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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Beschluss verkündet am 10.06.1988
Aktenzeichen: 152/88 R
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, VO (EWG) Nr. 2707/72, VO (EWG) Nr. 1035/72


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 178
EWG-Vertrag Art. 215
EWG-Vertrag Art. 39
EWG-Vertrag Art. 186
VO (EWG) Nr. 2707/72 Art. 3
VO (EWG) Nr. 1035/72 Art. 29
Diese Entscheidung enthält keinen zur Veröffentlichung bestimmten Leitsatz.
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

BESCHLUSS DES PRAESIDENTEN DES GERICHTSHOFES VOM 10. JUNI 1988. - SOFRIMPORT SARL GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - GEMEINSCHAFTLICHE ERHALTUNGSMASSNAHMEN - HANDEL MIT DRITTLAENDERN - TAFELAEPFEL MIT URSPRUNG IN CHILE. - RECHTSSACHE 152/88 R.

Entscheidungsgründe:

1 Mit Klageschrift, die am 26. Mai 1988 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat die Sofrimport Sàrl

- zum einen gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag Klage auf Nichtigerklärung

- der Verordnungen Nrn. 962/88 und 984/88 der Kommission vom 12. und 14. April 1988 zur Aussetzung der Erteilung von Einfuhrlizenzen für Tafeläpfel mit Ursprung in Chile ( ABl. L 95, S. 10, und ABl. L 98, S. 37 ),

- der Verordnung Nr. 1040/88 der Kommission vom 20. April 1988 zur Festsetzung der einführbaren Mengen Tafeläpfel mit Ursprung in Drittländern und zur Änderung der Verordnung Nr. 962/88

- und zum anderen gemäß den Artikeln 178 und 215 Absatz 2 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Ersatz des Schadens durch die Europäische Wirtschaftsgemeinschaft, den sie durch den Erlaß dieser Verordnungen ihrer Meinung nach erlitten hat und den sie in einem späteren Verfahrensstadium beziffern will.

2 Mit Antragßschrift, die am selben Tag bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, hat die Antragsstellerin gemäß den Artikeln 186 EWG-Vertrag und 83 der Verfahrensordnung beantragt,

- eine einstweilige Anordnung zu erlassen, durch die zum einen die Anwendung der Verordnungen Nrn. 962/88, 984/88 und 1040/88 im Hinblick auf 89 514 isten Tafeläpfel mit Ursprung in Chile, die derzeit von der Antragstellerin zur Durchfuhr im Hafen von Marseille gelagert werden, ausgesetzt und zum anderen die Erteilung einer Einfuhrlizenz für diese Partien angeordnet wird,

- hilfsweise, jede andere zusätzliche einstweilige Anordnung zu erlassen, die der Präsident des Gerichtshofes für erforderlich oder angemessen hält.

3 Die Antragsgegnerin hat ihre schriftlichen Erklärungen am 3. Juni 1988 eingereicht. Die Parteien haben am 6. Juni 1988 mündliche Ausführungen gemacht.

4 Bevor die Begründetheit des vorliegenden Antrags auf einstweilige Anordnung geprüft wird, sollen kurz Sachverhalt und rechtlicher Rahmen dieser Rechtssache beschrieben werden.

5 Die Antragstellerin, Frischobstimporteurin und -großhändlerin, führt unter anderem frische Tafeläpfel mit Ursprung in Chile in die EWG ein. Am 31. März 1988 verschiffte sie in San Antonio eine Ladung von 89 514 Kisten Tafeläpfel mit einem Bruttogewicht von 2 172 460,8 kg zur Einfuhr in die Gemeinschaft. Bevor das Schiff, das diese Ladung transportierte, am 20. April 1988 im Hafen von Marseille ankam, beantragte sie am 12. April 1988 bei der französischen Interventionsstelle, dem Oniflhor, Einfuhrlizenzen für diese Partien. Am 18. April 1988 lehnte das Oniflhor die Erteilung dieser Lizenzen mit der Begründung ab, es könne diesem Antrag nach Erlaß der Verordnung Nr. 962/88 durch die Kommission nicht mehr stattgeben. Diese Ladung von Tafeläpfeln liegt daher seit dem 20. April 1988 an Bord des Schiffes fest. Seit dem 22. Mai 1988 wird sie zur Durchfuhr im Hafen von Marseille gelagert.

6 Vor der Verordnung Nr. 962/88 erließ die Kommission am 3. Februar und 30. März 1988 die Verordnungen Nrn. 346/88 und 871/88 mit Sondermaßnahmen zur Überwachung der Einfuhr von Tafeläpfeln aus Drittländern ( ABl. L 34, S. 22 und ABl. L 87, S. 73 ). Diese knüpften die Abfertigung dieser Früchte zum freien Verkehr in der Gemeinschaft vor dem 1. September 1988 an die Vorlage von Einfuhrlizenzen, deren Geltungsdauer 40 Tage ab Ausstellungstag betrug. Gemäß Artikel 3 Absatz 3 der Verordnung Nr. 346/88 wurden diese Lizenzen am fünften Werktag nach Einreichung des Antrags erteilt, sofern innerhalb dieser Frist keine anderen Schutzmaßnahmen getroffen wurden.

7 Da die Kommission aufgrund dieser Überwachungsmaßnahmen feststellte, daß die für die Einfuhr von Tafeläpfeln mit Ursprung in Chile bisher beantragten Lizenzen den üblichen Umfang der einschlägigen Einfuhren überstiegen und daß diese Einfuhren schwere Störungen des Marktes für dieses Produkt zur Folge haben könnten, so daß die Ziele des Artikels 39 EWG-Vertrag gefährdet würden, setzte sie durch ihre am 13. April 1988 in Kraft getretene Verordnung Nr. 962/88 zunächst als Schutzmaßnahme die Erteilung von Einfuhrlizenzen für Tafeläpfel mit Ursprung in Chile für die Zeit vom 15. bis zum 22. April 1988 aus und ordnete an, daß die am 18. April 1988 unerledigten Anträge auf Einfuhrlizenzen für diese Erzeugnisse abzulehnen seien.

8 Durch ihre am 15. April 1988 in Kraft getretene Verordnung Nr. 984/88 zur Änderung der Verordnung Nr. 962/88 ersetzte die Kommission diesen Aussetzungszeitraum später durch den Zeitraum vom 18. bis zum 29. April 1988 mit der Begründung, diese Änderung sei aus Verwaltungsgründen und zur erneuten gründlichen Überprüfung der Gesamtlage des Marktes für Tafeläpfel erforderlich.

9 Durch ihre Verordnung Nr. 1040/88 setzte die Kommission für die Zeit bis zum 31. August 1988 die einführbaren Mengen Tafeläpfel mit Ursprung in Drittländern für jedes Land fest und ordnete die Aussetzung der Erteilung von Einfuhrlizenzen für diese Erzuegnisse an, wenn die Mengen, auf die sich diese Lizenzanträge erstreckten, diese Mengen überschritten. In der letzten Begründungserwägung dieser Verordnung heisst es, daß im Falle Chiles die auf die Einfuhrlizenzanträge entfallende Menge am 21. April 1988 die eingeräumte Referenzmenge überschreite und daß daher die Aussetzung der Erteilung von Einfuhrlizenzen für Tafeläpfel mit Ursprung in diesem Land bis zum Ende der Einfuhrkampagne 1988 aufrechterhalten werden sollte.

10 Nach Artikel 186 EWG-Vertrag kann der Gerichtshof in den bei ihm anhängigen Sachen die erforderlichen einstweiligen Anordnungen treffen.

11 Der Erlaß solcher einstweiliger Anordnungen setzt nach Artikel 83 § 2 der Verfahrensordnung voraus, daß in den dahin gehenden Anträgen die Notwendigkeit der beantragten Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht wird und die Umstände angeführt werden, aus denen sich die Dringlichkeit ergibt.

12 Zur Glaubhaftmachung der Notwendigkeit der beantragten einstweiligen Anordnung verweist die Antragstellerin allgemein auf die vier Klagegründe, auf die sie ihre Klage stützt, geht aber nur auf zwei davon näher ein, so daß nur diese letzteren im vorliegenden Verfahren der einstweiligen Anordnung berücksichtigt werden können.

13 Sie trägt zunächst vor, die Kommission habe entgegen dem eindeutigen Wortlaut von Artikel 3 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 2707/72 des Rates vom 19. Dezember 1972 zur Festlegung der Voraussetzungen für die Anwendung von Schutzmaßnahmen auf dem Sektor Obst und Gemüse ( ABl. L 291, S. 3 ) zuwidergehandelt und diese Vorschrift damit verletzt. Die Kommission habe nämlich die Situation der Waren, die im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Schutzmaßnahmen bereits auf dem Weg in die Gemeinschaft gewesen seien, in keiner Weise berücksichtigt, da sie für diese bei ihrer Entscheidung, die Erteilung von Einfuhrlizenzen einzustellen, keine Ausnahme vorgesehen habe.

14 Die Kommission habe die Einfuhren von Tafeläpfeln mit Ursprung in Chile ausgesetzt, um die Gesamtlage des Marktes zu überprüfen, nicht aber wegen des Eintretens eines der in Artikel 29 Absatz 1 der Verordnung Nr. 1035/72 des Rates vom 18. Mai 1972 über eine gemeinsame Marktorganisation für Obst und Gemüse ( ABl. L 118, S. 1 ) in der Fassung der Verordnung Nr. 2454/72 des Rates vom 21. November 1972 ( ABl. L 266, S. 1 ) aufgeführten Umstände, und zwar, daß der Markt aufgrund von Einfuhren oder Ausfuhren ernstlichen Störungen ausgesetzt oder von ernstlichen Störungen bedroht sei, die die Ziele des Artikels 39 EWG-Vertrag gefährden könnten. Die Kommission habe daher durch den Erlaß dieser Schutzmaßnahmen ihre Befugnisse überschritten. Darüber hinaus habe die Kommission dadurch, daß sie die Aussetzung der Lizenzen auf die Einfuhren von Tafeläpfeln mit Ursprung in Chile begrenzt habe, die verschiedenen Exportländer dieser Früchte ohne jeden sachlichen Grund unterschiedlich behandelt, insbesondere, wenn der Zweck der Schutzmaßnahmen die Überprüfung der Gesamtsituation des Marktes gewesen sei.

15 Die Kommission ihrerseits macht geltend, daß sie sich bei Erlaß der streitigen Verordnungen zur Festsetzung der Überwachungs - und Schutzmaßnahmen an die ihr durch Artikel 3 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 2707/72 auferlegte Verpflichtung, die Ausdruck des Grundsatzes des Vertrauensschutzes sei, gehalten habe. Die Verordnung Nr. 346/88 habe nämlich nicht nur den Zweck verfolgt, zu gewährleisten, daß die Kommission über aktuelle Informationen über das Volumen der Einfuhren von Tafeläpfeln mit Ursprung in Drittländern verfüge, sondern auch, die Wirtschaftsteilnehmer darauf hinzuweisen, daß die Einfuhren ausgesetzt werden könnten, wenn sie eine kritische Schwelle erreichten; dies werde durch Artikel 3 Absatz 3 bestätigt, wonach "die Einfuhrlizenzen am fünften Werktag nach Einreichung des Antrags erteilt (( werden )), sofern innerhalb dieser Frist keine anderen Maßnahmen getroffen werden ". Aus derselben Überlegung habe sie im übrigen zur Berücksichtigung der Zeit, die zur Verbringung der Tafeläpfel in die Gemeinschaft aus Ländern der südlichen Hemisphäre benötigt werde, durch die Verordnung Nr. 871/88 die Geltungsdauer der Einfuhrlizenzen von 30 auf 40 Tage verlängert, wie sich aus der sechsten Begründungserwägung dieser Verordnung ergebe. Aufgrund dieser beiden Angaben habe bei den Wirtschaftsteilnehmern kein schutzwürdiges Vertrauen auf die Erteilung von Einfuhrlizenzen entstehen können.

16 In Anbetracht dieser Erwägungen sowie des Umstands, daß die Wirtschaftsteilnehmer die Möglichkeit gehabt hätten, Einfuhrlizenzen vor Abfahrt der Schiffe zu erhalten, ist die Kommission der Ansicht, daß jeder umsichtige Importeur auf diese Möglichkeit hätte zurückgreifen müssen; es sei daher rechtmässig und verstosse nicht gegen Artikel 3 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 2707/72, daß sie für Tafeläpfel mit Ursprung in Chile für die Zeit vom 15. bis 22. April 1988 durch die Verordnung Nr. 962/88 die Erteilung von Einfuhrlizenzen ausgesetzt habe, ohne andere auf dem Weg in die Gemeinschaft befindliche Waren zu berücksichtigen als solche, für die bereits Einfuhrlizenzen erteilt worden seien.

17 In Artikel 3 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 2707/72 heisst es :

"Die in Absatz 1 vorgesehenen ( Schutz-)Maßnahmen tragen der besonderen Lage der Erzeugnisse Rechnung, die sich auf dem Wege nach der Gemeinschaft befinden."

18 Der Gerichtshof hat in Randnummer 41 seines Urteils vom 5. Mai 1981 in der Rechtssache 112/80 ( Dürbeck, Slg. 1981, 1095 ) - in der es um die Gültigkeit von Kommissionsverordnungen ging, mit denen Schutzmaßnahmen erlassen worden waren und die Ausnahmen davon nur für Waren vorsahen, die Chile bereits in Richtung Gemeinschaft verlassen hatten, nicht hingegen für solche, die noch verladen wurden - bereits entschieden, daß die Kommission diese Vorschrift nicht weit auslegen konnte, ohne die Wirksamkeit der getroffenen Schutzmaßnahmen zu gefährden.

19 Ihren Angaben in der mündlichen Verhandlung zufolge hat die Kommission es bisher zur Beachtung dieser Vorschrift für erforderlich gehalten, in die Verordnung über die Einführung von Schutzmaßnahmen eine Ausnahmebestimmung aufzunehmen, wonach diese Maßnahmen nicht auf Erzeugnisse anwendbar sind, die das Lieferland nachweislich vor Inkrafttreten der Verordnung verlassen haben. Sie hat ausgeführt, die Aufnahme einer solchen Ausnahmebestimmung sei in jedem Fall da gerechtfertigt, wo vorher kein System der Einfuhrlizenzen bestanden habe, so daß die Wirtschaftsteilnehmer nicht davon unterrichtet gewesen seien, daß Schutzmaßnahmen erlassen werden könnten.

20 Im vorliegenden Fall sei sie von dieser Praxis abgewichen, da die Situation völlig anders sei. Durch Artikel 3 Absatz 3 der Verordnung Nr. 346/88 zur Einführung eines Systems von Einfuhrlizenzen als Überwachungsmaßnahme habe die Kommission die Wirtschaftsteilnehmer mehr als zwei Monate vor Erlaß der Schutzmaßnahmen davon unterrichtet, daß sie solche Maßnahmen erlassen könne, wenn die Marktlage es erfordere.

21 Durch diesen Hinweis und die nachfolgende Verlängerung der Geltungsdauer der Einfuhrlizenzen von 30 auf 40 Tage habe die Kommission den Wirtschaftsteilnehmern klargemacht, daß es in ihrem Interesse sei, eine solche Lizenz so früh wie möglich zu beantragen; damit habe sie der besonderen Lage der sich auf dem Weg in die Gemeinschaft befindlichen Erzeugnisse hinreichend Rechnung getragen.

22 Selbst wenn insoweit grundsätzlich nicht ausgeschlossen werden kann, daß die Kommission Artikel 3 Absatz 3 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 2707/72 angesichts der kritischen Marktlage in bestimmten Fällen in anderer Weise als dadurch beachten kann, daß sie Erzeugnisse, die sich auf dem Weg in die Gemeinschaft befinden, von der Anwendung der Schutzmaßnahmen ausnimmt, ist sie doch in einem solchen Fall im Interesse der Rechtssicherheit gehalten, die Wirtschaftsteilnehmer klar und deutlich über ihre Absicht zu informieren, falls erforderlich von ihrer früheren Praxis auf diesem Gebiet abzuweichen; anderenfalls würde sie den Grundsatz des Vertrauensschutzes verletzen.

23 Im vorliegenden Fall erwähnt zwar Artikel 3 Absatz 3 der Verordnung Nr. 346/88 die Möglichkeit des Erlasses von Schutzmaßnahmen, doch ergibt sich weder aus einer aufmerksamen Lektüre dieser Vorschrift noch einer anderen Vorschrift dieser Verordnung oder der Verordnung Nr. 871/88, daß die Wirtschaftsteilnehmer eine Einfuhrlizenz vor Abfahrt des die Waren transportierenden Schiffes beantragen mussten, wenn sie sichergehen wollten, ihre auf dem Weg in die Gemeinschaft befindlichen Erzeugnisse einführen zu können, falls Schutzmaßnahmen erlassen würden; sie verfügten also vor Inkrafttreten der Verordnung Nr. 962/88 nicht über einen klaren und deutlichen Hinweis darauf, daß die Kommission hinsichtlich der Behandlung von auf dem Weg in die Gemeinschaft befindlichen Erzeugnissen von ihrer früheren Praxis abweichen werde.

24 Nach alledem und ohne daß es notwendig wäre, sich mit dem zweiten Klagegrund zu beschäftigen, ist festzustellen, daß die Antragstellerin die Notwendigkeit der beantragten einstweiligen Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht hat.

25 Auch wenn die Antragstellerin im vorliegenden Fall die Notwendigkeit der einstweiligen Anordnung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht glaubhaft gemacht hat, muß der Gerichtshof noch die für die Dringlichkeit angeführten Umstände würdigen.

26 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ist die Frage der Dringlichkeit des Erlasses einer einstweiligen Anordnung danach zu beurteilen, ob die Gewährung vorläufigen Rechtsschutzes erforderlich ist, um zu verhindern, daß dem Antragsteller ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entsteht.

27 Um die Dringlichkeit ihres Antrags auf einstweilige Anordnung darzulegen, macht die Antragstellerin zunächst geltend, daß sie wegen der erhöhten Lagerkosten für die betroffenen Partien und deren Wertminderung infolge des Frischeverlusts, falls sie bis Ende August gelagert werden müssten, beziehungsweise des Totalverlusts, falls die Kommission die Verlängerung der Schutzmaßnahmen über dieses Datum hinaus beschlösse, einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden erleide, der ihren Konkurs verursachen könne.

28 In der mündlichen Verhandlung hat die Antragstellerin anhand bereits erhaltener Rechnungen dargelegt, daß die Kosten der Lagerung bis Ende August mit mehr als 1 Mio FF veranschlagt werden könnten; dies sei ein beachtlicher Betrag verglichen mit dem Einkaufspreis der betreffenden Waren, der sich auf 4 374 000 FF belaufen habe. Der Transport dieser Ladung in Nichtmitgliedstaaten sei im übrigen unmöglich, da auf diesen Märkten keine Absatzmöglichkeiten mehr bestuenden; darüber hinaus wäre er mit Kosten von 4 047 000 FF sehr kostspielig.

29 Die Kommission räumt zwar ein, daß die von der Antragstellerin erwähnten Kosten, die durch Lagerung und Wertverlust entstuenden, eine Dringlichkeit der Situation begründeten, wenngleich dank neuer Gefriertechniken die betreffenden Partien Tafeläpfel auch Ende August noch verkauft werden könnten; sie bestreitet jedoch, daß diese Verluste einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden verursachen könnten, da finanzielle Verluste dieser Art im Wege einer gemäß den Artikeln 178 und 215 Absatz 2 EWG-Vertrag erhobenen Schadensersatzklage ausgeglichen werden könnten.

30 Auch wenn der Gerichtshof zu der Ansicht gelange, daß die Antragstellerin infolge der erlassenen Schutzmaßnahmen veranlasst werden könnte, ihre Tätigkeit einzustellen, was diese nicht bewiesen habe, müsse dieser Erwägung der schwere und nicht wiedergutzumachende Schaden gegenübergestellt werden, den die Gemeinschaft erleide, wenn die fraglichen 2 172 Tonnen Äpfel in die Gemeinschaft eingeführt werden könnten. Eine solche Maßnahme würde mit Sicherheit zum einen dazu führen, daß andere Apfelexportländer eine proportionale Erhöhung ihrer Referenzmenge beantragten, was schwer abgelehnt werden könne, und zum anderen dazu, daß Importeure, die sich in der gleichen Lage wie die Antragstellerin befänden, Anträge auf Erlaß entsprechender einstweiliger Anordnungen stellten; dies würde mit Sicherheit schwere Störungen des Marktes verursachen, während es gerade Zweck der Schutzmaßnahmen sei, solche Störungen zu vermeiden.

31 Insoweit ist für die Beurteilung der Frage, ob der Antragstellerin ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entstehen würde, zu berücksichtigen, daß diese ein kleines Unternehmen in der Rechtsform einer Gesellschaft mit beschränkter Haftung ist, das drei Personen beschäftigt und dessen jährlicher Umsatz sich auf etwa 25 bis 30 Mio FF beläuft, und daß das betreffende Geschäft mit einem Wert von 10 Mio FF etwas mehr als 35 % ihres Umsatzes und mehr als das Zehnfache ihres jährlichen Gewinns ausmacht.

32 Unter diesen besonderen Umständen sprechen daher gewichtige Gründe für die Annahme, daß die Antragstellerin Gefahr liefe, ihre Tätigkeit einstellen zu müssen, wenn sie die erwähnten Verluste hinnehmen müsste, und daß sie dadurch einen schweren und nicht wiedergutzumachenden Schaden erleiden würde, der sich erhöhen würde, wenn die Kommission angesichts der Marktlage die Verlängerung der Schutzmaßnahmen über August hinaus beschließen würde.

33 Es ist auch zu berücksichtigen, daß demgegenüber der Erlaß der beantragten einstweiligen Anordnung auf den ersten Blick nicht geeignet ist, eine schwere Störung des Marktes für Tafeläpfel zu verursachen, da sie nur eine kleine Menge von Äpfeln betreffen würde.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER PRÄSIDENT

im Verfahren der einstweiligen Anordnung

beschlossen :

1 ) Die Anwendung der Verordnungen Nr. 962/88 vom 12. April 1988, Nr. 984/88 vom 14. April 1988 und Nr. 1040/88 vom 20. April 1988 der Kommission wird im Hinblick auf 89 514 Kisten Tafeläpfel mit Ursprung in Chile, die die Antragstellerin am 31. März 1988 in San Antonio verschifft hat und derzeit bis zur Erteilung einer Einfuhrlizenz durch die französischen Behörden zur Durchfuhr im Hafen von Marseille lagert, ausgesetzt.

2 ) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Luxemburg, den 10. Juni 1988.

Ende der Entscheidung

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