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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 30.05.1989
Aktenzeichen: 242/87
Rechtsgebiete: EWG-Vertrag


Vorschriften:

EWG-Vertrag Art. 173 Abs. 1
EWG-Vertrag Art. 128
EWG-Vertrag Art. 235
EWG-Vertrag Art. 190
Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

1. Wie sich bereits aus dem Wortlaut des Artikels 235 ergibt, ist der Rückgriff auf diese Vorschrift als Rechtsgrundlage eines Rechtsakts nur gerechtfertigt, wenn keine andere Vertragsbestimmung den Gemeinschaftsorganen die zum Erlaß dieses Rechtsakts erforderliche Befugnis verleiht.

2. Der Erlaß von Rechtsakten, die gemeinschaftliche Aktionen auf dem Gebiet der Berufsausbildung vorsehen und den Mitgliedstaaten entsprechende Mitwirkungspflichten auferlegen, erfolgt im Rahmen der Befugnisse, die Artikel 128 EWG-Vertrag, ausgelegt anhand seines Wortlauts und mit Rücksicht auf das Erfordernis, seine praktische Wirksamkeit zu gewährleisten, dem Rat verleiht.

3. Die Befugnisse der Organe und die Bedingungen ihrer Ausübung im System der gemeinschaftsrechtlichen Zuständigkeiten ergeben sich aus den einzelnen besonderen Vertragsbestimmungen, deren Unterschiede, insbesondere hinsichtlich der Mitwirkung des Europäischen Parlaments, nicht immer auf systematischen Kriterien beruhen.

4. Für die Ausübung der Rechtsetzungsbefugnis und die Ausübung haushaltsrechtlicher Befugnisse gelten im Rahmen der Systematik des Vertrages unterschiedliche Bedingungen. Daher wirken sich die Anforderungen des Haushaltsverfahrens, das bei der Bereitstellung der zur Durchführung eines Rechtsetzungsakts erforderlichen Mittel einzuhalten ist, in keiner Weise auf die Verfahrensanforderungen aus, die für den Erlaß des betreffenden Rechtsetzungsakts gelten.

5. Jede Form der Ausbildung, die auf eine Qualifikation für einen bestimmten Beruf oder eine bestimmte Beschäftigung vorbereitet oder die die besondere Befähigung zur Ausübung eines solchen Berufes oder einer solchen Beschäftigung verleiht, gehört zur Berufsausbildung, und zwar unabhängig vom Alter und vom Ausbildungsniveau der Schüler oder Studenten und selbst dann, wenn der Lehrplan auch allgemeinbildenden Unterricht enthält. Im allgemeinen erfuellen die Hochschulstudiengänge diese Voraussetzungen. Etwas anderes gilt nur für bestimmte besondere Studiengänge, die sich aufgrund ihrer Eigenart an Personen richten, die eher ihre Allgemeinkenntnisse vertiefen wollen als einen Zugang zum Berufsleben anstreben.

6. Das gemeinschaftliche Aktionsprogramm zur Förderung der Mobilität von Hochschulstudenten ( Erasmus ) betrifft nicht nur das Gebiet der Berufsausbildung, sondern auch das der wissenschaftlichen Forschung. Daher war der Rat nicht befugt, es allein aufgrund von Artikel 128 zu erlassen, und kam daher vor Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte nicht umhin, sich auch auf Artikel 235 EWG-Vertrag zu stützen.


URTEIL DES GERICHTSHOFES VOM 30. MAI 1989. - KOMMISSION DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN GEGEN RAT DER EUROPAEISCHEN GEMEINSCHAFTEN. - GEMEINSCHAFTLICHES AKTIONSPROGRAMM ZUR FOERDERUNG DER MOBILITAET VON HOCHSCHULSTUDENTEN (ERASMUS) - NICHTIGKEITSKLAGE - RECHTSGRUNDLAGE - BERUFSAUSBILDUNG. - RECHTSSACHE 242/87.

Entscheidungsgründe:

1 Die Kommission der Europäischen Gemeinschaften hat mit Klageschrift, die am 7. August 1987 bei der Kanzlei des Gerichtshofes eingegangen ist, gemäß Artikel 173 Absatz 1 EWG-Vertrag Klage erhoben auf Nichtigerklärung des Beschlusses 87/327/EWG des Rates vom 15. Juni 1987 über ein gemeinschaftliches Aktionsprogramm zur Förderung der Mobilität von Hochschulstudenten ( Erasmus ) ( ABl. L 166, S. 20 ).

2 In diesem Beschluß sind als Rechtsgrundlage die Artikel 128 und 235 EWG-Vertrag sowie der Beschluß 63/266/EWG des Rats vom 2. April 1963 über die Aufstellung allgemeiner Grundsätze für die Durchführung einer gemeinsamen Politik der Berufsausbildung ( ABl. 63, S. 1338 ) angegeben.

3 Die Kommission stützt ihre Klage auf zwei Gründe : Verstoß gegen den Vertrag, weil der Rat der von ihr vorgeschlagenen Rechtsgrundlage den Artikel 235 hinzugefügt habe, und Verletzung wesentlicher Formvorschriften insofern, als diese Hinzufügung in einer Weise begründet worden sei, die nicht den Anforderungen des Artikels 190 EWG-Vertrag genüge.

4 Die Bundesrepublik Deutschland, das Vereinigte Königreich Großbritannien und Nordirland und die Französische Republik sind dem Rechtsstreit zur Unterstützung der Anträge des Rates als Streithelfer beigetreten.

5 Wegen des Sachverhalts, des Verfahrensablaufs und des Vorbringens der Beteiligten wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur Rechtsgrundlage

6 Wie der Gerichtshof schon früher festgestellt hat, ist der Rückgriff auf Artikel 235 als Rechtsgrundlage eines Rechtsakts, wie sich bereits aus seinem Wortlaut ergibt, nur gerechtfertigt, wenn keine andere Vertragsbestimmung den Gemeinschaftsorganen die zum Erlaß dieses Rechtsakts erforderliche Befugnis verleiht ( Urteil vom 26. März 1987 in der Rechtssache 45/86, Kommission/Rat, Slg. 1987, 1493 ).

7 Die Kommission macht geltend, der Rat sei zum Erlaß des angefochtenen Beschlusses aufgrund des Artikels 128 EWG-Vertrag und des Beschlusses 63/266 allein befugt gewesen. Nach Ansicht des Rates und der Streithelfer war die zusätzliche Bezugnahme auf Artikel 235 jedoch erforderlich, weil zum einen die im Rahmen des Erasmus-Programms vorgesehenen Aktionen über die Befugnisse hinausgingen, die der Rat nach Artikel 128 auf dem Gebiet der Berufsausbildung innehabe, und weil zum anderen der Gegenstand dieses Programms den Rahmen der Berufsausbildung im Sinne dieses Artikels überschreite. Daher sind die verschiedenen Argumente, die zur Begründung des Rückgriffs auf Artikel 235 vorgebracht worden sind, unter diesen beiden Gesichtspunkten zu prüfen.

a ) Zu den Befugnissen des Rates auf dem Gebiet der Berufsausbildung

8 Während die Kommission meint, Artikel 128 EWG-Vertrag sei die geeignete Rechtsgrundlage für den Erlaß praktischer Maßnahmen zur Durchführung der gemeinsamen Berufsbildungspolitik, vertreten der Rat und die Streithelfer die Ansicht, diese Vertragsbestimmung ermögliche die Entwicklung dieser Politik nur in einem Anfangsstadium, da sie eher programmatischer als instrumentaler Art sei und eine Verteilung der Zuständigkeiten zwischen den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen vorsehe. Insoweit machen der Rat und die Streithelfer geltend, es sei zwar Sache des Rates, die Kriterien festzulegen, die die Mitgliedstaaten bei der Durchführung der Berufsbildungspolitik zu beachten hätten, er könne aber nicht auf der Grundlage des Artikels 128 gemeinschaftliche Aktionen von der Art beschließen, wie sie das Erasmus-Programm vorsehe.

9 Angesichts dieser unterschiedlichen Auffassungen ist darauf hinzuweisen, daß "der Rat" nach Artikel 128 "auf Vorschlag der Kommission und nach Anhörung des Wirtschafts - und Sozialausschusses... in bezug auf die Berufsausbildung allgemeine Grundsätze zur Durchführung einer gemeinsamen Politik auf((stellt )), die zu einer harmonischen Entwicklung sowohl der einzelnen Volkswirtschaften als auch des Gemeinsamen Marktes beitragen kann ". Wie die Kommission zu Recht vorgetragen hat, steht der Umstand, daß die Durchführung einer gemeinsamen Berufsbildungspolitik vorgesehen ist, jeder Auslegung dieser Vorschrift entgegen, durch die der Gemeinschaft die zur wirksamen Verfolgung dieser gemeinsamen Politik erforderlichen Instrumente vorenthalten würden.

10 Der Gerichtshof hat schon in seinem Urteil vom 13. Februar 1985 in der Rechtssache 293/83 ( Gravier, Slg. 1985, 593 ) festgestellt, daß sich die in Artikel 128 EWG-Vertrag angesprochene gemeinsame Berufsbildungspolitik schrittweise entwickelt. Dem Beschluß 63/266, der den Ausgangspunkt dieser schrittweisen Entwicklung darstellt, liegt die Vorstellung zugrunde, daß die Durchführung der allgemeinen Grundsätze der gemeinsamen Berufsbildungspolitik im Rahmen einer Zusammenarbeit den Mitgliedstaaten und den Gemeinschaftsorganen obliegt ( siehe insbesondere Erster Grundsatz Absatz 4, Vierter Grundsatz Absätze 1 und 2 sowie Fünfter, Achter und Neunter Grundsatz ).

11 Eine auf dieser Vorstellung beruhende Auslegung des Artikels 128 führt zur Anerkennung einer Befugnis des Rates, Rechtsakte zu erlassen, die gemeinschaftliche Aktionen auf dem Gebiet der Berufsausbildung vorsehen und den Mitgliedstaaten entsprechende Mitwirkungspflichten auferlegen. Eine solche Auslegung steht im Einklang mit dem Wortlaut des Artikels 128 und gewährleistet auch dessen praktische Wirksamkeit.

12 Diese Auslegung kann nicht durch den Umstand entkräftet werden, daß Artikel 128 keine Mitwirkung des Parlaments vorsieht und keine besonderen Anforderungen an die für die Beschlußfassung des Rates erforderliche Mehrheit stellt, während andere Vertragsbestimmungen strengere Verfahrenserfordernisse für den Erlaß von Handlungen vorsehen, die der Durchführung einer gemeinsamen Politik oder auch nur der Koordinierung nationaler Politiken oder Vorschriften dienen sollen.

13 Insoweit ist darauf hinzuweisen, daß sich die Befugnisse der Organe und die Bedingungen ihrer Ausübung im System der gemeinschaftsrechtlichen Zuständigkeiten aus den einzelnen besonderen Vertragsbestimmungen ergeben, deren Unterschiede, insbesondere hinsichtlich der Mitwirkung des Europäischen Parlaments, nicht immer auf systematischen Kriterien beruhen.

14 Dem ist jedoch hinzuzufügen, daß Artikel 57, den der Rat neben anderen Vertragsbestimmungen zur Untermauerung seines Standpunkts angeführt hat, eine ganz bestimmte Bedeutung für die Abgrenzung des Geltungsbereichs des Artikels 128 zukommt. Er enthält nämlich eine besondere Regelung über den Erlaß von Richtlinien für die gegenseitige Anerkennung der Diplome, Prüfungszeugnisse und sonstigen Befähigungsnachweise wie auch von Richtlinien zur Koordinierung der Vorschriften der Mitgliedstaaten über die Aufnahme und Ausübung selbständiger Tätigkeiten. Demzufolge fallen derartige Maßnahmen selbst dann nicht unter Artikel 128, wenn sie das Gebiet der Berufsausbildung betreffen.

15 Dagegen vermag die Tatsache, daß unter anderem in Artikel 41 EWG-Vertrag im Rahmen der gemeinsamen Agrarpolitik und in Artikel 125 im Rahmen der Zuschüsse des Europäischen Sozialfonds besondere Maßnahmen der Berufsausbildung vorgesehen sind, die Bedeutung des Artikels 128 als allgemeine Grundlage für den Erlaß von Maßnahmen der Berufsbildungspolitik nicht zu schmälern.

16 Es ist ausserdem vorgetragen worden, daß eine Handlung mit so beträchtlichen Implikationen für den Haushalt wie das Erasmus-Programm nicht gemäß Artikel 128 habe erlassen werden können.

17 Soweit diese Ansicht auf einen Vergleich zwischen den Verfahrensanforderungen des Artikels 128 und denen anderer Vertragsbestimmungen mit Implikationen für den Haushalt gestützt ist, ist sie oben bereits zurückgewiesen worden.

18 Soweit sie damit begründet wird, daß an die das Erasmus-Programm betreffenden Haushaltsbeschlüsse strengere als die in Artikel 128 enthaltenen verfahrensrechtlichen Anforderungen zu stellen seien, ist darauf hinzuweisen, daß für die Ausübung der Rechtsetzungsbefugnis und die Ausübung haushaltsrechtlicher Befugnisse im Rahmen der Systematik des Vertrages unterschiedliche Bedingungen gelten. Daher können sich die Anforderungen des Haushaltsverfahrens, das für die Bereitstellung der zur Durchführung des streitigen Programms erforderlichen Mittel vorgesehen ist, in keiner Weise auf die Verfahrensanforderungen auswirken, die für den Erlaß des angefochtenen Beschlusses gelten; letztere unterliegen einer völlig selbständigen Regelung.

19 Nach alledem ist festzustellen, daß die im Rahmen des Erasmus-Programms geplanten Aktionen nicht über die Befugnisse hinausgehen, die der Rat nach Artikel 128 EWG-Vertrag auf dem Gebiet der Berufsausbildung innehat. Der streitige Beschluß sieht nämlich gemeinschaftliche Informations - und Förderungsmaßnahmen vor und erlegt den Mitgliedstaaten Mitwirkungspflichten auf.

20 Zwar handelt es sich bei der Aktion 3 des Programms um "Maßnahmen zur Verbesserung der Mobilität durch akademische Anerkennung von Diplomen und Studienzeiten"; eine Untersuchung der verschiedenen im Rahmen dieser Aktion vorgesehenen Maßnahmen zeigt jedoch, daß sie im Verhältnis zu der ins Auge gefassten Anerkennung, die als solche nicht Gegenstand der Aktion ist, nur den Charakter von Vorbereitungsmaßnahmen und von Anreizen haben. Schon deshalb fällt die Aktion nicht in den ausschließlichen Anwendungsbereich des Artikels 57 EWG-Vertrag.

21 Somit war der Rat vorbehaltlich der Frage, ob der angefochtene Rechtsakt nicht über das Gebiet der Berufsausbildung hinausgeht, befugt, diesen Rechtsakt auf der Grundlage des Artikels 128 EWG-Vertrag zu erlassen.

b ) Zum Gebiet der Berufsausbildung

22 Während die Kommission meint, das streitige Programm betreffe nur die Berufsausbildung, sind der Rat und die Streithelfer der Ansicht, daß es darüber in mehrfacher Hinsicht hinausgehe.

23 Sie machen erstens geltend, das Erasmus-Programm gelte für alle Hochschulstudien, von denen ein Grossteil nicht zur Berufsausbildung gehöre.

24 Nach einer nunmehr schon ständigen Rechtsprechung ( siehe erstmals das Urteil vom 13. Februar 1985, Gravier, a. a. O.) gehört jede Form der Ausbildung, die auf eine Qualifikation für einen bestimmten Beruf oder eine bestimmte Beschäftigung vorbereitet oder die die besondere Befähigung zur Ausübung eines solchen Berufes oder einer solchen Beschäftigung verleiht, zur Berufsausbildung, und zwar unabhängig vom Alter und vom Ausbildungsniveau der Schüler und Studenten und selbst dann, wenn der Lehrplan auch allgemeinbildenden Unterricht enthält.

25 Wie der Gerichtshof schon in seinem Urteil vom 2. Februar 1988 in der Rechtssache 24/86 ( Blaizot, Slg. 1988, 379 ) festgestellt hat, erfuellen die Hochschulstudiengänge im allgemeinen diese Voraussetzungen. Wie er ferner ausgeführt hat, gilt etwas anderes nur für bestimmte besondere Studiengänge, die sich aufgrund ihrer Eigenart an Personen richten, die eher ihre Allgemeinkenntnisse vertiefen wollen als einen Zugang zum Berufsleben anstreben.

26 Aus dem genannten Urteil ergibt sich ferner, daß die Zugehörigkeit der Studien zur Berufsausbildung weder dann ausgeschlossen ist, wenn sie zwar keine unmittelbare Qualifikation zur Ausübung eines Berufs verleihen, aber eine besondere Fähigkeit hierfür vermitteln, noch dann, wenn sich das Studium in verschiedene Abschnitte gliedert, die zusammen als Einheit anzusehen sind und eine Unterscheidung zwischen einem nicht zur Berufsausbildung gehörenden und einem zweiten unter diesen Begriff fallenden Abschnitt nicht zulassen ( siehe auch das Urteil vom 27. September 1988 in der Rechtssache 263/86, Humbel, Slg. 1988, 5365 ).

27 Somit gehören die Studiengänge, auf die sich das streitige Programm bezieht, im allgemeinen zur Berufsausbildung, und die im Rahmen dieses Programms vorgesehenen Aktionen können nur ausnahmsweise Hochschulstudiengänge betreffen, die wegen ihrer Eigenart diesem Gebiet nicht zuzurechnen sind. Diese Eventualität allein berechtigt nicht zu der Feststellung, daß das streitige Programm über den Rahmen der Berufsbildungspolitik hinausgehe und daß der Rat daher nicht befugt gewesen sei, es aufgrund von Artikel 128 EWG-Vertrag zu erlassen.

28 Zweitens ist geltend gemacht worden, daß bestimmte Ziele des streitigen Programms, insbesondere dasjenige, "das Zusammenwirken der Bürger der einzelnen Mitgliedstaaten mit dem Ziel zu verstärken, den Begriff eines Europas der Bürger zu festigen" ( Artikel 2 Ziffer iv des angefochtenen Beschlusses ) über den Rahmen der Berufsausbildung hinausgingen.

29 Wie der Gerichtshof bereits festgestellt hat, besteht zum einen ein enger Zusammenhang zwischen der gemeinsamen Berufsbildungspolitik und der Freizuegigkeit ( siehe das Urteil vom 13. Februar 1985, Gravier, a. a. O.). Zum anderen kann das durchaus legitime Ziel, daß sich die Entwicklung einer gemeinsamen Politik in den Rahmen der allgemeinen Ziele der Gemeinschaft, darunter desjenigen der Verwirklichung eines Europas der Bürger, einfügen soll, nicht zu einer Veränderung der geeigneten Rechtsgrundlage für Handlungen führen, die objektiv zu der fraglichen gemeinsamen Politik gehören.

30 Drittens ist vorgetragen worden, der angefochtene Beschluß betreffe insofern die Organisation des Bildungswesens, also auch die Schaffung eines Europäischen Hochschulnetzes ( Aktion 1 des Programms ).

31 Wie der Gerichtshof schon im Urteil vom 3. Juli 1974 in der Rechtssache 9/74 ( Casagrande, Slg. 1974, 773 ) entschieden hat, gehört die Bildungspolitik zwar als solche nicht zu den Materien, die der Vertrag der Zuständigkeit der Gemeinschaftsorgane unterworfen hat. Daraus folgt aber nicht, daß die Ausübung der der Gemeinschaft übertragenen Befugnisse irgendwie eingeschränkt wäre, wenn sie sich auf Maßnahmen auswirken kann, die zur Durchführung einer Politik von der Art der Bildungspolitik ergriffen worden sind.

32 Sodann ist festzustellen, daß das Europäische Hochschulnetz nach dem im Anhang des angefochtenen Beschlusses wiedergegebenen Wortlaut der Aktion 1 die Hochschulen umfassen wird, die mit Hochschulen anderer Mitgliedstaaten Vereinbarungen über einen Studenten - und Dozentenaustausch getroffen haben. Es trifft daher zwar zu, daß die Schaffung dieses Netzes Sache der Gemeinschaft ist. Die Hochschulen können sich daran aber nur auf der Grundlage der ihre Rechtsstellung und ihre Organisation regelnden Vorschriften beteiligen, die durch das fragliche Programm nicht berührt werden. Somit kann diesem Vorbringen nicht gefolgt werden.

33 Schließlich ist vorgetragen worden, der Rückgriff auf Artikel 235 EWG-Vertrag sei geboten gewesen, weil das streitige Programm Elemente umfasse, die das Gebiet der Forschung beträfen.

34 Hierzu ist festzustellen, daß die wissenschaftliche Forschung in kennzeichnender Weise zu den den Hochschulen eigentümlichen Tätigkeiten gehört. Ihr widmet sich nicht nur ein Teil des Hochschulpersonals ausschließlich, sondern sie ist grundsätzlich ein wesentliches Element der Tätigkeit der meisten Hochschuldozenten sowie eines Teils der Studenten, beispielsweise derjenigen, die Studien zum Zweck der Promotion oder gleichartige Studien betreiben.

35 Würde der angefochtene Beschluß dahin gehend ausgelegt, daß er nicht die Tätigkeiten der Hochschulen im Bereich der wissenschaftlichen Forschung beträfe, so würde damit die Tragweite bestimmter Ziele des Erasmus-Programms wesentlich beschränkt; insbesondere gilt dies für die Ziele "eine breite und intensive Zusammenarbeit zwischen Hochschulen in allen Mitgliedstaän zu fördern" und "das geistige Potential der Hochschulen in der Gemeinschaft auch für eine verstärkte Mobilität des Lehrpersonals zu nutzen und damit die Qualität des Unterrichts und der Ausbildung an diesen Hochschulen mit dem Ziel zu verbessern, die Wettbewerbsfähigkeit der Gemeinschaft auf dem Weltmarkt zu sichern" ( Artikel 2 Ziffern ii und iii ).

36 Unter diesen Umständen ist mangels einer ausdrücklichen einschränkenden Bestimmung für die wissenschaftliche Forschung in dem angefochtenen Beschluß festzustellen, daß zumindest ein Teil der geplanten Aktionen sowohl das Gebiet der Forschung als auch das der Berufsausbildung betrifft. Dies gilt insbesondere für die Aktion 1 (" Schaffung und Aufrechterhaltung eines Europäischen Hochschulnetzes "), die unter anderem vorsieht, daß eine "Unterstützung" gewährt wird, "um dem Lehrpersonal sowie dem Verwaltungspersonal der Hochschulen zu ermöglichen, andere Mitgliedstaaten zu besuchen und dabei integrierte Studienprogramme mit Hochschulen dieser Mitgliedstaaten auszuarbeiten und die Erfahrungen bei den neuesten Entwicklungen in ihrem jeweiligen Fachbereich auszutauschen" ( Nr. 3 ), und daß Zuschüsse vergeben werden, um in der Gemeinschaft Anreize für eine grössere Mobilität des Lehrpersonals zu geben ( Nr. 4 ). Ausserdem ist in Artikel 130 Buchstabe g EWG-Vertrag, der durch die Einheitliche Europäische Akte in den Vertrag eingefügt wurde, neben anderen Maßnahmen, die die Gemeinschaft zur Erreichung der Ziele zu treffen hat, die in dem neuen Titel "Forschung und technologische Entwicklung" aufgestellt worden sind, die Förderung der Ausbildung und der Mobilität der Forscher aus der Gemeinschaft aufgeführt.

37 Da der angefochtene Beschluß somit nicht nur das Gebiet der Berufsausbildung, sondern auch das der wissenschaftlichen Forschung betrifft, war der Rat nicht befugt, den Beschluß allein aufgrund von Artikel 128 zu erlassen, und kam daher vor Inkrafttreten der Einheitlichen Europäischen Akte nicht umhin, sich auch auf Artikel 235 EWG-Vertrag zu stützen. Die erste Rüge der Kommission, wonach eine nicht einschlägige Rechtsgrundlage herangezogen worden sein soll, ist somit zurückzuweisen.

Zur Begründung

38 Die Kommission macht geltend, der angefochtene Beschluß genüge nicht den Anforderungen, die Artikel 190 EWG-Vertrag an die Begründung stelle, weil die letzte Begründungserwägung so unbestimmt und ungenau gefasst sei, daß sie nicht erkennen lasse, aus welchen Gründen der Rat auf Artikel 235 als Rechtsgrundlage zurückgegriffen habe.

39 Hierzu ist festzustellen, daß in der fraglichen Begründungserwägung unzweideutig die Überzeugung des Rates zum Ausdruck kommt, daß Artikel 128 EWG-Vertrag angesichts des Gebiets, auf das sich die streitige Handlung bezieht, als Rechtsgrundlage nicht ausreicht und daß daher im Sinne von Artikel 235 EWG-Vertrag im Vertrag die erforderlichen Befugnisse nicht vorgesehen sind. Aus den Ausführungen im Rahmen der Prüfung der ersten Rüge ergibt sich, daß diese Überzeugung begründet war.

40 Unter diesen Umständen kann es nicht als zur Nichtigkeit der fraglichen Handlung führender wesentlicher Formmangel angesehen werden, daß der Rat die Gründe für seine Überzeugung in knappen Worten dargelegt hat.

41 Die Rüge, mit der die Kommission eine unzulängliche Begründung geltend macht, ist somit ebenfalls zurückzuweisen.

Kostenentscheidung:

Kosten

42 Nach Artikel 69 § 2 der Verfahrensordnung ist die unterliegende Partei auf Antrag zur Tragung der Kosten zu verurteilen. Da die Kommission mit ihrer Klage unterlegen ist, sind ihr die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Streithelfer aufzuerlegen.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF

für Recht erkannt und entschieden :

1 ) Die Klage wird abgewiesen.

2 ) Die Kommission trägt die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der Streithelfer.

Ende der Entscheidung

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