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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 13.12.1989
Aktenzeichen: 204/88
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, Verordnung Nr. 2772/75 des Rates vom 29.10.1975 über Vermarktungsnormen für Eier


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 177
EWG-Vertrag Art. 86
Verordnung Nr. 2772/75 des Rates vom 29.10.1975 über Vermarktungsnormen für Eier Art. 15
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

In Anbetracht der Notwendigkeit, sowohl die Interessen der Erzeuger und die der Verbraucher als auch die manchmal divergierenden Interessen der verschiedenen Erzeugergruppen miteinander in Einklang zu bringen, lässt sich nicht sagen, daß den Organen bei ihrer Gesamtbeurteilung der Lage und der Art der zu ergreifenden Maßnahmen offensichtliche Irrtümer unterlaufen sind oder daß sie in irgendeiner Weise die allgemeinen Grenzen ihres Ermessens überschritten haben, indem sie es den Wirtschaftsteilnehmern mit Artikel 15 der Verordnung Nr. 2772/75 verboten haben, das Legedatum auf den Eiern anzugeben, die sie vermarkten.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (ERSTE KAMMER) VOM 13. DEZEMBER 1989. - MINISTERE PUBLIC GEGEN JEAN-JACQUES PARIS. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: TRIBUNAL DE POLICE DE RETHEL - FRANKREICH. - LANDWIRTSCHAFT - GEMEINSAME MARKTORGANISATION FUER EIER - ANBRINGEN DES LEGEDATUMS. - RECHTSSACHE 204/88.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunal de police Rethel ( Ardennes, Frankreich ) hat mit Urteil vom 10. Mai 1988, beim Gerichtshof eingegangen am 27. Juli 1988, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung von Artikel 15 der Verordnung ( EWG ) Nr. 2772/75 des Rates vom 29. Oktober 1975 über Vermarktungsnormen für Eier ( ABl. L 282, S. 56 ) zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Strafverfahren gegen Jean-Jacques Paris, der angeklagt ist, frische Eier zum Verkauf angeboten zu haben, auf denen entgegen den Artikeln 11 und 15 der Verordnung Nr. 2772/75 des Rates ( im folgenden : streitige Verordnung ) das Legedatum angegeben war.

3 Die streitige Verordnung, die auf der Grundlage der Verordnung ( EWG ) Nr. 2771/75 des Rates vom 29. Oktober 1975 über die gemeinsame Marktorganisation für Eier ( ABl. L 282, S. 49 ) erlassen worden ist, sieht Vermarktungsnormen für Eier vor, die im Interesse der Erzeuger, der Händler und der Verbraucher für erforderlich gehalten werden, um die Qualität der Eier zu verbessern und ihren Absatz zu erleichtern. Diese Normen umfassen insbesondere die Einteilungskriterien für die Eier ( Artikel 1 bis 13 ), die gemeinsamen Bestimmungen über die Verpackung ( Artikel 16 bis 22 ) sowie die Bestimmungen über die durchzuführenden Kontrollen ( Artikel 26 bis 28 ) und die anzuwendenden Sanktionen ( Artikel 29 ).

4 Gemäß Artikel 2 Absatz 1 der streitigen Verordnung müssen die innerhalb der Gemeinschaft vermarkteten Eier, wenn sie in Ausübung eines Berufes oder eines Gewerbes vermarktet werden, dieser Verordnung entsprechen. Artikel 15 bestimmt : "Die Eier dürfen kein anderes Zeichen tragen als in dieser Verordnung vorgesehen." Die Zeichen, mit denen die Eier versehen werden dürfen, sind in Artikel 11 in der Fassung der Verordnung ( EWG ) Nr. 1831/84 des Rates vom 19. Juni 1984 ( ABl. L 172, S. 2 ) festgelegt und beziehen das Legedatum nicht mit ein; dagegen ist es erlaubt, die Zeit oder das Datum der Verpackung anzugeben.

5 Der Angeklagte des Ausgangsverfahrens hat, ohne die ihm vorgeworfenen Handlungen zu bestreiten, Zweifel an der Gültigkeit des Artikels 15 der streitigen Verordnung geäussert und ausgeführt, dieser stehe im Widerspruch zu dem Grundrecht der Verbraucher auf Information und zum EWG-Vertrag.

6 Da das Tribunal de police Rethel der Auffassung war, daß seit dem Erlaß der streitigen Verordnung im Jahr 1975 zuverlässige Techniken zur Datierung der Legezeit entwickelt worden seien und daß Artikel 15 dieser Verordnung im Widerspruch zum EWG-Vertrag, insbesondere Artikel 86, stehe, hat es dem Gerichtshof eine Frage "nach der Auslegung von Artikel 15 der Verordnung vom 29. Oktober 1975 im Hinblick auf den Vertrag von Rom" zur Vorabentscheidung vorgelegt.

7 Wegen weiterer Einzelheiten des rechtlichen Rahmens und des Sachverhalts des Ausgangsverfahrens, des Verfahrensablaufs sowie der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

8 Aus den Akten ergibt sich, daß die gestellte Frage zwar formal nur die Auslegung von Artikel 15 der streitigen Verordnung betrifft, daß aber das vorlegende Gericht, insbesondere im Hinblick auf Artikel 86 EWG-Vertrag, Zweifel an der Gültigkeit dieser Bestimmung hat. Ausserdem ist festzustellen, daß nach dem Wortlaut von Artikel 15 keine Ungewißheit über das Verbot für die Wirtschaftsteilnehmer besteht, das Legedatum auf den Eiern anzugeben, die sie vermarkten; im übrigen ist diese Auslegung weder in den schriftlichen Erklärungen noch im Laufe der mündlichen Verhandlung bestritten worden. Es ist daher davon auszugehen, daß die dem Gerichtshof vorgelegte Frage im wesentlichen die Gültigkeit von Artikel 15 betrifft.

9 Nach Ansicht des Angeklagten des Ausgangsverfahrens verstösst Artikel 15 dadurch gegen das Recht der Verbraucher auf eine genaue und nicht irreführende Information über die Frische und die Qualität der Eier, daß er die Anbringung des Legedatums verbietet.

10 Dazu ist zu bemerken, daß die Information des Verbrauchers eines der Ziele der streitigen Verordnung ist. In ihrer 12. Begründungserwägung heisst es nämlich : "Der Verbraucher muß die Möglichkeit haben, die Eier verschiedener Güte - und Gewichtsklassen zu unterscheiden. Diesem Erfordernis kann durch Kennzeichnung der Eier... entsprochen werden."

11 Wie der Rat und die Kommission zu Recht ausgeführt haben, kommt es darauf an, daß die dem Verbraucher gelieferte Information zuverlässig ist und somit von den nationalen Behörden leicht kontrolliert werden kann. Nach Ansicht der Kommission sind jedoch die Kontrollen auf der Erzeugerebene, die unerläßlich sind, um die Genauigkeit des Legedatums zu gewährleisten, wegen der Streuung der Erzeuger nicht praktikabel. Aus diesem Grund meinen sowohl die Kommission als auch die Sachverständigen des Rates, daß allein mit Hilfe der gegenwärtigen Regelung, die auf Kontrollen beruhe, die hauptsächlich in den Packstellen, die weniger zahlreich und verstreut seien als die Erzeugerbetriebe, durchgeführt würden, die Richtigkeit der dem Verbraucher gegebenen Informationen, wie das Verpackungsdatum, sicher garantiert werden könne.

12 Die Kommission hat nicht bestritten, daß es, wie das vorlegende Gericht erwähnt hat, eine zuverlässige Technik für die Anbringung des Legedatums gebe; sie hat jedoch darauf hingewiesen, daß diese Technik in Wirklichkeit nur den grössten Erzeugern zugänglich sei, die in der Lage seien, die insoweit notwendigen Investitionen vorzunehmen. Artikel 15 der streitigen Verordnung sehe dagegen eine zuverlässige Kennzeichnung vor, die jedem Erzeuger zugänglich sei. Er stelle somit das einzige Mittel dar, um allen Erzeugern der Gemeinschaft gleichwertige Absatzbedingungen für ihre Erzeugnisse zu gewährleisten, und ermögliche es dadurch gemäß der 15. Begründungserwägung der streitigen Verordnung, eine Veränderung der Handelsbedingungen in der Gemeinschaft zu vermeiden.

13 Wie der Gerichtshof mehrfach entschieden hat, verfügen die Organe bei der Beurteilung eines komplexen wirtschaftlichen Sachverhalts über einen weiten Ermessensspielraum. Bei der Kontrolle über die Rechtmässigkeit der Ausübung einer solchen Befugnis muß sich der Richter darauf beschränken, zu prüfen, ob der Behörde kein offensichtlicher Irrtum oder Ermessensmißbrauch unterlaufen ist oder ob sie die Grenzen ihres Ermessens nicht offensichtlich überschritten hat.

14 In Anbetracht der Notwendigkeit, sowohl die Interessen der Erzeuger und auch die der Verbraucher als auch die manchmal divergierenden Interessen der verschiedenen Erzeugergruppen miteinander in Einklang zu bringen, lässt sich nicht sagen, daß den Organen bei ihrer Gesamtbeurteilung der Lage und der Art der zu ergreifenden Maßnahmen offensichtliche Irrtümer unterlaufen sind oder daß sie in irgendeiner Weise die allgemeinen Grenzen ihres Ermessens überschritten haben.

15 Der Angeklagte des Ausgangsverfahrens ist darüber hinaus der Meinung, Artikel 15 führe zu einem nach Artikel 86 EWG-Vertrag verbotenen Mißbrauch, da er die technische Entwicklung zum Nachteil der Verbraucher einschränke. Dazu ist festzustellen, daß Artikel 86 das Verhalten der Unternehmen betrifft, die eine beherrschende Stellung auf dem Markt haben, und daher nicht auf eine Rechtsvorschrift des Rates angewandt werden kann. Allerdings soll Artikel 40 Absatz 3 Unterabsatz 2 EWG-Vertrag, der jede Diskriminierung zwischen Erzeugern oder Verbrauchern innerhalb der Gemeinschaft verbietet, gleiche Wettbewerbsbedingungen für alle betroffenen Wirtschaftsteilnehmer gewährleisten. Die streitige Verordnung hat aber diesen Grundsatz beachtet, indem sie gemeinsame Normen für die Vermarktung von Eiern im Gebiet der Gemeinschaft aufgestellt hat.

16 Dem vorlegenden Gericht ist daher zu antworten, daß die Prüfung der Vorabentscheidungsfrage nichts ergeben hat, was die Gültigkeit des Artikels 15 der Verordnung Nr. 2772/75 des Rates vom 29. Oktober 1975 über Vermarktungsnormen für Eier beeinträchtigen könnte, soweit er das Verbot enthält, andere Daten als die in der Verordnung vorgesehenen, wie das Legedatum, auf den Eiern anzubringen.

Kostenentscheidung:

Kosten

17 Die Auslagen des Vereinigten Königreichs und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Verfahrens. Die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Erste Kammer )

auf die ihm vom Tribunal de police Rethel vorgelegte Frage für Recht erkannt :

Die Prüfung der Vorabentscheidungsfrage hat nichts ergeben, was die Gültigkeit des Artikels 15 der Verordnung ( EWG ) Nr. 2772/75 des Rates vom 29. Oktober 1975 über Vermarktungsnormen für Eier beeinträchtigen könnte, soweit er das Verbot enthält, andere Daten als die in der Verordnung vorgesehenen, wie das Legedatum, auf den Eiern anzubringen.

Ende der Entscheidung

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