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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 26.01.1989
Aktenzeichen: 224/87
Rechtsgebiete: EWG/EAG BeamtStat


Vorschriften:

EWG/EAG BeamtStat Art. 90
EWG/EAG BeamtStat Art. 91
EWG/EAG BeamtStat Art. 24
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Nach dem System des Statuts ist die Klage eines Beamten gegen eine Entscheidung, die die Anstellungsbehörde ihm gegenüber getroffen hat, nur zulässig, wenn zuvor bei der Anstellungsbehörde eine Beschwerde eingereicht und ausdrücklich oder stillschweigend zurückgewiesen wurde. Unter diesen Umständen ist die Klage zulässig, unabhängig davon, ob sie nur gegen die ursprünglich angefochtene Entscheidung, gegen die Entscheidung, mit der die Beschwerde zurückgewiesen wurde, oder gegen diese beiden Entscheidungen zusammen gerichtet ist, vorausgesetzt allerdings, daß die Beschwerde und die Klage innerhalb der Fristen der Artikel 90 und 91 des Statuts eingereicht wurden.

2. Die von einem Beamten vor dem Gerichtshof gestellten Anträge müssen denselben Gegenstand haben wie die in der vorherigen Verwaltungsbeschwerde formulierten Anträge und dürfen nur Rügen enthalten, die auf demselben Grund beruhen wie die in der Beschwerde genannten Rügen. Diese Rügen können vor dem Gerichtshof auf Argumente gestützt werden, die nicht notwendigerweise in der Beschwerde enthalten sind, sich aber eng an diese anlehnen. Daraus folgt, daß die Artikel 90 und 91 des Statuts zwar durch die Einreichung der vorherigen Verwaltungsbeschwerde eine einverständliche Beilegung des Streits zwischen einem Beamten und seiner Verwaltung ermöglichen, jedoch nicht den Rechtsstreit streng und endgültig begrenzen sollen, solange nur die Klageanträge weder den Grund noch den Gegenstand der Beschwerde ändern.

Zulässig ist insbesondere ein Schadensersatzantrag, der erstmals vor dem Gerichtshof gestellt wird, während mit der Verwaltungsbeschwerde nur die Aufhebung der angeblich schadensverursachenden Entscheidung beantragt wurde, da ein derartiger Aufhebungsantrag einen Antrag auf Ersatz des durch diese Entscheidung verursachten Schadens mit umfassen kann.

3. Die den Gemeinschaftsorganen gemäß Artikel 24 des Statuts obliegende Pflicht zum Schutz der Beamten gegen mögliche Drohungen, Beleidigungen, üble Nachrede, Verleumdungen und Anschläge - die auch für den Fall gilt, daß Angriffe von anderen Beamten ausgehen - besteht nur dann, wenn die fraglichen Tatsachen feststehen.

Zwar muß die Verwaltung angesichts eines Vorfalls, der mit einem geordneten und gesicherten Dienstbetrieb nicht vereinbar ist, mit allem gebotenen Nachdruck einschreiten, um die Tatsachen festzustellen und daraus sodann in Kenntnis der Sachlage die angemessenen Konsequenzen zu ziehen. Sie ist jedoch nicht verpflichtet, auf blosse Behauptungen eines Bediensteten hin Ermittlungsmaßnahmen zu ergreifen. Es obliegt nämlich dem Beamten, der den ihm nach Artikel 24 des Statuts zustehenden Schutz verlangt, zumindest Beweismittel dafür zu benennen, daß die Angriffe, denen er angeblich ausgesetzt war, wirklich stattgefunden haben. Das betroffene Organ ist nur angesichts derartiger Beweismittel verpflichtet, die gebotenen Maßnahmen zu ergreifen, inbesondere eine Untersuchung durchzuführen, um die der Beschwerde zugrundeliegenden Tatsachen in Zusammenarbeit mit dem Beschwerdeführer zu ermitteln.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (DRITTE KAMMER) VOM 26. JANUAR 1989. - JEAN KOUTCHOUMOFF GEGEN KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - BEAMTE - SCHUTZ GEMAESS ARTIKEL 24 DES STATUTS - SCHADENSERSATZ. - RECHTSSACHE 224/87.

Entscheidungsgründe:

1 Der Kläger, Verwaltungshauptinspektor in der Generaldirektion XIII "Telekommunikation, Informationsindustrie und Innovation" der Kommission, hat mit Klageschrift, die am 20. Juli 1987 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, Klage erhoben auf Aufhebung der stillschweigenden Entscheidung der Kommission über seine vom 27. November 1986 datierende und am 22. Dezember 1986 registrierte Beschwerde, mit der die Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen seinen Vorgesetzten, Herrn Wilkinson, gefordert wurde. Der Kläger beantragt ausserdem, festzustellen, daß er Anspruch auf den in Artikel 24 des Beamtenstatuts vorgesehenen Schutz hat, und die Kommission zu verurteilen, ihm Schadensersatz in Höhe von 6 050 ECU zu zahlen.

2 Der Kläger war am 2. Juni 1986 zu seinem Vorgesetzten, Herrn Wilkinson, gerufen worden. Er behauptet, dieser habe ihn tätlich angegriffen; dem Angriff habe er sich nur durch die Flucht in seinen Wagen entziehen können.

3 Mit Schreiben vom 4. Juni 1986 beantragte der Kläger, "die Anstellungsbehörde möge den Disziplinarausschuß mit dieser Angelegenheit befassen ". Als die Verwaltung darauf nicht reagierte, richtete er am 27. November 1986 eine mit seinem Schreiben vom 4. Juni inhaltsgleiche Beschwerde an die Kommission. Da auch diese Beschwerde von seiten der Kommission unbeantwortet blieb, hatte dies die stillschweigende Zurückweisung der Beschwerde zur Folge, die der Kläger vor dem Gerichtshof anficht, wobei er gleichzeitig den Ersatz des entstandenen Schadens begehrt.

4 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, der gemeinschaftsrechtlichen Regelung und des Vorbringens vor dem Gerichtshof wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt ist im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur Zulässigkeit der Klage

5 Die Kommission hält die Klage aus drei Gründen für unzulässig.

6 Sie macht erstens geltend, bei der vom Kläger angefochtenen stillschweigenden Zurückweisung der Beschwerde vom 27. November 1986 handele es sich lediglich um eine Bestätigung der stillschweigenden Ablehnung seines ursprünglichen Antrags vom 4. Juni 1986 auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen Herrn Wilkinson; sie stelle daher keine anfechtbare Verfügung dar.

7 Es ist darauf hinzuweisen, daß nach den Artikeln 90 und 91 des Statuts der Beamten der Europäischen Gemeinschaften die Klage eines Beamten beim Gerichtshof gegen eine Entscheidung, die die Anstellungsbehörde ihm gegenüber getroffen hat, nur zulässig ist, wenn zuvor bei der Anstellungsbehörde eine Beschwerde eingereicht und ausdrücklich oder stillschweigend zurückgewiesen wurde. Nach dem System des Statuts muß der Beamte somit gegen die Entscheidung, mit der er nicht einverstanden ist, Beschwerde einlegen und gegen die Entscheidung, die seine Beschwerde zurückweist, Klage beim Gerichtshof erheben. Unter diesen Umständen ist die Klage zulässig, unabhängig davon, ob sie nur gegen die ursprünglich angefochtene Entscheidung, gegen die Entscheidung, mit der die Beschwerde zurückgewiesen wurde, oder gegen diese beiden Entscheidungen zusammen gerichtet ist ( Urteil vom 19. Januar 1984 in der Rechtssache 260/80, Andersen/Rat, Slg. 1984, 177, insbesondere Randnrn. 3 und 4 ), vorausgesetzt allerdings, daß die Beschwerde und die Klage innerhalb der Fristen der Artikel 90 und 91 des Statuts eingereicht wurden, was in der vorliegenden Rechtssache der Fall war. Die erste Einrede der Kommission ist daher zurückzuweisen.

8 Die Kommission macht zweitens geltend, der Kläger habe niemals den Antrag an sie gerichtet, Artikel 24 des Statuts auf seinen Fall anzuwenden. Auch habe er nie Schadensersatz verlangt.

9 In bezug auf den ersten Punkt ergibt sich aus den Akten, daß der Kläger mit seinem Antrag auf Einleitung eines Disziplinarverfahrens gegen Herrn Wilkinson in dieser Form den in Artikel 24 des Statuts vorgesehenen Schutz in Anspruch nehmen wollte.

10 Was den zweiten Punkt betrifft, so kann ein Beamter nach ständiger Rechtsprechung vor dem Gerichtshof nur Anträge stellen, die denselben Gegenstand haben wie die in der Beschwerde enthaltenen Anträge, und nur solche Rügen erheben, die auf demselben Grund beruhen wie die in der Beschwerde genannten Rügen. Diese Rügen können vor dem Gerichtshof auf Argumente gestützt werden, die nicht notwendigerweise in der Beschwerde enthalten sind, sich aber eng an diese anlehnen ( Urteil vom 20. Mai 1987 in der Rechtssache 242/85, Geist/Kommission, Slg. 1987, 2181 ). Daraus folgt, daß die Artikel 90 und 91 des Beamtenstatuts zwar eine einverständliche Beilegung des Streits zwischen einem Beamten und seiner Verwaltung ermöglichen, jedoch nicht den Rechtsstreit streng und endgültig begrenzen sollen, solange nur die Klageanträge weder den Grund noch den Gegenstand der Beschwerde ändern ( Urteil vom 7. Mai 1986 in der Rechtssache 52/85, Rihoux u. a./Kommission, Slg. 1986, 1555 ). So verhält es sich insbesondere dann, wenn wie im vorliegenden Fall der Kläger mit seiner Beschwerde die Aufhebung einer ihm gegenüber ergangenen Entscheidung beantragt hat, da ein derartiger Aufhebungsantrag nach der jeweiligen Fallkonstellation einen Antrag auf Ersatz des dem Kläger durch diese Entscheidung möglicherweise verursachten Schadens mitumfassen kann. Auch die von der Kommission insoweit gegenüber der Klage erhobene Einrede der Unzulässigkeit ist daher zurückzuweisen.

11 Wenn die Kommission schließlich geltend macht, der Kläger habe im Laufe des Verfahrens den Ersatz anderer Schäden verlangt, als sie in seiner Klageschrift aufgeführt seien, so ist festzustellen, daß die verschiedenen geltend gemachten Schäden alle mit der Weigerung der Kommission zusammenhängen, ihm den verlangten Schutz gemäß Artikel 24 des Statuts zu gewähren. Der Gegenstand des Antrags vor dem Gerichtshof ist somit nicht geändert worden.

12 Hingegen trägt die Kommission zu Recht vor, daß der Gerichtshof der Verwaltung nicht aufgeben könne, dem Kläger den Schutz zu gewähren, den dieser für angemessen hält. Der dahin gehende Antrag ist daher als unzulässig abzuweisen.

Zu dem Antrag auf Aufhebung der von der Kommission ausgesprochenen Weigerung, dem Kläger den in Artikel 24 des Statuts vorgesehenen Schutz zu gewähren

13 Der Kläger trägt vor, die Kommission habe ihre Fürsorgepflicht verletzt, da sie nicht versucht habe, die Ereignisse vom 2. Juni 1986 aufzuklären. Sie habe auch gegen Artikel 24 des Statuts verstossen, da sie gegen Herrn Wilkinson keine Disziplinarmaßnahmen ergriffen habe, nachdem dieser den Kläger tätlich angegriffen habe.

14 Zunächst ist darauf hinzuweien, daß die den Gemeinschaftsorganen gemäß Artikel 24 des Statuts obliegende Pflicht zum Schutz der Beamten gegen mögliche Drohungen, Beleidigungen, üble Nachrede, Verleumdungen und Anschläge - die auch für den Fall gilt, daß Angriffe von anderen Beamten ausgehen - nur dann besteht, wenn die fraglichen Tatsachen feststehen.

15 Zwar muß die Verwaltung, wie der Gerichtshof entschieden hat ( Urteil vom 14. Juni 1979 in der Rechtssache 18/78, Frau V./Kommission, Slg. 1979, 2093 ), angesichts eines Vorfalls, der mit einem geordneten und gesicherten Dienstbetrieb nicht vereinbar ist, mit allem gebotenen Nachdruck einschreiten, um die Tatsachen festzustellen und daraus sodann in Kenntnis der Sachlage die angemessenen Konsequenzen zu ziehen. Sie ist jedoch nicht verpflichtet, auf blosse Behauptungen eines Bediensteten hin Ermittlungsmaßnahmen zu ergreifen.

16 Es obliegt nämlich dem Beamten, der den ihm nach Artikel 24 des Statuts zustehenden Schutz verlangt, zumindest Beweismittel dafür zu benennen, daß die Angriffe, denen er angeblich ausgesetzt war, wirklich stattgefunden haben. Die Kommission ist nur angesichts derartiger Beweismittel verpflichtet, die gebotenen Maßnahmen zu ergreifen, insbesondere eine Untersuchung durchzuführen, um die der Beschwerde zugrundeliegenden Tatsachen in Zusammenarbeit mit dem Beschwerdeführer zu ermitteln.

17 Wie sich aus den Akten ergibt, wichen die klägerische Darstellung der Ereignisse vom 2. Juni 1986 und die diesbezuegliche Version des Herrn Wilkinson erheblich voneinander ab : Letzterer machte geltend, er habe lediglich versucht, den Kläger zur schriftlichen Bestätigung des Erhalts seiner Beurteilung zu bewegen, und sich entschlossen, dem Kläger zu folgen, als dieser behauptet habe, den ärztlichen Dienst aufsuchen zu müssen, um festzustellen, ob er nicht versuche, sich auf diese Weise der Aushändigung seiner Beurteilung zu entziehen. Auch hat der Kläger zu keinem Zeitpunkt, insbesondere nicht bei seiner Besprechung vom 12. Mai 1987 mit dem Personaldirektor, konkrete Anhaltspunkte für seine Darstellung geliefert; er hat sogar die Benennung von Zeugen unter dem Vorwand verweigert, auf diese könnte Druck ausgeuebt werden.

18 Zwar hat der Kläger im schriftlichen Verfahren die Vernehmung zweier Zeugen und in der mündlichen Verhandlung die Vernehmung weiterer Zeugen durch den Gerichtshof angeregt.

19 Es ist jedoch, ohne daß es einer Entscheidung über die Zulässigkeit dieser Anträge auf Zeugenvernehmung bedürfte, darauf hinzuweisen, daß der Gerichtshof nur zu prüfen hat, ob die Weigerung der Kommission, den in Artikel 24 des Statuts vorgesehenen Schutz zu gewähren, nach dieser Vorschrift rechtmässig war. Er darf weder anstelle der Kommission handeln noch dieser aufgeben, diesen Schutz zu gewähren.

20 Die Entscheidung über die Rechtmässigkeit der Weigerung der Kommission, Maßnahmen aufgrund von Artikel 24 zu ergreifen, hängt somit von den Beweismitteln ab, die der Kommission zu dem Zeitpunkt, als sie die angefochtene Entscheidung erließ, zur Verfügung standen.

21 Es ist festzustellen, daß der Kläger zu diesem Zeitpunkt offensichtlich keinerlei Beweis für seine Behauptungen angetreten hatte.

22 Der Gerichtshof kann somit, ohne daß es der angeregten Zeugenvernehmungen bedürfte, nur feststellen, daß die Kommission unter den konkreten Fallumständen rechtmässigerweise davon ausgehen durfte, daß der vom Kläger geschilderte Sachverhalt nicht hinreichend bewiesen war, und daher dem Kläger gegenüber keine Maßnahmen gemäß Artikel 24 des Statuts zu ergreifen brauchte.

23 Die Kommission hat folglich keine Pflichtverletzung begangen, die einen Schadensersatzanspruch des Klägers begründen könnte, so daß sowohl der Anfechtungs - wie auch der Schadensersatzantrag abzuweisen sind.

Kostenentscheidung:

Kosten

24 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung hat die unterliegende Partei die Kosten zu tragen. Nach Artikel 70 der Verfahrensordnung tragen jedoch die Organe in Rechtsstreitigkeiten mit Bediensteten der Gemeinschaften ihre Kosten selbst.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Dritte Kammer )

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Klage wird abgewiesen.

2 ) Jede Partei trägt ihre eigenen Kosten.

Ende der Entscheidung

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