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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 06.06.1990
Aktenzeichen: 174/88
Rechtsgebiete: EWGV, VO Nr. 804/68/EWG


Vorschriften:

EWGV Art. 177
VO Nr. 804/68/EWG Art. 5c
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung Nr. 857/84 über Grundregeln für die Anwendung der zusätzlichen Abgabe für Milch ist dahin auszulegen, daß für die Berechnung der Referenzmenge, die einem Erzeuger von Milch und Milcherzeugnissen zugeteilt wird, der Direktverkäufe an den Verbraucher im Sinne des Artikels 5 c Absatz 2 der Verordnung Nr. 804/68 tätigt, auf die Menge von Milch oder Milcherzeugnissen abzustellen ist, die er während des Referenzjahres unmittelbar an den Verbraucher verkauft hat und die aus seinem eigenen Viehbestand erzeugt worden ist.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 6. JUNI 1990. - THE QUEEN GEGEN DAIRY PRODUCE QUOTA TRIBUNAL FOR ENGLAND AND WALES, EX PARTE HALL & SONS (DAIRY FARMERS) LTD. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: HIGH COURT OF JUSTICE, QUEEN'S BENCH DIVISION - VEREINIGTES KOENIGREICH. - LANDWIRTSCHAFT - ANWENDUNG DER ABGABE IM SEKTOR MILCH UND MILCHERZEUGNISSE - MODALITAETEN DER BERECHNUNG DER EINEM MILCHERZEUGER ZUZUTEILENDEN REFERENZMENGEN. - RECHTSSACHE 174/88.

Entscheidungsgründe:

1 Der High Court, London, hat mit Beschluß vom 4. Oktober 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 28. Juni 1988, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung der Bestimmungen der Verordnung ( EWG ) Nr. 856/84 des Rates vom 31. März 1984 ( ABl. L 90, S. 10 ) zur Änderung der Verordnung ( EWG ) Nr. 804/68 des Rates vom 27. Juni 1968 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse ( ABl. L 148, S. 13 ) sowie der Verordnung ( EWG ) Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 ( ABl. L 90, S. 13 ) über Grundregeln für die Anwendung der Abgabe gemäß Artikel 5 c der Verordnung Nr. 804/68 zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Verfahren auf gerichtliche Überprüfung, in dem die Firma Hall & Sons ( Dairy Farmers ) Limited, die Milch aus eigener Erzeugung sowie bei anderen Lieferanten gekaufte Milch verkauft, eine Entscheidung anficht, mit der das Dairy Produce Quota Tribunal for England and Wales ( im folgenden : das Quota Tribunal ) feststellte, daß es nicht in der Lage sei, die Höhe einer der Firma Hall vom Minister für Landwirtschaft, Fischerei und Ernährung zugeteilten Referenzmenge abzuändern.

3 Aus den Akten geht hervor, daß die Firma Hall am 22. August 1984 beim zuständigen Minister die Zuteilung einer primary direct sales quota (( primäre Direktverkaufsquote )), also der in den gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften für Direktverkäufe vorgesehenen Referenzmenge, beantragte. Mit Schreiben vom 21. Januar 1985 teilte der Minister der Firma seine Absicht mit, ihr auf der Grundlage einer Schätzung der aus ihrem eigenen Milchviehbestand erzeugten Menge eine primäre Quote von 1 323 193 l zu gewähren.

4 Da die Firma Hall diese Quote für ungerechtfertigt hielt, rief sie das Quota Tribunal an und machte geltend, der Minister hätte die Quote unter Zugrundelegung aller von ihr im betreffenden Zeitraum getätigten Verkäufe festsetzen müssen, ohne zu prüfen, ob die verkaufte Milch in ihren eigenen Betrieben erzeugt oder aber bei einem anderen Lieferanten, im vorliegenden Fall dem Milk Marketing Board ( im folgenden : der MMB ), gekauft worden sei. Dementsprechend verlangte die Firma Hall eine primäre Quote von 9 735 363 l.

5 Das Quota Tribunal stellte mit Entscheidung vom 29. August 1985 fest, daß es nicht in der Lage sei, die der Firma Hall gewährte primäre Quote abzuändern. Aus den Akten geht hervor, daß das Gericht seine Entscheidung darauf stützte, daß die fragliche Milchmenge bereits zur Gewährung einer Quote an die Lieferanten des MMB geführt habe und daß ein und dieselbe Milch nicht für zwei verschiedene Quoten berücksichtigt werden könne, ohne daß damit gegen die einschlägigen Bestimmungen des nationalen Rechts, nämlich die Dairy Produce Quota Regulations (( Verordnung über die Milcherzeugungsquoten )) 1984 ( im folgenden : die Quota Regulations ) verstossen werde, die zur Umsetzung der gemeinschaftsrechtlichen Milchabgabenregelung auf nationaler Ebene erlassen worden seien.

6 Daraufhin erhob die Firma Hall vor dem High Court, Queen' s Bench Division, eine Klage auf gerichtliche Überprüfung dieser Entscheidung und machte geltend, das Quota Tribunal habe sowohl die Quota Regulations als auch die einschlägigen gemeinschaftsrechtlichen Vorschriften falsch ausgelegt, als es sich nur auf die vom Viehbestand der Firma Hall erzeugte Milchmenge gestützt und die vom MMB stammende Milch ausgenommen habe. Der High Court, London, hat deshalb dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorgelegt :

"Ist für die Berechnung der Referenzmenge, die einem Erzeuger von Milch und Milcherzeugnissen nach der Verordnung ( EWG ) Nr. 856/84 des Rates vom 31. März 1984 zur Änderung der Verordnung ( EWG ) Nr. 804/68 über die gemeinsame Marktorganisation für Milch und Milcherzeugnisse und nach der Verordnung ( EWG ) Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 über Grundregeln für die Anwendung der Abgabe gemäß Artikel 5 c der Verordnung ( EWG ) Nr. 804/68 im Sektor Milch und Milcherzeugnisse zuzuteilen ist, auf alle Direktverkäufe des Erzeugers im maßgeblichen Kalenderjahr oder aber nur auf die von ihm während dieses Zeitraums getätigten Direktverkäufe von Milch aus eigener Erzeugung abzustellen?"

7 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, der einschlägigen gemeinschaftlichen und nationalen Rechtsvorschriften, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

8 Nach dem ( durch die Verordnung Nr. 856/84 eingefügten ) Artikel 5 c Absatz 1 der Verordnung Nr. 804/68 wird bei den Erzeugern oder den Käufern von Kuhmilch auf die Milch - und/oder Milchäquivalenzmengen, die in dem betreffenden Zwölfmonatszeitraum eine zu bestimmende Referenzmenge überschreiten, eine zusätzliche Abgabe erhoben. Nach Absatz 2 dieses Artikels ist die Abgabe ferner von jedem Milcherzeuger für die Milch - und/oder Milchäquivalenzmengen zu zahlen, die von ihm unmittelbar an den Verbraucher verkauft wurden und die ihm gewährte Referenzmenge überschreiten. Nach Absatz 3 des Artikels darf die Summe dieser Mengen die dem betreffenden Mitgliedstaat zugeteilte Gesamtgarantiemenge grundsätzlich nicht überschreiten.

9 Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung Nr. 857/84 sieht vor, daß jeder in Artikel 5 c Absatz 2 der Verordnung Nr. 804/68 genannte Erzeuger eine seinen Direktverkäufen entsprechende Referenzmenge zugeteilt erhält. Die in dieser Weise zugeteilten Referenzmengen dürfen jedoch insgesamt eine im Anhang dieser Verordnung für jeden Mitgliedstaat festgesetzte Grenze nicht überschreiten.

10 Der Begriff "unmittelbar an den Verbraucher verkaufte Milch oder unmittelbar an den Verbraucher verkauftes Milchäquivalent" ist in Artikel 12 Buchstabe h der Verordnung Nr. 857/84 definiert als "Milch oder in Milchäquivalent umgerechnete Milcherzeugnisse, die ohne Einschaltung eines Milch be - oder verarbeitenden Unternehmens verkauft werden ". Diese Definition gibt aber nicht ausdrücklich den Ursprung dieser verkauften Milch an.

11 Die Firma Hall vertritt deshalb die Auffassung, daß die ihr nach Artikel 6 der Verordnung Nr. 857/84 zugeteilte Referenzmenge notwendigerweise ihren Direktverkäufen insgesamt entsprechen müsse. Hierzu macht sie folgendes geltend : Keine Bestimmung dieses Artikels sehe vor, daß die Referenzmenge eines Erzeugers auf seine eigene Erzeugung beschränkt sei. Einer Auslegung der fraglichen Bestimmungen, die alle Direktverkäufe umfasse, stehe nicht entgegen, daß sie zur Zuteilung mehrerer Referenzmengen für ein und dieselbe Milchmenge führen würde, da jede Referenzmenge auf einer anderen Grundlage zugeteilt werde. Diese Auslegung hätte auch keine Diskriminierung zwischen Erzeugern zur Folge, da sich die Firma Hall - wie auch andere Direktlieferanten - in einer besonderen Lage befinde, die mit der anderer Erzeuger, die ihre Milch nur an den MMB verkauften, weder vergleichbar noch identisch sei.

12 Die Kommission und das Vereinigte Königreich vertreten dagegen die Auffassung, Artikel 6 sei dahin auszulegen, daß er sich auf die Verkäufe von Milch beschränke, die vom Erzeuger selbst erzeugt werde, das heisst von seinem eigenen Viehbestand stamme. Für die gesamte von der Firma Hall beim MMB gekaufte Milch sei bereits dem ursprünglichen Erzeuger eine Quote zugeteilt worden, und die Zuteilung mehrerer Quoten für ein und dieselbe Milchmenge laufe dem Zweck der Milchquotenregelung diametral zuwider. Ausserdem würde eine solche Auslegung dazu führen, daß die Erzeuger, die den MMB belieferten, gegenüber den Erzeugern, die direkt verkauften, wesentlich diskriminiert würden. Deshalb könne die Firma Hall nur für den Teil ihrer Verkäufe eine Referenzmenge beanspruchen, der der Milch entspreche, die von ihrem eigenen Viehbestand stamme.

13 Es ist festzustellen, daß Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung Nr. 857/84 nicht ausdrücklich angibt, ob die in dieser Bestimmung genannten Direktverkäufe auf Milch beschränkt sind, die vom Viehbestand des Erzeugers stammt, oder ob diese Verkäufe auch Direktverkäufe von Milch umfassen können, die jemand kauft, der gleichzeitig auch Milch auf eigene Rechnung erzeugt.

14 Aus Artikel 6 geht jedoch klar hervor, daß die Referenzmenge einem "Erzeuger" zuzuteilen ist. Nach Artikel 12 Buchstaben c und d der Verordnung Nr. 857/84 ist "Erzeuger", wer einen Betrieb leitet, der als "im geographischen Gebiet der Gemeinschaft gelegene Gesamtheit der vom Erzeuger bewirtschafteten Produktionseinheiten" definiert wird. Danach sind die Referenzmengen auf die Direktverkäufe von Milch zu beschränken, die der Erzeuger selbst erzeugt, das heisst die von seinen eigenen Produktionseinheiten stammt. Der Satzteil "der... Milch... unmittelbar an den Verbraucher verkauft" bezieht sich auf die Milch, die in dem vom Erzeuger geleiteten Betrieb erzeugt wird; diese Milch dient als Grundlage für die Referenzmenge im Sinne des Artikels 6 der Verordnung Nr. 857/84.

15 Die Richtigkeit dieser auf den Wortlaut des Artikels 6 Absatz 1 gestützten Auslegung wird durch den Zweck der fraglichen Gemeinschaftsbestimmungen bestätigt. Wie die Kommission und das Vereinigte Königreich zu Recht hervorgehoben haben, ergibt sich nämlich aus Artikel 5 c Absatz 1 Unterabsatz 1 der Verordnung Nr. 804/68, daß die durch diese Vorschrift eingeführte zusätzliche Abgabe "zur Regulierung des Wachstums der Milcherzeugung (( dient ))". Wie der Gerichtshof im Urteil vom 17. Mai 1988 in der Rechtssache 84/87 ( Erpelding, Slg. 1988, 2647 ) ausgeführt hat, zielt diese Regelung darauf ab, auf dem durch strukturelle Überschüsse gekennzeichneten Milchmarkt mittels einer Beschränkung der Milcherzeugung das Gleichgewicht zwischen Angebot und Nachfrage wiederherzustellen.

16 Eine Auslegung des Begriffs der für Direktverkäufe zugeteilten Referenzmenge, nach der diese Referenzmenge nicht nur der Erzeugung aus dem eigenen Milchkuhbestand des Erzeugers Rechnung tragen würde, sondern auch der Milch, die der Erzeuger beim MMB gekauft hat, obwohl diese bereits zur Zuteilung einer Referenzmenge an einen anderen Erzeuger geführt hat, hätte zur Folge, daß den Erzeugern die Möglichkeit eröffnet würde, über An - und Verkaufsgeschäfte zusätzliche Referenzmengen zu schaffen. Eine solche Auslegung wäre mit dem Zweck und der Systematik der Gemeinschaftsregelung, die auf eine Beschränkung der Milcherzeugung abzielt, nicht vereinbar und kann daher nicht akzeptiert werden.

17 Ausserdem ist festzustellen, daß die von der Firma Hall vorgeschlagene Auslegung dazu führen würde, daß die Erzeuger, die nur ihre eigene Milcherzeugung verkaufen, kleinere individuelle Referenzmengen zugeteilt erhielten, damit die nationale Referenzmenge nicht überschritten wird. Daraus ergäbe sich eine Diskriminierung zugunsten der Direktverkäufer und zu Lasten der übrigen Erzeuger, die gegen das anerkannte grundlegende Gemeinschaftsprinzip der Nichtdiskriminierung verstossen würde.

18 Daraus folgt, daß Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung Nr. 857/84 so zu verstehen ist, daß er Direktverkäufe ausschließt, bei denen der Erzeuger nicht als solcher, sondern nur als Zwischenhändler tätig wird.

19 Auf die Vorlagefrage des High Court, London, ist somit zu antworten, daß Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 über Grundregeln für die Anwendung der Abgabe gemäß Artikel 5 c der Verordnung Nr. 804/68 im Sektor Milch und Milcherzeugnisse dahin auszulegen ist, daß für die Berechnung der Referenzmenge, die jedem in Artikel 5 c Absatz 2 der Verordnung Nr. 804/68 genannten Erzeuger von Milch und Milcherzeugnissen zugeteilt wird, auf die Menge von Milch oder Milcherzeugnissen abzustellen ist, die er während des betreffenden Referenzjahres unmittelbar an den Verbraucher verkauft hat und die aus seinem eigenen Viehbestand erzeugt worden ist.

Kostenentscheidung:

Kosten

20 Die Auslagen des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die beim Gerichtshof Erklärungen abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Erste Kammer )

auf die ihm vom High Court, London, mit Beschluß vom 4. Oktober 1987 vorgelegte Frage für Recht erkannt :

Artikel 6 Absatz 1 der Verordnung ( EWG ) Nr. 857/84 des Rates vom 31. März 1984 über Grundregeln für die Anwendung der Abgabe gemäß Artikel 5 c der Verordnung ( EWG ) Nr. 804/68 im Sektor Milch und Milcherzeugnisse ist dahin auszulegen, daß für die Berechnung der Referenzmenge, die jedem in Artikel 5 c Absatz 2 der Verordnung ( EWG ) Nr. 804/68 genannten Erzeuger von Milch und Milcherzeugnissen zugeteilt wird, auf die Menge von Milch oder Milcherzeugnissen abzustellen ist, die er während des betreffenden Referenzjahres unmittelbar an den Verbraucher verkauft hat und die aus seinem eigenen Viehbestand erzeugt worden ist.

Ende der Entscheidung

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