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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 04.02.1988
Aktenzeichen: 143/86
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 2 Absatz 1 der Ersten Richtlinie des Rates zur Durchführung des Artikels 67 des Vertrages in ihrer geänderten Fassung ist dahin auszulegen, daß sein Anwendungsbereich - so wie er durch die Liste B in der Anlage I der Richtlinie begrenzt wird - sich nicht auf Geschäfte erstreckt, die nach den der Richtlinie als Anlage beigefügten Begriffsbestimmungen Käufe von inländischen Wertpapieren durch Deviseninländer im Ausland darstellen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 4. FEBRUAR 1988. - J. R. A. EAST, N. B. HARRISON UND G. M. W. OAKLEY (MARGETTS AND ADDENBROOKE) GEGEN T. CUDDY UND W. CUDDY. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VOM CIRCUIT COURT (NORTHERN CIRCUIT, COUNTY OF CAVAN). - DURCHFUEHRUNG DES ARTIKELS 67 EWG-VERTRAG - GUELTIGKEIT EINER ENTSCHEIDUNG DER KOMMISSION - FREIER KAPITALVERKEHR. - RECHTSSACHE 143/86.

Entscheidungsgründe:

1 Der Circuit Court of Ireland, Northern Circuit, County of Cavan hat mit einem Beschluß, der am 10. Juni 1986 beim Gerichtshof eingegangen ist, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag verschiedene Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt; diese beziehen sich zum einen auf die Tragweite und die Wirkungen des Artikels 2 Absatz 1 der Richtlinie des Rates vom 11. Mai 1960 ( ABl. vom 12. 7. 1960, S. 921 ) zur Durchführung des Artikels 67 EWG-Vertrag betreffend die Liberalisierung des Kapitalverkehrs, geändert durch die Richtlinie 63/21 des Rates ( ABl. vom 22. 1. 1963, S. 62 ), und zum anderen auf die Gültigkeit und die Tragweite der Entscheidung der Kommission vom 3. Dezember 1980 zur Ermächtigung Irlands, Schutzmaßnahmen gemäß Artikel 108 EWG-Vertrag zu treffen.

2 Diese Fragen stellen sich in einem Rechtsstreit zwischen den in London niedergelassenen Börsenmaklern East, Harrison und Oakley, die unter der Firma "Margetts and Addenbrooke" geschäftlich tätig sind, und den in Irland wohnhaften irischen Staatsangehörigen Herr und Frau Cuddy, in dem es um die Erfuellung eines Vertrags über den Kauf und Verkauf von Wertpapieren an der Londoner Börse für Rechnung der letztgenannten geht.

3 Herr und Frau Cuddy kauften und verkauften zwischen 1982 und 1984 über die Firma Margetts and Addenbrooke an der Londoner Börse Wertpapiere. Wie sich aus den zu den Akten gereichten Unterlagen ergibt und von den Parteien des Ausgangsverfahrens nicht bestritten wird, bezogen sich diese Geschäfte immer auf Aktien irischer Gesellschaften mit Sitz in Irland, deren Kapital in irischen Pfund ausgedrückt ist und die sowohl an der Dubliner als auch an der Londoner Börse notiert werden. Im Juli 1984 schuldeten Herr und Frau Cuddy der Firma Margetts and Addenbrooke nach dem Verkauf bestimmter Wertpapiere mit Verlust einen Betrag von 5 080,30 UKL. Herr und Frau Cuddy weigerten sich, diesen Betrag zu zahlen, und wurden von der Börsenmaklerfirma vor dem Circuit Court verklagt.

4 Nachdem die Beklagten sich darauf berufen hatten, daß der von ihnen mit der Firma Margetts and Addenbrooke geschlossene Vertrag nach den irischen devisenrechtlichen Vorschriften nichtig sei, machten die Kläger geltend, diese Vorschriften könnten nicht angewandt werden, weil sie im Widerspruch zu der genannten Richtlinie vom 11. Mai 1960 stuenden.

5 Unter diesen Umständen hat das mit dem Ausgangsverfahren befasste Gericht dem Gerichtshof folgende vier Fragen vorgelegt :

"1 ) Räumt Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie des Rates vom 11. Mai 1960 den einzelnen Rechte ein, die sie vor den nationalen Gerichten eines Mitgliedstaats durchsetzen können?

2 ) Wenn ja, ist dann Artikel 2 Absatz 1 dieser Richtlinie dahin auszulegen, daß er einzelnen, die in einem Mitgliedstaat wohnen, das Recht verleiht, Wertpapiere an der Wertpapierbörse eines anderen Mitgliedstaats zu kaufen?

3 ) Ist die Entscheidung der Kommission vom 3. Dezember 1980, durch die Irland ermächtigt wird, weiterhin bestimmte Schutzmaßnahmen gemäß Artikel 108 Absatz 3 EWG-Vertrag anzuwenden, gültig?

4 ) Wenn diese Entscheidung gültig ist, gibt sie dann Irland das Recht, seinen Gebietsansässigen Beschränkungen aufzuerlegen, was den Handel mit Aktien von Gesellschaften, die in Irland eingetragen sind und dort ihre Hauptgeschäftstätigkeit ausüben, an der Wertpapierbörse eines anderen Mitgliedstaats betrifft?"

6 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, der gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften und der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur zweiten Frage

7 Zunächst ist die zweite Frage des vorlegenden Gerichts zu prüfen, die im wesentlichen dahin geht, ob Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie des Rates vom 11. Mai 1960 dahin auszulegen ist, daß sein Anwendungsbereich Geschäfte über den Kauf von Wertpapieren wie diejenigen umfasst, um die es im Ausgangsrechtsstreit geht.

8 Die Parteien des Ausgangsverfahrens sind aus unterschiedlichen Gründen übereinstimmend der Auffassung, daß diese Frage zu bejahen sei. Nach Ansicht der Klägerin gehören die in Frage stehenden Geschäfte implizit zu den von Artikel 2 Absatz 1 erfassten Geschäften, während die Beklagte meint, diese Geschäfte seien allein deshalb als "Erwerb ausländischer... Wertpapiere durch Deviseninländer" anzusehen, der ausdrücklich von der die Richtlinie erfasst werde, weil die Wertpapiere, die Gegenstand dieser Geschäfte gewesen seien, von den irischen Rechtsvorschriften als ausländische Wertpapiere eingestuft würden.

9 Die irische Regierung und die Kommission sind dagegen der Auffassung, bei derartigen Geschäften handele es sich um den Kauf inländischer Wertpapiere durch Deviseninländer im Sinne der Richtlinie von 1960 in ihrer geänderten Fassung, der nicht von Artikel 2 Absatz 1 erfasst werde.

10 Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie vom 11. Mai 1960 in ihrer geänderten Fassung bestimmt : "Die Mitgliedstaaten erteilen allgemeine Genehmigungen zum Abschluß oder zur Erfuellung von Geschäften sowie für Transferzahlungen zwischen Deviseninländern in den Mitgliedstaaten, die den in der in Anlage I Liste B dieser Richtlinie genannten Kapitalverkehr betreffen." Diese Liste B umfasst die folgenden Wertpapiergeschäfte :

" Erwerb inländischer, an Börsen gehandelter Wertpapiere durch Devisenausländer ( unter Ausschluß der Anteilsscheine am Sondervermögen von Kapitalanlagegesellschaften ) und Repatriierung des Liquidationserlöses aus diesen Wertpapieren.

Erwerb ausländischer, an Börsen gehandelter Wertpapiere durch Deviseninländer und Verwendung des Liquidationserlöses aus diesen Wertpapieren..."

11 Zur näheren Bestimmung der in diesen Vorschriften verwendeten Begriffe "Deviseninländer" und "inländische" oder "ausländische" Wertpapiere sind nicht die nationalen Rechtsvorschriften, sondern die Definitionen in den "Begriffsbestimmungen" heranzuziehen, die der Richtlinie als Anlage beigefügt und deren Bestandteil sind.

12 Nach diesen "Begriffsbestimmungen" sind als Deviseninländer oder Devisenausländer "die natürlichen und juristischen Personen im Sinne der Begriffsbestimmungen der in den einzelnen Mitgliedsländern geltenden devisenrechtlichen Vorschriften" anzusehen. Insoweit ist unstreitig, daß Herr und Frau Cuddy irische Deviseninländer waren.

13 Ferner sind nach den "Begriffsbestimmungen" Wertpapiere "je nach dem Sitz des Ausstellers" inländisch oder ausländisch. Es ist ebenfalls unstreitig, daß die Gesellschaften, auf deren Aktien sich die streitigen Geschäfte bezogen, ihren Sitz in Irland hatten. Daraus folgt, daß diese Wertpapiere nach der Richtlinie vom 11. Mai 1960 in ihrer geänderten Fassung irische Wertpapiere sind.

14 Nach alledem handelt es sich bei den Geschäften, um die es im Ausgangsrechtsstreit geht, nach dieser Richtlinie um den Erwerb inländischer Wertpapiere durch Deviseninländer im Ausland. Derartige Geschäfte sind nicht in der Liste B aufgeführt, die der Richtlinie vom 11. Mai 1960 in ihrer geänderten Fassung als Anlage beigefügt ist.

15 Derartige Geschäfte lassen sich auch nicht als implizit von der Richtlinie erfasst ansehen. Es handelt sich nämlich um andere als die in der Richtlinie genannten Geschäfte, die erst durch die Richtlinie 86/566 des Rates vom 17. November 1986 ( ABl. L 332, S. 22 ) liberalisiert worden sind, die nach dem für den Ausgangsrechtsstreit maßgeblichen Zeitpunkt erlassen worden ist.

16 Auf die zweite Frage ist daher zu antworten, daß Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie des Rates vom 11. Mai 1960 in ihrer geänderten Fassung dahin auszulegen ist, daß sein Anwendungsbereich sich nicht auf Geschäfte über den Kauf von Wertpapieren der im Ausgangsverfahren streitigen Art erstreckt, die nach dieser Richtlinie Käufe von inländischen Wertpapieren durch Deviseninländer im Ausland darstellen.

Zu den übrigen Fragen

17 Aus der Antwort auf die zweite Frage ergibt sich, daß Geschäfte der im Ausgangsverfahren streitigen Art durch die Richtlinie vom 11. Mai in ihrer geänderten Fassung nicht liberalisiert worden sind und daß die irische Regierung folglich zur Regelung dieser Geschäfte zuständig geblieben ist.

18 Unter diesen Umständen sind die übrigen Fragen des vorlegenden Gerichts, die eventuelle "unmittelbare Wirkungen" der Richtlinie vom 11. Mai 1960 in ihrer geänderten Fassung sowie die Gültigkeit und die Tragweite der Entscheidung der Kommission vom 3. Dezember 1980 betreffen, durch die die Republik Irland dazu ermächtigt worden ist, in Abweichung von bestimmten Vorschriften der Richtlinie vom 11. Mai 1960 in ihrer geänderten Fassung Schutzmaßnahmen zu erlassen, gegenstandslos. Sie brauchen daher nicht beantwortet zu werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

19 Die Auslagen der irischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

auf die ihm vom Circuit Court of Ireland, Northern Circuit, County of Cavan, mit Beschluß vom 11. November 1985 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

Artikel 2 Absatz 1 der Richtlinie des Rates vom 11. Mai 1960 in ihrer geänderten Fassung ist dahin auszulegen, daß sein Anwendungsbereich sich nicht auf Geschäfte über den Kauf von Wertpapieren der im Ausgangsverfahren streitigen Art erstreckt, die nach dieser Richtlinie Käufe von inländischen Wertpapieren durch Deviseninländer im Ausland darstellen.

Ende der Entscheidung

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