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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 15.12.1988
Aktenzeichen: 166/86
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Artikel 175 Absatz 3
EWG-Vertrag Artikel 93 Absatz 2
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Die Nichtigkeitsklage ist nicht zulässig gegen eine Entscheidung, durch die eine frühere, nicht fristgerecht angefochtene Entscheidung nur bestätigt wird.

2. Artikel 175 EWG-Vertrag meint die Untätigkeit durch Nichtbescheidung oder Nichtstellungnahme, nicht aber den Erlaß eines anderen als des von dem Betroffenen gewünschten oder für notwendig erachteten Rechtsakts.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (FUENFTE KAMMER) VOM 15. DEZEMBER 1988. - IRISH CEMENT LTD. GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - BEIHILFE FUER DIE ERRICHTUNG EINES ZEMENTWERKS IN NORDIRLAND. - VERBUNDENE RECHTSSACHEN 166/86 UND 220/86.

Entscheidungsgründe:

1 Die Irish Cement Limited, eine Gesellschaft mit Sitz in Dublin, hat mit Klageschrift, die am 10. Juli 1986 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 175 Absatz 3 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß es die Kommission unter Verstoß gegen den EWG-Vertrag unterlassen hat, einen Rechtsakt an sie zu richten, durch den sie von der Einleitung eines Verfahrens nach Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag wegen der Gewährung einer finanziellen Beihilfe an die Sean Quinn Quarries Limited ( im folgenden : Firma Quinn ) durch den Northern Irish Development Board unterrichtet wird, wozu sie die Kommission mit Schreiben vom 28. März 1986 aufgefordert hatte ( Rechtssache 166/86 ).

2 Dieselbe Klägerin hat mit einer am 12. August 1986 eingereichten Klageschrift gemäß Artikel 173 Absatz 2 EWG-Vertrag Klage auf Aufhebung der Entscheidung der Kommission vom 14. Juli 1986 erhoben, kein Verfahren nach Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag wegen der Gewährung der obengenannten Beihilfe einzuleiten. Mit derselben Klageschrift hat die Klägerin ausserdem gemäß Artikel 175 Absatz 3 EWG-Vertrag die Feststellung beantragt, daß die Kommission zu all den Punkten, die sie in ihrem Schreiben an die Kommission vom 28. März 1986 angesprochen hatte, immer noch nicht Stellung genommen hat ( Rechtssache 220/86 ).

3 Mit Schreiben vom 17. April 1985 an den Generaldirektor für Wettbewerb, das die Überschrift "Artikel 92 und 93 EWG-Vertrag" trug, reichte die Klägerin eine "förmliche Beschwerde" gegen die Gewährung einer Beihilfe an die Firma Quinn ein, die 30 bis 50 % der Investitionskosten für die Errichtung einer Zementfabrik in Derrylin, County Fermanagh, Nordirland decken sollte. Zur Begründung ihrer Beschwerde machte sie geltend, durch eine solche Beihilfe werde der Wettbewerb insoweit verzerrt, als sie selbst von der irischen Regierung nur eine Beihilfe in Höhe von 10 % der Investitionskosten für die Steigerung der Zementproduktion ihrer Fabrik in Limerick erhalten habe. Ausserdem wies sie auf die Überkapazitäten für die Zementproduktion auf der gesamten Insel Irland sowie auf den Schaden hin, der sich für sie aus der Realisierung der geplanten Investition ergeben würde. Die Klägerin bot unter dem Vorbehalt der Vertraulichkeit an, der Kommission zusätzliche Informationen zu übermitteln, damit diese den genannten Schaden beurteilen könne.

4 Mit Schreiben vom 14. Mai 1985 antwortete der Generaldirektor für Wettbewerb der Klägerin, die in Frage stehende Beihilfe sei im Einklang mit den von der Kommission in ihrer Mitteilung an die Mitgliedstaaten vom 21. Dezember 1978 ( ABl. 1979, C 31, S. 9 ) festgelegten Grundsätzen für die Koordinierung der regionalen Beihilferegelungen gewährt worden. Der Generaldirektor führte aus, die nationalen Behörden könnten Beihilfen von bis zu 50 % der Investitionsprojekte ohne vorherige Mitteilung an die Kommission gewähren; unter diesen Voraussetzungen habe es wenig Sinn, wenn die Klägerin weitere Detailangaben mache

5 Am 28. März 1986 richtete die Klägerin ein weiteres Schreiben an den Generaldirektor für Wettbewerb, in dem sie geltend machte, die Kommission verfüge über genügend Informationen, um die sektoralen Auswirkungen der Beihilfe gemäß Grundsatz Nr. 11 der Koordinierungsgrundsätze beurteilen zu können. Sie fügte diesem Schreiben ein Memorandum bei, das ihrer Auffassung nach zeigte, daß die in Frage stehende Beihilfe wegen ihrer sektoralen Auswirkungen nicht ohne vorherige Mitteilung an die Kommission hätte durchgeführt werden dürfen. Diese Beihilfe sei nicht geeignet, neue Arbeitsplätze zu schaffen, sondern führe nur zu einer Verlagerung von Arbeitsplätzen und könne daher nicht als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar im Sinne von Artikel 92 Absatz 3 EWG-Vertrag angesehen werden. Die Klägerin forderte daher die Kommission auf, erstens das in Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag vorgesehene Verfahren einzuleiten und ihr mitzuteilen, daß dieses Verfahren eingeleitet worden sei, und zweitens die Koordinierungsgrundsätze dahin zu ändern, daß regionale Beihilfen nicht ohne vorherige Mitteilung an die Kommission gewährt werden dürften und daß in jedem einzelnen Fall die sektoralen Auswirkungen berücksichtigt werden müssten, bevor eine regionale Beihilfe für mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar erklärt werde.

6 Mit Schreiben vom 14. Juli 1986 antwortete der Generaldirektor für Wettbewerb der Klägerin wie folgt :

"Wie wir bereits in dem vorangehenden Schreiben... vom 14. Mai 1985 ausgeführt haben, fällt die der Sean Quinn Quarries Limited gewährte Beihilfe für die Errichtung einer Zementfabrik in Nordirland unter eine Beihilferegelung, die die Kommission gemäß Artikel 92 Absatz 3 EWG-Vertrag als mit dem Gemeinsamen Markt vereinbar angesehen hat. Die Kommission kann daher nicht wegen der Gewährung dieser Beihilfe intervenieren."

7 Gegen diese Entscheidung vom 14. Juli 1986 hat die Klägerin am 12. August 1986 in der Rechtssache 220/86 Nichtigkeitsklage erhoben.

8 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Parteien wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

9 Zunächst ist festzustellen, daß der Generaldirektor für Wettbewerb mit dem Schreiben vom 14. Mai 1985 auf der Grundlage der Artikel 92 und 93 EWG-Vertrag über eine "förmliche Beschwerde" gegen die Gewährung der streitigen Beihilfe an die Firma Quinn entschieden hat. Eine solche Beschwerde konnte kein anderes Ziel als die Einleitung des in Artikel 93 Absatz 2 EWG-Vertrag vorgesehenen Verfahrens haben; diese lehnte der Generaldirektor für Wettbewerb - wie oben ausgeführt - mit der Feststellung ab, daß die in Frage stehende Beihilfe im Einklang mit den auf diesem Gebiet festgelegten Koordinierungsgrundsätzen stehe und ohne vorherige Mitteilung an die Kommission gewährt werden könne.

10 Der letzte Teil des Schreibens vom 14. Mai 1985, wonach es "wenig Sinn" hat, wenn die Klägerin weitere Detailangaben macht, ist im Lichte dieser Feststellung zu sehen. Die von der Kommission angeführten Gründe hinderten sie auf jeden Fall daran, wegen der Gewährung der in Frage stehenden Beihilfe zu intervenieren, so daß die Klägerin keinen berechtigten Grund zu der Annahme hatte, daß die Kommission die Frage erneut prüfen würde, wenn sie weitere Detailangaben machen würde.

11 Das Schreiben vom 14. Mai 1985 stellt daher eine Entscheidung der Kommission dar, durch die die Beschwerde gegen die Gewährung der Beihilfe an die Firma Quinn zurückgewiesen wurde. Sie entfaltet daher gegenüber der Klägerin endgültige Rechtswirkungen. Es ist unstreitig, daß diese Entscheidung dem Gerichtshof nicht innerhalb der Klagefrist vorgelegt worden ist.

12 Die Klägerin macht geltend, die Kommission habe sich in ihrem Schreiben vom 14. Juli 1986 auf andere tatsächliche und rechtliche Gesichtspunkte gestützt als in ihrem ersten Schreiben. Sie führt insbesondere aus, die Kommission habe bei Absendung des Schreibens vom 14. Juli 1986 gewusst, daß die Beihilferegelung, nach der die streitige Beihilfe gewährt worden sei, das "Standard Capital Grants Scheme" gewesen sei und nicht das "Selective Financial Assistance Scheme", das irrtümlich im Schreiben vom 14. Mai 1985 genannt worden sei. Das Schreiben vom 14. Juli 1986 sei folglich als eine neue Entscheidung anzusehen, die mit einer besonderen Klage nach Artikel 173 EWG-Vertrag angefochten werden könne.

13 Diesem Vorbringen ist nicht zu folgen, denn die Entscheidung von 1986 kann wegen des Irrtums bei der Bezeichnung des Beihilfesystems nicht als eine neue Entscheidung angesehen werden. Da die Höhe der in Frage stehenden Beihilfe nicht über die nach den Koordinierungsgrundsätzen festgelegten Grenzen hinausging, war die Frage, welches der beiden in Nordirland geltenden Systeme im vorliegenden Fall angewendet worden war, nämlich unerheblich.

14 Die Klägerin trägt ausserdem vor, die Entscheidung von 1986 habe einen anderen Gegenstand als die von 1985 gehabt. Im ersten Schreiben habe die Kommission über ihre Beschwerde entschieden, mit der sie die der Firma Quinn gewährte Beihilfe insoweit beanstandet habe, als diese höher als die ihr von den irischen Behörden gewährte Beihilfe gewesen sei. Im zweiten Schreiben habe die Kommission über eine Beschwerde entschieden, die einen weiter gefassten Gegenstand gehabt habe, da sie sich auf alle von den Behörden Nordirlands im Zementsektor gewährten Beihilfen bezogen habe.

15 Auch diesem Vorbringen ist nicht zu folgen. Die Entscheidung vom 14. Mai 1985 schloß nämlich in ihren Gründen jede Möglichkeit einer Überprüfung der der Firma Quinn gewährten Beihilfe unabhängig davon aus, ob diese Überprüfung sich auf die gesamte Beihilfe oder nur auf den Teil der Beihilfe erstrecken sollte, der über den der Klägerin zugeflossenen Betrag hinausging.

16 Aus alledem folgt - ohne daß es erforderlich wäre, zu prüfen, ob die Klägerin durch die Entscheidung vom 14. Juli 1986 unmittelbar und individuell betroffen ist -, daß diese Entscheidung die vom 14. Mai 1985 nur bestätigt und daß die gegen sie gerichtete Klage unzulässig ist.

17 Hinsichtlich der Untätigkeitsklage ( Rechtssache 166/86 ) und der entsprechenden Anträge im Rahmen der zweiten Klage ( Rechtssache 220/86 ) genügt die Feststellung, daß die Kommission mit ihrem Schreiben vom 14. Mai 1985 zu dem von der Klägerin in ihrem Schreiben vom 28. März 1986 wiederholten Antrag, ein Verfahren gemäß Artikel 93 Absatz 2 einzuleiten, Stellung genommen hatte, und daß Artikel 175, wie der Gerichtshof in seinem Urteil vom 13. Juli 1971 in der Rechtssache 8/71 ( Komponistenverband, Slg. 1971, 705 ) entschieden hat, die Untätigkeit durch Nichtbescheidung oder Nichtstellungnahme meint, nicht aber den Erlaß eines anderen als des von dem Betroffenen gewünschten oder für notwendig erachteten Rechtsaktes.

18 Die auf Artikel 175 Absatz 3 EWG-Vertrag gestützte Klage ist daher ebenfalls als unzulässig abzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

19 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Klägerin mit ihrem Vorbringen unterlegen ist, sind ihr die Kosten aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Fünfte Kammer )

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Klagen werden als unzulässig abgewiesen.

2 ) Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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