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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 18.04.1989
Aktenzeichen: 128/88
Rechtsgebiete: EWGV, VO Nr. 1408/71/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 177
EWGV Art. 7
EWGV Art. 52
EWGV Art. 53
VO Nr. 1408/71/EWG Art. 46
VO Nr. 1408/71/EWG Art. 44
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Wenn der Arbeitnehmer eine Rente nur nach den nationalen Rechtsvorschriften bezieht, verbieten es die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71 nicht, daß diese nationalen Rechtsvorschriften vollständig, einschließlich der nationalen Antikumulierungsbestimmungen, auf ihn angewandt werden. Erweist sich jedoch die Anwendung dieser nationalen Rechtsvorschriften für den Arbeitnehmer als weniger günstig als die der Regelung des Artikels 46 der Verordnung, so ist dieser Artikel anzuwenden. In diesem Fall ist Artikel 46 Absatz 3, der darauf abzielt, die Kumulierung der erworbenen Leistungen gemäß den Modalitäten der Absätze 1 und 2 dieses Artikels zu begrenzen, unter Ausschluß der in den nationalen Rechtsvorschriften enthaltenen Antikumulierungsbestimmungen anzuwenden.

2. Eine nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats erworbene vorgezogene Altersrente und eine nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erworbene Invaliditätsrente sind als Leistungen gleicher Art im Sinne von Artikel 12 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 anzusehen, wonach dann, wenn in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats für den Fall des Zusammentreffens einer Leistung mit anderen Leistungen der sozialen Sicherheit, die in diesem Mitgliedstaat oder nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erworben wurden, vorgesehen ist, daß die Leistungen gekürzt, zum Ruhen gebracht oder entzogen werden, diese Rechtsvorschriften nicht anwendbar sind, wenn der Berechtigte Leistungen gleicher Art bei Invalidität, Alter, Tod ( Renten ) oder Berufskrankheit erhält, die von den Trägern der verschiedenen betroffenen Mitgliedstaaten insbesondere nach Artikel 46 dieser Verordnung festgestellt werden.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (DRITTE KAMMER) VOM 18. APRIL 1989. - OLANDINO DI FELICE GEGEN INSTITUT NATIONAL D'ASSURANCES POUR TRAVAILLEURS INDEPENDANTS. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VOM TRIBUNAL DE TRAVAIL DE BRUXELLES. - SOZIALE SICHERHEIT - SELBSTAENDIGER - LEISTUNGEN GLEICHER ART. - RECHTSSACHE 128/88.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunal du travail Brüssel hat mit Urteil vom 21. April 1988, beim Gerichtshof eingegangen am 27. April 1988, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag drei Fragen nach der Auslegung der Artikel 7 Absatz 1, 52 Absatz 2 und 53 EWG-Vertrag sowie der Artikel 12 Absätze 1 und 2, 44 Absätze 1 und 2 und 46 der Verordnung Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu - und abwandern, in der durch die Verordnung Nr. 2001/83 des Rates vom 2. Juni 1983 ( ABl. L 230, S. 8 ) geänderten Fassung zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen Herrn Di Felice, einem italienischen Staatsangehörigen mit Wohnsitz in Italien, und dem Institut national d' assurances sociales pour travailleurs indépendants ( Inasti ).

3 Herr Di Felice war von 1950 bis 1964 als Selbständiger in Belgien tätig. Seit 1969 Empfänger einer Invaliditätsrente gemäß den italienischen Rechtsvorschriften, beantragte er am 24. November 1983 beim Inasti aufgrund der in Belgien zurückgelegten Beitragszeiten die Gewährung einer vorgezogenen Altersrente vom 28. April 1984, seinem 60. Geburtstag, an. Obgleich das Inasti dem Betroffenen einen Anspruch auf diese Rente zuerkannte, die auf der Grundlage von 16/45 einer vollen beruflichen Laufbahn mit Kürzung um 5 % pro vorgezogenes Jahr vor dem 65. Geburtstag auf 36 568 BFR jährlich festgesetzt wurde, weigerte es sich unter Berufung auf die in der belgischen Regelung vorgesehenen Antikumulierungsvorschriften, diese Rente auszuzahlen.

4 Diese Weigerung wurde auf Artikel 30 bis des Arrêté royal Nr. 72 gestützt, wonach die Altersrente für Selbständige nur zahlbar ist, "wenn der Empfänger keine Berufstätigkeit ausübt und keine Entschädigung wegen Krankheit, Invalidität oder unfreiwilliger Arbeitslosigkeit nach belgischen oder ausländischen Rechtsvorschriften der sozialen Sicherheit oder nach einem für das Personal einer völkerrechtlichen Einrichtung geltenden Statut erhält ".

5 Das nationale Gericht hat, nachdem es Herrn Di Felice einen Anspruch auf eine Altersrente für Selbständige zuerkannt und deren Höhe auf 39 007 BFR jährlich festgesetzt hatte, es für angebracht gehalten, vor einer Entscheidung über die tatsächliche Feststellung dieser Rente das Verfahren auszusetzen und dem Gerichtshof folgende Fragen vorzulegen :

"- Stellen das gegenwärtig noch bestehende Schweigen der nationalen belgischen Regelung auf dem Gebiet der Kumulierung von Renten ( im vorliegenden Fall : einer Altersrente ) eines Selbständigen mit anderen Leistungen, '... einer Altersrente oder... einer an deren Stelle tretenden Vergünstigung ( im vorliegenden Fall :... einer Entschädigung... wegen Invalidität )..., die aufgrund einer... ausländischen... Altersrentenregelung... gewährt werden' , und die Praxis, die der zuständige nationale Leistungsträger daraus herleiten will, eine 'Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit' im Sinne von Artikel 7 Absatz 1 EWG-Vertrag dar, mag sie unmittelbar oder mittelbar sein oder aber auf der Staatsangehörigkeit beruhen, und zwar durch Anwendung von Kriterien, die zwar formal neutral sind, aber faktisch zum gleichen Ergebnis führen, nämlich zur Benachteiligung der Ausländer durch ein unverhältnismässiges Hindernis, oder könnten sie eine solche Diskriminierung darstellen?

- Fallen sie unter die Artikel 52 Absatz 2 und 53 EWG-Vertrag sowie unter die Artikel 12 Absätze 1 und 2, 43 und das Kapitel 3, insbesondere die Artikel 44 Absätze 1 und 2 und 46, der Verordnung ( EWG ) Nr. 1408/71 des Rates vom 14. Juni 1971 über die Anwendung der Systeme der sozialen Sicherheit auf Arbeitnehmer und Selbständige sowie deren Familienangehörige, die innerhalb der Gemeinschaft zu - und abwandern, oder könnten sie darunter fallen?

- Sind die italienische Invaliditätsrente ( im vorliegenden Fall : 'ab initio' noch nicht in eine Altersrente umgewandelt ) und die belgische Rente ( vorgezogene Altersrente ) des Selbständigen als 'Leistungen gleicher Art' anzusehen?"

6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts und des rechtlichen Rahmens des Ausgangsverfahrens sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zu den ersten beiden Fragen

7 Im Hinblick auf die Formulierung der ersten beiden Fragen ist zunächst daran zu erinnern, daß der Gerichtshof im Verfahren nach Artikel 177 EWG-Vertrag nicht befugt ist, die Normen des Gemeinschaftsrechts auf einen Einzelfall anzuwenden oder die Vereinbarkeit von Bestimmungen des nationalen Rechts mit diesen Normen zu beurteilen; er kann aber dem nationalen Gericht alle Kriterien für die Auslegung des Gemeinschaftsrechts an die Hand geben, die diesem bei der Beurteilung der Wirkungen der Bestimmungen dieses Rechts dienlich sein könnten.

8 Aus den Gründen des Vorlageurteils ergibt sich, daß die ersten beiden Fragen so zu verstehen sind, daß der Gerichtshof im wesentlichen dazu Stellung nehmen soll, ob die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71, durch die Verordnung Nr. 1390/81 des Rates vom 12. Mai 1981 ( ABl. L 143, S. 1 ) ausgedehnt auf die Selbständigen und ihre Familienangehörigen, der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften entgegenstehen, nach denen eine Altersrente nicht ausgezahlt werden kann, wenn der Berechtigte eine Invaliditätsrente nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erhält, da die Anwendung dieser Rechtsvorschriften für den Berechtigten weniger günstig ist als die der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71.

9 Es ist daran zu erinnern, daß nach ständiger Rechtsprechung ( siehe insbesondere Urteil vom 5. Mai 1983 in der Rechtssache 238/81, Van der Bunt-Craig, Slg. 1983, 1385 ) dann, wenn der Arbeitnehmer eine Rente nur nach den nationalen Rechtsvorschriften bezieht, es die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71 nicht verbieten, daß diese nationalen Rechtsvorschriften vollständig, einschließlich der nationalen Antikumulierungsbestimmungen, auf ihn angewandt werden. Erweist sich jedoch die Anwendung dieser nationalen Rechtsvorschriften für den Arbeitnehmer als weniger günstig als die der Regelung des Artikels 46 der Verordnung Nr. 1408/71, so ist dieser Artikel anzuwenden. In diesem Fall ist Artikel 46 Absatz 3, der darauf abzielt, die Kumulierung der erworbenen Leistungen gemäß den Modalitäten der Absätze 1 und 2 dieses Artikels zu begrenzen, unter Ausschluß der in den nationalen Rechtsvorschriften enthaltenen Antikumulierungsbestimmungen anzuwenden.

10 Für die Anwendung der Gemeinschaftsbestimmungen wird das nationale Gericht insbesondere zu berücksichtigen haben, daß nach Artikel 12 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71, wenn in den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats für den Fall des Zusammentreffens einer Leistung mit anderen Leistungen der sozialen Sicherheit, die in diesem Mitgliedstaat oder nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erworben wurden, vorgesehen ist, daß die Leistungen gekürzt, zum Ruhen gebracht oder entzogen werden, diese Rechtsvorschriften nicht anwendbar sind, wenn der Berechtigte Leistungen gleicher Art bei Invalidität, Alter, Tod ( Renten ) oder Berufskrankheit erhält, die von den Trägern der verschiedenen betroffenen Mitgliedstaaten insbesondere nach Artikel 46 dieser Verordnung festgestellt werden.

11 Folglich sind, ohne daß die anderen vom nationalen Gericht genannten Vorschriften des Gemeinschaftsrechts betrachtet werden müssten, die ersten beiden Vorabentscheidungsfragen dahin zu beantworten, daß die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71, durch die Verordnung Nr. 1390/81 ausgedehnt auf die Selbständigen und ihre Familienangehörigen, so auszulegen sind, daß sie der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften entgegenstehen, nach denen eine Altersrente nicht ausgezahlt werden kann, wenn der Berechtigte eine Invaliditätsrente nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erhält, da die Anwendung dieser Rechtsvorschriften für den Berechtigten weniger günstig ist als die der Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71.

Zur dritten Frage

12 Mit der dritten Frage möchte das nationale Gericht wissen, ob eine nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats erworbene vorgezogene Altersrente und eine nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erworbene Invaliditätsrente als "Leistungen gleicher Art" im Sinne von Artikel 12 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 anzusehen sind.

13 Hierzu ist daran zu erinnern, daß nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes dann, wenn ein Arbeitnehmer nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats in eine Altersrente umgewandelte Leistungen bei Invalidität und nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats noch nicht in eine Altersrente umgewandelte Leistungen bei Invalidität bezieht, die Altersrente und die Leistungen bei Invalidität als Leistungen gleicher Art anzusehen sind ( siehe zuletzt Urteil vom 2. Juli 1981 in den verrbundenen Rechtssachen 116, 117, 119, 120 und 121/80, Celestre, Slg. 1981, 1737 ).

14 Diese Rechtsprechung ist auch dann anwendbar, wenn die nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats geschuldeten Altersrenten sich nicht aus der Umwandlung von Leistungen bei Invalidität ergeben, da eine Altersrente unabhängig davon, ob sie sich aus einer solchen Umwandlung ergibt, von gleicher Art ist wie eine Invaliditätsrente.

15 Diese Auslegung von Artikel 12 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 kann im Fall der Gewährung einer vorgezogenen Altersrente nicht anders sein, da die vorgezogene Zahlung nur bewirkt, daß der Betrag der Rente gekürzt wird.

16 Auf die dritte Vorabentscheidungsfrage ist daher zu antworten, daß eine nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats erworbene vorgezogene Altersrente und eine nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erworbene Invaliditätsrente als Leistungen gleicher Art im Sinne von Artikel 12 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 anzusehen sind.

Kostenentscheidung:

Kosten

17 Die Auslagen der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben hat, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Verfahren; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Dritte Kammer )

auf die ihm vom Tribunal du travail Brüssel mit Urteil vom 21. April 1988 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

1 ) Die Bestimmungen der Verordnung Nr. 1408/71, durch die Verordnung Nr. 1390/81 ausgedehnt auf die Selbständigen und ihre Familienangehörigen, sind so auszulegen, daß sie der Anwendung nationaler Rechtsvorschriften entgegenstehen, nach denen eine Altersrente nicht ausgezahlt werden kann, wenn der Berechtigte eine Invaliditätsrente nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erhält, da die Anwendung dieser Rechtsvorschriften für den Berechtigten weniger günstig ist als die des Artikels 46 der Verordnung Nr. 1408/71.

2 ) Eine nach den Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaats erworbene vorgezogene Altersrente und eine nach den Rechtsvorschriften eines anderen Mitgliedstaats erworbene Invaliditätsrente sind als Leistungen gleicher Art im Sinne von Artikel 12 Absatz 2 der Verordnung Nr. 1408/71 anzusehen.

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