begründungserfordernis wird nicht entsprochen, wenn der Prüfungsausschuß in dem Schreiben, das an einen nicht zu den Prüfungen zugelassenen Bewerber gerichtet ist und mit dem er dessen Verlangen nach Erklärungen beantwortet, nicht darlegt, auf welche Bestandteile seiner Bewerbungsunterlagen die Ablehnung der Zulassung zu den Prüfungen gestützt wurde.
2. Wenn ein Prüfungsausschuß für ein Auswahlverfahren in Vollzug eines Urteils des Gerichtshofes eine erneute Prüfung von Bewerbungen vornimmt, muß er diese Aufgabe mit der erforderlichen Schnelligkeit und besonderer Sorgfalt ausführen.
Der Rückgriff auf möglicherweise unvollständige und unrichtige Aufzeichnungen und persönliche Erinnerungen der Mitglieder des Prüfungsausschusses, um mangels schriftlicher Unterlagen die mehrere Jahre vorher zu einer grossen Zahl von Bewerbern abgegebenen Stellungnahmen der Vorgesetzten zu rekonstruieren, stellt einen schwerwiegenden Fehler dar, der die Aufhebung der Entscheidungen rechtfertigt, mit denen der Prüfungsausschuß es abgelehnt hat, die betroffenen Bewerber zu den Prüfungen zuzulassen.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (VIERTE KAMMER) VOM 28. FEBRUAR 1989. - ROSA BASCH UND ANDERE GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - BEAMTE - AUSWAHLVERFAHREN - NICHTZULASSUNG ZU DEN PRUEFUNGEN. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN 100/87, 146/87 UND 153/87.
Entscheidungsgründe:
1 Rosa Basch sowie 17 weitere Beamte der Laufbahngruppe C im Dienste der Kommission der Europäischen Gemeinschaften haben mit Klageschriften, die am 3. April, 8. Mai und 14. Mai 1987 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen sind, Klage erhoben auf Aufhebung der ihnen am 12. Februar 1987 mitgeteilten Entscheidungen, mit denen der Prüfungsausschuß für das interne Auswahlverfahren KOM2/82 aufgrund von Befähigungsnachweisen und Prüfungen zur Bildung einer Einstellungsreserve von Verwaltungsinspektoren, Sekretariatsinspektoren und technischen Inspektoren die Kläger nicht zu den Prüfungen dieses Auswahlverfahrens zugelassen hat. Die Kläger in der Rechtssache 100/87 beantragen darüber hinaus einen Betrag von 200 000 BFR pro Person als Ersatz der materiellen und immateriellen Schäden, die sie aufgrund dieser Entscheidung erlitten hätten.
2 Anläßlich der Prüfung der Bewerbungen führte der Prüfungsausschuß für das fragliche Auswahlverfahren ein Gespräch mit den Vorgesetzten der Bewerber, ohne jedoch den betroffenen Beamten Gelegenheit zu geben, sich zu den zu ihrer Person abgegebenen Stellungnahmen zu äussern. In zwei Urteilen vom 11. März 1986 in der Rechtssache 293/84 ( Sorani u. a./Kommission, Slg. 1986, 967 ) und in der Rechtssache 294/84 ( Adams u. a./Kommission, Slg. 1986, 977 ) hob der Gerichtshof die Entscheidungen, mit denen der Prüfungsausschuß die Zulassung der Kläger in diesen Rechtssachen zu den Prüfungen abgelehnt hatte, mit der Begründung auf, daß sie keine Möglichkeit hatten, zu den von den Vorgesetzten geäusserten Ansichten Stellung zu nehmen.
3 Der Prüfungsausschuß trug diesen beiden Urteilen in der Weise Rechnung, daß er die betroffenen Bewerber im Juni 1986 zu sich kommen ließ, damit sie dieselben Fragen, die vorher ihren Vorgesetzten gestellt worden waren, beantworten konnten. Mit Schreiben vom 11. Juli 1986 wurde den Bewerbern dann mitgeteilt, daß die Entscheidung vom Juni 1984, sie nicht zu den Prüfungen zuzulassen, bestätigt worden sei.
4 Nachdem einige Bewerber gegen die Entscheidung vom Juli 1986 Beschwerden erhoben hatten, ließ der Prüfungsausschuß diese ein zweites Mal zu sich kommen, um ihnen die Möglichkeit zu geben, sich zu den Antworten der Vorgesetzten auf die ihnen vom Prüfungsausschuß gestellten Fragen zu äussern. Mit Schreiben vom 12. Februar 1987 wurde den betroffenen Beamten mitgeteilt, der Prüfungsausschuß sei der Auffassung, die ihnen gegenüber getroffene Entscheidung, die ihnen am 11. Juni 1986 bekanntgegeben worden sei, müsse nicht geändert werden.
5 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Parteivorbringens wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.
Zu den Anträgen auf Aufhebung
6 Ihre Klagen stützen die Kläger auf folgende Gründe :
- fehlende oder nicht ausreichende Begründung;
- unrichtige Durchführung der Urteile in den Rechtssachen 293/84 und 294/84, da zum einen die Kläger als zu den Prüfungen des Auswahlverfahrens zugelassen hätten gelten müssen und zum anderen der Inhalt der den Bewerbern vorgelegten Stellungnahmen ihrer Vorgesetzten nicht nachprüfbar und unrichtig gewesen sei;
- Rechtswidrigkeit des vom Prüfungsausschuß angewandten Verfahrens, da dieser die Assistenten der verschiedenen Generaldirektoren und nicht den unmittelbaren Vorgesetzten jedes Bewerbers befragt habe;
- Verstoß gegen die Zulassungsvoraussetzungen des Auswahlverfahrens, da der Prüfungsausschuß die tatsächliche Ausübung von Tätigkeiten des Niveaus B durch die Bewerber als wesentlichen Gesichtspunkt angesehen habe.
7 Zur Begründung ihres ersten Klagegrundes machen die Kläger geltend, daß die am 12. Februar 1987 bekanntgegebene Entscheidung des Prüfungsausschusses nicht angebe, aus welchen Gründen der Prüfungsausschuß der Ansicht gewesen sei, seine den Klägern am 11. Juni 1986 bekanntgegebene Entscheidung nicht überprüfen zu müssen. Die Kläger wüssten daher auch heute noch nicht, welche Bestandteile ihrer Bewerbungsunterlagen zur Ablehnung ihrer Zulassung zu den Prüfungen geführt hätten.
8 Die Kommission erwidert, daß die fragliche Entscheidung nur die Bestätigung einer früheren Entscheidung darstelle und daß unter diesen Umständen der einzige neue vom Prüfungsausschuß zu berücksichtigende Punkt die Äusserung des Bewerbers zu der von seinem Vorgesetzten abgegebenen Stellungnahme sei. Nach Meinung der Kommission ist die streitige Entscheidung hinreichend begründet, da sie ausdrücklich darlegt, daß der Prüfungsausschuß diese Äusserung geprüft habe und unter Berücksichtigung aller ihm vorliegenden Gesichtspunkte der Auffassung gewesen sei, daß die frühere Entscheidung nicht geändert werden müsse.
9 Aus den Akten ergibt sich, daß der Prüfungsausschuß in einem ersten Schreiben im Juni 1984, mit dem den Klägern mitgeteilt wurde, daß sie nicht in das Verzeichnis der zu den Prüfungen zugelassenen Bewerber aufgenommen worden seien, die von ihm angewendeten allgemeinen Kriterien angeführt hat. Mit gleichlautendem Schreiben vom 7. September 1984 an all die Bewerber, die wie die Kläger eine Überprüfung ihrer Bewerbung beantragt hatten, bestätigte der Prüfungsausschuß seine Entscheidung vom Juni 1984 ohne jede nähere Angabe über die Anwendung der aufgestellten Parameter auf jede einzelne Bewerbung. Nach dem ersten Gespräch nach Erlaß der oben erwähnten Urteile des Gerichtshofes erhielten die Kläger am 11. Juli 1986 ein neues Formschreiben, mit dem der Prüfungsausschuß sie darüber unterrichtete, daß sie ihm keine neuen Informationen für eine Änderung der Entscheidung vom Juni 1984 vorgetragen hätten. Schließlich bestätigte das gleichlautende Schreiben vom 12. Februar 1987 die den Klägern am 11. Juli 1986 mitgeteilte Entscheidung ohne jede Erläuterung ihres individuellen Falls.
10 Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes ( zuletzt im Urteil vom 16. Dezember 1987 in der Rechtssache 206/85, Beiten/Kommission, Slg. 1987, 5301 ) ist der Prüfungsausschuß für ein Auswahlverfahren mit hoher Teilnehmerzahl, um den praktischen Schwierigkeiten Rechnung zu tragen, die bei einem solchen Auswahlverfahren auftreten, berechtigt, in einem ersten Stadium den Bewerbern lediglich die Kriterien und das Ergebnis der Auswahl mitzuteilen, wenn er nur später den Bewerbern, die dies ausdrücklich verlangen, individuelle Erklärungen gibt.
11 Im vorliegenden Fall haben die Kläger jedoch niemals individuelle Erklärungen erhalten. Stattdessen erhielten sie, obwohl sie jeweils um Angabe der Gründe für ihre Ablehnung gebeten hatten, nur Formschreiben, die keine spezifische Information über die Gründe der Ablehnung ihrer Bewerbung enthielten. Folglich kann die mit Schreiben vom 12. Februar 1987 bekanntgegebene Enscheidung, die letzte aus der Reihe der von den Klägern erhaltenen Formschreiben, nicht als eine ausreichend begründete Entscheidung angesehen werden. Der erste Klagegrund greift daher durch.
12 Der zweite Klagegrund umfasst zwei Rügen. Mit einer ersten Rüge, die in der Rechtssache 100/87 als Antrag auf Auslegung der oben erwähnten, in den Rechtssachen 293/84 und 294/84 erlassenen Urteile vorgetragen wird, wird der Kommission vorgeworfen, diese Urteile, die die Zulassung der Kläger zu den Prüfungen ohne weitere Formalitäten impliziert hätten, nicht richtig durchgeführt zu haben. Mit einer zweiten Rüge wird geltend gemacht, das Verfahren, mit dem der Prüfungsausschuß den Klägern Gelegenheit gegeben habe, sich zu den Stellungnahmen ihrer Vorgesetzten zu äussern, sei rechtswidrig. Mangels schriftlicher Unterlagen habe der Prüfungsausschuß diese Stellungnahmen anhand persönlicher Aufzeichnungen und Erinnerungen seiner Mitglieder rekonstruiert; unter diesen Umständen sei die Authentizität der den Klägern vorgelegten Stellungnahmen sehr zweifelhaft.
13 Die Kommission trägt vor, der Prüfungsausschuß habe die Urteile des Gerichtshofes richtig durchgeführt, indem er das Auswahlverfahren an der Stelle wiederaufgenommen habe, an der es rechtswidrig gewesen sei. Darüber hinaus sei das zur Rekonstruktion der Stellungnahmen der Vorgesetzten angewandte Verfahren ordnungsgemäß gewesen.
14 In den Rechtssachen 293/84 und 294/84 hatte die Kommission dem Gerichtshof mitgeteilt, daß die Stellungnahmen, die die Vorgesetzten während der 1983 geführten Gespräche zu den Bewerbern abgegeben hätten, nicht in Protokollen festgehalten worden seien. Erst nach Erlaß der Urteile des Gerichtshofes in diesen Rechtssachen hat der Prüfungsausschuß diese Stellungnahmen auf der Grundlage persönlicher Aufzeichnungen und Erinnerungen seiner Mitglieder rekonstruiert.
15 Die Aufhebung der Entscheidungen des Prüfungsausschusses in den Rechtssachen 293/84 und 294/84 hat die Kläger wieder in ihre Lage vor Erlaß der fraglichen Entscheidungen versetzt. Folglich mussten ihre Bewerbungen unter Berücksichtigung der Urteile des Gerichtshofes erneut geprüft werden, um für jeden Kläger festzustellen, ob er zu den Prüfungen zugelassen werden konnte.
16 Wenn jedoch ein Prüfungsausschuß eine solche erneute Prüfung von Bewerbungen vornimmt, insbesondere, um einen schwerwiegenden Rechtsverstoß zu beheben, muß er diese Aufgabe mit der erforderlichen Schnelligkeit und besonderer Sorgfalt ausführen. In diesem Fall hat der Prüfungsausschuß aber auf möglicherweise unvollständige und unrichtige Aufzeichnungen und persönliche Erinnerungen seiner Mitglieder zurückgegriffen, um etwa drei Jahre vorher zu einer grossen Zahl von Bewerbern abgegebene Stellungnahmen zu rekonstruieren. Aus den Akten ergibt sich darüber hinaus, daß bestimmte auf diese Art rekonstruierte Stellungnahmen in offenem Widerspruch zu anderen Unterlagen stehen, darunter z. B. den Beurteilungen darüber, wie bestimmte Kläger ihre Aufgaben erfuellt haben. Mit diesem Vorgehen hat der Prüfungsausschuß einen schwerwiegenden Fehler begangen, der zur Aufhebung der streitigen Entscheidungen führt.
17 Aus den vorstehenden Erwägungen folgt, ohne daß das übrige Vorbringen der Kläger geprüft zu werden braucht, daß die Entscheidung des Prüfungsausschusses für das Auswahlverfahren KOM2/82, die Kläger nicht zu den Prüfungen des Auswahlverfahrens zuzulassen, wegen nicht ausreichender Begründung und Rechtswidrigkeit des vom Prüfungsausschuß angewandten Verfahrens aufzuheben ist.
Zu den Anträgen auf Schadensersatz
18 Die Aufhebung der streitigen Entscheidung stellt als solche eine angemessene Wiedergutmachung eines immateriellen Schadens dar, der den Klägern im vorliegenden Fall möglicherweise entstanden ist. Da die Kläger einen davon verschiedenen materiellen Schadens nicht nachgewiesen haben, ist der Antrag auf Schadensersatz gegenstandslos. Über diesen Punkt ist daher nicht zu entscheiden.
Kostenentscheidung:
Kosten
19 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF ( Vierte Kammer )
für Recht erkannt und entschieden :
1 ) Die Entscheidung des Prüfungsausschusses für das Auswahlverfahren KOM2/82 in dem an die Kläger gerichteten gleichlautenden Schreiben vom 12. Februar 1987, sie nicht zu den Prüfungen des Auswahlverfahrens zuzulassen, wird aufgehoben.
2 ) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens.
Ende der Entscheidung
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