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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 05.10.1988
Aktenzeichen: 129/87
Rechtsgebiete: EGWV, VO Nr. 259/68


Vorschriften:

EGWV Art. 177
VO Nr. 259/68 Art. 11 Abs. 2 des Anhangs VIII
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Als Bestandteil einer Verordnung ist Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts zwingender Natur und in allen Mitgliedstaaten unmittelbar anzuwenden, so daß diese verpflichtet sind, die geeigneten allgemeinen oder besonderen Maßnahmen zu ergreifen, um den Beamten die Ausübung der ihnen nach Maßgabe dieser Vorschrift gewährten Befugnis zur Übertragung von auf Grund eines nationalen Versorgungssystems erworbenen Ruhegehaltsansprüchen auf das Versorgungssystem der Gemeinschaften zu ermöglichen.

Den Mitgliedstaaten muß die Befugnis zur Festsetzung einer Frist zugestanden werden, innerhalb deren die Beamten bei Meidung des Ausschlusses ihren Antrag auf Übertragung stellen müssen. Was deren Dauer betrifft, so entspricht eine Frist von einem Jahr von der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit an dem Zweck der betreffenden Vorschrift des Statuts, weil sie dem Betroffenen eine hinreichend lange Bedenkzeit für seine Entscheidung lässt.

Der Ausschluß kann allerdings nicht einem Beamten gegenüber geltend gemacht werden, der seinen Antrag vor Fristablauf bei dem Gemeinschaftsorgan, dem er angehört, entsprechend einer zwischen diesem Organ und der zuständigen nationalen Verwaltungsbehörde gepflogenen, ein berechtigtes Vertrauen des Betreffenden begründenden Verwaltungspraxis eingereicht hat.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 5. OKTOBER 1988. - EVA FINGRUTH GEGEN CAISSE DE PENSION DES EMPLOYES PRIVES. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VON DER COUR DE CASSATION DES GROSSHERZOGTUMS LUXEMBURG. - UEBERTRAGUNG VON RUHEGEHALTSANSPRUECHEN DER BEAMTEN AUF DIE VERSORGUNGSORDNUNG DER GEMEINSCHAFT. - RECHTSSACHE 129/87.

Entscheidungsgründe:

1 Die Cour de cassation des Großherzogtums Luxemburg hat mit Beschluß vom 9. April 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 21. April 1987, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung des Artikels 11 Absatz 2 des Anhangs VIII der Verordnung Nr. 259/68 des Rates vom 29. Februar 1968 zur Festlegung des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften und der Beschäftigungsbedingungen für die sonstigen Bediensteten dieser Gemeinschaften sowie zur Einführung von Sondermaßnahmen, die vorübergehend auf die Beamten der Kommmission anwendbar sind ( ABl. L 56, S. 1 ), zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Rechtsstreit zwischen der Beamtin des Europäischen Parlaments Eva Fingruth ( Klägerin des Ausgangsverfahrens ) und der Caisse de pension des employés privés des Großherzogtums Luxemburg ( CPEP ).

3 Frau Fingruth war, bevor sie am 1. April 1981 zur Beamtin auf Lebenszeit beim Europäischen Parlament ernannt wurde, in der Privatwirtschaft in Luxemburg beschäftigt und hatte aufgrund dessen Ruhegehaltsansprüche gegenüber der CPEP erworben.

4 Da Frau Fingruth ihr Interesse an einer Übertragung ihrer Ruhegehaltsansprüche von dem luxemburgischen auf das Gemeinschaftssystem bekundete, ersuchte die Verwaltung des Europäischen Parlaments die CPEP, ihr den genauen Betrag der zu übertragenden Beiträge anzugeben. Nachdem Frau Fingruth von der Verwaltung des Europäischen Parlaments mit Schreiben vom 24. November 1981 die betreffende Abrechnung erhalten hatte, reichte sie noch am gleichen Tage bei dieser Verwaltung einen Antrag auf Übertragung der Beiträge auf das Versorgungssystem der Gemeinschaften in Höhe von 618 192 LFR ein. Dieser Antrag wurde von der Verwaltung des Parlaments erst am 27. Mai 1982 an die CPEP weitergeleitet, also mehr als ein Jahr nach Ernennung von Frau Fingruth zur Beamtin auf Lebenszeit.

5 Den Antrag auf Übertragung lehnte die CPEP am 2. Juni 1982 mit der Begründung ab, daß er nach Ablauf der hierfür nach innerstaatlichem Recht vorgesehenen Frist gestellt worden sei. Artikel 18 des luxemburgischen Gesetzes vom 16. Dezember 1963 zur Koordinierung der Versorgungssysteme in der Fassung des Gesetzes vom 14. März 1979 bestimmt nämlich, daß der Antrag auf Übertragung innerhalb einer Ausschlußfrist von einem Jahr nach der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit zu stellen ist.

6 Der Rechtsstreit ging durch alle hierfür zuständigen Instanzen. Die Cour de cassation hat schließlich das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt :

"Hindert Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften, festgelegt durch die Verordnung Nr. 259/68 des Rates vom 29. Februar 1968, der für die Stellung eines Antrags auf Übertragung von Ruhegehaltsansprüchen eines in den Dienst der Gemeinschaften eintretenden Beamten eine Frist nicht vorsieht, einen Mitgliedstaat daran, die Geltendmachung des dem Beamten verliehenen Anspruchs durch innerstaatliche Maßnahmen zur Durchführung dieser gemeinschaftsrechtlichen Vorschrift dahin gehend zu beschränken, daß für die Stellung des Antrags auf Übertragung eine Ausschlußfrist festgesetzt wird?"

7 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, der einschlägigen innerstaatlichen und gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

8 Die Klägerin des Ausgangsverfahrens macht geltend, Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts gestatte dem innerstaatlichen Gesetzgeber nicht, eine Ausschlußfrist für die Einreichung der Anträge auf Übertragung von Ruhegehaltsansprüchen festzusetzen. Eine solche Frist würde nämlich ein dem Beamten vom Gemeinschaftsrecht verliehenes Recht beeinträchtigen.

9 Demgegenüber steht nach Auffassung der Beklagten des Ausgangsverfahrens Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts der Festsetzung einer solchen, durch verwaltungsmässige Erfordernisse gerechtfertigten Frist nicht entgegen. Den gleichen Standpunkt vertreten die luxemburgische Regierung und die Regierung des Vereinigten Königreichs. Die Kommission erkennt zwar die Befugnis der Mitgliedstaaten zur Festsetzung einer Ausschlußfrist an, weist aber darauf hin, daß einem Beamten, dessen Entscheidung fristgerecht dem Organ, dem er angehöre, mitgeteilt, von diesem aber wegen Verzögerungen im Verwaltungsgang nicht rechtzeitig an die innerstaatlichen Stellen weitergeleitet worden sei, der Ablauf einer solchen Frist nicht entgegengehalten werden könne.

10 Es ist zunächst darauf hinzuweisen, daß nach dem Urteil des Gerichtshofes vom 20. Oktober 1981 in der Rechtssache 137/80 ( Kommission/Königreich Belgien, Slg. 1981, 2393 ) Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts zwingender Natur und in allen Mitgliedstaaten unmittelbar anzuwenden ist, so daß diese verpflichtet sind, die geeigneten allgemeinen oder besonderen Maßnahmen zur Durchführung dieser Vorschrift zu ergreifen.

11 Aus dieser Verteilung der Aufgaben folgt, daß - wie die vorgenannten Regierungen und die Kommission zutreffend hervorgehoben haben - den Mitgliedstaaten die Befugnis zur Festsetzung einer Frist zugestanden werden muß, innerhalb deren die Beamten der Gemeinschaften, die ihre Ruhegehaltsansprüche auf das Versorgungssystem der Gemeinschaften übertragen lassen wollen, ihren Antrag stellen müssen, um Unklarheiten bezueglich ihrer versicherungsrechtlichen Zugehörigkeit zu vermeiden.

12 Was die Dauer einer solchen Ausschlußfrist betrifft, so ist ein Jahr von der Ernennung zum Beamten auf Lebenszeit an, wie es das luxemburgische Recht vorsieht, als dem Zweck des Artikels 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts entsprechend anzusehen, weil diese Frist dem Betroffenen eine hinreichend lange Bedenkzeit für seine Entscheidung lässt.

13 Um jedoch dem vorlegenden Gericht im besonderen Zusammenhang des vorliegenden Ausgangsverfahrens eine sachdienliche Antwort zu geben, muß geprüft werden, ob der Ablauf einer solchen Ausschlußfrist einem Beamten entgegengehalten werden kann, der seinen Antrag auf Übertragung innerhalb der nach innerstaatlichem Recht vorgesehenen Frist bei dem Organ der Gemeinschaften, dem er angehört, entsprechend einer zwischen diesem Organ und der zuständigen innerstaatlichen Verwaltungsbehörde gepflogenen Verwaltungspraxis eingereicht hat, wenn dieser Antrag erst nach Ablauf der Frist von der zuständigen Dienststelle des Gemeinschaftsorgans weitergeleitet worden ist.

14 Aus den Akten geht nämlich hervor, daß die zuständige luxemburgische Verwaltungsbehörde damit einverstanden war, daß der Antrag auf Übertragung ihr unter Einschaltung der zuständigen Dienststelle dieses Organs übermittelt werden sollte. So hatte sich das Parlament zunächst an die CPEP gewandt, um den Betrag der Ruhegehaltsansprüche von Frau Fingruth zwecks Übertragung dieser Ansprüche auf das Versorgungssystem der Gemeinschaften in Erfahrung zu bringen; anschließend hatte die CPEP dem Parlament die Abrechnung der übertragbaren Beitragsleistungen von Frau Fingruth übersandt.

15 Unter diesen Umständen muß die zuständige innerstaatliche Verwaltungsbehörde, unbeschadet der bestehenden Ausschlußfrist für die Ausübung des Rechts auf Übertragung der Ruhegehaltsansprüche, aufgrund des so begründeten berechtigten Vertrauens des betreffenden Beamten der Gemeinschaften gewährleisten, daß das Recht auf Übertragung wirksam ausgeuebt werden kann, wenn dieser Beamte vor Ablauf der Frist die notwendigen Schritte unternommen hat. Folglich kann der Ablauf einer solchen Frist einem Beamten der Gemeinschaften nicht entgegengehalten werden, der seinen Antrag auf Übertragung innerhalb der nach innerstaatlichem Recht vorgesehenen Frist bei dem Organ der Gemeinschaften, dem er angehört, nach Maßgabe der vorgenannten Verwaltungspraxis eingereicht hat, falls diese Frist unabhängig von seinem Willen abgelaufen ist.

16 Auf die vom vorlegenden Gericht gestellte Frage ist daher zu antworten, daß Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts dahin auszulegen ist, daß diese Vorschrift einen Mitgliedstaat nicht daran hindert, für die Stellung von Anträgen auf Übertragung von Ruhegehaltsansprüchen eine Ausschlußfrist von einem Jahr festzusetzen. Der Ablauf einer solchen Frist kann jedoch von der innerstaatlichen Verwaltungsbehörde einem Beamten der Gemeinschaften nicht entgegengehalten werden, der seinen Übertragungsantrag innerhalb der nach innerstaatlichem Recht vorgesehenen Frist bei dem Organ der Gemeinschaften, dem er angehört, eingereicht hat, falls die Einreichung des Übertragungsantrags über dieses Organ einer zwischen dem Gemeinschaftsorgan und der zuständigen innerstaatlichen Verwaltungsbehörde in diesem Bereich gepflogenen Verwaltungspraxis entsprach.

Kostenentscheidung:

Kosten

17 Die Auslagen der Regierung des Großherzogtums Luxemburg, der Regierung des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die vor dem Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Sechste Kammer )

auf die ihm von der Cour de cassation des Großherzogtums Luxemburg mit Beschluß vom 9. April 1987 vorgelegte Frage für Recht erkannt :

Artikel 11 Absatz 2 des Anhangs VIII des Statuts ist dahin auszulegen, daß diese Vorschrift einen Mitgliedstaat nicht daran hindert, für die Stellung von Anträgen auf Übertragung von Ruhegehaltsansprüchen eine Ausschlußfrist von einem Jahr festzusetzen. Der Ablauf einer solchen Frist kann jedoch von der innerstaatlichen Verwaltungsbehörde einem Beamten der Gemeinschaften nicht entgegengehalten werden, der seinen Übertragungsantrag innerhalb der nach innerstaatlichem Recht vorgesehenen Frist bei dem Organ der Gemeinschaften, dem er angehört, eingereicht hat, falls die Einreichung des Übertragungsantrags über dieses Organ einer zwischen dem Gemeinschaftsorgan und der zuständigen innerstaatlichen Verwaltungsbehörde in diesem Bereich gepflogenen Verwaltungspraxis entsprach.

Ende der Entscheidung

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