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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 05.10.1988
Aktenzeichen: 180/87
Rechtsgebiete: EWG/EAG BeamtStat


Vorschriften:

EWG/EAG BeamtStat Art. 24
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Ein Organ ist zwar verpflichtet, auf Ersuchen der nationalen Polizeibehörden die sachdienlichen Informationen im Zusammenhang mit der wegen eines Delikts des allgemeinen Strafrechts eingeleiteten Untersuchung zu geben, bei der einer ihrer Beamten als Beteiligter verdächtigt wird, es ist jedoch nicht befugt, dienstliche Informationen weiterzugeben, die als solche mit dem Gegenstand der Untersuchung nichts zu tun haben. Die Weitergabe von Informationen dieser Art stellt einen Amtsfehler dar, der die Haftung des Organs begründet und es verpflichtet, den hieraus unmittelbar entstandenen immateriellen Schaden des Betroffenen wiedergutzumachen, dessen Festnahme in dieser Weise erleichtert worden ist.

2. Bereits nach dem Wortlaut des Artikels 24 des Statuts sind die Organe der Gemeinschaften lediglich verpflichtet, ihren Beamten bei Handlungen Dritter Beistand zu leisten, die aufgrund ihrer Dienststellung oder ihres Amtes gegen sie gerichtet werden. Eine solche Beistandspflicht kann nicht bei Zwangsmaßnahmen nationaler Polizeibehörden gegen die Person eines Beamten angenommen werden, die durch das persönliche Verhalten dieses Beamten veranlasst waren, der wegen eines Delikts verfolgt wurde, das mit der Ausübung seiner Amtstätigkeit nichts zu tun hatte.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ZWEITE KAMMER) VOM 5. OKTOBER 1988. - RICHARD HAMILL GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - BEAMTER - AUSSERVERTRAGLICHE HAFTUNG DES ORGANS - WEITERGABE DIENSTLICHER INFORMATIONEN. - RECHTSSACHE 180/87.

Entscheidungsgründe:

1 Herr Richard Hamill hat mit Klageschrift, die am 10. Juni 1987 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß den Artikeln 90 und 91 des Beamtenstatuts Klage erhoben, mit der er von der Kommission der Europäischen Gemeinschaften Ersatz des Schadens verlangt, den er angeblich aufgrund von rechtswidrigen Handlungen oder Unterlassungen erlitten hat, deren sich die Kommission oder ihre Bediensteten in Ausübung ihrer Amtstätigkeit ihm gegenüber schuldig gemacht haben sollen.

2 Zur Zeit der streitigen Ereignisse war der Kläger, der britischer Staatsangehöriger ist, Beamter der Besoldungsgruppe A 6 der Kommission und bei der Generaldirektion Wettbewerb tätig, wo er die Aufgaben eines Inspekteurs für die unter den EGKS-Vertrag fallenden Unternehmen wahrnahm.

3 Im Jahre 1984 führte die britische Polizei eine Untersuchung bezueglich des Klägers durch, den sie im Verdacht hatte, gemeinsam mit anderen Personen mit Hilfe eines gefälschten Schecks einen internationalen Betrug durchgeführt zu haben.

4 Im Verlauf dieser Untersuchung rief die britische Polizei am 20. September 1984 beim Sicherheitsbüro der Kommission an, um bestimmte Informationen über den Kläger zu erhalten. Auf diese Anfrage teilte das Sicherheitsbüro der britischen Polizei am 1. Oktober 1984 die Beamteneigenschaft des Klägers, seine Adresse in Brüssel, Daten bezueglich seines Kraftfahrzeugs, die von ihm genommenen oder noch zu nehmenden Urlaubstage sowie bestimmte seiner früheren Reisen mit.

5 Am Morgen des 9. Oktober 1984 machte das Sicherheitsbüro die britische Polizei darauf aufmerksam, daß der Kläger am gleichen Tage eine Dienstreise in das Vereinigte Königreich antrete, und teilte bei dieser Gelegenheit Abflug - und Ankunftszeit des Klägers mit.

6 An diesem Tag wurde der Kläger bei seiner Ankunft am Flughafen Luton von der Polizei vernommen und festgenommen. Am Tag nach seiner Festnahme erhielt er den Besuch eines Vertreters der Kommission, der gekommen war, um die Dokumente für die Inspektionsreise des Klägers zu übernehmen; ihn bat der Kläger vergeblich, ihm sofort den Beistand eines Solicitors zu beschaffen, den ihm die Polizei verweigerte. Ein Solicitor wurde am 12. Oktober von Amts wegen zu seiner Verteidigung bestellt, an dem Tag, als der Kläger der "conspiracy to steal" und der "conspiracy to use a false instrument" beschuldigt wurde. Nachdem er am 13. Oktober einem Richter vorgeführt worden war, wurde er zehn Tage in Haft gehalten und dann auf freien Fuß gesetzt, wobei ihm sein Reisepaß zunächst weggenommen, dann gegen Sicherheitsleistung wieder zurückgegeben wurde. Mit Urteil vom 14. Februar 1986 sprach schließlich der Central Criminal Court, London, den Kläger in den zwei genannten Punkten von der Anklage frei.

7 Der Kläger macht im wesentlichen geltend, daß die Kommission seine Festnahme mit Hilfe der britischen Polizei organisiert und ihre Beistandspflicht gemäß Artikel 24 des Statuts verletzt habe, indem sie zum einen seiner Bitte um sofortigen Beistand eines Solicitors nicht entsprochen und zum anderen seine Familie nicht von seiner Festnahme unterrichtet habe. Hieraus ergäben sich für den Kläger unmittelbar verschiedene materielle und immaterielle Schäden, deren Ersatz er verlange.

8 Die Kommission trägt vor, daß sie die Grenzen ihrer Verpflichtung, mit den nationalen Behörden, die mit den Untersuchungen befasst seien, zusammenzuarbeiten, solange ihre Vorrechte und Befreiungen nicht berührt seien und auch der Beamte, wie vorliegend, sich auf solche nicht berufen könne, nicht überschritten habe. Insbesondere habe sich das Sicherheitsbüro geweigert, Fragen zu beantworten, die dienstliche Informationen betroffen hätten. Im übrigen gehe die Beistandspflicht der Kommission gegenüber ihren Beamten nicht über die Verpflichtung hinaus, sich zu vergewissern, daß der Kläger aus Gründen, die nicht mit der Ausübung seiner Amtstätigkeit zusammenhingen, festgehalten werde und er über alle Garantien der britischen Gerichtsverfassung verfüge. Die Kommission stellt schließlich jeden Kausalzusammenhang zwischen den Einzelheiten des angeblichen Schadens und ihrem Verhalten in Abrede.

9 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Parteien wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zum ersten Punkt der Schadensersatzklage

10 Der Gerichtshof erkennt an, daß die Kommission verpflichtet war, der britischen Polizei auf deren Ersuchen die sachdienlichen Informationen im Zusammenhang mit der wegen eines Delikts des allgemeinen Strafrechts eingeleiteten Untersuchung zu geben, bei der einer ihrer Beamten als Beteiligter verdächtigt wurde. Der Gerichtshof ist der Auffassung, daß sich die Kommission am 1. Oktober 1984 dieser Pflicht entledigte, als sie die am 20. September erbetenen sachdienlichen Informationen erteilte.

11 Der Gerichtshof kann hingegen nicht anerkennen, daß die Kommission befugt war, am 9. Oktober die Informationen über die bevorstehende Dienstreise des Klägers in das Vereinigte Königreich, über das verwendete Beförderungsmittel sowie über den Ort und die Zeit seiner Ankunft weiterzugeben. Es handelte sich dabei nämlich um dienstliche Informationen, die als solche mit dem Gegenstand der Untersuchung nichts zu tun hatten.

12 Es ist daher festzustellen, daß die Kommission die Untersuchung der britischen Polizei unrechtmässig unterstützt und so die Festnahme des Klägers durch diese erleichtert hat.

13 Insoweit hat der Amtsfehler der Kommission dem Kläger unmittelbar einen immateriellen Schaden verursacht, den die Kommission daher zu ersetzen hat.

14 Hingegen ist die Schadensersatzklage in dem ersten Punkt insoweit abzuweisen, als mit ihr Ersatz der Einzelheiten des Schadens verlangt wird, die der Kläger wegen seiner Haft und des Strafverfahrens erlitten hat. Ein solcher Schaden kann, selbst wenn er erwiesen wäre, wegen des Einschreitens der britischen Behörden nicht in unmittelbarem Kausalzusammenhang mit dem Verhalten der Kommission stehen.

Zum zweiten und zum dritten Punkt der Schadensersatzklage

15 Bereits nach dem Wortlaut des Artikels 24 des Statuts wie auch nach der Rechtsprechung des Gerichtshofes sind die Organe der Gemeinschaften aufgrund dieser Vorschrift lediglich verpflichtet, ihren Beamten bei Handlungen Dritter Beistand zu leisten, die aufgrund ihrer Dienststellung oder ihres Amtes gegen sie gerichtet werden.

16 Es steht aber fest, daß die Zwangsmaßnahmen der britischen Behörden gegen die Person des Klägers vielmehr durch das persönliche Verhalten des Klägers veranlasst waren, der der Beteiligung an einem Delikt des allgemeinen Strafrechts verdächtigt wurde, das mit der Ausübung seiner Amtstätigkeit nichts zu tun hatte.

17 Hieraus folgt, daß es der Kommission nicht als Amtsfehler angelastet werden kann, wenn sie es unterlassen hat, dem Kläger den sofortigen rechtlichen Beistand eines Solicitors zu beschaffen und seine Familie von seiner Festnahme zu unterrichten.

18 Im zweiten und im dritten Punkt ist daher die Schadensersatzklage als unbegründet abzuweisen.

Zum Ersatz des Schadens

19 Aus dem Vorstehenden ergibt sich, daß die Kommission zu verurteilen ist, den immateriellen Schaden zu ersetzen, den der Kläger dadurch erlitten hat, daß die Kommission seine Festnahme durch die britische Polizei erleichtert hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

20 Die Festlegung des Schadensersatzbetrags wird im gemeinsamen Einvernehmen der Parteien erfolgen, und der Gerichtshof wird erst entscheiden, wenn ein solches Einvernehmen nicht zustande kommt.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Zweite Kammer )

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Kommission wird verurteilt, den immateriellen Schaden zu ersetzen, den der Kläger dadurch erlitten hat, daß die Kommission seine Festnahme durch die britische Polizei erleichtert hat.

2 ) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3 ) Die Parteien werden dem Gerichtshof binnen einer Frist von sechs Monaten nach Verkündung dieses Urteils den im gemeinsamen Einvernehmen festgelegten Schadensersatzbetrag mitteilen.

4 ) Kommt ein Einvernehmen nicht zustande, so werden die Parteien dem Gerichtshof innerhalb derselben Frist ihre bezifferten Anträge einreichen.

5 ) Die Kostenentscheidung bleibt vorbehalten.

Ende der Entscheidung

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