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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 26.10.1989
Aktenzeichen: 212/88
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag, französischer Code des douanes


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 30
EWG-Vertrag Art. 115
französischer Code des douanes Art. 414
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Eine nationale Regelung, die die Einfuhr von aus Drittländern stammenden Waren aus einem Mitgliedstaat, in dem sie sich im freien Verkehr befinden, von der Erteilung einer Einfuhrlizenz abhängig macht, stellt eine nach Artikel 30 EWG-Vertrag verbotene mengenmässige Beschränkung dar, es sei denn, daß der Mitgliedstaat von der Kommission gemäß Artikel 115 EWG-Vertrag ermächtigt wurde, die betreffenden Erzeugnisse von der Gemeinschaftsbehandlung auszuschließen. Fehlt es an einer solchen Ermächtigung, so dürfen die Mitgliedstaaten von dem Importeur nichts anderes als die Angabe des Ursprungs der Ware, wie er ihn kennt oder vernünftigerweise kennen kann, verlangen; sie können die Unterlassung oder Unrichtigkeit dieser Angabe mit strafrechtlichen Sanktionen belegen, jedoch nicht mit solchen, die für falsche Angaben vorgesehen sind, die zum Zweck der Tätigung verbotener Einfuhren gemacht werden, selbst wenn die falsche Angabe in Täuschungsabsicht gemacht wurde. Liegt eine solche Ermächtigung vor, so dürfen die Mitgliedstaaten in den Grenzen dieser Ermächtigung die ohne vorherige Lizenz getätigten Einfuhren mit den strafrechtlichen Sanktionen belegen, die für unangemeldete Einfuhren verbotener Waren vorgesehen sind; sie dürfen den Importeur verpflichten, den Ursprung der eingeführten Erzeugnisse anzugeben, und den Verstoß gegen diese Verpflichtung mit den strafrechtlichen Sanktionen belegen, die für falsche Angaben vorgesehen sind, die zum Zweck der Tätigung verbotener Einfuhren gemacht werden.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (DRITTE KAMMER) VOM 26. OKTOBER 1989. - STRAFVERFAHREN GEGEN FELIX LEVY UND ANDERE. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG: COUR D'APPEL DE PARIS - FRANKREICH. - GEMEINSAME HANDELSPOLITIK - SCHUTZMASSNAHMEN. - RECHTSSACHE 212/88.

Entscheidungsgründe:

1 Die Cour d' appel Paris hat mit Urteil vom 6. Juli 1988, beim Gerichtshof eingegangen am 1. August 1988, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag eine Frage nach der Auslegung von Artikel 30 EWG-Vertrag zur Vorabentscheidung vorgelegt.

2 Diese Frage stellt sich in einem Strafverfahren, in dem die Angeklagten des Ausgangsverfahrens Levy und Bazini durch Urteil des Tribunal de grande instance Paris wegen als unangemeldet geltender Einfuhr verbotener Waren, strafbar nach Artikel 426 Absätze 2 und 3 und Artikel 414 des französischen Code des douanes, bestraft wurden. Diese Verurteilung erfolgte auf 22 Einfuhranmeldungen über Textilien, die bei dem französischen Zollbüro Le Bourget in der Zeit vom 8. März 1976 bis 31. Mai 1977 abgegeben wurden. Die Waren mit einem Zollwert von 3 998 357 FF wurden nach Frankreich in Kartons mit der Aufschrift "Wiederverwendung" oder "Belgium" eingeführt. In den Rechnungen für diese Waren war jedoch nicht angegeben, daß diese in Südkorea, Taiwan oder Pakistan hergestellt worden waren.

3 Die mit dem Verfahren befasste Cour d' appel Paris hat das Verfahren ausgesetzt, um dem Gerichtshof folgende Frage zur Vorabentscheidung vorzulegen :

"Stellen die Anforderungen der französischen Rechtsvorschriften über die Einfuhr von Textilien aus Drittländern, die in einem anderen Mitgliedstaat der EWG zum freien Verkehr zugelassen worden sind, nach Frankreich, wonach zum einen die Importeure derartiger Waren nach Frankreich verpflichtet sind, sich vorab eine Einfuhrlizenz ausstellen zu lassen, und in denen zum anderen festgelegt ist, welche Angaben die Anmeldungen für die Einfuhr nach Frankreich bei Vermeidung der Sanktionen von Artikel 414 des französischen Code des douanes enthalten müssen, nach den derzeit geltenden allgemeinen Grundsätzen des Gemeinschaftsrechts durch Artikel 30 EWG-Vertrag verbotene mengenmässige Beschränkungen dar?"

4 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, der in Rede stehenden Gemeinschaftsvorschriften, des Verfahrensablaufs und der beim Gerichtshof eingereichten schriftlichen Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

5 Mit seiner Frage begehrt das nationale Gericht im wesentlichen Auskunft darüber, ob Artikel 30 EWG-Vertrag einer nationalen Rechtsvorschrift entgegensteht, die unter Strafandrohung die Einfuhr von in einem anderen Mitgliedstaat der Gemeinschaft im freien Verkehr befindlichen Textilerzeugnissen aus Drittländern einem System vorher erteilter Lizenz unterwirft und von den Importeuren die Angabe des ersten Ursprungs der auf diese Weise eingeführten Erzeugnisse verlangt.

6 Die französische Regierung macht in ihren vor dem Gerichtshof abgegebenen Erklärungen geltend, daß ein Mitgliedstaat in der maßgebenden Zeit entsprechend der Entscheidung 71/202/EWG der Kommission vom 12. Mai 1971, mit der die Mitgliedstaaten ermächtigt wurden, Sicherungsmaßnahmen bei der Einfuhr bestimmter aus dritten Ländern stammender und in einem anderen Mitgliedstaat im freien Verkehr befindlicher Waren zu treffen ( ABl. L 121, S. 26 ), berechtigt gewesen sei, Einfuhren aus Drittländern stammender und in einem anderen Mitgliedstaat im freien Verkehr befindlicher Textilerzeugnisse nach Frankreich von der Ausstellung einer Einfuhrlizenz abhängig zu machen. Personen, die falsche Einfuhranmeldungen abgegeben hätten, könnten mit Sanktionen der in Artikel 414 des französischen Code des douanes vorgesehenen Art belegt werden, wenn den fraglichen Unrichtigkeiten oder Unterlassungen eine Täuschungsabsicht zugrunde gelegen habe.

7 Die Kommission macht geltend, die durch die Entscheidung 71/202/EWG eingeführte Regelung müsse sich auf ein System der blossen Überwachung beschränken und könne nicht zum Verbot der Einfuhr eines im freien Verkehr befindlichen Erzeugnisses führen. Stelle ein Mitgliedstaat jedoch fest, daß eine Einfuhr Verlagerungen der Handelsströme hervorrufen könne, die die Durchführung einer im Einklang mit dem Vertrag getroffenen Maßnahme der Handelspolitik behindern könne, könne sie bei der Kommission die Anwendung von Artikel 115 Absatz 1 EWG-Vertrag beantragen. Schließlich dürfe ein Mitgliedstaat auch im Rahmen von Überwachungsmaßnahmen keine Sanktionen verhängen, ohne danach zu unterscheiden, ob der Wirtschaftsteilnehmer falsche Angaben gemacht habe, um verbotene Einfuhren zu tätigen, oder ob es sich nur um eine Unrichtigkeit der Anmeldung im Zusammenhang mit einer Einfuhr handele, die selbst nicht verboten werden könne, da die Vorlage der Dokumente in diesem Fall nur der Erfassung der Warenströme diene.

8 Artikel 30 EWG-Vertrag, der die Abschaffung mengenmässiger Beschränkungen sowie aller Maßnahmen gleicher Wirkung betrifft, gilt unterschiedslos für aus der Gemeinschaft stammende Waren und für solche Waren, die, gleich woher sie ursprünglich stammen, in einem Mitgliedstaat in den freien Verkehr gebracht worden sind. Darüber hinaus schließt Artikel 9 Absatz 2 auch jedes Vorgehen von Verwaltungsbehörden aus, mit dem eine unterschiedliche Behandlung des Warenverkehrs begründet werden soll, je nachdem, ob die Waren aus der Gemeinschaft oder ob sie aus Drittländern stammen und sich in einem Mitgliedstaat im freien Verkehr befinden, denn beide Gruppen von Waren fallen unterschiedslos unter dieselbe Regelung des freien Warenverkehrs.

9 Aus dem System des EWG-Vertrags folgt freilich, daß die Anwendung dieser Grundsätze von der Verwirklichung einer gemeinsamen Handelspolitik abhängt. Deren unvollständige Verwirklichung bringt es mit sich, daß zwischen den Mitgliedstaaten Unterschiede in der Handelspolitik fortbestehen können, die geeignet sind, in einzelnen Mitgliedstaaten Verkehrsverlagerungen hervorzurufen oder zu wirtschaftlichen Schwierigkeiten zu führen. Artikel 115 ermöglicht es, derartige Schwierigkeiten zu bekämpfen.

10 Nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ( siehe Urteil vom 15. Dezember 1976 in der Rechtssache 41/76, Slg. 1976, 1921; Urteil vom 30. November 1977 in der Rechtssache 52/77, Cayrol/Rivoira, Slg. 1977, 2261; Urteil vom 28. März 1979 in der Rechtssache 179/78, Rivoira, Slg. 1979, 1147 ) gibt nur Artikel 115 der Kommission die Befugnis, die Mitgliedstaaten zu Schutzmaßnahmen, insbesondere zu Ausnahmen vom Grundsatz des freien Warenverkehrs innerhalb der Gemeinschaft für aus Drittländern stammende und in einem Mitgliedstaat im freien Verkehr befindliche Waren zu ermächtigen. Ausserhalb der materiellen und formellen Voraussetzungen des Artikels 115 kann ein Mitgliedstaat nicht ermächtigt werden, solche Schutzmaßnahmen einzuführen, und die Entscheidung 71/202/EWG kann nicht bewirkt haben, daß den Mitgliedstaaten eine allgemeine Ermächtigung in diesem Sinne erteilt worden ist.

11 Zur Beantwortung der Vorabentscheidungsfrage ist deshalb der Fall, daß keine besondere Ermächtigung für bestimmte Erzeugnisse nach Artikel 115 erteilt wurde, von dem Fall zu unterscheiden, daß eine solche Ermächtigung vorlag.

12 Im ersteren Fall ist darauf hinzuweisen, daß nach der angeführten Rechtsprechung ein Mitgliedstaat die Einfuhr von Waren, die sich in einem anderen Mitgliedstaat im freien Verkehr befinden, nicht von einer Einfuhrlizenz abhängig machen kann.

13 Nach dieser Rechtsprechung konnten die Mitgliedstaaten zur fraglichen Zeit bei der Einfuhr von Erzeugnissen, die sich in einem anderen Mitgliedstaat im freien Verkehr befanden, die Vorlage bestimmter Dokumente verlangen, um den Ursprung dieser Erzeugnisse festzustellen oder die Warenbewegungen zu erfassen. Allerdings durften die Mitgliedstaaten in diesem Zusammenhang vom Importeur nichts anderes als die Angabe des Ursprungs der Ware, wie er ihn kennt oder vernünftigerweise kennen kann, verlangen.

14 Wie der Gerichtshof in diesem Zusammenhang insbesondere festgestellt hat, dürfen, wenn der Importeur die Pflicht zur Angabe des ersten Ursprungs der Ware verletzt, keine Sanktionen verhängt werden, die zu dem Verstoß ausser Verhältnis stehen. Zwar dürfen solche falsche Angaben gegebenenfalls strafrechtlich verfolgt und, wenn sie in Täuschungsabsicht gemacht wurden, strenger geahndet werden, sie dürfen jedoch selbst im letzteren Fall nicht mit strafrechtlichen Sanktionen belegt werden, die für falsche Angaben vorgesehen sind, die zu dem Zweck gemacht werden, verbotene Einfuhren zu tätigen.

15 Hingegen kann in dem Fall, in dem die Kommission einen Mitgliedstaat nach Artikel 115 EWG-Vertrag ermächtigt, bestimmte Erzeugnisse von der Gemeinschaftsbehandlung auszuschließen, dieser Mitgliedstaat ein strafbewehrtes System vorheriger Einfuhrlizenzen einführen, um eine wirksame Durchführung der Entscheidung zu gewährleisten. In den Grenzen dieser Ermächtigung verstösst es auch nicht gegen das Gemeinschaftsrecht, wenn die Importeure verpflichtet werden, den ersten Ursprung dieser Erzeugnisse anzugeben und wenn ein Verstoß gegen diese Verpflichtung mit strafrechtlichen Sanktionen belegt wird, die für den Fall vorgesehen sind, daß falsche Angaben zum Zweck der Tätigung verbotener Einfuhren gemacht werden.

16 In diesem Zusammenhang hat die Kommission in der mündlichen Verhandlung erläutert, daß Frankreich in der im Ausgangsverfahren maßgebenden Zeit gemäß Artikel 115 Absatz 1 EWG-Vertrag ermächtigt war, Schutzmaßnahmen bei der Einfuhr bestimmter Textilerzeugnisse allein aus Südkorea zu ergreifen, d. h., sie von der Gemeinschaftsbehandlung auszuschließen. Es ist Sache des innerstaatlichen Gerichts, zu prüfen, ob die fraglichen Waren von dieser Ermächtigung erfasst werden.

17 Auf die Frage des nationalen Gerichts ist deshalb zu antworten, daß eine nationale Regelung, die die Einfuhr von aus Drittländern stammenden Waren aus einem Mitgliedstaat, in dem sie sich im freien Verkehr befinden, von der Erteilung einer Einfuhrlizenz abhängig macht, eine nach Artikel 30 EWG-Vertrag verbotene mengenmässige Beschränkung darstellt, es sei denn, daß der Mitgliedstaat von der Kommission gemäß Artikel 115 EWG-Vertrag ermächtigt wurde, die betreffenden Erzeugnisse von der Gemeinschaftsbehandlung auszuschließen. Fehlt es an einer solchen Ermächtigung, so dürfen die Mitgliedstaaten von dem Importeur nichts anderes als die Angabe des Ursprungs der Ware, wie er ihn kennt oder vernünftigerweise kennen kann, verlangen; sie können die Unterlassung oder Unrichtigkeit dieser Angabe mit strafrechtlichen Sanktionen belegen, jedoch nicht mit solchen, die für falsche Angaben vorgesehen sind, die zum Zweck der Tätigung verbotener Einfuhren gemacht werden, selbst wenn die falsche Angabe in Täuschungsabsicht gemacht wurde. Liegt eine solche Ermächtigung vor, so dürfen die Mitgliedstaaten in den Grenzen dieser Ermächtigung die ohne vorherige Lizenz getätigten Einfuhren mit den strafrechtlichen Sanktionen belegen, die für unangemeldete Einfuhren verbotener Waren vorgesehen sind; sie dürfen den Importeur verpflichten, den Ursprung der eingeführten Erzeugnisse anzugeben, und den Verstoß gegen diese Verpflichtung mit den strafrechtlichen Sanktionen belegen, die für falsche Angaben vorgesehen sind, die zum Zweck der Tätigung verbotener Einfuhren gemacht werden.

Kostenentscheidung:

Kosten

18 Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen vor dem Gerichtshof abgegeben haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Beteiligten des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren Teil des bei dem nationalen Gericht anhängigen Verfahrens; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Dritte Kammer )

auf die ihm von der Cour d' appel Paris mit Urteil vom 6. Juli 1988 vorgelegte Frage für Recht erkannt :

Eine nationale Regelung, die die Einfuhr von aus Drittländern stammenden Waren aus einem Mitgliedstaat, in dem sie sich im freien Verkehr befinden, von der Erteilung einer Einfuhrlizenz abhängig macht, stellt eine nach Artikel 30 EWG-Vertrag verbotene mengenmässige Beschränkung dar, es sei denn, daß der Mitgliedstaat von der Kommission gemäß Artikel 115 EWG-Vertrag ermächtigt wurde, die betreffenden Erzeugnisse von der Gemeinschaftsbehandlung auszuschließen. Fehlt es an einer solchen Ermächtigung, so dürfen die Mitgliedstaaten von dem Importeur nichts anderes als die Angabe des Ursprungs der Ware, wie er ihn kennt oder vernünftigerweise kennen kann, verlangen; sie können die Unterlassung oder Unrichtigkeit dieser Angabe mit strafrechtlichen Sanktionen belegen, jedoch nicht mit solchen, die für falsche Angaben vorgesehen sind, die zum Zweck der Tätigung verbotener Einfuhren gemacht werden, selbst wenn die falsche Angabe in Täuschungsabsicht gemacht wurde. Liegt eine solche Ermächtigung vor, so dürfen die Mitgliedstaaten in den Grenzen dieser Ermächtigung die ohne vorherige Lizenz getätigten Einfuhren mit den strafrechtlichen Sanktionen belegen, die für unangemeldete Einfuhren verbotener Waren vorgesehen sind; sie dürfen den Importeur verpflichten, den Ursprung der eingeführten Erzeugnisse anzugeben, und den Verstoß gegen diese Verpflichtung mit den strafrechtlichen Sanktionen belegen, die für falsche Angaben vorgesehen sind, die zum Zweck der Tätigung verbotener Einfuhren gemacht werden.

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