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Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 20.09.1988
Aktenzeichen: 136/87
Rechtsgebiete:
Vorschriften:
Die Erste Richtlinie des Rates zur Koordinierung der den Gesellschaften im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschriebenen Schutzbestimmungen ( 68/151 ) sieht in ihrem Abschnitt I die Offenlegung bestimmter Daten vor, damit Dritte sich im voraus über die Merkmale der Gesellschaften unterrichten können, auf die sie sich bezieht. Infolgedessen können Dritte sich auf Angaben über derartige Gesellschaften nur dann rechtmässig berufen, wenn sie in der vorgeschriebenen Weise offengelegt worden sind. Hieraus folgt, daß die Regelung des Abschnitts III der Richtlinie über die Nichtigkeit von Gesellschaften nur dann Anwendung findet, wenn Dritte durch die gemäß Abschnitt I offengelegten Angaben zu der Annahme veranlasst wurden, es bestehe eine Gesellschaft im Sinne der Richtlinie. Das ist nicht der Fall, wenn im Namen einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung gehandelt wurde, deren Bestehen sich nicht aus dem öffentlichen Register ergibt, weil die vom nationalen Recht vorgeschriebenen Errichtungsformalitäten nicht erfuellt wurden.
Sind jedoch die im Namen einer nicht errichteten Gesellschaft mit beschränkter Haftung vorgenommenen Rechtshandlungen nach dem anwendbaren nationalen Recht als im Namen einer in Gründung befindlichen Gesellschaft im Sinne von Artikel 7 der Richtlinie vorgenommen anzusehen, ist es Sache des nationalen Rechts, die unbeschränkte gesamtschuldnerische Haftung derjenigen zu regeln, die diese Handlungen vorgenommen haben.
URTEIL DES GERICHTSHOFES (SECHSTE KAMMER) VOM 20. SEPTEMBER 1988. - UBBINK ISOLATIE BV GEGEN DAK- EN WANDTECHNIEK BV. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VOM HOGE RAAD DER NEDERLANDEN. - GESELLSCHAFTSRECHT - ERSTE HARMONISIERUNGSRICHTLINIE DES RATES - REGELUNG BETREFFEND DIE NICHTIGKEIT VON GESELLSCHAFTEN. - RECHTSSACHE 136/87.
Entscheidungsgründe:
1 Der Hoge Raad der Nederlanden hat mit Urteil vom 24. April 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 30. April 1987, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag vier Fragen betreffend die Regelung über die Nichtigkeit von Gesellschaften in Abschnitt III der Ersten Richtlinie des Rates vom 9. März 1968 zur Koordinierung der Schutzbestimmungen, die in den Mitgliedstaaten den Gesellschaften im Sinne des Artikels 58 Absatz 2 des Vertrages im Interesse der Gesellschafter sowie Dritter vorgeschrieben sind, um die Bestimmungen gleichwertig zu gestalten ( 68/151/EWG; ABl. L 65, S. 8; nachstehend : Erste Richtlinie ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.
2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit über die Erfuellung eines Vertrags zwischen der Dak - en Wandtechniek BV und einer Gesellschaft, die als Ubbink Isolatie BV aufgetreten ist ( nachstehend : die Kassationsbeschwerdeführerin ).
3 Zum Zeitpunkt des Abschlusses des streitigen Vertrags war im Handelsregister eine offene Handelsgesellschaft Ubbink Isolatie BV i.o. (( Ubbink Isolatie GmbH, in Gründung befindlich )) eingetragen; als ihre Gesellschafter waren die Ubbink Nederland BV und die Isetco BV, als Prokurist mit dem Titel eines Direktors ein gewisser Herr Juraske angegeben. Im Handelsregister war jedoch keine GmbH Ubbink Isolatie BV eingetragen. Das vorlegende Gericht geht davon aus, daß keine notarielle Urkunde über die Errichtung einer GmbH namens Ubbink Isolatie BV vorliege, so daß eine solche GmbH nicht errichtet worden sei.
4 Unter dem Namen Ubbink Isolatie BV, ohne den Zusatz "i.o.", schloß die Kassationsbeschwerdeführerin den streitigen Vertrag mit der Firma Dak - en Wandtechniek, wurde sie von dieser vor der Arrondissementsrechtbank Arnheim wegen Auflösung des Vertrags und vertraglicher Haftung verklagt und trat sie anfänglich in diesem Rechtsstreit auf.
5 Im Laufe des Verfahrens vor diesem Gericht machte die Kassationsbeschwerdeführerin geltend, die Firma Dak - en Wandtechniek habe ihre Klage zu Unrecht gegen die Ubbink Isolatie BV gerichtet. Die auf die Klage von Dak - en Wandtechniek hin zugestellte Ladung sei nichtig, und der Klage könne nicht stattgegeben werden, da eine Ubbink Isolatie BV nicht existiere.
6 Die Arrondissementsrechtbank Arnheim führte in einem Zwischenurteil aus, falls sich herausstelle, daß eine Ubbink Isolatie BV überhaupt nicht errichtet worden oder daß der Errichtungsakt fehlerhaft sei, so würde dies noch nicht bedeuten, daß die GmbH nicht existiere. Sie existiere vielmehr solange, als sie nicht nach dem niederländischen Bürgerlichen Gesetzbuch aufgelöst oder für nichtig erklärt worden sei. Aus Artikel 182 Absatz 1 des Zweiten Buchs dieses Gesetzbuchs ergebe sich, daß, wenn im Namen einer GmbH gehandelt worden sei, obwohl die Gesellschaft nicht ins Handelsregister eingetragen worden sei und ohne daß eine von einem Notar unterzeichnete Errichtungsurkunde oder eine ministerielle Unbedenklichkeitserklärung vorliege, die Gesellschaft auf Antrag jeder Person, die hieran ein Interesse habe, oder auf Verlangen der Staatsanwaltschaft für nichtig zu erklären sei.
7 Dieses Zwischenurteil wurde vom Gerechtshof Arnheim bestätigt, nachdem die Kassationsbeschwerdeführerin hiergegen Berufung eingelegt hatte. Diese legte nunmehr Kassationsbeschwerde ein, wobei sie auftrat als "die Prozesspartei, die in den vorhergehenden Instanzen als Ubbink Isolatie BV rechtlich belangt wurde und aufgetreten ist ". Die Beschwerde wurde darauf gestützt, daß Artikel 182 keine Anwendung in einem Fall wie dem vorliegenden finde, in dem keine GmbH errichtet und unrechtmässig für eine - oder unter dem Namen einer - Schein-GmbH gehandelt worden sei, ohne daß die Struktur einer GmbH vorgelegen habe und ohne daß irgendein Errichtungsakt erfolgt sei.
8 Da der Hoge Raad der Auffassung war, Artikel 182 müsse unter Berücksichtigung der Bestimmungen von Abschnitt III der Ersten Richtlinie, namentlich von deren Artikeln 11 und 12, ausgelegt werden, setzte er das Verfahren bis zur Vorabentscheidung des Gerichtshofes über folgende Auslegungsfragen aus :
"1 ) Führt, wenn im Namen einer Gesellschaft im Sinne der Ersten Richtlinie gehandelt wird, die Gesellschaft aber nach dem geltenden nationalen Recht nicht errichtet worden ist, weil - im Sinne von Artikel 11 Absatz 2 Buchstabe a der Richtlinie - ein öffentlich beurkundeter Errichtungsakt fehlt oder die Formalitäten der vorbeugenden Kontrolle nicht beachtet wurden, die Zielsetzung der Regelung in Abschnitt III der Richtlinie dazu, daß die "Gesellschaft" in einem gegen sie angestrengten Verfahren als bestehend anzusehen ist, solange ihre Nichtigkeit nicht in einem besonderen Verfahren zur Nichtigerklärung und Auflösung "der Gesellschaft" festgestellt worden ist?
2 ) Macht es für die Beantwortung der Frage 1 einen Unterschied, ob a ) allein der öffentlich beurkundete Errichtungsakt fehlt oder allein die Formalitäten der vorbeugenden Kontrolle nicht beachtet wurden, oder aber ob b ) dieser Akt fehlt und ausserdem diese Formalitäten nicht beachtet wurden?
3 ) Macht es für die Beantwortung der Frage 1 einen Unterschied, ob a ) die Handlungen im Rahmen einer Organisation von Personen und Sachen erfolgt sind, die - abgesehen von dem Auftreten unter dem Namen einer Gesellschaft - den Anschein einer Gesellschaft erweckt, oder ob b ) die Handlungen erfolgt sind, ohne daß eine solche Organisation vorliegt?
4 ) Ist es für die Beantwortung der Frage 1 von Bedeutung, daß im Rahmen einer Organisation gehandelt worden ist, die nach dem geltenden nationalen Recht eine andere Rechtsform als die einer Gesellschaft im Sinne der Richtlinie hat - zum Beispiel die Rechtsform einer offenen Handelsgesellschaft - und als solche auch im Handelsregister eingetragen ist, jedoch unter einer Bezeichnung, die, abgesehen von der Angabe der Rechtsform, gleichlautend ist mit der Bezeichnung der nicht errichteten Gesellschaft, unter der gehandelt worden ist?"
9 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrens und der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.
10 Mit seinen ersten beiden Fragen, die zusammen zu prüfen sind, möchte das vorlegende Gericht im wesentlichen wissen, ob die Regelung der Ersten Richtlinie über die Nichtigkeit anwendbar ist, wenn im Namen einer GmbH - einer von der Ersten Richtlinie erfassten Rechtsform - gehandelt wurde, die nach nationalem Recht nicht zustande gekommen ist, weil die von diesem Recht geforderten Errichtungsformalitäten nicht erfuellt wurden. Die dritte und die vierte Frage gehen dahin, ob die ersten beiden Fragen anders zu beantworten sind, wenn eine von der Ersten Richtlinie nicht erfasste personale Organisation oder eine Gesellschaft den Anschein des Bestehens einer Gesellschaft im Sinne dieser Richtlinie erweckt.
11 Die Erste Richtlinie soll die in den Mitgliedstaaten den Aktiengesellschaften und den Gesellschaften mit beschränkter Haftung vorgeschriebenen Schutzbestimmungen namentlich im Interesse Dritter koordinieren.
12 Zu diesem Zweck sieht sie in ihrem Abschnitt I die Offenlegung bestimmter Daten vor, damit Dritte sich im voraus über die wesentlichen Merkmale der Gesellschaften unterrichten können, auf die sich die Richtlinie bezieht. Wie in ihren Begründungserwägungen ausgeführt, soll die Offenlegung es Dritten erlauben, sich über die wesentlichen Urkunden der Gesellschaft sowie einige sie betreffende Angaben, insbesondere die Personalien derjenigen, die die Gesellschaft verpflichten können, zu unterrichten.
13 Infolgedessen können Dritte sich rechtmässig auf Angaben über eine Gesellschaft im Sinne der Ersten Richtlinie berufen, wenn diese Angaben im Einklang mit den Bestimmungen von Abschnitt I der Richtlinie offengelegt wurden. Die Richtlinie zielt also nicht darauf ab, Dritten die Möglichkeit zu eröffnen, dem Anschein Glauben zu schenken, den das Verhalten von Gesellschaftsorganen oder -vertretern erweckt hat, wenn dieser Anschein nicht mit den im öffentlichen Register publizierten Angaben übereinstimmt.
14 Hieraus folgt, daß die Regelung des Abschnitts III der Ersten Richtlinie über die Nichtigkeit nur dann Anwendung findet, wenn Dritte durch die gemäß Abschnitt I offengelegten Angaben zu der Annahme veranlasst wurden, es bestehe eine Gesellschaft im Sinne der Ersten Richtlinie.
15 Anders ist die Lage der Dritten dagegen, wenn keinerlei Angaben über eine Gesellschaft im Sinne der Ersten Richtlinie offengelegt wurden, insbesondere wenn die vom nationalen Recht vorgeschriebenen Errichtungsformalitäten - authentischer Errichtungsakt und vorbeugende Verwaltungskontrolle - nicht erfuellt wurden und die Gesellschaft aus diesem Grunde im öffentlichen Register als in Gründung befindliche Gesellschaft erscheint.
16 Auf die ersten beiden Fragen ist daher zu antworten, daß die Regelung über die Nichtigkeit von Gesellschaften im Sinne der Ersten Richtlinie keine Anwendung findet, wenn im Namen einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung gehandelt wurde, deren Bestehen sich jedoch nicht aus dem öffentlichen Register ergibt, weil die vom nationalen Recht geforderten Errichtungsformalitäten nicht erfuellt wurden.
17 Da diese Antwort es dem vorlegenden Gericht gestattet, das aufgeworfene gemeinschaftsrechtliche Problem zu lösen, brauchen die übrigen in den Vorlagefragen bezeichneten Umstände nicht mehr geprüft zu werden.
18 Es ist jedoch klarzustellen, daß, soweit im Namen einer nicht errichteten Gesellschaft mit beschränkter Haftung vorgenommene Rechtshandlungen nach dem anwendbaren nationalen Recht als im Namen einer in Gründung befindlichen Gesellschaft im Sinne von Artikel 7 der Ersten Richtlinie vorgenommen anzusehen sind, es Sache des nationalen Rechts ist, die unbeschränkte gesamtschuldnerische Haftung derjenigen zu regeln, die diese Handlungen vorgenommen haben.
Kostenentscheidung:
Kosten
19 Die Auslagen der Regierung des Königreichs der Niederlande und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.
Tenor:
Aus diesen Gründen
hat
DER GERICHTSHOF ( Sechste Kammer )
auf die ihm vom Hoge Raad der Nederlanden mit Urteil vom 24. April 1987 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :
Die Regelung über die Nichtigkeit von Gesellschaften im Sinne der Ersten Richtlinie 68/151 des Rates vom 9. März 1968 findet keine Anwendung, wenn im Namen einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung gehandelt wurde, deren Bestehen sich jedoch nicht aus dem öffentlichen Register ergibt, weil die vom nationalen Recht geforderten Errichtungsformalitäten nicht erfuellt wurden.
Ende der Entscheidung
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