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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 24.03.1988
Aktenzeichen: 240/86
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Bei einer nach Artikel 169 EWG-Vertrag erhobenen Klage wird der Streitgegenstand durch die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission bestimmt. Auch wenn der darin gerügte Mangel nach Ablauf der aufgrund des Artikels 169 Absatz 2 gesetzten Frist behoben wird, ist für die Klage noch ein Rechtsschutzinteresse gegeben. Dieses Interesse kann darin bestehen, die Grundlage für eine Haftung zu schaffen, die möglicherweise einen Mitgliedstaat infolge seiner Pflichtverletzung gegenüber denjenigen trifft, die aus dieser Pflichtverletzung Rechte herleiten.

2. Wenn ein Mitgliedstaat sich weigert, mit der Kommission im Rahmen von Untersuchungen zusammenzuarbeiten, die diese durchführt, um festzustellen, ob Verstösse gegen das Gemeinschaftsrecht vorliegen, die sich aus den in diesem Staat geltenden Rechtsvorschriften und Praktiken ergeben, so stellt dies eine Verletzung der nach Artikel 5 EWG-Vertrag bestehenden Pflicht jedes Mitgliedstaats dar, der Kommission die Erfuellung ihrer Aufgabe zu erleichtern.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 24. MAERZ 1988. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN REPUBLIK GRIECHENLAND. - BEHINDERUNG DER GETREIDEEINFUHREN. - RECHTSSACHE 240/86.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 11. September 1986 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 169 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Feststellung, daß die Griechische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus den Artikeln 5, 30 und 106 Absatz 1 EWG-Vertrag sowie aus der Verordnung Nr. 2727/75 des Rates vom 29. Oktober 1975 über die gemeinsame Marktorganisation für Getreide ( ABl. L 281, S. 1 ) verstossen hat, daß sie die Getreideeinfuhr von der Erteilung einer Devisengenehmigung und die Erteilung dieser Genehmigung von der Verpflichtung zur Wiederausfuhr des Erzeugnisses abhängig gemacht, bereits erteilte Genehmigungen widerrufen und der Kommission nicht die angeforderten Auskünfte und Rechtsvorschriften übermittelt hat.

2 Aus den Akten geht hervor, daß die Kommission im Februar und März 1984 von Wirtschaftsteilnehmern sowie von einem Mitgliedstaat über bestimmte bei der Einfuhr von Getreide nach Griechenland aufgetretene Schwierigkeiten unterrichtet wurde. Diese Einfuhr werde davon abhängig gemacht, daß die Banken eine Devisengenehmigung erteilten, für die seit dem Ministerialerlaß Nr. E 6/963 vom 21. Februar 1984 die Zustimmung der Bank von Griechenland erforderlich sei.

3 Nachdem die Kommission auf zwei Fernschreiben vom 12. und 15. März 1984, mit denen Auskünfte angefordert wurden und die Griechische Republik aufgefordert worden war, die notwendigen Maßnahmen zur Beseitigung der genannten Hemmnisse zu erlassen, keine Antwort erhalten hatte, forderte sie die griechische Regierung mit Schreiben vom 21. September 1984 auf, sich zu der Auffassung zu äussern, daß derartige Hemmnisse sowie die Nichterteilung der angeforderten Auskünfte gegen die Verordnung Nr. 2727/75 sowie die Artikel 5, 30 und 106 EWG-Vertrag verstießen.

4 Die griechische Regierung antwortete am 22. November 1984 auf dieses Schreiben und machte geltend, die erlassenen Maßnahmen seien erforderlich, um bereits festgestellten Fällen von Kapitalflucht ins Ausland zu begegnen, und hätten ihre Grundlage in den Artikeln 67 und 68 EWG-Vertrag. Derartige Maßnahmen hemmten die Einfuhren nicht, da alle Einfuhranträge angenommen worden seien.

5 Nachdem die Kommission die Importeure und die Beschwerdeführer angehört hatte, forderte sie die griechischen Behörden mit Schreiben des Generaldirektors für Landwirtschaft vom 13. Februar 1985 auf, den Wortlaut der in Rede stehenden Rechtsvorschriften mitzuteilen und eine Liste der im ersten Halbjahr 1984 gestellten Anträge auf Zuteilung von Devisen vorzulegen, die sich auf Einfuhren von Getreide bezogen. Ausserdem wurden nähere Angaben in bezug auf den Ablauf des Verfahrens ( Zeitpunkt der Antragstellung, Zeitpunkt der Entscheidung der Bank von Griechenland, Zeitpunkt der Einfuhr ) sowie Auskünfte über Verzögerungen und ablehnende Entscheidungen bei der Erteilung von Devisengenehmigungen angefordert. Auf diese Aufforderung hin übermittelte die griechische Regierung lediglich die Liste der erteilten Einfuhrgenehmigungen.

6 Da die Kommission der Auffassung war, daß die Hemmnisse für die Einfuhr von Getreide, die sie für unvereinbar mit dem Gemeinschaftsrecht hielt, weiterbestuenden, gab sie am 25. November 1985 eine mit Gründen versehene Stellungnahme ab, in der der Griechischen Republik vorgeworfen wurde, das Verfahren zur Erteilung von Devisengenehmigungen insoweit erschwert zu haben, als von nun an vorgesehen sei, daß die Bank von Griechenland jeder von einer Bank ausgestellten Genehmigung oder Bescheinigung über die Zuteilung von Devisen zustimmen müsse. Die Griechische Republik wurde aufgefordert, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um dieser Stellungnahme innerhalb von zwei Monaten nach deren Zustellung nachzukommen.

7 Im Laufe des Jahres 1985 erhielt die Kommission Kenntnis davon, daß die Devisengenehmigung für die Einfuhr von Getreide in bestimmten Fällen von Voraussetzungen abhängig gemacht wurde, die die Wiederausfuhr des Verarbeitungserzeugnisses mit einem grösseren Mehrwert gewährleisten sollten. Sie hatte ausserdem Kenntnis von dem Ministerialerlaß Nr. E 6/2931 vom 25. Juli 1985 erhalten, durch den die Devisengenehmigungen für die Einfuhren von Getreide widerrufen worden waren, die bereits erteilt, aber zu diesem Zeitpunkt noch nicht verwendet worden waren. Die einzigen Ausnahmen betrafen Einfuhren, für die die Voraussetzung der Wiederausfuhr des Verarbeitungserzeugnisses bestand, sowie die Fälle, in denen unwiderrufliche Akkreditive ausgestellt worden waren, deren Geltungsdauer noch nicht abgelaufen war.

8 Die Kommission war der Auffassung, daß diese Maßnahmen zusätzliche Hemmnisse für die Getreideeinfuhr darstellten, und forderte die griechische Regierung mit Schreiben vom 25. November 1985 zur Äusserung über ihren Standpunkt auf, daß derartige Hemmnisse gegen die Verordnung Nr. 2727/75 sowie gegen die Artikel 30 und 106 Absatz 1 EWG-Vertrag verstießen.

9 Da dieses Schreiben unbeantwortet blieb, gab die Kommission am 15. Mai 1986 eine zweite mit Gründen versehene Stellungnahme ab, mit der die Griechische Republik aufgefordert wurde, die notwendigen Maßnahmen zu erlassen, um dieser Stellungnahme innerhalb eines Monats nach ihrer Zustellung nachzukommen.

10 Da die Griechische Republik auf diese beiden mit Gründen versehenen Stellungnahmen nicht reagierte, hat die Kommission die vorliegende Klage erhoben.

11 Wegen weiterer Einzelheiten des Sachverhalts, des Verfahrens sowie des Vorbringens der Parteien wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zulässigkeit

12 Die griechische Regierung ist der Auffassung, die Klage sei gegenstandslos geworden, da die Hemmnisse für die Getreideeinfuhr vor der Klageerhebung beseitigt worden seien.

13 Die Kommission hat in der mündlichen Verhandlung eingeräumt, daß die Vertragsverletzung aufgehört habe, sie hat jedoch ihr Interesse daran geltend gemacht, daß die Griechische Republik wegen der in der Vergangenheit erlassenen Maßnahmen verurteilt werde.

14 Wie sich aus der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofes ergibt ( siehe zuletzt das Urteil vom 5. Juni 1986 in der Rechtssache 103/84, Kommission/Italienische Republik, Slg. 1986, 1759 ), wird bei einer nach Artikel 169 erhobenen Klage der Streitgegenstand durch die mit Gründen versehene Stellungnahme der Kommission bestimmt. Auch wenn der darin gerügte Mangel nach Ablauf der aufgrund des Artikels 169 Absatz 2 gesetzten Frist behoben wird, ist für die Klage noch ein Rechtsschutzinteresse gegeben. Dieses Interesse kann darin bestehen, die Grundlage für eine Haftung zu schaffen, die möglicherweise einen Mitgliedstaat infolge seiner Pflichtverletzung gegenüber denjenigen trifft, die aus dieser Pflichtverletzung Rechte herleiten.

15 Da die Griechische Republik der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 25. November 1985 nicht innerhalb der von der Kommission festgesetzten Frist nachgekommen ist, ist die Klage, was den Streitgegenstand angeht, wie er durch diese Stellungnahme abgegrenzt wird, zulässig.

16 Da die Griechische Republik der Aufforderung der Kommission in bezug auf die Hemmnisse, die Gegenstand der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 15. Mai 1986 waren, schon vor deren Abgabe nachgekommen war, ist die Klage dagegen, was den Streitgegenstand angeht, wie er durch diese Stellungnahme abgegrenzt wird, unzulässig.

17 Der Streitgegenstand bleibt daher auf die Fragen beschränkt, ob die Griechische Republik zum einen die Einfuhr von Getreide ab Februar 1984 von der doppelten Voraussetzung der Erteilung einer Devisengenehmigung durch eine Bank und der Zustimmung zu dieser Genehmigung durch die Bank von Griechenland abhängig gemacht hat und ob dieses Verfahren mit den Artikeln 30 und 106 EWG-Vertrag vereinbar ist und ob dieser Staat zum anderen dadurch gegen seine Verpflichtungen aus Artikel 5 EWG-Vertrag verstossen hat, daß er der Kommission nicht die angeforderten Auskünfte und Rechtsvorschriften übermittelt hat.

Zur Vereinbarkeit des Verfahrens der Devisengenehmigung mit den Artikeln 30 und 106 EWG-Vertrag

18 Wie sich aus der Klageschrift ergibt, beanstandet die Kommission nicht die nach ihren Angaben in der Griechischen Republik für die Einfuhr aller Erzeugnisse vorgeschriebene Devisengenehmigung, sondern nur das zusätzliche Hemmnis, das sich aus dem Erfordernis der Zustimmung der Bank von Griechenland zu den von den Banken erteilten Genehmigungen ergebe.

19 Die Regierung der Griechischen Republik trägt vor, die Devisengenehmigungen seien niemals nach dem von der Kommission genannten doppelten Verfahren erteilt worden. Derartige Genehmigungen seien vorher allein in die Zuständigkeit der Handelsbanken gefallen, und nach dem Ministerialerlaß Nr. E 6/963 sei allein die Bank von Griechenland für sie zuständig.

20 Hierzu ist festzustellen, daß in dem genannten Ministerialerlaß ebenso wie in dem Erlaß Nr. E 6/885 vom 16. Februar 1984 von einem neuen Verfahren für die Erteilung von Genehmigungen für die Einfuhr von Weizen die Rede ist, für die die Bank von Griechenland im Einvernehmen mit einem Ausschuß für die Regelung von Einfuhrfragen zuständig ist. Weder aus dem Wortlaut dieser Erlasse noch aus anderen von der Kommission vorgelegten Beweismitteln ergibt sich, daß die anderen Banken im Rahmen eines solchen Verfahrens hätten tätig werden müssen.

21 Das genannte Verfahren kann zwar ein Hemmnis für die Getreideeinfuhren darstellen, dessen Vereinbarkeit mit dem Gemeinschaftsrecht noch zu prüfen wäre. Der Gerichtshof kann dies aber nicht berücksichtigen, da eine solche Rüge nicht Gegenstand des Rechtsstreits ist.

22 Die vorliegende Rüge der Kommission ist somit zurückzuweisen.

Zum Verstoß gegen die Pflicht zur Zusammenarbeit mit der Kommission

23 Die Kommission meint, es stelle einen Verstoß gegen Artikel 5 EWG-Vertrag dar, daß die griechische Regierung zwei Fernschreiben, vom 12. und 15. März 1984, mit denen sie um Auskünfte über die in bezug auf Getreideeinfuhren getroffenen Maßnahmen gebeten worden sei, sowie ihr Schreiben vom 13. Februar 1985, mit dem die geltenden Rechtsvorschriften und bestimmte Informationen über die erteilten Devisengenehmigungen und die im ersten Quartal 1984 durchgeführten Getreideeinfuhren angefordert worden seien, nicht beantwortet habe.

24 Die Griechische Republik macht geltend, es sei unmöglich gewesen, der Kommission kurzfristig sämtliche den Getreidehandel betreffenden Daten zu übermitteln. Diese seien über die 3 000 Zweigstellen der zuständigen Banken verstreut gewesen.

25 In diesem Zusammenhang ist festzustellen, daß die Griechische Republik nicht begründet hat, weshalb sie der Kommission nicht die für die Getreideeinfuhr geltenden Rechtsvorschriften übermittelt hat und, was die von der Klägerin angeforderten Auskünfte angeht, weshalb die Auskünfte in bezug auf den Zeitraum nach dem Tätigwerden der Bank von Griechenland nicht erteilt worden sind. Die in der mündlichen Verhandlung gegebene Begründung, daß diese Bank im ersten Jahr der Anwendung des Systems keine Statistiken erstellt habe, kann nicht akzeptiert werden, da die angeforderten Auskünfte Tatsachen wie den Zeitpunkt der Stellung des Genehmigungsantrags sowie den Zeitpunkt der Entscheidung der Bank und der Einfuhr betrafen, die durch Einsicht in die einzelne Akte leicht zu ermitteln waren.

26 Auf jeden Fall hätte die griechische Regierung, selbst wenn die Schwierigkeiten, auf die sie gestossen war, sie daran hinderten, die angeforderten Auskünfte zu erteilen, dies der Klägerin innerhalb einer angemessenen Frist mitteilen müssen. Sie hat jedoch bis zur Erhebung der vorliegenden Klage beharrlich geschwiegen.

27 Daraus folgt, daß das Verhalten der Griechischen Republik einen Verstoß gegen die sich aus Artikel 5 EWG-Vertrag ergebende Pflicht jedes Mitgliedstaats darstellt, der Kommission die Erfuellung ihrer Aufgabe zu erleichtern. Die Weigerung der griechischen Regierung, mit der Kommission zusammenzuarbeiten, hat diese daran gehindert, von nicht veröffentlichten, lange Zeit geltenden Rechtsvorschriften Kenntnis zu nehmen und zu prüfen, ob aufgrund dieser Rechtsvorschriften Hemmnisse für die Getreideeinfuhren bestanden.

28 Es ist daher festzustellen, daß die Griechische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 5 EWG-Vertrag verstossen hat, daß sie der Kommission absichtlich weder die für die Getreideeinfuhr geltenden Rechtsvorschriften noch die von der Kommission angeforderten Auskünfte über die 1984 erteilten Devisengenehmigungen und durchgeführten Getreideeinfuhren übermittelt hat.

Kostenentscheidung:

Kosten

29 Gemäß Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Obwohl die Klägerin, was den Streitgegenstand angeht, wie er sich aus der mit Gründen versehenen Stellungnahme vom 15. Mai 1986 ergibt, unterlegen ist, ist festzustellen, daß die Abgabe dieser Stellungnahme auf die mangelnde Zusammenarbeit der Beklagten mit der Klägerin zurückzuführen ist und der Beklagten infolgedessen gemäß Artikel 69 § 3 der Verfahrensordnung die gesamten Kosten des Verfahrens aufzuerlegen sind.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Griechische Republik hat dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 5 EWG-Vertrag verstossen, daß sie der Kommission absichtlich weder den Wortlaut der für die Getreideeinfuhr geltenden Rechtsvorschriften noch die von der Kommission angeforderten Auskünfte über die 1984 erteilten Devisengenehmigungen und durchgeführten Getreideeinfuhren übermittelt hat.

2 ) Im übrigen wird die Klage abgewiesen.

3 ) Die Griechische Republik trägt die Kosten des Verfahrens.

Ende der Entscheidung

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