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Beginn der Entscheidung

Gericht: Europäischer Gerichtshof
Urteil verkündet am 14.07.1988
Aktenzeichen: 254/87
Rechtsgebiete:


Vorschriften:

Quelle: Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften in L-2925 Luxemburg

Beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts verbietet Artikel 5 Absatz 2 in Verbindung mit den Artikeln 3 Buchstabe f, 85 und 86 EWG-Vertrag den Mitgliedstaaten nicht den Erlaß von Rechtsvorschriften, nach denen der Endverkaufspreis von Büchern vom Verleger oder Importeur eines Buches festgesetzt werden muß und für jeden Einzelhändler verbindlich ist, vorausgesetzt, daß diese Rechtsvorschriften im Einklang mit den übrigen einschlägigen Bestimmungen des EWG-Vertrags stehen, insbesondere mit den Bestimmungen über den freien Warenverkehr.


URTEIL DES GERICHTSHOFES (DRITTE KAMMER) VOM 14. JULI 1988. - SYNDICAT DES LIBRAIRES DE NORMANDIE GEGEN L'AIGLE DISTRIBUTION, CENTRE LECLERC. - ERSUCHEN UM VORABENTSCHEIDUNG, VORGELEGT VOM TRIBUNAL DE GRANDE INSTANCE D'ALENCON. - FESTPREIS FUER BUECHER. - RECHTSSACHE 254/87.

Entscheidungsgründe:

1 Das Tribunal de grande instance Alençon hat mit Beschluß vom 5. August 1987, beim Gerichtshof eingegangen am 21. August 1987, gemäß Artikel 177 EWG-Vertrag zwei Fragen nach der Auslegung einiger Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrags zur Vorabentscheidung vorgelegt, um beurteilen zu können, ob nationale Rechtsvorschriften, wonach jeder Verleger oder Importeur von Büchern einen Einzelhandelsverkaufspreis für die von ihm verlegten oder eingeführten Bücher festsetzen muß, mit dem Gemeinschaftsrecht vereinbar sind.

2 Gemäß dem französischen Gesetz Nr. 81-766 vom 10. August 1981 über den Buchpreis ( JORF vom 11. 8. 1981, S. 2198 ) hat jeder Verleger oder Importeur von Büchern den Endverkaufspreis für die von ihm verlegten oder eingeführten Bücher festzusetzen. Nach Artikel 1 Absatz 4 des Gesetzes müssen die Einzelhändler die Bücher zu einem tatsächlichen Endverkaufspreis verkaufen, der zwischen 95 und 100 % des festgesetzten Preises liegt. Bei einem Verstoß gegen das Gesetz kann unter anderen jeder Konkurrent oder jeder Berufsverband des Verlagswesens oder Buchhandels Unterlassungs - sowie Schadensersatzklage erheben.

3 In bezug auf eingeführte Bücher bestimmt Artikel 1 Absatz 5 des Gesetzes vom 10. August 1981, daß "bei der Einfuhr von in Frankreich verlegten Büchern... der vom Importeur festgesetzte Endverkaufspreis mindestens so hoch sein (( muß )) wie der vom Verleger festgesetzte Preis ".

4 Mit Urteil vom 10. Januar 1985 in der Rechtssache 229/83 ( Leclerc/"Au blé vert", Slg. 1985, 1 ) hat der Gerichtshof festgestellt, daß diese Verpflichtung der Importeure grundsätzlich eine nach Artikel 30 EWG-Vertrag verbotene Maßnahme mit gleicher Wirkung wie mengenmässige Einfuhrbeschränkungen darstellt, soweit es um den Verkauf von Büchern geht, die in Frankreich verlegt und nach ihrer Ausfuhr in einen anderen Mitgliedstaat dorthin reimportiert worden sind. Im Anschluß an dieses Urteil wurde dem Artikel 1 des Gesetzes vom 10. August 1981 durch das Gesetz Nr. 85-500 vom 13. Mai 1985 ( JORF vom 14. 5. 1985, S. 5415 ) ein Absatz 6 angefügt, wonach die Bestimmungen des Absatzes 5 über die Verpflichtungen der Importeure in bezug auf den Endverkaufspreis "nicht für aus einem Mitgliedstaat der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft eingeführte Bücher (( gelten )), sofern sich nicht aus objektiven Umständen, insbesondere der fehlenden tatsächlichen Vermarktung in diesem Staat, ergibt, daß der Vorgang dazu diente, Absatz 4 dieses Artikels für den Einzelhandelsverkauf zu umgehen ".

5 Mit Schriftsatz vom 28. April 1987 beantragte das Syndicat des libraires de Normandie in einem Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes beim Tribunal de grande instance Alençon, der Firma L' Aigle distribution, Centre Leclerc ( nachstehend : Firma L' Aigle distribution ), den Verkauf von Büchern unter dem nach Artikel 1 des Gesetzes vom 10. August 1981 in der Fassung des Gesetzes Nr. 85-500 vom 13. Mai 1985 zulässigen Preis zu verbieten. Die Firma L' Aigle distribution bestritt die beanstandete Praxis nicht, machte zu ihrer Verteidigung aber geltend, daß die französische Regelung mit den Wettbewerbsregeln des EWG-Vertrags nicht in Einklang stehe. Das Tribunal de grande instance war der Ansicht, daß der Rechtsstreit die Frage aufwerfe, ob die durch das Gesetz Nr. 85-500 vorgenommene Reform, die bestimmten Unternehmen wieder völlige Freiheit bei der Preisfestsetzungspolitik für Bücher lasse, nicht Kartellabsprachen über diese Preise und die Errichtung von gebundenen Vertriebssystemen erlaube. Nach Ansicht des Gerichts hat der Gerichtshof ausserdem noch nicht die Frage entschieden, ob die Befugnis der im Syndicat national de l' édition zusammengeschlossen Verlagsunternehmen, einseitig die Einzelhandelsverkaufspreise festzusetzen, es nicht ermögliche, eine beherrschende Stellung auf dem Gemeinsamen Markt mißbräuchlich auszunutzen.

6 Das Tribunal de grande instance Alençon hat daher mit Beschluß vom 5. August 1987 das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt :

"1 ) Erleichtert die nur einer Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern vorbehaltene Freiheit der Preisfestsetzung nicht die Errichtung gebundener oder unter Kontrolle stehender Vertriebsnetze, was einen Verstoß gegen Artikel 3 Buchstabe f in Verbindung mit den Artikeln 5 und 85 EWG-Vertrag oder zumindest gegen deren praktische Wirksamkeit darstellen würde?

2 ) Verstösst die im französischen Recht bestimmten Wirtschaftsteilnehmern, den Verlegern, erteilte Befugnis nicht gegen Artikel 86, hilfsweise gegen Artikel 85, oder zumindest gegen deren praktische Wirksamkeit, da der Verkaufspreis innerhalb einer einzigen Berufsgruppe aufgrund von wirtschaftlichen Regeln festgesetzt wird, die sich nicht aus dem Wettbewerb oder dem Markt ergeben?"

7 Wegen weiterer Einzelheiten des Ausgangsrechtsstreits, der einschlägigen nationalen Rechtsvorschriften und der beim Gerichtshof eingereichten Erklärungen wird auf den Sitzungsbericht verwiesen. Der Akteninhalt wird im folgenden nur insoweit wiedergegeben, als die Begründung des Urteils dies erfordert.

Zur Auslegung der Artikel 3 Buchstabe f, 5, 85 und 86 EWG-Vertrag

8 Mit seinen Vorabentscheidungsfragen möchte das Tribunal de grande instance Alençon im wesentlichen wissen, ob die Tatsache, daß ein Mitgliedstaat eine Regelung über den Einzelhandelsverkaufspreis von Büchern wie die oben beschriebene einführt oder beibehält, gegen die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus Artikel 5 Absatz 2 EWG-Vertrag verstösst, soweit eine solche nationale Regelung geeignet ist, die praktische Wirksamkeit der Artikel 85 oder 86 EWG-Vertrag dadurch zu beseitigen, daß sie die Errichtung von gebundenen Vertriebssystemen oder die mißbräuchliche Ausnutzung einer beherrschenden Stellung erleichtert.

9 Die Firma L' Aigle distribution meint, auch bei Fehlen einer gemeinsamen Politik im Buchsektor stelle eine nationale Regelung, die bestimmten Wirtschaftsteilnehmern die Verantwortung für die Festsetzung der Festpreise für Bücher auf der Einzelhandelsstufe überlasse, eine Beeinträchtigung der praktischen Wirksamkeit der Artikel 85 und 86 EWG-Vertrag dar, soweit sie wettbewerbswidrige Verhaltensweisen dieser Wirtschaftsteilnehmer nicht verbiete.

10 Dazu ist festzustellen, daß nach ständiger Rechtsprechung des Gerichtshofes ( siehe zuletzt Urteil vom 1. Oktober 1987 in der Rechtssache 311/85, Vereniging van Vlaamse Reisbureaus, Slg. 1987, 3801 ) die Mitgliedstaaten keine Maßnahmen treffen oder beibehalten dürfen, die die praktische Wirksamkeit der für die Unternehmen geltenden Wettbewerbsregeln ausschalten könnten, insbesondere indem sie Artikel 85 EWG-Vertrag zuwiderlaufende Kartellabsprachen vorschreiben oder erleichtern oder deren Auswirkungen verstärken.

11 Bezueglich der angeblichen Errichtung gebundener Vertriebssysteme ist daran zu erinnern, daß der Gerichtshof in seinem erwähnten Urteil vom 10. Januar 1985 festgestellt hat, daß Rechtsvorschriften wie die seinerzeit in Frankreich geltenden nicht darauf gerichtet sind, den Abschluß von Vereinbarungen zwischen Verlegern und Einzelhändlern oder andere der in Artikel 85 Absatz 1 EWG-Vertrag genannten Verhaltensweisen vorzuschreiben, sondern die Verleger oder Importeure verpflichten, einseitig die Endverkaufspreise festzusetzen. Der Gerichtshof kam daher zu dem Ergebnis, daß mangels einer Wettbewerbspolitik der Gemeinschaft in bezug auf rein nationale Systeme oder Praktiken im Buchsektor die Verpflichtungen der Mitgliedstaaten aus Artikel 5 in Verbindung mit den Artikeln 3 Buchstabe f und 85 EWG-Vertrag nicht hinreichend bestimmt sind, um diesen Staaten den Erlaß solcher Rechtsvorschriften zu verbieten, vorausgesetzt, daß diese Rechtsvorschriften im Einklang mit den übrigen einschlägigen Bestimmungen des EWG-Vertrags stehen, insbesondere mit den Bestimmungen über den freien Warenverkehr.

12 Diese Beurteilung kann nicht durch die 1985 eingetretene Änderung der französischen Regelung in Frage gestellt werden. Zwar steht es nach Artikel 1 Absatz 6 des Gesetzes vom 10. August 1981 in der Fassung des Gesetzes vom 13. Mai 1985 jedem Importeur grundsätzlich frei, für die in Frankreich verlegten Bücher, die er aus einem anderen Mitgliedstaat einführt, einen Einzelhandelsverkaufspreis festzusetzen, der von dem vom französischen Verleger festgesetzten Preis abweichen kann. Diese den Importeuren eingeräumte Freiheit kann jedoch nicht als eine staatliche Maßnahme angesehen werden, die bezweckt oder bewirkt, Artikel 85 EWG-Vertrag zuwiderlaufende Kartellabsprachen vorzuschreiben oder zu erleichtern oder deren Auswirkungen zu verstärken. Die genannte Bestimmung stellt nämlich die Importeure hinsichtlich der Möglichkeit, einen Einzelhandelsverkaufspreis frei festzusetzen, den Verlegern gleich und müsste daher eine Verstärkung des Wettbewerbs im Buchsektor zur Folge haben.

13 Was das Vorbringen der Firma L' Aigle distribution zu dem rechtswidrigen Verhalten der französischen Verleger im Hinblick auf Artikel 85 EWG-Vertrag angeht, so handelt es sich um eine Tatsachenfrage, deren Beurteilung im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens dem vorlegenden Gericht obliegt.

14 Zu der Frage, ob eine nationale Regelung wie die vom vorlegenden Gericht beschriebene Artikel 86 EWG-Vertrag einhält, genügt die Feststellung, daß die Tatsache allein, daß eine Gruppe von Wirtschaftsteilnehmern die Einzelhandelsverkaufspreise für die von ihnen hergestellten oder eingeführten Waren festsetzen muß, diesen Wirtschaftsteilnehmern noch keine beherrschende Stellung einräumt, da eine solche Regelung die Freiheit jedes dieser Wirtschaftsteilnehmer, die Höhe der Preise selbständig festzusetzen, keineswegs beeinträchtigt. Ausserdem lässt sich dem Vorlagebeschluß nichts entnehmen, was auf eine mißbräuchliche Ausnutzung einer solchen Stellung hinwiese und was sich aus einem Kausalzusammenhang zwischen dem Verhalten der Wirtschaftsteilnehmer und der betreffenden Regelung ergäbe.

15 Somit ist auf die Fragen des Tribunal de grande instance Alençon zu antworten, daß beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts Artikel 5 Absatz 2 in Verbindung mit den Artikeln 3 Buchstabe f, 85 und 86 EWG-Vertrag den Mitgliedstaaten nicht den Erlaß von Rechtsvorschriften verbietet, nach denen der Endverkaufspreis von Büchern vom Verleger oder Importeur eines Buches festgesetzt werden muß und für jeden Einzelhändler verbindlich ist, vorausgesetzt, daß diese Rechtsvorschriften im Einklang mit den übrigen einschlägigen Bestimmungen des EWG-Vertrags stehen, insbesondere mit den Bestimmungen über den freien Warenverkehr.

Kostenentscheidung:

Kosten

16 Die Auslagen der französischen Regierung und der Kommission der Europäischen Gemeinschaften, die Erklärungen beim Gerichtshof eingereicht haben, sind nicht erstattungsfähig. Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem nationalen Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts.

Tenor:

Aus diesen Gründen

hat

DER GERICHTSHOF ( Dritte Kammer )

auf die ihm vom Tribunal de grande instance Alençon mit Beschluß vom 5. August 1987 vorgelegten Fragen für Recht erkannt :

Beim gegenwärtigen Stand des Gemeinschaftsrechts verbietet Artikel 5 Absatz 2 in Verbindung mit den Artikeln 3 Buchstabe f, 85 und 86 EWG-Vertrag den Mitgliedstaaten nicht den Erlaß von Rechtsvorschriften, nach denen der Endverkaufspreis von Büchern vom Verleger oder Importeur eines Buches festgesetzt werden muß und für jeden Einzelhändler verbindlich ist, vorausgesetzt, daß diese Rechtsvorschriften im Einklang mit den übrigen einschlägigen Bestimmungen des EWG-Vertrags stehen, insbesondere mit den Bestimmungen über den freien Warenverkehr.

Ende der Entscheidung

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