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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.07.1989
Aktenzeichen: 110/88
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Verträge über die gegenseitige Vertretung zwischen zwei nationalen Gesellschaften zur Wahrnehmung von musikalischen Urheberrechten, durch die diese Gesellschaften einander das Recht gewähren, in dem räumlichen Gebiet, in dem sie jeweils tätig sind, die Genehmigungen zu erteilen, die für die öffentliche Aufführung von Musikwerken erforderlich sind, an denen Mitgliedern der anderen Gesellschaften Urheberrechte zustehen, und diese Genehmigungen bestimmten Bedingungen gemäß den in dem betroffenen Gebiet geltenden gesetzlichen Vorschriften zu unterwerfen, beschränken den Wettbewerb nicht in einer Weise, die sie unter das Verbot von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag fallen ließe. Sie streben nämlich ein doppeltes Ziel an : Zum einen bezwecken sie, in Einklang mit dem in den internationalen Urheberrechtsübereinkommen niedergelegten Diskriminierungsverbot die Gesamtheit der geschützten Musikwerke ohne Rücksicht auf deren Herkunft einheitlichen Bedingungen für die in ein und demselben Staat ansässigen Benutzer zu unterwerfen; zum anderen sollen sie es den Verwertungsgesellschaften ermöglichen, sich für den Schutz ihrer Bestände in einem anderen Staat auf die von der dort tätigen Verwertungsgesellschaft aufgebaute Organisation zu stützen, ohne genötigt zu sein, diese Organisation durch ein eigenes Netzwerk von Verträgen mit den Benutzern und eigene an Ort und Stelle vorgenommene Kontrollen zu ergänzen.

Anders könnten die Dinge liegen, wenn diese Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen eine Ausschließlichkeitsregelung in dem Sinne schüfen, daß die Verwertungsgesellschaften verpflichtet wären, den im Ausland ansässigen Benutzern von aufgezeichneter Musik den unmittelbaren Zugang zu ihren Beständen zu verwehren.

2. Artikel 85 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß er jegliche zwischen nationalen Gesellschaften zur Wahrnehmung von Urheberrechten abgestimmte Verhaltensweise untersagt, die bezweckt oder bewirkt, daß jede Gesellschaft den in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Benutzern den unmittelbaren Zugang zu ihren Beständen verweigert. Im Rahmen der durch Artikel 177 EWG-Vertrag vorgesehenen Verteilung der Zuständigkeiten ist es Sache der innerstaatlichen Gerichte, festzustellen, ob eine derartige Abstimmung zwischen den Verwertungsgesellschaften tatsächlich stattgefunden hat.

Hierzu müssen diese Gerichte sowohl berücksichtigen, daß ein blosses Parallelverhalten unter gewissen Umständen ein wichtiges Indiz für eine abgestimmte Verhaltensweise darstellen kann, wenn es zu Wettbewerbsbedingungen führt, die nicht den normalen Marktbedingungen entsprechen, als auch, daß eine derartige Abstimmung nicht zu vermuten ist, wenn sich das Parallelverhalten durch andere Gründe als das Vorliegen einer Abstimmung erklären lässt. Was die Verhaltensweisen der Verwertungsgesellschaften angeht, könnte ein solcher Grund gegeben sein, wenn diese Gesellschaften im Fall eines unmittelbaren Zugangs zu ihren Beständen in einem anderen Mitgliedstaat genötigt wären, im Ausland ein eigenes Verwertungs - und Kontrollsystem aufzubauen.

3. Eine nationale Gesellschaft zur Wahrnehmung von Urheberrechten, die auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes eine beherrschende Stellung innehat, erzwingt unangemessene Geschäftsbedingungen, wenn die Gebühren, die sie von Diskotheken fordert, erheblich höher sind als die in den anderen Mitgliedstaaten erhobenen Gebühren, sofern die verschiedenen Tarife, was ihre Höhe betrifft, miteinander auf einheitlicher Grundlage verglichen wurden. Anders wäre es, wenn die in Rede stehende Verwertungsgesellschaft diese Differenz unter Hinweis auf objektive und relevante Unterschiede bei der Wahrnehmung der Urheberrechte in dem betroffenen Mitgliedstaat und in den übrigen Mitgliedstaaten rechtfertigen könnte.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 13. JULI 1989. - FRANCOIS LUCAZEAU UND ANDERE GEGEN SOCIETE DES AUTEURS COMPOSITEURS ET EDITEURS DE MUSIQUE (SACEM). - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: COUR D'APPEL DE POITIERS UND TRIBUNAL DE GRANDE INSTANCE DE POITIERS - FRANKREICH. - WETTBEWERB - URHEBERRECHT - HOEHE DER GEBUEHREN - VERTRAEGE UEBER DIE GEGENSEITIGE VERTRETUNG. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN 110/88, 241/88 UND 242/88.

Entscheidungsgründe:

1 Die Cour d' Appel Poitiers hat mit Urteil vom 3. März 1988, beim Gerichtshof eingegangen am 5. April 1988, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung der Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag vorgelegt, um feststellen zu können, ob bestimmte Geschäftsbedingungen, die eine nationale Gesellschaft zur Wahrnehmung der Urheberrechte der Musikautoren, Komponisten und Musikverleger den Benutzern auferlegt, mit den genannten Bestimmungen vereinbar sind ( Rechtssache 110/88 ).

2 Das Tribunal de grande instance Poitiers hat mit zwei Urteilen vom 6. Juni 1988, beim Gerichtshof eingegangen am 23. August 1988, die gleichen Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt ( Rechtssachen 241 und 242/88 ).

3 Diese Fragen stellen sich in Rechtsstreitigkeiten zwischen drei Betreibern von Diskotheken und der Société des auteurs, compositeurs et éditeurs de musique ( SACEM ), der französischen Gesellschaft zur Wahrnehmung musikalischer Urheberrechte. In diesen Rechtsstreitigkeiten geht es im besonderen um die Weigerung der Diskothekenbetreiber, Gebühren für die Aufführung geschützter Musikwerke in ihren Betrieben zu entrichten.

4 Die Diskothekenbetreiber haben eine Reihe von Argumenten vorgetragen, um darzutun, daß das Verhalten der SACEM ihnen gegenüber wettbewerbsfeindlich und nach den Bestimmungen des EWG-Vertrags verboten sei. Insoweit machen sie zunächst geltend, der Satz der von der SACEM geforderten Gebühren sei willkürlich und unangemessen und stelle deshalb einen Mißbrauch der beherrschenden Stellung dar, die die Gesellschaft innehabe. Diese Gebühren seien nämlich erheblich höher als die in anderen Mitgliedstaaten erhobenen; überdies stuenden die Tarife für Diskotheken in keinem Verhältnis zu den Tarifen für andere grosse Benutzer von aufgezeichneter Musik wie Fernsehen und Rundfunk.

5 Sie machen des weiteren geltend, die Diskotheken verwendeten in sehr weitem Umfang Musik anglo-amerikanischer Herkunft, was die von der SACEM gewählte, auf der Anwendung eines Satzes von 8,25 % des Umsatzes der betroffenen Diskothek einschließlich Mehrwertsteuer beruhende Methode für die Berechnung der Gebühren nicht berücksichtige. Die Diskothekenbetreiber müssten nämlich diese sehr hohen Gebühren entrichten, um Zugang zu den gesamten Beständen der SACEM zu erhalten, obwohl sie nur an einem Teil hiervon interessiert seien. Die SACEM habe sich stets geweigert, ihnen den Zugang lediglich zu einem Teil der Bestände zu gewähren; andererseits hätten sie aber auch nicht die Möglichkeit, sich unmittelbar an die Verwertungsgesellschaften anderer Länder zu wenden, da diese mit der SACEM durch "Verträge über die gegenseitige Vertretung" verbunden seien und es daher ablehnten, unmittelbaren Zugang zu ihren Beständen zu gewähren.

6 Die Cour d' Appel Poitiers hält es zwar nicht für zweifelhaft, daß die SACEM eine beherrschende Stellung auf dem französischen Hoheitsgebiet innehat, sieht jedoch in der pauschalen Natur des von ihr geforderten Gebührensatzes für sich allein keinen Mißbrauch dieser Stellung, da die Anwendung des Pauschalsatzes das Einziehungsverfahren vereinfache und sicherstelle, daß Autoren und Komponisten ihre Vergütung erhielten. Die Cour d' Appel hat indessen Zweifel, ob der Satz von 8,25 % gerechtfertigt ist. Aufgrund dieser Erwägungen hat sie zwei Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt, die das Tribunal de grande instance Poitiers in den beiden Rechtssachen, die bei ihm anhängig sind, übernommen hat.

7 Die beiden Vorlagefragen lauten wie folgt :

"1 ) Stellt der Umstand, daß eine von Autoren/Komponisten und Musikverlegern gegründete Gesellschaft des bürgerlichen Rechts, die SACEM, die eine beherrschende Stellung auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes einnimmt und mit Verwertungsgesellschaften anderer Länder der EWG durch Verträge über die gegenseitige Vertretung verbunden ist, für nebeneinander erhobene Gebühren einen Satz von 8,25 % des Umsatzes einer Diskothek vor Steuern festsetzt, eine unmittelbare oder mittelbare Erzwingung von unangemessenen Geschäftsbedingungen gegenüber Vertragspartnern im Sinne von Artikel 86 EWG-Vertrag dar, wenn dieser Satz deutlich höher als derjenige ist, den derartige Verwertungsgesellschaften anderer Mitgliedstaaten der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft anwenden?

2 ) Kann es eine gegen Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag verstossende abgestimmte Verhaltensweise darstellen, wenn eine Gesellschaft zur Kontrolle und Erhebung von Urheberrechtsgebühren, die ihre Tätigkeit im Gebiet eines Mitgliedstaats ausübt, in Ländern der Gemeinschaft durch ein Netz sogenannter Verträge über die gegenseitige Vertretung eine faktische Ausschließlichkeit herstellt, die es ihr ermöglicht, eine pauschale Vergütung in einem Beitrittsvertrag festzusetzen, der den Benutzer zwingt, diese Vergütung zu entrichten, um das Repertoire der ausländischen Urheber benutzen zu können?"

8 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrens, der französischen urheberrechtlichen Vorschriften und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

9 Zunächst ist die zweite, die Auslegung von Artikel 85 EWG-Vertrag betreffende Frage und danach das in der ersten Frage aufgeworfene Problem der Anwendbarkeit von Artikel 86 zu prüfen.

Zur zweiten Frage ( Artikel 85 )

10 Aus den Ausführungen der Cour d' Appel Poitiers im Vorlageurteil geht hervor, daß es sich bei dem möglicherweise abgestimmten Verhalten im Sinne von Artikel 85, das den Gegenstand der Frage bildet, um ein Verhalten der nationalen Urheberrechtsverwertungsgesellschaften der einzelnen Mitgliedstaaten handelt. Der Wortlaut der Frage lässt jedoch nicht klar erkennen, ob dieses Verhalten darin besteht, daß die Gesellschaften ein Netz von Verträgen über die gegenseitige Vertretung aufgebaut haben, oder darin, daß sie gemeinsam den in den jeweils anderen Mitgliedstaaten ansässigen Benutzern jeglichen Zugang zu ihren Beständen verweigern.

11 Zum ersten Punkt ist klarzustellen, daß, wie aus den Akten hervorgeht, unter "Vertrag über die gegenseitige Vertretung" im Sinne der Frage des vorlegenden Gerichts ein Vertrag zwischen zwei nationalen Gesellschaften zur Wahrnehmung von musikalischen Urheberrechten zu verstehen ist, durch den diese Gesellschaften einander das Recht gewähren, in dem räumlichen Gebiet, in dem sie jeweils tätig sind, die Genehmigungen zu erteilen, die für die öffentliche Aufführung von Musikwerken erforderlich sind, an denen Mitgliedern der anderen Gesellschaften Urheberrechte zustehen, und diese Genehmigungen bestimmten Bedingungen gemäß den in dem betroffenen Gebiet geltenden gesetzlichen Vorschriften zu unterwerfen. Diese Bedingungen umfassen insbesondere die Zahlung von Gebühren, die von der beauftragten Gesellschaft für Rechnung der anderen Gesellschaft erhoben werden. In dem Vertrag wird vereinbart, daß jede Gesellschaft bezueglich der zum Bestand der anderen Gesellschaft gehörenden Werke bei der Erhebung und Verteilung der Gebühren die gleichen Tarife, Methoden und Mittel anwendet wie bei den Werken aus ihrem eigenen Bestand.

12 Ferner ist darauf hinzuweisen, daß nach den bestehenden internationalen Übereinkommen auf dem Gebiet des Urheberrechts die Inhaber von Urheberrechten, die durch die Rechtsordnung eines vertragschließenden Staates anerkannt werden, im Hoheitsgebiet der anderen vertragschließenden Staaten den gleichen Schutz gegen Verletzungen dieser Rechte genießen und über die gleichen Rechtsbehelfe verfügen wie die Angehörigen des zuletzt genannten Staates.

13 Somit streben die von den Verwertungsgesellschaften miteinander geschlossenen Verträge über die gegenseitige Vertretung ein doppeltes Ziel an : Zum einen bezwecken sie, in Einklang mit dem in den internationalen Übereinkommen niedergelegten Grundsatz die Gesamtheit der geschützten Musikwerke ohne Rücksicht auf deren Herkunft einheitlichen Bedingungen für die in ein und demselben Staat ansässigen Benutzer zu unterwerfen; zum anderen ermöglichen sie es den Verwertungsgesellschaften, sich für den Schutz ihrer Bestände in einem anderen Staat auf die von der dort tätigen Verwertungsgesellschaft aufgebaute Organisation zu stützen, ohne genötigt zu sein, diese Organisation durch ein eigenes Netzwerk von Verträgen mit den Benutzern und eigene an Ort und Stelle vorgenommene Kontrollen zu ergänzen.

14 Aus diesen Überlegungen ergibt sich, daß die in Rede stehenden Verträge über die gegenseitige Vertretung Verträge über die Erbringung von Dienstleistungen sind, die für sich allein den Wettbewerb nicht in einer Weise beschränken, die sie unter das Verbot von Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag fallen ließen. Anders könnten die Dinge liegen, wenn diese Verträge eine Ausschließlichkeitsregelung in dem Sinne schüfen, daß die Verwertungsgesellschaften verpflichtet wären, den im Ausland ansässigen Benutzern von aufgezeichneter Musik den unmittelbaren Zugang zu ihren Beständen zu verwehren; aus den Akten ergibt sich jedoch, daß die Ausschließlichkeitsklauseln dieses Typs, die früher Bestandteil der Verträge über die gegenseitige Vertretung gewesen waren, auf Verlangen der Kommission abgeschafft wurden.

15 Die Kommission macht allerdings darauf aufmerksam, daß die Abschaffung dieser Ausschließlichkeitsklausel in den Verträgen nicht dazu geführt hat, daß sich das Verhalten der Verwertungsgesellschaften geändert hätte; diese weigern sich vielmehr nach wie vor, im Ausland anderen Gesellschaften als derjenigen, die sich in dem betreffenden Gebiet etabliert hat, Lizenzen zu erteilen oder die eigenen Bestände anzuvertrauen. Diese Feststellung führt zur Prüfung des zweiten mit der Vorlagefrage aufgeworfenen Problems, nämlich, ob die Verwertungsgesellschaften ihre Ausschließlichkeitsrechte nicht faktisch durch eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise aufrechterhalten haben.

16 Hierzu machen die Kommission und die SACEM geltend, die Verwertungsgesellschaften hätten keinerlei Interesse daran, einen anderen Weg als den der Bevollmächtigung der im betreffenden Gebiet etablierten Gesellschaft zu gehen, so daß es unrealistisch wäre, in der Weigerung der Verwertungsgesellschaften, ausländischen Benutzern den unmittelbaren Zugang zu ihren Beständen zu eröffnen, eine abgestimmte Verhaltensweise zu sehen. Die Diskothekenbesitzer räumen zwar ein, daß die ausländischen Gesellschaften die Verwertung ihrer Bestände deshalb der SACEM anvertrauen, weil es für sie zu kostspielig wäre, in Frankreich ein System unmittelbarer Gebührenerhebung einzurichten, sind jedoch der Meinung, die Gesellschaften hätten sich zu diesem Zweck untereinander abgestimmt. Sie stützen dieses Vorbringen auf im wesentlichen gleichlautende Schreiben verschiedener ausländischer Verwertungsgesellschaften an französische Benutzer, in denen die Gesellschaften sich geweigert haben, unmittelbaren Zugang zu ihren Beständen zu gewähren.

17 Eine Abstimmung zwischen nationalen Gesellschaften zur Wahrnehmung von Urheberrechten, die bewirken würde, daß ausländischen Benutzern systematisch der Zugang zu den eigenen Beständen dieser Gesellschaften verweigert würde, wäre als Ursache einer den Wettbewerb einschränkenden abgestimmten Verhaltensweise anzusehen, die geeignet ist, den Handel zwischen Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen.

18 Wie der Gerichtshof im Urteil vom 14. Juli 1972 in der Rechtssache 48/69 ( Imperial Chemical Industries, Slg. 1972, 619 ) festgestellt hat, kann ein blosses Parallelverhalten unter gewissen Umständen ein wichtiges Indiz für eine aufeinander abgestimmte Verhaltensweise darstellen, wenn es zu Wettbewerbsbedingungen führt, die nicht den normalen Marktbedingungen entsprechen. Eine derartige Abstimmung ist jedoch nicht zu vermuten, wenn sich das Parallelverhalten durch andere Gründe als das Vorliegen einer Abstimmung erklären lässt. Das könnte der Fall sein, wenn die Verwertungsgesellschaften der anderen Mitgliedstaaten im Fall eines unmittelbaren Zugangs zu ihren Beständen genötigt wären, in einem anderen Land ein eigenes Verwertungs - und Kontrollsystem aufzubauen.

19 Die Antwort auf die Frage, ob tatsächlich eine vom Vertrag verbotene Abstimmung stattgefunden hat, hängt infolgedessen von der Beurteilung bestimmter Vermutungen und der Bewertung bestimmter Unterlagen und anderer Beweismittel ab. Gemäß der von Artikel 177 des Vertrages vorgenommenen Verteilung der Zuständigkeiten obliegt diese Aufgabe den innerstaatlichen Gerichten.

20 Auf die zweite Vorlagefrage ist daher zu antworten, daß Artikel 85 EWG-Vertrag dahin auszulegen ist, daß er jegliche zwischen nationalen Gesellschaften zur Wahrnehmung von Urheberrechten abgestimmte Verhaltensweise untersagt, die bezweckt oder bewirkt, daß jede Gesellschaft den in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Benutzern den unmittelbaren Zugang zu ihren Beständen verweigert. Es ist Sache der innerstaatlichen Gerichte, festzustellen, ob eine derartige Abstimmung zwischen den Verwertungsgesellschaften tatsächlich stattgefunden hat.

Zur ersten Frage ( Artikel 86 )

21 Die erste Frage geht dahin, nach welchen Kriterien sich bestimmt, ob ein Unternehmen, das auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes eine beherrschende Stellung innehat, unangemessene Geschäftsbestimmungen erzwingt. Es geht genauer gesagt um den Fall, daß es sich bei dem betroffenen Unternehmen um eine nationale Gesellschaft zur Wahrnehmung musikalischer Urheberrechte handelt, die aufgrund von Verträgen über die gegenseitige Vertretung auch die Bestände der nationalen Gesellschaften der anderen Mitgliedstaaten verwaltet und einen kumulierten Gebührensatz auf der Grundlage von 8,5 % des Umsatzes der jeweils betroffenen Diskothek, alle Steuern inbegriffen, festsetzt.

22 Zunächst ist das Kriterium zu prüfen, das die Diskothekenbesitzer hervorgehoben haben und das die Vorlagefrage aufgreift, nämlich das Verhältnis zwischen dem angewandten Gebührensatz und den von den Verwertungsgesellschaften anderer Mitgliedstaaten praktizierten Sätzen.

23 Hierzu macht die SACEM geltend, die in den verschiedenen Mitgliedstaaten zur Bestimmung der Bemessungsgrundlage des Gebührensatzes angewandten Methoden seien unterschiedlich, da Gebühren, die - wie in Frankreich - auf der Grundlage des Umsatzes der Diskothek berechnet würden, nicht mit solchen vergleichbar seien, die - wie in anderen Mitgliedstaaten - nach Maßgabe der Bodenfläche des betroffenen Betriebs festgesetzt würden. Wäre man in der Lage, diese methodischen Unterschiede durch eine auf die gleichen Kriterien gestützte Untersuchung zu neutralisieren, so würde man zu dem Ergebnis gelangen, daß die Unterschiede hinsichtlich der jeweiligen Höhe der Gebühren zwischen den einzelnen Mitgliedstaaten unbedeutend seien.

24 Diese Behauptungen werden nicht nur von den Diskothekenbetreibern bestritten, sondern auch von der Kommission. Diese führt aus, sie habe im Zuge einer Untersuchung, die sie bei französischen Diskotheken über die von der SACEM erhobenen Gebühren durchführe, alle innerhalb der Gemeinschaft bestehenden nationalen Gesellschaften zur Wahrnehmung musikalischer Urheberrechte aufgefordert, ihr die Gebühren mitzuteilen, die sie bei einer Standarddiskothek erhebt, die bestimmte Merkmale hinsichtlich der Zahl der Plätze, der Fläche, der Öffnungszeiten, der Art des Lokals, des Eintrittspreises, des Preises der häufigsten Bestellung und des Betrags der jährlichen Einnahmen einschließlich Steuern aufweist. Die Kommission räumt ein, daß diese Vergleichsmethode die erheblichen Unterschiede nicht berücksichtigt, die von einem Mitgliedstaat zum anderen bezueglich des Besuchs von Diskotheken bestehen können und von verschiedenen Faktoren wie Klima, gesellschaftlichen Gepflogenheiten und historischen Traditionen abhängen. Werde jedoch eine Gebühr in Höhe eines Vielfachen der in anderen Mitgliedstaaten geforderten Gebühren erhoben, so sei dieser Umstand geeignet, ihre Unangemessenheit darzutun; die von der Kommission durchgeführte Untersuchung führe aber zu einer solchen Feststellung.

25 Erzwingt ein Unternehmen, das eine beherrschende Stellung innehat, für die von ihm erbrachten Dienstleistungen Tarife, die nach einem auf einheitlicher Grundlage vorgenommenen Vergleich erheblich höher sind als die in den übrigen Mitgliedstaaten angewendeten Tarife, so ist diese Differenz als Anzeichen für einen Mißbrauch der beherrschenden Stellung anzusehen. Es obliegt in diesem Falle dem betroffenen Unternehmen, die Differenz unter Hinweis auf etwaige objektive Unterschiede zwischen den Verhältnissen in dem in Rede stehenden Mitgliedstaat und denen in allen übrigen Mitgliedstaaten zu rechtfertigen.

26 In dieser Hinsicht hat sich die SACEM auf eine Reihe von Umständen berufen, um die bestehende Differenz zu rechtfertigen. So hat sie sich auf die hohen Preise der französischen Diskotheken, das traditionell hohe Niveau des in diesem Lande gewährten urheberrechtlichen Schutzes sowie die Besonderheiten des französischen Rechts bezogen, nach dem die Verbreitung von aufgezeichneten Musikwerken nicht nur einer Aufführungsgebühr, sondern auch einer ergänzenden Gebühr für die mechanische Vervielfältigung unterliegt.

27 Umstände dieser Art können jedoch die sehr erheblichen Unterschiede zwischen den Sätzen der in den einzelnen Mitgliedstaaten jeweils erhobenen Gebühren nicht erklären. Das hohe Niveau der von den Diskotheken in einem bestimmten Mitgliedstaat geforderten Preise kann - vorausgesetzt, es ist nachgewiesen - das Ergebnis verschiedener tatsächlicher Faktoren sein, zu denen gerade auch der Gebührensatz gehören kann, der für die Aufführung von aufgezeichneten Musikwerken erhoben wird. Zum Niveau des durch die innerstaatlichen Rechtsvorschriften gewährten Schutzes ist zu bemerken, daß das Urheberrecht an Musikwerken im allgemeinen das Aufführungs - und das Vervielfältigungsrecht umfasst, und daß die in einigen Mitgliedstaaten, darunter Frankreich, für den Fall der öffentlichen Aufführung vorgesehene Erhebung einer "zusätzlichen Gebühr für die Vervielfältigung" nicht notwendigerweise bedeutet, daß der Grad des Schutzes unterschiedlich wäre. Wie der Gerichtshof nämlich im Urteil vom 9. April 1987 in der Rechtssache 402/85 ( Basset, Slg. 1987, 1747 ) entschieden hat, handelt es sich bei der zusätzlichen Gebühr für die mechanische Vervielfältigung, unabhängig von der Ausgestaltung durch die französischen Rechtsvorschriften und die französische Praxis, um einen Teil der Abgeltung der Urheberrechte für die öffentliche Vorführung eines aufgezeichneten musikalischen Werks; sie erfuellt somit eine Funktion, die derjenigen der aus gleichem Anlaß in anderen Mitgliedstaaten erhobenen Vorführungsgebühr gleichkommt.

28 Die SACEM behauptet ferner, die Gepflogenheiten bei der Gebührenerhebung seien insofern unterschiedlich, als einige Verwertungsgesellschaften der Mitgliedstaaten dazu neigten, nicht auf der Einziehung von Gebühren bei kleinen, über das Land verstreuten Benutzern wie Betreibern von Diskotheken, Veranstaltern von Bällen und Gastwirten zu bestehen. In Frankreich habe sich eine entgegengesetzte Tradition herausgebildet, da die Urheber die volle Beachtung ihrer Rechte wünschten.

29 Diesem Vorbringen kann nicht gefolgt werden. Aus den Akten geht nämlich hervor, daß einer der auffälligsten Unterschiede zwischen den Verwertungsgesellschaften der verschiedenen Mitgliedstaaten in der Höhe der Verwaltungskosten liegt. Hat eine solche Verwertungsgesellschaft, wie dies gewisse Hinweise in den Akten der Ausgangsverfahren vermuten lassen, erheblich mehr Personal als entsprechende Gesellschaften in anderen Mitgliedstaaten, und ist dort der Teil des Gebührenaufkommens, der für die Kosten der Einziehung, Verwaltung und Verteilung der Gebühren aufgewendet und somit nicht an die Autoren ausgekehrt wird, erheblich höher, so lässt sich nicht ausschließen, daß sich die Schwerfälligkeit des Verwaltungsapparats und damit der hohe Gebührensatz gerade durch den Mangel an Wettbewerb auf dem Markt erklären lassen.

30 Es ist daher festzuhalten, daß ein Vergleich mit der Lage in den anderen Mitgliedstaaten nützliche Hinweise auf einen eventuellen Mißbrauch der beherrschenden Stellung einer nationalen Gesellschaft zur Wahrnehmung von Urheberrechten liefern kann. Die Vorlagefrage ist daher, so wie die vorlegenden Gerichte sie formuliert haben, zu bejahen.

31 In der Verhandlung, die vor dem Gerichtshof zwischen den Diskothekenbetreibern und der SACEM stattgefunden hat, war auch von anderen, in den Vorlagefragen nicht erwähnten Kriterien die Rede, die geeignet sein könnten, die Unangemessenheit des umstrittenen Gebührensatzes darzutun. So haben die Betreiber den Unterschied zwischen dem von den Diskotheken geforderten und dem für andere grosse Benutzer von aufgezeichneter Musik wie Rundfunk und Fernsehen geltenden Satz ins Feld geführt. Sie haben jedoch keine Anhaltspunkte dafür vorgetragen, wie eine Methode beschaffen sein müsste, die es gestatten würde, einen zuverlässigen Vergleich auf einheitlicher Grundlage vorzunehmen; die Kommission und die beteiligten Regierungen haben sich zu diesem Punkt nicht geäussert. Der Gerichtshof ist deshalb nicht in der Lage, das genannte Kriterium im Rahmen des vorliegenden Vorabentscheidungsverfahrens zu untersuchen.

32 Die Cour d' Appel Poitiers, die die Vorlagefragen ursprünglich gestellt hat, hat ausdrücklich festgestellt, daß die pauschale Natur des Gebührensatzes bei der Beantwortung der Frage, ob die Höhe der Gebühr angemessen ist, nicht berücksichtigt werden dürfe; es ist daher nicht Sache des Gerichtshofes, sich im Rahmen der vorliegenden Rechtssache zu diesem Punkt zu äussern.

33 Nach alledem ist auf die erste Vorlagefrage zu antworten, daß Artikel 86 EWG-Vertrag dahin auszulegen ist, daß eine nationale Gesellschaft zur Wahrnehmung von Urheberrechten, die auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes eine beherrschende Stellung innehat, unangemessene Geschäftsbedingungen erzwingt, wenn die Gebühren, die sie von Diskotheken fordert, erheblich höher sind als die in den anderen Mitgliedstaaten erhobenen Gebühren, sofern die verschiedenen Tarife, was ihre Höhe betrifft, miteinander auf einheitlicher Grundlage verglichen wurden. Anders wäre es, wenn die in Rede stehende Verwertungsgesellschaft diese Differenz unter Hinweis auf objektive und relevante Unterschiede bei der Wahrnehmung der Urheberrechte in dem betroffenen Mitgliedstaat und in den übrigen Mitgliedstaaten rechtfertigen könnte.

Kostenentscheidung:

Kosten

34 Die Auslagen der französischen, der italienischen, der griechischen und der spanischen Regierung sowie der Kommission, die beim Gerichtshof Erklärungen eingereicht haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien der Ausgangsverfahren ist das Verfahren ein Zwischenstreit in den bei den vorlegenden Gerichten anhängigen Rechtsstreitigkeiten; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieser Gerichte.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm von der Cour d' Appel Poitiers mit Urteil vom 3. März 1988 und vom Tribunal de grande instance Poitiers mit zwei Entscheidungen vom 6. Juni 1988 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

1 ) Artikel 85 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß er jegliche zwischen nationalen Gesellschaften zur Wahrnehmung von Urheberrechten abgestimmte Verhaltensweise untersagt, die bezweckt oder bewirkt, daß jede Gesellschaft den in anderen Mitgliedstaaten ansässigen Benutzern den unmittelbaren Zugang zu ihren Beständen verweigert. Es ist Sache der innerstaatlichen Gerichte, festzustellen, ob eine derartige Abstimmung zwischen den Verwertungsgesellschaften tatsächlich stattgefunden hat.

2 ) Artikel 86 EWG-Vertrag ist dahin auszulegen, daß eine nationale Gesellschaft zur Wahrnehmung von Urheberrechten, die auf einem wesentlichen Teil des Gemeinsamen Marktes eine beherrschende Stellung innehat, unangemessene Geschäftsbedingungen erzwingt, wenn die Gebühren, die sie von Diskotheken fordert, erheblich höher sind als die in den anderen Mitgliedstaaten erhobenen Gebühren, sofern die verschiedenen Tarife, was ihre Höhe betrifft, miteinander auf einheitlicher Grundlage verglichen wurden. Anders wäre es, wenn die in Rede stehende Verwertungsgesellschaft diese Differenz unter Hinweis auf objektive und relevante Unterschiede bei der Wahrnehmung der Urheberrechte in dem betroffenen Mitgliedstaat und in den übrigen Mitgliedstaaten rechtfertigen könnte.

Ende der Entscheidung

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