Judicialis Rechtsprechung

Mit der integrierten Volltextsuche, die vom Suchmaschinenhersteller "Google" zur Verfügung gestellt wird, lassen sich alle Entscheidungen durchsuchen. Dabei können Sie Sonderzeichen und spezielle Wörter verwenden, um genauere Suchergebnisse zu erhalten:

Zurück

Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 18.10.1988
Aktenzeichen: 121/87
Rechtsgebiete: Verordnung Nr. 1530/78 vom 30. Juni 1978, Verordnung Nr. 516/77 vom 14. März 1977


Vorschriften:

Verordnung Nr. 1530/78 vom 30. Juni 1978 Art. 4 Abs. 2
Verordnung Nr. 516/77 vom 14. März 1977 Art. 3a
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1530/78 zur Festlegung der Durchführungsbestimmungen zu der Beihilferegelung für bestimmte Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse ist dahin auszulegen, daß die Führung einer Lagerbuchhaltung durch die Verarbeitungsunternehmen, die alle darin genannten Angaben enthält, eine Voraussetzung für die Gewährung der in der Grundverordnung Nr. 516/77 auf diesem Gebiet vorgesehenen Produktionsbeihilfe ist und daß etwaige Zweifel an der Richtigkeit bestimmter Eintragungen in die Lagerbuchhaltung anhand anderer zusätzlicher Dokumente geklärt werden können.

Da die Verpflichtung der Unternehmen nach Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1530/78 Teil des Kontroll - und Beweissystems ist, das notwendig ist, um das reibungslose Funktionieren der Beihilferegelung zu gewährleisten, hat die Kommission mit dem Erlaß dieser Bestimmung die ihr durch die Verordnung Nr. 516/77 verliehenen Befugnisse nicht überschritten.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (VIERTE KAMMER) VOM 18. OKTOBER 1988. - BAYERNWALD FRUECHTEVERWERTUNG GMBH GEGEN BUNDESREPUBLIK DEUTSCHLAND. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VOM VERWALTUNGSGERICHT FRANKFURT AM MAIN. - BEIHILFE FUER VERARBEITUNGSERZEUGNISSE AUS OBST UND GEMUESE - VORAUSSETZUNGEN FUER DIE GEWAEHRUNG. - RECHTSSACHE 121/87.

Entscheidungsgründe:

1 Das Verwaltungsgericht Frankfurt am Main hat mit Beschluß vom 19. März 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 7. April 1987, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung und der Gültigkeit des Artikels 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1530/78 der Kommission vom 30. Juni 1978 zur Festlegung der Durchführungsbestimmungen zu der Beihilferegelung für bestimmte Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse ( ABl. L 179, S. 21 ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit über die Voraussetzungen für die Gewährung der genannten Beihilfe, in dem sich die Bayernwald Früchteverwertung GmbH ( nachstehend : Firma Bayernwald ), die Klägerin des Ausgangsverfahrens, und das Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft, die von der Bundesrepublik Deutschland, der Beklagten des Ausgangsverfahrens, für die Anwendung der betreffenden Beihilferegelung bestimmte Stelle, gegenüberstehen.

Die einschlägige Regelung

3 Nach Artikel 3 a Absatz 1 der Verordnung Nr. 516/77 des Rates vom 14. März 1977 über die gemeinsame Marktorganisation für Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse ( ABl. L 73, S. 1 ) in der Fassung der Verordnung Nr. 1152/78 des Rates vom 30. Mai 1978 ( ABl. L 144, S. 1 ) wird für die in Anhang I a dieser Verordnung aufgeführten Erzeugnisse, die aus in der Gemeinschaft geerntetem Obst und Gemüse hergestellt werden, eine Produktionsbeihilferegelung eingeführt. Aufgrund der Verordnung Nr. 1639/79 des Rates vom 24. Juli 1979 zur Änderung der Verordnung Nr. 516/77 ( ABl. L 192, S. 3 ) wurde diese Beihilferegelung mit Beginn des Wirtschaftsjahres 1980/81 auf in Sirup haltbar gemachte Kirschen der Tarifstelle 20.06 B des Gemeinsamen Zolltarifs ausgedehnt.

4 Artikel 3 b Absatz 1 der fraglichen Verordnung nennt den Grund für diese Beihilferegelung : Der Betrag der Beihilfe wird so festgesetzt, daß er den Unterschied zwischen den Preisen der Gemeinschaftserzeugnisse und denen der Erzeugnisse der Drittländer ausgleicht.

5 Die streitige Beihilferegelung stützt sich nach Artikel 3 a Absätze 2 und 3 der Verordnung Nr. 516/77 auf ein System von Verträgen, die für eine noch festzulegende Zeit die Erzeuger der frischen Produkte und die Verarbeitungsbetriebe binden. Für die im Rahmen dieser Verträge durchgeführten Lieferungen wird auf Gemeinschaftsebene ein Mindestpreis festgesetzt, den die Verarbeiter den Erzeugern zu zahlen haben.

6 Nach Artikel 3 b Absatz 4 wird "die Produktionsbeihilfe... den Verarbeitern gewährt, die Verträge gemäß Artikel 3 a abgeschlossen haben ".

7 Artikel 3 b Absatz 5 nennt drei Voraussetzungen für die Gewährung der Beihilfe. Die Bestimmung lautet folgendermassen :

"Die Beihilfe wird den Beteiligten auf Antrag gezahlt, sobald in dem Mitgliedstaat, in dem die Verarbeitung erfolgt, die von diesem benannte Stelle folgendes festgestellt hat :

- Der Verarbeiter hat dem Erzeuger einen Preis gezahlt, der mindestens gleich dem Mindestpreis ist;

- die Erzeugnisse, die Gegenstand von Verträgen waren, sind verarbeitet worden;

- die durch die Verarbeitung entstandenen Erzeugnisse entsprechen den geltenden Qualitätsnormen."

8 Nach Artikel 3 c der streitigen Verordnung werden die Durchführungsbestimmungen zu Artikel 3 a und 3 b nach dem Verfahren des Artikels 20 der Verordnung, also von der Kommission nach dem Verwaltungsausschußverfahren, erlassen.

9 Aufgrund dieser Ermächtigung erließ die Kommission die Verordnung Nr. 1530/78. Nach deren Artikel 4 Absatz 1 müssen die in der Verordnung Nr. 516/77 vorgesehenen Kontrollmaßnahmen insbesondere die Überprüfung der Verarbeitung der aufgrund der Verträge gelieferten Grundstoffmengen und die Überprüfung der Übereinstimmung der aus dieser Verarbeitung stammenden Erzeugnisse mit den einschlägigen Qualitätsnormen umfassen.

10 Absatz 2 dieses Artikels lautet folgendermassen :

"Die betreffenden Verarbeitungsbetriebe führen eine Lagerbuchhaltung, aus der insbesondere hervorgeht :

a ) für jeden der in Artikel 1 Absatz 2 genannten Zeiträume

- die gekauften und jeden Tag in den Betrieb verbrachten Grundstoffpartien, wobei diejenigen, für welche Verarbeitungsverträge oder Nachträge geschlossen werden, sowie die Nummern der gegebenenfalls für diese Partien ausgestellten Empfangsscheine, gesondert anzugeben sind;

- das Gewicht jeder eingegangenen Partie sowie für die unter die vorgenannten Verträge fallenden Partien Name und Anschrift des Vertragspartners,

b ) die Mengen der jeden Tag durch Verarbeitung der Grundstoffe gewonnenen Fertigerzeugnisse mit gesonderter Angabe derjenigen, die aus den im Rahmen der Verarbeitungsverträge gelieferten Grundstoffen gewonnen wurden."

Der Ausgangsrechtsstreit

11 Mit Antrag vom 8. August 1980 begehrte die Firma Bayernwald für das Wirtschaftsjahr 1980/81 aufgrund der vorerwähnten Regelung die Gewährung der streitigen Beihilfe für die 1980 erfolgte Verarbeitung von 55 Tonnen Süßkirschen zu Konserven. Die Süßkirschen waren im Rahmen von sechs Verträgen geliefert worden.

12 Das Bundesamt für Ernährung und Forstwirtschaft lehnte die Gewährung der beantragten Produktionsbeihilfe durch Bescheid vom 28. April 1982 mit der Begründung ab, daß bei der Betriebsprüfung Unstimmigkeiten zwischen Lieferbelegen, Rechnungen und Kalkulationen festgestellt worden seien und keine ordnungsgemässe Lagerbuchhaltung vorhanden sei. Es hätten insbesondere die erforderlichen Tagesaufzeichnungen im Sinne der erwähnten Regelung gefehlt und ersatzweise vorgelegte Kalkulationsbelege hätten keine entsprechende tageweise Zuordnung ermöglicht.

13 Aufgrund dieses Bescheids erhob die Firma Bayernwald Klage beim Verwaltungsgericht Frankfurt am Main. Dieses hat das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt :

"Ist Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung ( EWG ) Nr. 1530/78 der Kommission vom 30. Juli 1978 ( ABl. L 179, S. 21 ) die Regelung einer zusätzlichen Anspruchsvoraussetzung für die Gewährung von Produktionsbeihilfe, die die Kommission der Europäischen Gemeinschaften, ohne ihre Rechtsetzungszuständigkeit zu überschreiten, einführen durfte, oder handelt es sich bei der oben zitierten Vorschrift lediglich um die Regelung, daß nur die Lagerbuchhaltung als alleiniges Beweismittel zugelassen ist?"

14 Das vorlegende Gericht analysiert seine Frage wie folgt :

Es stelle sich zunächst die Frage, ob die Verpflichtung der Betriebe zur Führung einer Lagerbuchhaltung aufgrund der streitigen Vorschrift eine zusätzliche anspruchsbegründende Voraussetzung für die Gewährung der Beihilfe sei, die neben den drei Voraussetzungen des Artikels 3 b Absatz 5 der Verordnung Nr. 516/77 erfuellt sein müsse.

Wenn dies zu bejahen sei, stelle sich die Frage, ob die Kommission nicht ihre Kompetenz überschritten habe, da sie aufgrund der oben dargestellten Regelung nur zum Erlaß von Durchführungsbestimmungen zu Artikel 3 a und 3 b der Verordnung Nr. 516/77 ermächtigt sei.

Werde die Frage verneint, müsse man sich fragen, welche Konsequenz aus dem Nichtvorliegen der Lagerbuchhaltung zu ziehen und welche Sanktionen in diesem Fall anzuwenden seien; die Verordnung der Kommission enthalte dazu keine ausdrückliche Vorschrift : sei also die Führung der Lagerbuchhaltung als das einzige Beweismittel oder aber als ein durch andere Beweise ergänzungsfähiges Beweismittel anzusehen?

15 Mit der dem Gerichtshof vorgelegten Frage, wie sie durch obige Analyse erläutert wird, möchte das nationale Gericht im wesentlichen folgendes wissen :

a ) Ist Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1530/78 dahin auszulegen, daß er von den betroffenen Verarbeitungsbetrieben die Führung einer Lagerbuchhaltung als notwendige Voraussetzung für die Begründung des Anspruchs auf Gewährung der streitigen Beihilfe verlangt, oder aber dahin, daß die Führung einer Lagerbuchhaltung nur als nicht alleiniges Beweismittel verlangt wird, das also durch andere Mittel ersetzt werden kann, um den Beweis zu führen, daß die drei materiellen Voraussetzungen des Artikels 3 b Absatz 5 der Verordnung Nr. 516/77 für die Gewährung der Beihilfe erfuellt sind?

b ) Ist der genannte Artikel 4 Absatz 2 ungültig, weil die Kommission mit dem Erlaß dieser Bestimmung die ihr im Rahmen der Ermächtigung des Artikels 3c der Verordnung Nr. 516/77 verliehenen Befugnisse überschritten hat?

16 Dem nationalen Gericht ist in der Reihenfolge dieser beiden Fragen zu antworten.

17 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur Frage unter a

18 Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1530/78 bezweckt, wie sich aus den Begründungserwägungen dieser Verordnung ergibt, das reibungslose Funktionieren der streitigen Beihilferegelung in allen Mitgliedstaaten zu gewährleisten und dazu ein einheitliches Kontrollsystem einzuführen. Diese Kontrolle soll den zuständigen nationalen Stellen die Überprüfung ermöglichen, ob die in der Grundverordnung festgelegten materiellen Voraussetzungen für die Gewährung der Beihilfe erfuellt sind. Eine solche Überprüfung rechtfertigt das Erfordernis der Führung einer Lagerbuchhaltung, um in den Genuß der Beihilfe zu kommen.

19 Ausserdem ist festzustellen, daß die Eintragungen, die zur Erfuellung der Verpflichtung, eine Lagerbuchhaltung zu führen, vorgenommen werden, als unerläßliches Minimum alle in dem genannten Artikel 4 Absatz 2 aufgezählten Angaben enthalten müssen; sie müssen ausserdem durch beweiskräftige Dokumente belegt sein. Fehlen diese unerläßlichen Mindestangaben, kann die Verpflichtung zur Führung einer Lagerbuchhaltung nicht als erfuellt angesehen werden. Jedoch schließt es Artikel 4 Absatz 2 bei Zweifeln an der Richtigkeit bestimmter Eintragungen in der betreffenden Lagerbuchhaltung nicht aus, daß andere zusätzliche Dokumente herangezogen werden, um die Zweifel auszuräumen.

20 Somit ist auf diese Frage zu antworten, daß Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1530/78 der Kommission dahin auszulegen ist, daß die Führung einer Lagerbuchhaltung, die alle darin genannten Angaben enthält, eine Voraussetzung für die Gewährung der in der Verordnung Nr. 516/77 des Rates vorgesehenen Produktionsbeihilfe ist und daß etwaige Zweifel an der Richtigkeit bestimmter Eintragungen in dieser Lagerbuchhaltung anhand anderer zusätzlicher Dokumente geklärt werden können.

Zur Frage unter b

21 Dazu ist festzustellen, daß die in Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1530/78 verlangte Führung einer Lagerbuchhaltung Teil des Kontroll - und Beweissystems ist, dessen Einführung notwendig war, um das reibungslose Funktionieren der Beihilferegelung zu gewährleisten. Dieses Erfordernis gehört zu den Durchführungsbestimmungen zu Artikel 3 a und 3 b der Verordnung Nr. 516/77, zu deren Erlaß die Kommission aufgrund von Artikel 3 c dieser Verordnung ermächtigt war.

22 Da die Akten keinen Anhaltspunkt dafür enthalten, daß die Kommission mit der Einführung dieses Kontrollsystems über das hinausgegangen ist, was notwendig ist, um das reibungslose Funktionieren der Beihilferegelung zu gewährleisten, ist festzustellen, daß die Kommission die ihr verliehenen Befugnisse nicht überschritten hat.

23 Infolgedessen ist auf diese Frage zu antworten, daß ihre Prüfung nichts ergeben hat, was die Gültigkeit der Verordnung Nr. 1530/78 der Kommission beeinträchtigen könnte.

Kostenentscheidung:

Kosten

24 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Vierte Kammer )

auf die ihm vom Verwaltungsgericht Frankfurt am Main mit Beschluß vom 19. März 1987 vorgelegte Frage für Recht erkannt :

1 ) Artikel 4 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1530/78 der Kommission zur Festlegung der Durchführungsbestimmungen zu der Beihilferegelung für bestimmte Verarbeitungserzeugnisse aus Obst und Gemüse ist dahin auszulegen, daß die Führung einer Lagerbuchhaltung, die alle darin genannten Angaben enthält, eine Voraussetzung für die Gewährung der in der Verordnung Nr. 516/77 des Rates vorgesehenen Produktionsbeihilfe ist und daß etwaige Zweifel an der Richtigkeit bestimmter Eintragungen in dieser Lagerbuchhaltung anhand anderer zusätzlicher Dokumente geklärt werden können.

2 ) Die Prüfung der vorgelegten Frage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit der Verordnung Nr. 1530/78 der Kommission beeinträchtigen könnte.

Ende der Entscheidung

Zurück